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30.06.2005 | Heiko Salzwedel führte 1989 als DDR-Nationaltrainer den Bahnvierer zu WM-Gold und machte einige Jahre später als australischer Nationalcoach Robbie McEwen zum Star. Jetzt betreut er den T-Mobile-Nachwuchs. Für Radsport aktiv kommentiert Salzwedel die Tour de France.(d. Red.)
Von Heiko Salzwedel
Alle Welt erwartet das ultimative Duell: Lance Armstrong gegen Jan Ullrich. Tatsächlich scheint sich auch bei dieser Tour de France alles auf diese beiden Giganten zuzuspitzen. Aber wie sagt das Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, freut sich ein Dritter. Möglicherweise werden wir in drei Wochen einen Überraschungssieger feiern. Ich denke da an Ivan Basso oder an Roberto Heras, der zwar noch keine herausragenden Ergebnisse eingefahren hat, sich meiner Meinung nach aber in einer Top-Form befindet. Ein Fahrer wie Michael Rogers hat in der Schweiz gezeigt, dass er nicht nur ein toller Zeitfahrer ist, sondern auch auf schweren Bergetappen mithalten kann. Und ich habe das T-Mobile-Duo Winokurow und Klöden auf meiner Rechnung. Über Winos Klasse muss man kein weiteres Wort mehr verlieren. Andreas Klöden wird beweisen, dass er nicht nur alle drei Jahre Top-Leistungen bringen kann. Trotzdem heißt der T-Mobile-Kapitän zu Recht Jan Ullrich. Ich schätze Jan stärker ein als je zuvor, dazu kommt: Er will es diesmal wirklich wissen und ist heiß auf den Tour-Sieg!
Lance Armstrong sendet in diesem Jahr ziemlich widersprüchliche Signale aus. Er hatte eine Rollercoaster-Vorbereitung, zeigte zuletzt zwar gute Leistungen, schien aber zu Beginn der Saison einige Male völlig von der Rolle zu sein. Deshalb fällt es mir nicht ganz leicht, sein Leistungsniveau einzuschätzen. Lance ist nicht nur ein herausragender Rennfahrer, sondern verfügt auch über einige schauspielerische Fähigkeiten. Ich traue ihm deshalb durchaus zu, die Konkurrenz in der Beurteilung über seinen wahren Leistungsstand in die Irre zu führen. Diesmal scheint mir aber einiges darauf hinzudeuten, dass seine Ära sich wirklich dem Ende zuneigen könnte. Um die Tour zu gewinnen, muss man sich einem brutalen 24-Stunden-Regime unterwerfen – und selbst ein Lance Armstrong schafft das nur über einen gewissen Zeitraum.
Für meinen Geschmack kommen manchmal die deutschen „Legionäre“ in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zu kurz. Ich denke da an Jörg Jaksche, der als Edeldomestike für Heras arbeiten wird, aber möglicherweise in diesem Jahr von Manolo Saiz größeren Spielraum eingeräumt bekommt. Patrick Sinkewitz gehört trotz seiner Rennerfahrung zur Garde der „Jungen Wilden“, die schon bei dieser Tour aus deutscher Sicht für Furore sorgen könnte. Apropos Furore: Jens Voigt würde ich einen Platz unter den ersten Zehn in der Gesamtwertung zutrauen – wenn es nicht auch diesmal seine taktische Aufgabe wäre, sich für seinen Chef Ivan Basso buchstäblich zu zerreißen. Jens befindet sich in der Form seines Lebens und ich hoffe, dass ihn Bjarne Riis zumindest an einem Tag auf eigene Rechnung fahren lässt.
