Auf den Tag 6 Jahre nach erstem Tour-Etappensieg

Die verfluchte 6! Boasson Hagen unterliegt Kittel um 6 Millimeter

Von Felix Mattis aus Nuits-Saint-Georges

Foto zu dem Text "Die verfluchte 6! Boasson Hagen unterliegt Kittel um 6 Millimeter"
Marcel Kittel (Quick-Step Floors, links) und Edvald Boasson Hagen (Dimension Data) kämpfen um den Etappensieg. | Foto: Cor Vos

07.07.2017  |  (rsn) - Es wäre das perfekte Szenario gewesen: Vor den Augen seiner Eltern hätte Edvald Boasson Hagen in Nuits-Saint-Georges an Renntag Nummer sieben beinahe die sechste Straßenetappe der Tour gewonnen und sein Dimension-Data-Team somit schon drei Tage nach dem Aus von Mark Cavendish aus dem Stimmungstief herauskatapultiert. Doch auf den Tag genau sechs Jahre nach seinem ersten Tour-Etappensieg, damals auf der 6. Etappe in Lisieux, fehlten sechs Millimeter zum großen Triumph im Duell mit Ãœberflieger Marcel Kittel (Quick-Step Floors).

"Ich war so nah dran und es ist selbst auf dem Zielfoto nicht zu sehen, wer gewonnen hat. Ich hatte auch kein Bauchgefühl, ob ich vorne oder hinten bin", sagte der Norweger nach bangen Minuten des Wartens auf das offizielle Ergebnis. "Es waren sehr lange Minuten und dann ist es einfach nur enttäuschend, nicht gewonnen zu haben. Am Ende bin ich Zweiter, das ist Scheiße."

Boasson Hagen fuhr seine Beine auf dem Hometrainer neben dem Mannschaftsbus locker und sinnierte noch ein wenig über den so knapp verpassten Triumph. Im Gespräch mit seinen Teamkollegen fragte er: "Ich weiß nicht, wie sie das überhaupt feststellen können, wer da vorne ist. Keine Ahnung, wie sie das machen?" Teamkollege Bernhard Eisel meinte später im Gespräch mit radsport-news.com: "Ich habe den Ausgang auf Handybildern gesehen und eigentlich müsste man beide nach oben aufs Podium stellen. Aber die Jury hat sicherlich bessere Bilder."

Die hat sie, wie Dimension Datas Performance-Direktor Rolf Aldag erklärte: "Die Technik ist heute viel weiter, als zu meiner Zeit. Damals hätte man wohl zwei Sieger gehabt, weil man es auf dem Zielfoto nicht erkennen kann. Aber mit der heutigen Technik kann man da sehr genau reinzoomen", sagte er radsport-news.com und zeigte das reingezoomte Zielfoto mit einer eingeblendeten, dünnen, rot-transparenten Linie direkt an der Spitze der Vorderräder von Boasson Hagen und Kittel: "Bei Marcel ist etwas mehr Grau vom Reifen zu sehen. Am Ende sind es drei Tausendstelsekunden, das sind fünf bis sechs Millimeter."

Sechs Millimeter oder drei Tausendstelsekunden, die Boasson Hagen heute Abend sicherlich beschäftigen werden. Doch der Norweger wirkte schon einige Minuten später nach dem Ausfahren auf der Rolle etwas gelöster. "Das Team war so stark heute. Sie haben mich mit einem perfekten Leadout bis zur Linie gebracht. Es ist einfach schade, dass ich das nicht vollenden konnte", sagte er. "Aber auch wenn ich gerne gewonnen hätte, muss ich am Ende glücklich mit diesem zweiten Platz sein. Ich bin kein reiner Sprinter, so dass es mir für den Rest der Tour viel Selbstvertrauen gibt, bei einer solch flachen Ankunft in der Lage zu sein, dort vorne reinzufahren."

