RSNplusAbschied aus dem Straßen-Peloton

Kröger: “Rennen haben mich mental aus der Bahn geworfen“

Von Felix Mattis

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Gold in der Einerverfolgung bei der EM 2022 in München vor Lisa Brennauer und Vittoria Guazzini - einer der größten Siege in Krögers Karriere. | Foto: Cor Vos

17.11.2023  |  (rsn) – Heimlich, still und leise hat Mieke Kröger ihre Karriere als Straßenprofi beendet. Schon im August nach den Weltmeisterschaften von Glasgow bat die 30-Jährige ihr Team Human Powered Health um Auflösung ihres Vertrags, wie sie radsport-news.com nun erzählte.

Doch mit dem Hochleistungsradsport hat die gebürtige Bielefelderin trotzdem nicht abgeschlossen. Kröger verfolgt für 2024 weiter große Ziele: Bei Olympia will sie auf der Bahn mit dem Verfolgungsvierer an den Goldrausch von Tokio 2021 anknüpfen und um eine Medaille kämpfen, aber auch im Einzelzeitfahren wäre die amtierende Deutsche Zeitfahrmeisterin in Paris gerne dabei.

Ohne WorldTour-Rennstall und große Renneinsätze zu den Olympischen Spielen in einer Straßendisziplin, das klingt nach einem ungewöhnlichen Weg - ist es aber nicht, im Gegenteil: 2021 gewann Anna Kiesenhofer Gold im Straßenrennen, ohne einem Profiteam anzugehören. 2016 in Rio feierte Kristin Armstrong ihren dritten Olympiasieg im Zeitfahren und war zwar Teil des US-Rennstalls Twenty16 – Ridebiker, hatte außerhalb der USA seit den Spielen 2012 aber kein Radrennen bestritten.

___STEADY_PAYWALL___ Nun beschrieb auch Kröger ihre nähere Zukunft so: "Mieke macht ihr Ding." Denn auf dem Weg zu Olympia 2024, wo ihr der 32,4 Kilometer lange und sehr flache Zeitfahrparcours sehr gut liegen sollte, wird sie mit ihrem neuen Trainer Björn Kafka, mit dem sie seit September zusammenarbeitet, weitgehend in Eigenregie an ihren Zeitfahrfähigkeiten feilen. Bislang hat sie noch nicht einmal einen Radsponsor, plant mit einem fast zehn Jahre alten Scott Plasma im Orica-Teamlook, das sie vor einigen Jahren privat erwarb. Erste Bemühungen um Partner sind bislang ohne Erfolg geblieben. Winter-Training mit dem Gravelbike: Mit diesem Rad ist Mieke Kröger derzeit abseits der Straßen unterwegs. | Foto: Privat

Trotzdem freut sich Kröger auf 2024 und ihr Projekt. Denn der Entschluss, keine Straßenrennen im Peloton mehr bestreiten zu wollen, war eine Erleichterung. "Ich habe schon öfter mit dem Gedanken gespielt, nicht mehr in ein Profiteam zu gehen, aber ich habe mich nie getraut. Wir sind Olympiasiegerinnen im Vierer mit Straßenfahrerinnen geworden – das war Teil des Erfolgs. Und es stimmt auch, dass die Straße einem eine gute Form gibt", erklärte Kröger.

Straßenrennen im Formaufbau: Vor- oder Nachteil?

Allerdings fügte sie einschränkend an: "Wenn man ordentlich Straßenrennen fährt! Aber wenn ich Rennen gefahren bin in letzter Zeit, habe ich es nicht geschafft, mental auf den richtigen Weg zu kommen. Und dann bin ich im Rennen eben auch nicht in die tiefsten Belastungen gekommen, habe schneller aufgegeben, bin hinterhergefahren im G2- oder EB-Bereich oder an der Schwelle – halt das, was in meiner Komfortzone liegt. Aber so eine Minute einen Berg hochzuknallen, in diese Situation bin ich nur noch seltenst gekommen." Dass es für sie schwieriger wird, 2024 Top-Form zu erreichen, glaubt Kröger daher nicht.

Auf dem Weg zu EM-Bronze in der Mixed Staffel 2023 (von links): Mieke Kröger auf ihrem privaten, älteren Scott Plasma, Franziska Koch auf ihrem aktuellen Scott Plasma des Teams dsm – firmenich und Lisa Klein auf ihrem Speed Concept des Teams Lidl – Trek. | Foto: Cor Vos

Das Fahren im Feld, die Positionskämpfe, aber auch alles andere drum herum, wären für Kröger bei jedem Rennen eine große mentale Anstrengung gewesen, so die 30-Jährige, von der sie sich anschließend immer länger erholen musste. "Da gingen mir ganz schön viele Trainingseinheiten flöten. Und wie viele Tage Renn-Vorbelastung ich gefahren bin! Das ist ja auch kein Training…"

Nach der WM in Glasgow "die Reißleine gezogen"

Über die letzten Jahre und Monate verfestigte sich Krögers Abneigung gegenüber den Straßenrennen und im Gespräch versuchte sie das bildlich darzustellen: "Wenn ich im Zug bei der Anreise zu einem Rennen saß, dachte ich: Wenn der Zug jetzt entgleist und ich dadurch das Rennen verpasse, wäre das auch ganz nett."

