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10.04.2022 | (rsn) – Mit einem perfekt vorbereiteten und klugen Schachzug hat sich Marta Cavalli (FDJ Nouvelle Aquitaine Futuroscope) beim Amstel Gold Race den größten Sieg ihrer noch jungen Karriere gesichert.
Die 24-jährige Italienerin nutzte knapp zwei Kilometer vor dem Ziel auf der Kuppe des Caubergs einen Moment des Zögerns in der Favoritinnengruppe und setzte zum siegbringenden Solo an, so dass vier Sekunden hinter ihr in Berg en Terblijt nur noch um Rang zwei gesprintet werden konnte. Dabei schob Demi Vollering (SD Worx) ihr Vorderrad hauchdünn vor der Friedrichshafenerin Liane Lippert (Team DSM) über den Zielstrich und sicherte sich Rang zwei vor der Deutschen.
"Es ist ein unglaubliches Gefühl, ich kann es kaum beschreiben", freute sich Cavalli über ihren Triumph und erzählte auch sofort, bei wem sie sich zu bedanken hatte: bei ihrem Sportlichen Leiter Nicolas Maire: "Als wir oben auf dem Cauberg nur noch zu acht oder zu neunt waren, hat er mir über Funk das Kommando gegeben. 'Marta, jetzt ist Zahltag! Versuch' es einfach, wir haben nichts zu verlieren!', rief er. Deshalb habe ich alles oder nichts gespielt und als ich dann nach 500 Metern umgedreht habe, hatte ich eine große Lücke und es ging nur noch darum bis zum Zielstrich durchzuziehen."
Bereits bei der Streckenbesichtigung am Samstag sei man dieses Szenario gemeinsam durchgegangen, verriet Cavalli außerdem. "Da haben wir besprochen, dass das der Schlüsselmoment ist, wenn man dort am Ende der Gruppe sitzt und sie vorne kurz etwas Tempo rausnehmen."
Lippert präsentiert sich in Top-Form
Entscheidend war bei Cavallis Coup auch, dass unter den sieben Stärksten am berüchtigten Cauberg nur noch ein Team doppelt besetzt war, das allerdings einen taktischen Fehler beging: SD Worx. Ashleigh Moolman-Pasio zögerte bei Cavallis Attacke einen Moment zu lange und hoffte auf Hilfe durch die Konkurrenz anstatt sofort die volle Verantwortung zu übernehmen und für die Sprintstärkste der Gruppe – Vollering – den Angriff zu parieren.
Beeindruckend aufgetreten ist in der südniederländischen Provinz Limburg auch die 24-jährige Lippert. Nur eine Woche, nachdem sie die Flandern-Rundfahrt noch krankheitsbedingt auslassen musste, gehörte Lippert bereits zur Rennhalbzeit zu einer wichtigen Spitzengruppe der Favoritinnen, bevor sie bei der letzten Cauberg-Passage dann als Einzige direkt am Hinterrad von Annemiek van Vleuten (Movistar) bleiben konnte. Im Schlussspurt fuhr sie schließlich ihren ersten Podestplatz seit EM-Silber in Trento im vergangenen September ein.
So lief das Rennen:
Von Beginn an war angesichts der kurzen Distanz von nur 128 Kilometern viel Druck auf den Pedalen. Immer wieder wurde attackiert, doch lange Zeit konnte sich keine echte Ausreißergruppe bilden. Erst nach rund 40 Kilometern lösten sich im Bergseweg bei Ubachsberg, dem vierten von insgesamt 19 Anstiegen, Pauliena Rooijakkers (Canyon – SRAM) und Anna Henderson (Jumbo – Visma) aus dem Hauptfeld.
Dafür aber ließen auch die Top-Favoritinnen sich dann nicht mehr lange bitten. Im Eyserbosweg beschleunigte zehn Kilometer später Katarzyna Niewiadoma (Canyon – SRAM) und schloss die Lücke zu ihrer Teamkollegin mit Annemiek van Vleuten (Movistar), Demi Vollering, Marlen Reußer, Ashleigh Moolman-Pasio (alle SD Worx), Lucinda Brand (Trek – Segafredo) und Yara Kastelijn (Plantur – Pura) an ihrem Hinterrad.
