Müllers Tour de Singkarak-Tagebuch

Verdammt! Ich bin doch noch im Rennen

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Verdammt! Ich bin doch noch im Rennen"
Robert Müller bei der Tour de Singkarak | Foto: Robert Müller

08.11.2019  |  (rsn) - Hallo aus Sungai Penuh, Sumatra, Indonesien! Nach einer schlechten Nacht wachte ich wie gerädert auf und fühlte mich wie dreimal vom Bus überfahren. Es gab immer noch kein Wasser im „Hotel“ und mein Frühstück bestand aus ungetoastetem Toastbrot mit Nutella. Ich rührte nichts von dem spärlichen und unhygienisch aussehenden Fraß an, der angeboten wurde, denn das letzte was ich jetzt noch gebrauchen kann, ist ein Magen-Darm-Problem. Damit hat es hier wie jedes Jahr schon einige Fahrer erwischt und sie mussten aussteigen, genauso wie gestern aufgrund von Stürzen.

Unser Teamchef hat versucht, ein neues Hotel zu finden, es war jedoch alles ausgebucht. Außerdem hat er meine Einschätzung bestätigt, dass es mit den Rennen in Südostasien in den letzten Jahren bergab geht. Das einstmals organisatorisch sehr hohe Gesamtniveau der Rundfahrten leidet immer mehr unter Budgetkürzungen und darunter, dass Geld irgendwo versickert. Unser „Hotel“ hier, in dem nur drei Teams untergebracht sind, ist jedenfalls der Tiefpunkt in der elfjährigen Geschichte der Tour de Singkarak. Gestern hat mich das alles noch richtig genervt, aber heute habe ich es geschafft, in den ist-mir-egal-Modus umzuschalten.

Keine Dusche, mageres Frühstück, lange Transfers, überall Leute, die an einem herum zerren, Schmerzen am ganzen Körper - ist mir egal. Trotzdem hoffte ich, die 7. Etappe über nur 83 Kilometer irgendwie innerhalb des Zeitlimits von nur 12 Prozent zu überleben. Hauptprobleme dieses Unterfangens waren mein miserabler körperlicher Zustand und eine Bergwertung der hors categorie nach nur 13 Kilometern. Diese war allerdings nicht so hart, wie es sich anhört, da wir schon auf 1400 m Höhe starteten und die Kategorisierung der Bergwertungen hier nur nach absoluter Höhe erfolgt, was natürlich sinnfrei ist.

Zum ersten Mal fuhr ich nach dem Start keine Attacken mit, daran war nämlich gar nicht zu denken. Stattdessen hing ich als es berghoch ging sofort in den Seilen und hatte am Ende des Feldes Probleme, das, wie ich fand, sehr hohe Tempo zu halten. Dafür sorgte ausgerechnet mein Zimmerkollege Loic, der an der Spitze immer wieder harte Attacken fuhr. Dafür hätte ich ihn fast verfluchen können, aber er ist nun mal verdammt stark und ein sehr netter und bescheidener Kerl noch dazu.

Kurz vor der Bergwertung wurde ich als einer der ersten abgehängt und in den Wellen danach brachte ich mit dem rechten Bein wegen meiner Knieschmerzen keinen Druck mehr aufs Pedal. Bis endlich die Abfahrt begann war ich auch aus der Kolonne heraus gefallen und alleine unterwegs. Die Abfahrt war wegen der erneut sehr schlechten und verschmutzten Straße mit engen, unvorhersehbaren Kurven sehr gefährlich und ich ließ äußerste Vorsicht walten. Als mir fast ein Hund ins Rad lief, warf ich dann endgültig den Anker.

Ich komme also aktuell die Berge weder hinauf, noch hinunter und das ist leider die Sache, um die es hier hauptsächlich geht. Nach der Abfahrt fuhr ich alleine bei Gegenwind auf den langen Geraden nicht mal 40 km/h und kam auch nicht an zwei Fahrer vor mir heran. Bei jedem der unzähligen Schlaglöcher durchfuhr mich ein stechender Schmerz und manchmal schrie ich dabei. Wie aus dem Nichts kam plötzlich ein kambodschanischer Fahrer an mir vorbei gefahren, der letzten Dezember mein Teamkollege bei der Tour of Indochina gewesen war.

