Heikos Tour

Wer attackiert Armstrong?

Von Heiko Salzwedel

15.07.2005  |  Zunächst: Ehre, wem Ehre gebührt. Die Franzosen feuerten gestern pünktlich zum Nationalfeiertag ihren ersten Etappensieg bei dieser Tour. Drei französische Teams hatten Fahrer in der Ausreißergruppe und am Ende triumphierte mit David Moncoutié ihr Stärkster. Dieser Sieg war keine Überraschung.

Die Fahrt aus den Alpen heraus war eine typische Ausreißeretappe. Eine Gruppe nutzte die Gunst der Stunde und machte sich auf und davon. Das sind Rennsituationen, die ich liebe: Wenn Fahrer ihr Herz in die Hand nehmen und eine offensive Fahrweise an den Tag legen. Die daraus entstehenden überraschenden Situationen sind das Salz in der Suppe des Rennsports. So wie das Duo O’Grady/Hushovd der Devise ’Angriff ist die beste Verteidigung’ folgte und am Ende immerhin noch mit einigen Sprintpunkten belohnt wurde. Nichts ist langweiliger als die immer gleichen Prozessionen.

Robbie McEwen hat seine schärfsten Konkurrenten im Kampf ums Grüne Trikot nach der ersten Sprintwertung ziehen lassen. Über die Gründe kann ich nur spekulieren: War er zu selbstsicher, dass seine Mannschaft Stuart O’Grady und Thor Hushovd wieder einfangen würde? Oder einfach nur unaufmerksam, als die beiden mit einer Gruppe davonzogen? Einem McEwen würde ich eine solche Nachlässigkeit nicht zutrauen. Vielleicht hat Robbie tatsächlich die Stärke seiner Mannschaft überschätzt. Und auf Axel Merckx vertraut. Der sollte als aktivster Mann in der Fluchtgruppe wohl die beiden Sprinter abschütteln, so das der Rest der Davitamon-Mannschaft von hinten zum Duo Hushovd/O’Grady wieder hätte ausschließen können. Aber es kam bekanntlich ganz anders: Hushovd und O’Grady blieben an Merckx dran – und Davitamon steckte in einer Zwickmühle. Für McEwen fahren oder alles auf Merckx setzen? Als die Mannschaft schließlich doch Tempo machte, war es zu spät. Gab es da Kommunikationsprobleme beim belgischen Rennstall?

Nun hat McEwen zwar nicht sehr viele Punkte verloren, aber vielleicht genau die, die ihm am in Paris Ende fehlen werden?

Als kleiner Ausblick auf das Wochenende: Werden wir in den Pyrenäen auch unter den Spitzenfahrern energische Attacken erleben? Ich wünsche mir eine Allianz gegen Armstrong, damit die Tour möglichst lange spannend bleibt. Und keine eingeschüchterten Teams, die wie das Kaninchen vor der Schlange hocken und sich demütig in ihr Schicksal ergeben.

Armstrongs Konkurrenten sollten endlich ihre Chance in der Offensive suchen. Das hätte schon auf einer der vergangene Etappen geschehen müssen, am besten an Stellen, wo der Amerikaner nicht damit gerechnet hätte. Ungewöhnliche Methoden zeitigen oft genug unerwartete Erfolge. Und man hätte Discovery Channel damit im günstigsten Fall einen psychologischen Knacks versetzen können.

Das gilt für T-Mobile und CSC in besonderem Maße, aber auch für alle anderen Teams mit Fahrern, die im Gesamtklassement vorne landen wollen. Seit sechs Jahren bewegt sich die Tour auf festgefahrenen Gleisen, was das Gesamtklassement anbelangt. Armstrong lullt alle ein, keiner traut sich anzugreifen – und schließlich schlägt der Champion zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt zu. Gegen einen Fahrer von der außergewöhnlichen Klasse eine Lance Armstrong muss man eben mehr als üblich riskieren – mit der Gefahr total einzubrechen, aber auch mit der Chance zu triumphieren.

Auch wenn er heute nicht mehr zur Etappe antreten durfte, geht mir Jens Voigt nicht aus dem Kopf. Es ist ein Glücksfall, dass Jens die paar Sekunden zu spät ins Ziel kam und aus dem Rennen genommen wurde. Warum ein Glücksfall? Weil der Ausschluss seiner Gesundheit zugute kommt. Mit einer Lungeninfektion, starkem Husten und den Körper voller Antibiotika sollte man sich keinen Extrembelastungen unterziehen. Ich weiß, dass Voigt weitergemacht hätte, wenn er rechtzeitig ins Ziel gekommen wäre. Und auch Bjarne Riis ist nicht der Typ, der in solchen Dingen Vorsicht walten lässt. Riis ist viel zu ehrgeizig und hätte Voigt weiter fahren lassen.