Top-Favoritinnen gehen früh in die Offensive
Die Favoritinnen legten also schon 77 Kilometer vor Schluss erstmals die Karten auf den Tisch und über die folgenden zwei Anstiege – den Fromberg und den Keutenberg setzten sich mit Niewiadoma, Van Vleuten und Vollering drei von ihnen nochmal etwas ab. Als es dann 60 Kilometer vor Schluss erstmals den Cauberg hinaufging, waren von hinten aber auch Ellen van Dijk (Trek – Segafredo), Chantal van den Broek-Blaak (SD Worx), Henderson und auch Liane Lippert (Team DSM) vorgefahren, so dass es zu siebt auf die drei Schlussrunden ging – mit einer halben Minute Vorsprung auf das Hauptfeld.
Am Geulhemmerberg sprang auch Ane Santesteban (BikeExchange – Jayco) noch vor, doch die nun acht Spitzenreiterinnen wurden nach der ersten Passage des Bemelerberg etwas mehr als 40 Kilometer vor dem Ziel wieder gestellt, weil das UAE Team ADQ im Hauptfeld Vollgas gab.
Rooijakkers für Canyon – SRAM besonders offensiv
Bei der zweiten Cauberg-Passage blieb die Spitze beisammen, bis dann zum zweiten Mal Rooijakkers attackierte und sich am Geulhemmerberg 34 Kilometer vor Schluss allein absetzte – wofür sie später als aktivste Fahrerin geehrt wurde. Sie bekam sechs Kilometer später kurz vor dem Bemeleberberg Begleitung durch Amanda Spratt (BikeExchange – Jayco) und Arlenis Sierra (Movistar) und das Trio hielt sich eine ganze Weile an der Spitze.
Mit einer knappen halben Minute Vorsprung nahmen Rooijakkers und Co. die 17 Kilometer lange Schlussrunde in Angriff, doch als das Team SD Worx in Richtung Bemelerberg Vollgas gab, war es um die Flucht geschehen. Am vorletzten Anstieg des Tages attackierte das niederländische Team erst mit Niamh Fisher-Black und dann mit Reußer, doch beide kamen genauso wenig weg, wie über die Kuppe die Italienerin Soraya Paladin (Canyon – SRAM).
Auf dem windanfälligen Flachstück zwischen Bemelen und der Abfahrt hinunter nach Valkenburg setzte sich kurzzeitig noch die Norwegerin Stine Borgli (FDJ Nouvelle Aquitaine Futuroscope) allein ab, doch sie wurde pünktlich zum Beginn des Cauberg-Anstiegs unten in Valkenburg wieder gestellt.
Cavalli mit schlauer Attacke zum Sieg
Dort war es dann Van Vleuten, die das Rennen in die Hand nahm und das Tempo vorgab – und einzig Lippert blieb scheinbar mühelos direkt am Hinterrad der Ex-Weltmeisterin. Doch über die Kuppe der steilen letzten Steigung waren auch Vollering und Moolman-Pasio für SD Worx sowie Niewiadoma (Canyon – SRAM), Mavi Garcia (UAE Team ADQ) und Cavalli da.
Einen kurzen Moment schauten sich die Favoritinnen an, und das nutzte Cavalli für ihre Attacke. Die Italienerin riss eine Lücke und Moolman-Pasio verpasste es, sofort die Verantwortung zu übernehmen und nachzusetzen. Sie zögerte einen Moment zu lange und übernahm dann zwar für Vollering die Nachführarbeit, konnte Cavalli aber nicht mehr einholen. "Man kann nur so schnell fahren, wie die Beine es zulassen", sagte Moolman-Pasio nach dem Rennen.
Im Sprint um Rang zwei war Lippert etwas zu früh im Wind und musste sich noch knapp gegen Vollering geschlagen geben, durfte sich über Rang drei aber trotzdem sehr freuen – anders als Vollering, die enttäuscht ob der verpassten Siegchance auf ihren Lenker schlug.