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15.03.2020 | (rsn) - Widerstand ist eine französische Nationaltugend. Schon in einer ganzen Galaxie von Comic-Heften wurde ausgebreitet, wie ein kleines gallisches Dorf den Römern trotzte. Der Asterix dieser Tage heißt Christian Prudhomme. Er ist nicht Dorfvorsteher, sondern Chef des am Stadtrand von Paris am Wasser gelegenen Großunternehmens Amaury Sports Organisation (ASO). Er hat einen Einfluss, der den von Asterix und Obelix sogar noch übertrifft.
Denn während überall die Räder stillgestellt wurden, internationalen Radprofis in der informellen Trainingshauptstadt Girona sogar die täglichen Ausfahrten bis auf weiteres verboten wurden, ging im benachbarten Frankreich die Fernfahrt Paris – Nizza munter weiter. Gut, das Rennen wurde um einen Tag verkürzt. Aber die ASO zeigte Stärke – und zog das Rennen trotz sich täglich weiter zuspitzender Begleitumstände durch. Selbst die Ankündigung der Regierung, auf Phase 3 umzuschalten, also die weitgehende Einstellung des öffentlichen Lebens zu verfügen, bremste den weltgrößten Radsportorganisator nicht aus.
Natürlich muss man auch festhalten, dass die Regierung Macron widersprüchliche Signale aussendete. Zwar machten am Sonntag in Nizza – wie für das ganze Land angeordnet – Restaurants und Bars nicht auf. Aber Bäckereien, die auch Kaffee ausschenkten, durften sich über Umsatzrekorde freuen. Und auch die landesweiten Kommunalwahlen wurden durchgeführt. Einerseits wurde also über alle Medienkanäle zum Zuhausebleiben aufgefordert. Andererseits warben auf den gleichen Kanälen alle Parteien munter dafür, dass das Wahlvolk doch die Lokale besuchte, die, die offen waren und zur Stimmabgabe gedacht waren.
So gesehen hätte auch glattweg die geplante 8. Etappe von Paris – Nizza stattfinden können. Die ASO ließ es hier aber nicht auf die ultimative Kraftprobe ankommen und sagte vorher ab. Zahlreiche der bis Samstag verbliebenen Teams hätten wohl ohnehin das Weite gesucht, aus Angst, zwei Wochen in Frankreich in Quarantäne festzusitzen. Die Bilder von einem Mini-Peloton vor einem gar spärlichen Publikum wären auch im Fernsehen die Anti-Werbung schlechthin gewesen. Bis zum Samstag immerhin konnte die ASO ihren Sponsoren Sport und damit Werbereichweite verkaufen. Dass Paris – Nizza eines der letzten großen Sport-Events in Europa war, verschaffte zusätzliche Aufmerksamkeit.
“Der ganze Sport hält inne“
Für die nächste Phase in Sachen Coronavirus schalten die Bewohner des heutigen gallischen Dorfes aber einen Gang zurück. Der für Anfang April geplante Pariser Marathon – ebenfalls ein ASO-Event – wurde bereits in den Oktober verlegt. ASO-Chef Christian Prudhomme äußerte sich am Rande von Paris – Nizza auch skeptisch in Sachen Flandern-Rundfahrt und Paris – Roubaix. “Der ganze Sport hält inne. Das gilt auch für den Radsport. Ich denke, in den kommenden Tagen wird es eine Entscheidung zu den Rennen im April geben. Ich glaube, es würde schlecht ankommen, wenn wir es anders machen als alle anderen“, sagte er.
Das ist ein cleveres Spiel. Für ausgefallene Eintagesrennen im Frühjahr lassen sich leichter Nachholtermine im Herbst finden als für Rundfahrten. Paris – Nizza hat die ASO noch durchgezogen, bevor in Frankreich die höchste Alarmstufe ausgerufen wurde. Für die Tour de France im Juli hofft die ASO natürlich, dass die Ausbreitung des Coronavirus soweit eingedämmt ist, dass das normale Leben wieder beginnen kann. Und damit auch wieder Caravan-Kolonnen quer durch Frankreich ziehen dürfen. Wobei sicherlich abzuwarten bleibt, wie sehr die aktuelle Notlage liebgewordene Routinen verändern kann.
Eine abgesagte Tour de France jedoch würde die ASO schwer erschüttern. Sie ist die Cash Cow der Unternehmensgruppe und für 60 - 70 Prozent der Gesamtumsätze verantwortlich. Im Kalenderjahr 2018 wies die Gesamtbilanz 233 Millionen Euro Umsatz aus. Das bedeutet, die Tour de France allein dürfte 140 bis 160 Millionen Euro wert sein. Die Unternehmensgewinne sind noch schwerer zu ermitteln. Für die Jahre 2010 und 2012 gibt der Buchautor Pierre Ballester etwa 32 Millionen Euro Gewinn an.
Noch keine Unruhe bei Teams und Fahrern
Ein Ausfall der Tour würde das Unternehmen also ins Schlingern bringen. Den finanziell stets prekären und auf Pedal-affine Milliardäre angewiesenen Straßenradsport würde dies noch härter treffen. Die Sponsoren hätten nicht mehr die eingeplanten Werbereichweiten. Je länger die Corona-Krise dauert, desto stärker dürfte auch ihr eigenes Business in Schwierigkeiten geraten, was wiederum gekürzte Werbeetats zur Folge hätte – und damit weniger Geld für die Rennställe.
Aktuell befürchten weder Rennstallmanager noch Radprofis Auswirkungen auf die Gehaltszahlungen. “Von unseren Sponsoren habe ich diesbezüglich noch nichts gehört“, sagte Kjell Carlström von Israel Start-Up Nation radsport-news.com auf Nachfrage. Und auch Sunweb-Profi Nikias Arndt geht davon aus, dass weiter regelmäßig das Gehalt aufs Konto kommt. “Ich denke nicht, dass es zu Ausfällen kommt. Es ist doch höhere Gewalt. In anderen Berufen ist Home Office angeordnet. Und wir werden auch zu Hause trainieren und dabei, so geht es geht, den Sponsor repräsentieren und unserer Arbeit weiter nachgehen“, meinte Arndt zu radsport-news.com.
Zu dem Komplex Vertragssicherheit wollte sich der Radsportweltverband UCI bislang nicht äußern. Am Sonntag brachte er lediglich ein Statement in Umlauf, in dem er faire Bedingungen bei der Olympiaqualifikationen in Aussicht stellte und das Einfrieren aller Weltranglistenwertungen verkündete. Angaben zu Rennausfällen im April oder Mai machte die UCI nicht. Ab Dienstag ziehen sich die 120 Mitglieder der Geschäftsstelle auch ins Home Office zurück. Man kann nur hoffen, dass sie dabei an Notfallplänen für den gesamten Sport werkeln.
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