Am 16. Juli fuhr sie mit dem neuen Women's Cycling Grand Prix in Stuttgart ihr letztes Massenstartrennen, kam aber nicht ins Ziel. Drei Wochen später ging es zur WM nach Glasgow, wo Kröger nur im Zeitfahren startete und enttäuschte 18. wurde. "In der ersten Reaktion danach wollte ich sofort ganz aufhören und mein Rad sofort in die Ecke stellen", so Kröger. Die Kurzschlussreaktion redeten ihr einige nahestehende Personen aus, aber das Unbehagen wurde wieder größer, als danach die nächsten Straßenrennen näher rückten.

Bei der Zeitfahr-DM 2023 in Bad Dürrheim holte Kröger (Mitte) den Titel vor Katharina Fox (Maxx-Solar – Rose, links) und Clara Koppenburg (Cofidis, rechts). | Foto: Cor Vos

"Und dann habe ich schnell die Reißleine gezogen und meinen Vertrag mit dem Team aufgelöst", erzählte sie und lobte den Umgang ihres Rennstalls Human Powered Health mit der Situation: "Sie waren nicht geschockt, denn ich denke in dieser Saison hatten sie schon einen Eindruck bekommen… Sie haben erstmal sichergestellt, dass es mir gut geht. Das fand ich stark."

2019 war Krögers bestes Straßenjahr

Kröger ließ im Gespräch mit radsport-news.com tief blicken und berichtete, dass ihr Straßenrennen schon immer schwergefallen seien. Nur vereinzelt habe es Ausreißer nach oben gegeben, etwa wenn sie körperlich wirklich in absoluter Top-Form gewesen sei oder sich mental extrem auf das Rennen vorbereitet und konzentriert habe. Das sei aber eben nicht an jedem einzelnen Renntag in einer Saison leistbar und so waren die Massenstartrennen für sie meist eine Qual.

Dass sie abgesehen von ihren bärenstarken Zeitfahrleistungen, die schon mit dem sensationellen vierten Platz bei ihrer ersten Elite-WM 2014 in Ponferrada der ganzen Radsport-Welt bewusst wurden, auch in nicht allzu bergigen Straßenrennen gute Leistungen abrufen konnte, zeigte die Deutsche immer wieder beispielsweise als Ausreißerin.

In Surhuisterveen gewann Kröger 2019 die 2. Etappe der Healthy Ageing Tour. In der damaligen Saison folgten zwei weitere Siege in Straßenrennen bei Gracia Orlova und der Lotto Belgium Tour. | Foto: Cor Vos

Die niederländische Healthy Ageing Tour oder auch die Lotto Belgium Tour lagen ihr Jahr für Jahr. Und 2019, in ihrer wohl besten Saison, feierte Kröger dort für das dänische Team Virtu jeweils auch Siege auf dem Straßenrad. Doch seit Anfang 2020 beendete sie kein einziges internationales Massenstartrennen mehr innerhalb der Top 30 – trotz guter körperlicher Verfassung, wie die dazwischen immer wieder starken Zeitfahr-Ergebnisse beweisen.

"Wie früher im Reitunterricht: Schon mit Schiss in der Hose hingekommen"

"Wenn ich genug Energie habe, mich richtig zu konzentrieren, dann kann ich ein Rennen schon ganz gut fahren. Aber es war mental immer ultra-anstrengend für mich", so Kröger, die erklärte: "Ich fahre nicht mehr wie mit 20. Ich vertraue meinen eigenen Skills, habe aber ein Problem damit, denen der Anderen zu vertrauen. Und dann fahr mal ein Straßenrennen, wo ganz viele andere um dich herum sind. Dazu kommt die ganze Stimmung drum herum. Es war wie früher beim Reitunterricht: Ich bin schon mit Schiss in der Hose hingekommen."

Jetzt ist das vorbei. Es geht nicht mehr zum Reitunterricht. Der großen Beliebtheit der 30-Jährigen, die mit der sogenannten Mieke Kröger Mafia (MKM) einen gerade auf Social Media sehr aktiven Fan-Club hat, dürfte das keinen Abbruch tun. Schließlich wird man sie auf der Bahn und im Zeitfahren weiter sehen. Und das 'Mieke Kröger Anthem' muss dann 2024 eben nicht mehr als Einlaufmusik bei der Teampräsentation des Omloop Het Nieuwsblad in Gent gespielt werden, sondern im Velodrome National in Saint-Quentin-en-Yvelines vor den Toren von Paris bei den Olympischen Spielen. Den DJ auszumachen, das dürfte für die 'MKM' machbar sein.

Der 3. August 2021: Lisa Brennauer, Lisa Klein, Mieke Kröger (an dritter Position) und Franziska Brauße holen Olympia-Gold mit dem Verfolgungs-Vierer auf der Bahn. | Foto: Cor Vos

In Paris hofft Kröger mit dem Goldvierer von 2021 erneut um Edelmetall fahren zu können – auch wenn die Wiederholung des Olympiasieges aktuell utopisch scheint. Erstmal muss bei der EM im Januar in Apeldoorn die Qualifikation überhaupt festgezurrt werden. "Unser Ziel ist eine Medaille und wir waren bei den Nation's Cups dran, aber wir müssen uns anschnallen. Die Konkurrenz wird immer dichter", meinte Kröger. "Wir müssen auf jeden Fall noch ganz viel üben und vielleicht auch noch eine andere Taktik probieren. Deshalb gehen wir im Trainingslager jetzt auf Mallorca auch vier Tage auf die Bahn."

Und nach Olympia? "Da denke ich noch nicht drüber nach. Wenn es gut läuft und ich Spaß habe an der Geschichte jetzt, dann mache ich, glaube ich, noch ein bisschen weiter", kündigte Kröger an.

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