Er hatte erstaunlichen Zug drauf und motivierte mich, bei ihm mitzufahren, ein Geschenk des Himmels! Schnell hatten wir die beiden Fahrer vor uns eingeholt und waren jetzt immerhin eine Vierer-Gruppe, in der jeder seine Führungen fuhr. Ich kalkulierte die Karenzzeit hoch und runter und kam jedes Mal zu dem selben Ergebnis, dass wir es eigentlich nicht schaffen konnten. Trotzdem zogen wir soweit es uns eben möglich war durch, auch wenn wir teilweise durch Verkehr auf der Strecke behindert wurden, da wir kein Motorrad vor uns hatten. Dadurch überquerten auch immer wieder Zuschauer direkt vor uns die Straße.

Im Ziel angekommen erkundigte ich mich nach der Siegerzeit und war mir sicher, aus dem Zeitlimit geflogen zu sein. Darüber war ich jedoch nicht traurig, sondern erleichtert, dass die Qualen damit ein Ende haben. Morgen steht nämlich eine weitere lange Etappe über 213 Kilometer an und es gibt, wie sollte es auch anders sein, zu Beginn wieder eine Bergwertung der hors categorie. Die würde ich sowieso nicht überleben, also ist es besser so wie es ist. Dieses Jahr sind die meisten Etappen hier einfach übertrieben lang und hart und auf Kletterer zugeschnitten.

Als das Ergebnis vorlag informierten mich meine Teamkollegen darüber, dass ich doch noch im Rennen war, verdammt. Um läppische neun Sekunden war meine Gruppe noch innerhalb des Zeitlimits geblieben, wahrlich eine Punktlandung. Loic kam in der Spitzengruppe auf Platz sechs ins Ziel und holte sich dadurch in der Gesamtwertung seinen vierten Platz zurück. Wenn kein Wunder geschieht, werde ich euch morgen an dieser Stelle berichten, wie sehr ich gelitten habe bis ich endlich in den Besenwagen gestiegen bin.

Radfahrzeit: 2:32 h

Transferzeit: 2:45 h

Souvenir des Tages: keine Ahnung

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle.

Gez. Sportfreund Radbert

Mehr Informationen zu diesem Thema

10.11.2019Kein Mangel an Pleiten, Pech und Pannen, Leid und Schmerz

(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Ich habe es tatsächlich bis zur letzten Etappe geschafft und darf/muss heute noch ein letztes Mal in diesem Jahr zu einem Radrennen starten. Am Morgen

10.11.2019Die Überquerung des Zielstrichs als spirituelle Erfahrung

(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Gestern Abend gab es in unserem Hotel tatsächlich spärlich Wasser, doch ich verzichtete erneut auf eine Dusche, da ich keine Lust auf die Schmerzen in

08.11.2019Ein paar Meter einen steinigen Abhang hinunter gestürzt

(rsn) - Hallo aus Sungai Penuh Sumatra, Indonesien! Auch wenn es mir gerade schwer fällt, werde ich auch heute meiner Chronistenpflicht nachkommen. Abfahrt am Hotel war wieder um 7 Uhr, denn bereit

06.11.2019Facebook-Video rettete Loics 3. Platz, aber Kelok 44 war zu viel

(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Nachtrag zu gestern: da Loic ja wie berichtet 500 m vor dem Ziel gestürzt war, greift in diesem Fall die 3-km-Regel, er bekommt also die gleiche Ze

05.11.2019Meine Position auf dem Rad fühlte sich irgendwie falsch an

(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Um 5 Uhr klingelte heute der Wecker und als ich aufstand, fühlte ich mich ziemlich steif, besonders an meiner lädierten Schulter und im Nacken. Be

04.11.2019Es läuft einfach nicht rund

(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Heute Morgen wurden wir um sechs Uhr unsanft geweckt und uns wurde mitgeteilt, dass sich die Abfahrtszeit vom Hotel auf 7 Uhr statt ursprünglich 7:4

