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19.03.2020 | (rsn) - Nicht wenige Beobachter haben dem Team Sunweb nach dem Weggang von Superstar Tom Dumoulin und dem personellen Umbruch samt strategischer Neuausrichtung eine schwierige Saison 2020 prognostiziert. Die steht tatsächlich nun an - aber nicht etwa, weil der niederländische Rennstall mit deutscher Lizenz in den ersten beiden Monaten der Konkurrenz hinterher gefahren wäre, sondern weil das Corona-Virus auch den Radsport europaweit zum Stillstand gebracht hat.
Die sportliche Bilanz fällt beim Rennstall von Manager Iwan Spekenbrink nämlich bisher glänzend aus. Sunweb hat bereits sieben Siege eingefahren und damit nur zwei weniger als im ganzen Jahr 2019 auf seinem Konto. Nicht viel fehlte am Schlusstag bei Paris-Nizza und Neuzugang Tiesj Benoot hätte Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe) noch aus dem Gelben Trikot gefahren und für Nummer acht gesorgt.
Der Belgier steht stellvertretend für ein seit Jahresbeginn erfrischend offensiv ausgerichtetes Team, das die Sportwelt überrascht. Der 26-Jährige war nach fünf wechselhaft verlaufenen Jahren bei Lotto Soudal zu neuen Ufern in die Niederlande aufgebrochen und sollte dort vornehmlich die Klassikerfraktion verstärken.
Doch Benoot bewies bei Paris-Nizza auch Rundfahrerqualitäten und musste sich nach sieben Etappen nur Schachmann geschlagen geben, ließ aber hochgehandelte Namen wie Sergio Higuita (EF), Vincenzo Nibali (Trek - Segafredo), Thibaut Pinot (Groupama - FDJ) oder Nairo Quintana (Arkéa - Samsic) hinter sich. Es war übrigens nicht das erste Mal, dass er in einem bedeutenden Mehretappenrennen ein dickes Ausrufezeichen setzte. 2018 wurde Benoot Vierter bei Tirreno-Adriatico, im vergangenen Jahr verpasste er bei der Tour de Suisse das Podium nur um acht Sekunden.
Eine Mischung aus harter Arbeit und etwas Glück
“Ich denke, dass das gesamte Team in allen Bereichen sehr hart gearbeitet hat und wir in diesem Jahr auch das nötige Quäntchen Glück hatten. Die meisten unserer Fahrer sind verletzungsfrei in die Saison gestartet. Das war ein Thema, das uns in den letzten Jahren sehr beschäftigt hat, gerade wenn man auf Michael Matthews und Wilco Kelderman schaut“, nannte Coach Sebastian Deckert gegenüber radsport-news.com die seiner Meinung nach ausschlaggebenden Faktoren.
Der Sunweb-Auftritt bei Paris-Nizza steht stellvertretend für die bisherigen Rennen, in denen das Team immer wieder die Offensive suchte, wohingegen zu Dumoulins Zeiten mit Ausrichtung auf die großen Rundfahrten eher Kontrolle angesagt war. Nicht nur Sören Kragh Andersen ließ beim “Rennen zur Sonne“ mit seinem Sieg im Zeitfahren das Team ein weiteres Mal jubeln. Das vorläufige Meisterstück lieferte Sunweb auf der 6. Etappe ab, als Nikias Arndt und Andersen zunächst in den Ausreißergruppen die Teamfarben präsentierten, ehe Benoot schließlich die siegbringende Attacke setzte, während Michael Matthews in der Verfolgergruppe lauerte, um sich am Ende noch Rang zwei zu sichern. Der Sieg in der abschließenden Teamwertung unterstrich den starken Sunweb-Auftritt beim ersten großen Mehretappenrennen in Europa. “Bei Paris-Nizza als erstem Höhepunkt haben wir gezeigt, wie wichtig ein gutes Team ist und dass Radsport ein begeisternder Mannschaftssport ist“, so Deckert.
