RSNplus19 von 30 Bora-Profis angeschlagen

Denk zur Personalmisere: “Es entsteht ein Teufelskreis“

Von Felix Mattis

Foto zu dem Text "Denk zur Personalmisere: “Es entsteht ein Teufelskreis“"
Ralph Denk ist der Teamchef bei Bora - hansgrohe. | Foto: Cor Vos

19.03.2022  |  (rsn) – Es läuft derzeit alles andere als rund beim deutschen WorldTour-Rennstall Bora – hansgrohe. Nach einem durchaus erfolgreichen Saisonstart mit gleich fünf Siegen bis Mitte Februar wird die Mannschaft von Manager Ralph Denk und dem neuen Sportdirektor Rolf Aldag nun seit rund einem Monat vom Pech verfolgt. Ernüchternd waren vor allem die Auftritte am Openingsweekend und zuletzt bei Paris-Nizza.

Auch beim ersten Monument am Samstag, Mailand-Sanremo, ist kaum mit einem Erfolgserlebnis zu rechnen. Kapitän Sam Bennett musste am Freitag kurzfristig krank absagen. Und genau da liegt, so erklärte Denk nun gegenüber radsport-news.com, derzeit das Problem seiner Mannschaft: Krankheiten und Verletzungen sorgen für das Leistungsloch bei den Raublingern.

"Wir haben aktuell zwölf Fahrer mit entweder Covid oder einem anderen Infekt der oberen Atemwege. Dazu kommen sieben weitere, die durch Stürze länger ausgefallen sind – mit Brüchen oder einer Gehirnerschütterung. Von 30 Rennfahrern im Kader sind jetzt 19 angeschlagen. Das ist schon bescheiden", so Denk. "Eigentlich sind wir gar nicht schlecht in die Saison gestartet. Aber die letzten drei Wochen haben es uns zerfetzt."

___STEADY_PAYWALL___ Gut gestartet: Aleksandr Vlasov gewann im Februar die Valencia-Rundfahrt für Bora - hansgrohe. | Foto: Cor Vos

Bennetts kurzfristige Sanremo-Absage ist nur die jüngste Spitze des Eisbergs. Auch Lennard Kämna ist nach seiner Magen-Darm-Infektion vor Strade Bianche noch nicht wieder fit genug, um am Montag die Katalonien-Rundfahrt zu bestreiten. Maximilian Schachmann hat man bei Paris-Nizza angemerkt, wie weit ihn seine Corona-Infektion zurückgeworfen hat. Nils Politt wurde bereits zweimal durch Krankheiten gestoppt, Felix Großschartner hat sich das Schlüsselbein gebrochen und Patrick Konrad zog sich bei Strade Bianche eine schwere Gehirnerschütterung zu, in deren Folge er immer noch nicht richtig trainieren kann. Und das sind nur die prominentesten Namen auf der langen Krankenliste des Teams.

"Sehr, sehr, sehr ungewöhnlich" viele kranke Radprofis

Dabei gebe ihm und auch der medizinischen Abteilung gerade die aktuelle Infektionslage in Sachen Atemwegserkrankungen Rätsel auf, so Denk. Denn nicht nur bei Bora – hansgrohe fallen reihenweise Fahrer aus, auch andere Teams sind schwer gebeutelt. Zahlreiche Mitfavoriten wie Titelverteidiger Jasper Stuyven (Trek – Segafredo), Sonny Colbrelli (Bahrain Victorious), Julian Alaphilippe (Quick-Step – Alpha Vinyl) oder auch Caleb Ewan (Lotto Soudal) mussten kurzfristig für Mailand-Sanremo absagen. Bei Paris-Nizza stiegen an einem einzigen Tag gleich 18 Mann krankheitsbedingt aus.