03.11.2019Nach vergeblicher Verfolgung stand ich wie ein Eimer auf der Kuppe

(rsn) - Hallo aus Batusangkar Sumatra, Indonesien! Nachtrag zu gestern: da wir zum Abendessen in ein anderes Hotel fahren mussten, verlängert sich die Transferzeit von gestern um eine halbe Stunde au

02.11.2019Akzeptiert, dass es heute nichts werden würde

(rsn) - Hallo aus Bukittinggi, Sumatra, Indonesien! Heute ging es also mit einer relativ kurzen Etappe über 107 km endlich los. Wir starteten nach einem eineinhalbstündigen Transfer direkt am Stran

01.11.2019Es stehen uns sehr lange Tage bevor

(rsn) - Hallo aus Padang, Sumatra, Indonesien! Ich begrüße euch zu meinem bereits siebten Tagebuch in diesem Jahr auf radsport-news.com! Begonnen hatte ich Anfang Februar bei der Ronda Pilipinas, m

Weitere Radsportnachrichten

06.05.2024O’Connor “muss jetzt die Konsequenzen tragen“

(rsn) – Wenn Ben O’Connor (Decathlon – AG2R La Mondiale) in diesem Jahr irgendwo an den Start ging, war es meistens von Erfolg gekrönt. Auf seinen Sieg bei seinem Saisonauftakt bei der Murcia-R

06.05.2024In Frankfurt und in Vorarlberg gab es wenig zu holen

(rsn) - Die deutschen KT-Teams hatten in dieser Woche ein volles Rennprogramm. Doch die erhofften Erfolge sprangen dabei gegen die internationale Konkurrenz nicht heraus.Die ereignisreichste Woche ha

05.05.2024Eine erste Chance für die Sprinter

(rsn / ProCycling) – Nachdem sie sich zwei Tage lang "aufwärmen" konnten, ist es nun für die schnellen Männer des Pelotons Zeit, ihren Job zu verrichten. Bevor sie jedoch ihren ultimativen Zielsp

05.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

05.05.2024Pogacar auf den Spuren Pantanis

(rsn) - 1999 hatte Marco Pantani am Fuße des Anstiegs zur Kapelle nach Oropa einen Defekt. Die Kette fiel ihm herunter. Es dauerte, bis ein Materialwagen bei ihm war. Fahrer um Fahrer zog derweil an

05.05.2024Nur ein Defekt bremste Martinez hinauf nach Oropa

(rsn) – Gut fünf Kilometer vor dem Ziel der 2. Etappe am Santuario di Oropa gab es Grund zur Beunruhigung beim Team Bora – hansgrohe. Am Ende des Tages aber sah man nichts als strahlende Gesichte

05.05.2024Martinez: “Das Resultat ist großartig für unsere Moral“

(rsn) – Mit einem Tag “Verspätung“ hat Tadej Pogacar am Sonntag bei der ersten Bergankunft den erwarteten Etappensieg am Auftaktwochenende des 107. Giro d’Italia eingefahren. Am Santuario di

05.05.2024Highlight-Video der 2. Etappe des Giro d´Italia

(rsn) – Zum Auftakt des 107. Giro d’Italia (2.UWT) musste sich Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) noch mit Rang drei begnügen. An der ersten Bergankunft jedoch gab es für den Top-Favoriten kein H

05.05.2024Pogacar stürmt in Oropa trotz Sturz ins Rosa Trikot

(rsn) – Marco Pantani triumphierte 1999 an der Wallfahrtskirche Santuario di Oropa dank einer historischen Aufholjagd, nachdem er am Fuße des Anstiegs durch einen Defekt gestoppt worden war. 25 Jah

05.05.2024De Lie in der Bretagne auch durch zwei Plattfüße nicht zu stoppen

(rsn) – Nach Platz zwei im Vorjahr hat sich Arnaud De Lie (Lotto – Dstny) die 41. Ausgabe von Tro Bro Léon (1.Pro) gesichert. Der 22-jährige Belgier entschied in der Bretagne das über 203,6 Kil

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

05.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 2. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)