Revolution im Radsport

Meutgens: Schluss mit dem Personalrecycling

14.08.2007  |  (Ra) - Nach dem Dopingfall Winokurow rief ein geschockter Christian Prudhomme: „So wie der Radsport war, funktioniert er nicht mehr. Wir brauchen eine Revolution.“ Wie diese Revolution aussehen könnte, wusste der Tourchef nicht zu sagen. Radsport aktiv wird sich in nächster Zeit um Antworten auf die Frage nach einem anderen, sauberen Radsport bemühen. In einer losen Folge von Gastbeiträgen werden Experten – Trainer, Teamchefs, Juristen, Journalisten, ehemalige Fahrer - ihre Vorstellungen von einer „Radsport-Revolution“ darlegen. Die Reihe wird fortgesetzt mit dem Beitrag des Autors und Journalisten Ralf Meutgens.



Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Alle im Radsport missbrauchten Medikamente, Stoffe und Methoden sind justiziabel nachweisbar. Aufgrund der Gesetzgebung müssen alle Radsportler befürchten, dass alle Kommunikationsmöglichkeiten überwacht werden. Zudem könnten sie beschattet und alle ihre Kontaktpersonen registriert werden. Wer beim Doping erwischt wird, erhält eine Sperre von vier Jahren, muss sämtliche öffentlichen Fördermittel zurückzahlen und eine Konventionalstrafe in der Höhe des dreifachen Jahresgehaltes zahlen. Das Geld fällt wohltätigen Zwecken zu. Dieses Geld muss wirklich gezahlt werden und stellt nicht nur eine Überprüfung der Ehrenhaftigkeit eines jeden Radprofis dar. Der Präsident des Radsport-Weltverbandes (UCI) Pat McQuaid musste unlängst zugeben, dass die Ehrenerklärungen der Radprofis, die mit einer Rückzahlung eines Jahresgehaltes gekoppelt sind, nie eine justiziable Bedeutung hatten.

Stellen wir uns weiter vor, das gesamte Dopingkontrollsystem einschließlich der Wettkampfkontrollen wäre in unabhängiger Hand und könnte über die Gelder verfügen, über die auch der professionelle Radsport verfügt. Zudem würde totale Transparenz hinsichtlich aller personellen und sachlichen Entscheidungen innerhalb der gesamten Dopingbekämpfung und –prävention herrschen.

Völlige Utopie?

Leider ja. Genau wie die Vorstellung, der professionelle Radsport könne auch nur annähernd sauber werden.

Doping gibt es, seit es den Radsport gibt. Der Radsport war eine der ersten Sportarten, die für den Lebensunterhalt von Berufssportlern sorgen konnte. Die Tour de France wurde nur deshalb erfunden, weil man damit die Auflage einer Zeitschrift erhöhen wollte. Dafür war offenbar jedes Mittel recht. Der Mythos der unmenschlichen Leistungen der Helden der Landstraße war durch diese Geschäftsidee vorherbestimmt. Der Radsport ist heute mehr Geschäft denn je. Die Auswüchse haben unter anderem dazu geführt, dass wir nicht mehr mit Sicherheit sagen können, dass derjenige, der bei der Tour de France der Schnellste war, auch am Ende der Gewinner bleibt.

Der Radsport lebt von einem Personalrecycling. Frühere Radsportler finden sich später in anderen Funktionen im Radsport wieder. Sie haben auch nie eine Alternative gehabt, denn für eine Ausbildung fehlt die nötige Zeit. Meiner Meinung nach war für alle Doping in ihrer Karriere ebenso ein existenzielles Thema wie abgesprochene Rennen oder Etappen. Das macht nach meinem Ermessen auch vor der Tour de France nicht halt.

Diese Werte werden seit Bestehen des Radsports tradiert und sind niemals intern in Frage gestellt worden. Alles, was zum Thema Doping oder Betrug im Radsport bislang öffentlich geworden ist, stellt nur die berühmte Spitze des Eisbergs dar. Die Öffentlichkeit würde sich mit Abscheu vom Radsport abwenden, wenn sie das gesamte Ausmaß kennen würde. Alle Aktiven und Umfeldakteure haben nur das eine Interesse: Dieses Ausmaß darf nie bekannt werden.

Fazit: Es wird nicht gelingen, den Radsport von innen heraus zu säubern. Was uns in diesem Jahr als `Heilige Allianz gegen Doping' verkauft werden sollte, hieß im Jahre 2001 `Die zehn Gebote gegen Doping'. Geändert hat es schon vor sechs Jahren nichts. Die Ehrenerklärungen der Radprofis sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind. Es wird nicht gelingen, diejenigen im Radsport zu platzieren, die etwas ändern könnten, solange an entscheidenden Stellen diejenigen sitzen, die aus dem System Radsport kommen.