Voigt war aber nicht das einzige Tour-Opfer der letzten Tage: Boonen, Beltran, Hunter, Furlan, um nur einige der Fahrer zu nennen, die vorzeitig aussteigen mussten. Die Ausfallquote steigt, für viele Fahrer wird es jetzt wirklich dünn und viele Fahrer werden vor Paris noch hart zu kämpfen haben. Dieses Drama erleben wir Jahr für Jahr. Es ist eben die Tour de France.

Zur Person

Heiko Salzwedel ist einer der erfolgreichsten deutschen Radsporttrainer. Er führte im Jahr 1989 als Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer den Vierer zu WM-Gold. Nach der Auflösung der DDR wurde er australischer Nationaltrainer und betreute Fahrer wie Robbie McEwen, Henk Vogels, Mathew White, Patrick Jonker und Kathy Watt. In seiner Profi-Mannschaft ZVVZ-GIANT-A.I.S. begannen Sportler wie Jens Voigt, Tomas Konecny, Jan Hruska, Nick Gates oder die beiden älteren Brüder von Michael Rogers (Deane und Peter) ihre erfolgreiche internationale Karriere.

Weitere Stationen des 48 jährigen Globetrotters aus dem thüringischen Schmalkalden waren das Amt des Leistungssportreferent beim Bund Deutscher Radfahrer, Teammanager im Britischen Radsportverband sowie Chef-Trainer der deutschen Frauen-Profimannschaft Equipe Nürnberger. Derzeit ist Salzwedel für die Nachwuchsförderung bei T-Mobile zuständig und Nationaltrainer der dänischen Bahn-Radsportler.

Heiko Salzwedel im Internet: http://www.sl-sports.com

Mehr Informationen zu diesem Thema

19.08.2005Holczer: "Jan Ullrich bleibt der Top-Favorit"

(sid) - Nach dem Doppelsieg seiner Schützlinge auf der Königsetappe der Deutschland-Tour ist Gerolsteiner-Teamchef Michael Holczer euphorisiert. Dennoch bleibt für ihn T-Mobile-Profi Ja

25.07.2005Tour de Lance – der Champion tritt ab!

Der letzte Auftritt Lance Armstrongs auf der Bühne der Tour de France war zugleich sein beeindruckendster. Ich habe an anderer Stelle schon geschrieben, dass ich Lance noch nie so stark und überlege

24.07.2005Rabobank blamiert sich

So etwas habe ich noch nie gesehen: Der Drittplatzierte der Gesamtwertung im wichtigsten Radrennen der Saison wird von seinem Team im Stich gelassen. Was Mickael Rasmussen, dem tapferen Dänen, am Sam

22.07.2005T-Mobile schlägt zurück!

Die gestrige Etappe war ein Krimi vom Anfang bis zum Ende. Schon bevor sich die zehnköpfige Spitzengruppe schließlich bilden konnte, hatten zahlreiche Profis versucht, sich aus dem Hauptfeld abzuset

21.07.2005Discovery Channel ist noch nicht satt

Die längste Etappe endete mit dem längsten Schlussspurt. Es war ein regelrechter Ausdauersprint, der vom Giro-Sieger Paolo Savoldelli gegen den Norweger Kurt-Arsle Arvesen souverän gewonnen wurde.

20.07.2005Evans packt bei Abfahrten der Horror

Erneut trübte eine schreckliche Tragödie die Vorfreude auf eine Tour-Etappe. War es vor zwei Wochen der Terroranschlag in London, so ist es diesmal die Nachricht vom tödlichen Trainingsunfall in T

18.07.2005Doppelte Dramatik und ein souveräner Herrscher

Die Dramatik der gestrigen Etappe resultierte aus der Konstellation. Vorne wurde um den Tagessieg gefightet, in der Verfolgergruppe um den Gesamtsieg. Und die Gruppe mit den Sprintern fuhr ihr eigenes

17.07.2005Totschnig siegt mit Ansage

In der Woche noch wäre Georg Totschnig am liebsten aus der Tour ausgestiegen, weil nichts lief. Nur den aufmunternden Worten seiner Familie und seines Teamchefs Hans Michael Holczer war es zu verdank

16.07.2005Davitamon opfert sich für McEwen auf

Ich hatte für gestern zwar einen Sieg von Robbie McEwen erwartet, aber nachdem ich am Start der Etappe noch mit ihm gesprochen hatte, war meine Zuversicht etwas ins Wanken geraten. Robbie schien ein

14.07.2005T-Mobile gibt nicht auf!