Lennard Kämna bewies mehrfach seine starke Frühform und gewann eine Etappe der Ruta del Sol, wurde dann aber Anfang März von einem Magen-Darm-Infekt gestoppt. | Foto: Cor Vos

"Es ist schon sehr, sehr, sehr ungewöhnlich. Natürlich sind die Rennfahrer im Frühjahr immer anfälliger als im Sommer. Aber wir hatten ja eigentlich sogar ein gutes Frühjahr – kaum Regentage, kein Schnee bei Paris-Nizza oder Tirreno-Adriatico", grübelte Denk. "Diese hohen Infektionszahlen werfen schon Fragen auf. Obwohl alle im Team ihr Bestes geben, um die Fahrer zu unterstützen, stoßen wir manchmal an unsere Grenzen. Wir tun alles, um die Rennfahrer gesund zu halten, haben tolle Ernährungsprogramme, sorgen dafür, dass nach Rennen sofort geduscht und sich warm angezogen wird – und so weiter. Die Covid-Impfquote im Peloton liegt bei 99 Prozent, auch bei uns im Team. Und trotzdem hatten in den letzten sechs Wochen allein bei uns zwölf Mann Covid", berichtete der Raublinger.

Selbst milde Covid-Erkrankungen werfen weit zurück

Corona-Infektionen seien nicht das einzige Problem, betonte Denk. Doch wenn man sich die Auswirkungen einer Covid-Erkrankung – selbst bei mildesten Symptomen – auf den Formaufbau der Fahrer ansieht, wird deutlich, wie sehr das Virus dem Peloton zusetzt. Die allgemeine Praxis der WorldTour-Rennställe ist, Fahrer nach einem positiven Corona-Test solange nicht trainieren zu lassen, bis die Tests wieder negativ ausfallen – ganz gleich, ob der Sportler Krankheitssymptome aufweist oder nicht. Nach dem ersten Negativtest geht es bei Bora – hansgrohe zum Herz- und Lungencheck und erst dann zurück ins Training.

So soll gefährlichen Herzmuskelentzündungen vorgebeugt werden. Das ist verantwortungsbewusst und wohl der einzig richtige Weg, aber eben auch einer, der viel Zeit kostet. Zehn Tage bis zwei Wochen sind die Sportler so meist außer Gefecht. Es dauert lange, diesen Trainingsrückstand wieder aufzuholen, wie das Beispiel Schachmann zeigt.

Titelverteidiger Maximilian Schachmann (links) war bei Paris-Nizza nach seiner Corona-Infektion chancenlos. | Foto: Cor Vos

Den Teams setzen Covid und andere Krankheiten – auch Magen-Darm-Viren machten Anfang März im Peloton die große Runde – auch nachhaltig zu. Denn durch den großen Personalmangel können die Rennprogramme der gesund gebliebenen Fahrer nicht wie geplant durchgezogen werden.

Denk: "Es entsteht ein Teufelskreis"

"Es entsteht ein Teufelskreis. Durch die Personalnot müssen Aufgebote für Rennen zusammengestellt werden, die nicht strategisch sind. Gesunde Rennfahrer werden zu Lückenbüßern, was auch für sie scheiße ist, weil ihr Rennprogramm dann nicht mehr aufeinander aufbaut", schilderte Denk in drastischen Worten die Situation. "Du kratzt für Rennen Fahrer zusammen, ohne noch auf einen ordentlichen Formaufbau Rücksicht nehmen zu können und schadest Dir so dann auch mittelfristig bei den nächsten Rennen."

Rennen deshalb aber einfach auszulassen, sei keine gangbare Option, so der Teamchef. Für WorldTour-Rennen gibt es ohnehin eine Startpflicht, und auch mit anderen Rennveranstaltern gebe es schließlich Verträge und Startzusagen, die man nicht einfach brechen könne. So steht Bora – hansgrohe am Samstag nun mit nur sechs Mann am Start des ersten Monuments der Saison. Dasselbe gilt ab Montag für die Katalonien-Rundfahrt.

In die Erfolgsspur zurückzukehren wird kein Selbstläufer. "San Remo wird schwierig", setzte Denk am Freitag schon beinahe einen Haken an den Samstag, um aber für Spanien zumindest etwas Hoffnung zu sähen: "Sergio Higuita und Jai Hindley sind gut in Form."

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