Derzeit kann uns nach meinem Dafürhalten nur Eines gelingen: Punktuell junge Talente so zu schulen, dass sie sich diesem systemischen Zwang entziehen können. Sie müssen aufgeklärt und mündig sein und zudem über eine berufliche Alternative verfügen. Dass dies möglich ist, zeigt das Beispiel des Radsport-Teams Lübeck seit nunmehr sieben Jahren. Allerdings wird es auch genau so lange von den meisten Funktionsträgern im organisierten Radsport mit Missachtung gestraft. Mehr noch gelten die Verantwortlichen dieses bislang einmaligen Doping-Präventions-Konzeptes als Störenfriede und Nestbeschmutzer. Kritiker hatten im bestehenden System Radsport bislang noch nie eine Chance.

Ob es gelingt, die alten Strukturen dieses Systems aufzubrechen, ist fraglich. Man müsste die überwiegende Mehrheit der Funktionsträger rigoros entfernen. Denn das wäre die unabdingbare Voraussetzung für einen Paradigmenwechsel im Radsport.

Ralf Meutgens zählt zu den besten Radsport-und Dopingspezialisten Deutschlands. Meutgens war früher selber aktiver Radrennfahrer in der Amateurklasse, später Honorartrainer in Nordrhein-Westfalen, Vorsitzender eines Radsportvereins und zu Beginn der neunziger Jahre als Referent in der Trainerausbildung tätig. Danach machte er sich als freier Autor und Journalist einen Namen und profilierterte sich mit Beiträgen zu den Themen Radsport, Doping und Dopingprävention. Meutgens wurde mehrfach mit journalistischen Preisen für seine Arbeit ausgzeichnet.

Weitere Radsportnachrichten

07.07.2025Windkante oder Massensprint?

Wie am Tag zuvor führt auch die 3. Etappe vom Landesinneren nach Westen an die Küste. Das Profil ist dieses Mal aber sehr flach und es sieht auf dem Papier nach einer klassischen Sprintetappe aus, a

07.07.2025Mauro Brenner und Riedmann gewinnen Deutsche U23-Meistertitel

Die Ybbstaler Alpen in Niederösterreich waren am Wochenende Schauplatz der Vier-Länder-Meisterschaften der Klasse U23. Seit einigen Jahren kämpfen die Nationalverbände von Deutschland, Österreich

07.07.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die w

07.07.2025Sorgen um Girmays Knie nach Schlag gegen den Vorbau

(rsn) – Das Team Intermarché – Wanty hat auf der 2. Etappe der Tour de France lange Zeit gemeinsam mit Alpecin – Deceuninck die Führungsarbeit im Hauptfeld übernommen. Der Grund lag auf der H

06.07.2025Pogacar freut sich nach Auftakt-Wochenende auf das Bergtrikot

(rsn) – Tadej Pogacar (UAE – Emirates – XRG) hat den Etappensieg in Boulogne-sur-Mer am zweiten Tag der Tour de France 2025 im Sprint gegen Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) verpasst

06.07.2025Das Geheimnis hinter den Siegen von Philipsen und van der Poel

(rsn) - Zwei Siege, zwei Gelbe Trikots, zwei Männer, die das, teils auch mit gemeinsamer Unterstützung erreicht haben – besser konnte der Auftakt dieser Tour de France für Alpecin - Deceuninck ka

06.07.2025Buchmann beeindruckt an ungeliebten kurzen Rampen

(rsn) – Emanuel Buchmann vom Team Cofidis ist hinsichtlich seiner Qualitäten nun wirklich kein Puncheur an kurzen, knackigen Anstiegen. Und die gab es am zweiten Tag der 112. Tour de France (2.UWT)

06.07.2025Bei der Tour findet van der Poel seine Sprinterbeine wieder

(rsn) - Dass das Critérium du Dauphiné (2.UWT) der Tour de Suisse (2.UWT) als Vorbereitungsrennen Nummer eins auf die Frankreich-Rundfahrt den Rang abgelaufen hat, ist nichts Neues. Die Veranstalter

06.07.2025Lipowitz attackierte im Finale “einfach nach Gefühl“

(rsn) – Als der Sportliche Leiter von Red Bull – Bora – hansgrohe, Rolf Aldag, im Zielinterview der 2. Etappe der 112. Tour de France von Lauwin-Planque nach Boulogne-sur-Mer auf den Rennverlauf

06.07.2025Reusser holt sich das Auftaktzeitfahren beim Giro d’Italia

(rsn) - Marlen Reusser (Movistar) hat das Auftaktzeitfahren des Giro d´Italia Women gewonnen und sich das erste Rosa Trikot des Rennens gesichert. Die Schweizerin war auf dem 14,2 Kilometer langen Ku

06.07.2025Bahn-DM nach einem schweren Unfall abgebrochen

(rsn) - Die 138. Deutschen Meisterschaften im Bahnradsport in Dudenhofen (Rhein-Pfalz-Kreis) sind am Sonntag nach einem schweren Unfall im Keirin-Halbfinale abgebrochen worden. Wie der Veranstalter au

06.07.2025Pogacar: “Ich habe mich die letzten 200 Meter schon gefürchtet“

(rsn) – Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) hat die 2. Etappe der 112. Tour de France über 209 Kilometer von Lauwin-Planque nach Boulogne-sur-Mer gewonnen und das Gelbe Trikot von seinem

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de France (2.UWT, FRA)
  • Radrennen Männer

  • Tour of Magnificent Qinghai (2.Pro, CHN)