Aufatmen bei T-Mobile: Das Team lässt sich nicht unterkriegen. Winokurows Gipfelsturm gestern war ein ganz besonderes Husarenstück. Auch im Sprint hat Wino seine Form bestätigt und Botero keine Ch

13.07.2005Same procedure as every year

Die gestrige Etappe hat bei mir vor allem Ernüchterung hinterlassen. Lance Armstrong hat wieder einmal bewiesen, dass er der stärkste Fahrer im Feld ist. Er ist ein Rennfahrer wie von einem anderen

11.07.2005Voigts Gelbes überstrahlt Ullrichs Malheur

Niemand hat das Gelbe Trikot so verdient wie Jens Voigt. Der Berliner ist das Musterbeispiel eines Radprofis und gibt in jedem Rennen alles. Seine Arbeitsauffassung ist vorbildlich. Wie er auch heute

Weitere Radsportnachrichten

28.04.2024Lipowitz mit seiner Giro-Generalprobe mehr als happy

(rsn) – Auch wenn er im Vorjahr bei der Czech Tour die Gesamtwertung gewann, so ist die diesjährige Tour de Romandie als Durchbruch in der Karriere von Florian Lipowitz (Bora – hansgrohe) zu bewe

28.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

27.04.2024Highlight-Video der Königsetappe der Tour de Romandie

(rsn) - Florian Lipowitz (Bora – hansgrohe) hat eine glänzende Vorstellung auf der Königsetappe der Tour de Romandie abgeliefert. Der 23-jährige Deutsche attackierte im Schlussanstieg hinauf nach

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

27.04.2024Lipowitz kommt in Leysin nicht mehr an Carapaz vorbei

(rsn) – Lange blieb es auf der Königsetappe der Tour de Romandie (2.UWT) ruhig, doch das letzte Drittel des Schlussanstieges reichte aus, um die Gesamtwertung nochmal ordentlich durchzuwirbeln. Und

27.04.2024“Alles in trockenen Tüchern“: Dorn hat Rot und Weiß sicher

(rsn) - Einen Tag vor Rundfahrtende hat Vinzent Dorn (Bike Aid) freudige Gewissheit. Nach dem Bergtrikot ist dem Freiburger bei der Tour of Turkiye (2.Pro) auch das Weiße Trikot der Zwischensprintwe

27.04.2024Andresen sprintet zum Tageserfolg in Izmir

(rsn) - Der Däne Tobias Lund Andresen feiert auf der 7. Etappe der 59. Tour of Türkiye seinen zweiten Sieg in wenigen Tagen und gleich den fünften für sein Team DSM Firmenich - PostNL bei der aktu

27.04.2024Reusser zurück im Feld und auf dem Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Ein Klassikerfrühjahr 2025 mit Evenepoel?

(rsn) – Mit Lüttich-Bastogne-Lüttich hat Remco Evenepoel (Soudal – Quick Step) schon eines der fünf Monumente abgehakt, auch die Lombardei-Rundfahrt liegt dem jungen Belgier gut. Im nächsten J

26.04.2024Vollering, ´ELB´ & Niewiadoma kämpfen um erste GT der Saison

(rsn) – Die erste Grand Tour der Saison beginnt nicht erst am 4. Mai in Italien, sondern bereits am Sonntag in Valencia. Zugegeben: Die Vuelta Espana Femenina (28. April - 5. Mai) ist keine dreiwöc

26.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Brandon McNulty (UAE Team Emirates) hat das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen. Der US-Meister in dieser Disziplin benötigte für den 15,5 Kilometer langen Parcours rund um

26.04.2024Helferrolle bei der Vuelta: Vorjahresfünfte Bauernfeind kränkelt

(rsn) – Im vergangenen Jahr hat eine Deutsche bei der Vuelta Espana Femenina die Weltspitze überrascht und ist bei den Bergankünften am Mirador de Penas Llanas und an den Lagos de Covadonga mit de

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)