“Die Stimmung im Team ist super und ich fühle mich sehr wohl“, bestätigte Nico Denz gegenüber radsport-news.com. Der 26-jährige Neuzugang gehörte zum Aufgebot, das bei Paris-Nizza so groß auftrumpfte und der von der Neuausrichtung zu profitieren hofft. “Da ich mich bei den Klassikern zu Hause fühle, kommt mir das definitiv entgegen, da ich auch Teil dieser Umstellung bin.“
Nikias Arndt nannte neben der Personalpolitik einen weiteren Grund: “Wir sind nicht nur mit besseren Fahrern an den Start gegangen, sondern haben kontinuierlich über den gesamten Winter mit dem Team sehr, sehr eng zusammengearbeitet. Egal, ob es Recon Days, Materialtests oder mehrere Trainingslager waren, wo wir gezielt die Klassikerfahrer zusammengebracht und gemeinsam trainiert haben. Wir haben auch bereits verschiedene Gespräche über Rennen und Taktiken geführt und darüber, wie wir uns gegenseitig stärken können und wie wir als Team in den Klassikern auftreten. Ich glaube, diese enge Zusammenarbeit war ebenfalls ein Schlüssel zum Erfolg“, erklärte der 28-Jährige, der seine achte Saison bei Sunweb in Angriff genommen hat und damit zu den dienstältesten Fahrern zählt, auf Anfrage von radsport-news.com.
Die Neuen und die Jungen überzeugten
Bereits in den ersten Wochen dieser Saison wussten vor allem die jungen Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Mit zwei Etappensiegen sicherte sich der 23-jährige Jay Hindley Anfang Februar in Australien die Herald Sun Tour, zu deren Auftakt Neuzugang Alberto Dainese - erst 21 Jahre alt - seinen ersten Profisieg beisteuerte. Dazu kam bei der Algarve-Rundfahrt der Etappensieg des 24-jährigen Cees Bol. “Ich denke wir können mit den bisherigen Rennen auf jeden Fall zufrieden sein. Wir haben mit unserem jungen Team in jedem Rennen einen Schritt nach vorn gemacht“, bilanzierte Deckert.
All das deutet darauf hin, dass Sunweb den Verlust bewährter Kräfte wie Dumoulin (29 Jahre alt), Jan Bakelants (33 Jahre), Roy Curvers (40), Johannes Fröhlinger (34) oder auch Max Walscheid (26) nicht nur verkraftet, sondern, der “GrandTour-Fesseln“ ledig, auch ein neues Kapitel der Teamgeschichte aufgeschlagen hat.
Die zehn Neuzugänge weisen ein Durchschnittsalter von 22,5 Jahren auf, mit seinen 27 Jahren ist der Freiburger Jasha Sütterlin der älteste in dieser Riege. Gleich drei Fahrer aus dem Sunweb-Development Team - Felix Gall, Martin Salmon und Nils Eekhoff - wurden mit Profiverträgen belohnt, was ein deutliches Indiz für eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit ist.
Deshalb gehört die junge Spekenbrink-Truppe zu denjenigen Mannschaften, auf die ganz besonders das Augenmerk gerichtet sein dürfte, wenn die Regierungen auch dem Radsport wieder freie Fahrt erteilen - wann immer das auch sein sollte. “Natürlich ist es sehr schade, dass wir die gute Form nicht weiterhin zeigen können. Aber der Sport ist im Moment zweitrangig“, kommentierte Deckert die aktuellen Entwicklungen und kündigte selbstbewusst an: “Wir freuen uns aber sehr darauf, wenn wir unserer Passion, den Radrennen, wieder nachgehen können und werden dann bereit sein."
Ähnlich äußerte sich Arndt: “Grundsätzlich ist es für uns natürlich ärgerlich, dass wir jetzt erstmal nicht weiterfahren können, weil wir wirklich auf einem guten Weg waren. Aber auf dem, was wir uns bisher erarbeitet haben, können wir wieder aufbauen, wenn die Situation sich verbessert hat und wir unter sicheren Bedingungen wieder Rennen fahren können.“
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