Diese Tour wird anders ablaufen als die früheren. In diesem Jahr wird es von der ersten Etappe an zur Sache gehen. Keiner der Favoriten wird sich während der ersten Tour-Hälfte verstecken können nach dem Motto: unauffällig mitrollen, bis die Berge kommen. Die Neuerungen bei der Streckenführung werden der „Grand Boucle“ ein anderes Gesicht geben. Die Tour beginnt mit einem Paukenschlag, einem 19 Kilometer langen Einzelzeitfahren. Früher war der Prolog meistens eine lockere Sache, mehr als ein paar Sekunden verlor man nicht, und die waren allemal wieder aufzuholen. Insbesondere Jan Ullrich wird es sich nicht erlauben können, den Einstieg in die Tour so wie im letzten Jahr zu vergeigen. Jan wird sich über die Bedeutung dieser ersten Etappe im Klaren sein und topfit und hochkonzentriert an den Start gehen. Trotzdem zählen für mich drei andere Fahrer zum engsten Favoritenkreis bei diesem Einzelzeitfahren: der Ungar Laszlo Bodrogi von Credit Agricole, Bradley McGee (FdJeux) und Michael Rich vom Team Gerolsteiner. Besonders Michael würde ich auf seine alten Rennfahrer-Tage den Sieg und für ein paar Tage das Gelbe Trikot gönnen. Mit dem Mannschaftszeitfahren auf der vierten Etappe steht den Favoriten dann gleich die nächste Herausforderung ins Haus. Hier wird sich zeigen, welches Team am besten harmoniert.
Eine Vorentscheidung kann schon im ständigen Auf und Ab durch die Vogesen fallen. Hier wird zum ersten Mal schon der Hammer fallen. Vielleicht eignen sich die mittelschweren Vogesen-Anstiege besser für einen Angriff auf Lance Armstrong als die „Killer-Berge“ der Alpen und der Pyrenäen – und vielleicht werden wir von Jan Ullrich und T-Mobile hier schon überrascht werden. Natürlich werden die Berg-Schlachten im Hochgebirge auch diesmal wieder absolute Tour-Höhepunkte sein – und letztlich wird wahrscheinlich erst beim abschließenden Zeitfahren in St. Etienne die Entscheidung über den Gesamtsieg fallen. Aber diese Tour wird schon in ihrer ersten Hälfte so viele Höhepunkte und Überraschungen bereit halten wie keine zuvor in den letzten Jahren.
Zum Schluss noch ein Wort zu den Diskussionen um die unterschiedlichen Fahrstile von Lance Armstrong und Jan Ullrich: Über den Tour-Sieg wird die Physis der Fahrer entscheiden und nicht, mit welcher Trittfrequenz ein Fahrer den Berg hinauf kurbelt. Jeder Rennfahrer muss seine individuelle Physis maximal ausnutzen. Würde Jan jetzt auf eine höhere Trittfrequenz umstellen, hätte das für ihn katastrophale Folgen. Er muss sich auf seine Stärken besinnen und diese optimal einsetzen. Dann wird er auch eine erfolgreiche Tour fahren.
Zur Person
Heiko Salzwedel ist einer der erfolgreichsten deutschen Radsporttrainer. Er führte im Jahr 1989 als Nationaltrainer der DDR-Bahnradfahrer den Vierer zu WM-Gold. Nach der Auflösung der DDR wurde er australischer Nationaltrainer und betreute Fahrer wie Robbie McEwen, Henk Vogels, Mathew White, Patrick Jonker und Kathy Watt. In seiner Profi-Mannschaft ZVVZ-GIANT-A.I.S. begannen Sportler wie Jens Voigt, Tomas Konecny, Jan Hruska, Nick Gates oder die beiden älteren Brüder von Michael Rogers (Deane und Peter) ihre erfolgreiche internationale Karriere.Weitere Stationen des 48 jährigen Globetrotters aus dem thüringischen Schmalkalden waren das Amt des Leistungssportreferent beim Bund Deutscher Radfahrer, Teammanager im Britischen Radsportverband sowie Chef-Trainer der deutschen Frauen-Profimannschaft Equipe Nürnberger. Derzeit ist Salzwedel für die Nachwuchsförderung bei T-Mobile zuständig und Nationaltrainer der dänischen Bahn-Radsportler.
Heiko Salzwedel im Internet: http://www.sl-sports.com
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