Tatsächlich war Boasson Hagen vor dem Tour-Start kein Favorit auf einen Tagessieg bei einer richtig flachen Hochgeschwindigkeits-Sprintankunft wie der heutigen in Nuits-Saint-Georges. Mit über 70 Stundenkilometern rauschten er und Kittel am Ende auf die Ziellinie zu, nachdem auch die Anfahrt zur Zielgerade schon in ähnlichen Geschwindigkeiten absolviert wurde, und der nun dreifache Tagessieger aus Deutschland zog den Hut vor dem Norweger: "Edvald war seit langer Zeit nicht mehr so schnell und ich war überrascht ihn so zu sehen", sagte er - wenn auch eher mit Blick auf den Vortag, wo Boasson Hagen in Troyes schon stark auftrat, nur viel zu früh im Wind war. "Nach gestern war ich heute dann nicht mehr überrascht", so Kittel.

Das Dimension-Data-Team fuhr den perfekten Leadout und lieferte Boasson Hagen auf der Zielgeraden so ab, dass es wohl gegen jeden Anderen zum Sieg gereicht hätte - nur eben nicht gegen Kittel, der vom Hinterrad des Norwegers kam und sich auf der Linie erst daneben schob. "Das heute war schon nahe am perfekten Leadout, aber Marcel ist in einer Bombenform. Ich habe schon gescherzt, dass er trotz der neuen 3-Sekunden-Regel auf den Champs-Élysées mit Sekunden-Vorsprung gewinnen könnte", sagte Eisel. "Ihn zu schlagen ist fast unmöglich. Der Einzige, der ihn bei einer Ankunft wie heute oder gestern hätte bezwingen können, wäre Mark (Cavendish) gewesen."

Doch Cavendish sitzt inzwischen mit gebrochenem Schulterblatt zuhause bei Frau und Tochter und dürfte an diesem Freitagnachmittag stolz auf seinen norwegischen Teamkollegen "Eddy the Boss" gewesen sein, der beinahe für ihn den so wichtigen Sieg seines Teams eingefahren hätte. "Es ist eine Schande, dass Mark nicht mehr hier ist", sagte Boasson Hagen im Ziel und freute sich, dass es dem Team so schnell gelungen ist, sich auf ihn als neuen Sprint-Kapitän einzustellen. "Wir müssen einfach weiter unser Bestes geben und ich bin dankbar für die Unterstützung."

Auch wenn die Enttäuschung über den knapp verpassten Erfolg groß ist, so ist in Nuits-Saint-Georges doch auch Hoffnung gewachsen, dass Boasson Hagen nach sechs Jahren endlich wieder eine Tour-Etappe gewinnen kann - egal ob in einem topfebenen Flachsprint oder bei den noch kommenden mittelschweren Etappen. Aldag jedenfalls formulierte das Ziel für die kommenden Sprints wie folgt: "Sechs Millimeter vor Marcel zu sein."

Es wäre Boasson Hagen zu wünschen, dass er endlich auch wieder auf internationalem Boden gewinnt, nachdem all seine Saisonsiege 2017 bislang in der norwegischen Heimat gelangen. Übrigens waren das bislang, man ahnt es: sechs.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

20.07.2020Video-Rückblick: Matthews erobert das Grüne Trikot der Tour 2017

(rsn) - Als Michael Matthews (Sunweb) 2017 erstmals in seiner Karriere das Grüne Trikot der Tour de France eroberte, beendete er eine glanzvolle Frankreich-Rundfahrt, in deren Verlauf er auch zwei Et

01.07.2020Video-Rückblick: Valverdes Tour-Sturz von Düsseldorf

(rsn) - Vor genau drei Jahren stürzte Alejandro Valverde (Movistar) beim Auftakt der Tour de France in Düsseldorf im Zeitfahren auf regennasser Straße so schwer, dass dem Spanier sogar das Karriere

30.10.2019Düsseldorf muss Tour de France-Vertrag offenlegen

(rsn) - Die Stadt Düsseldorf muss den Vertrag, der zwischen der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens und der französischen Amaury Sport Organisation im Zuge es Tour de France-Starts 2017 geschloss

06.12.2017Fall Sagan: Dimension Data kritisiert Vorgehensweise der UCI

(rsn) - Mark Cavendishs Dimension Data-Team fühlt sich bei der Entscheidungsfindung im Fall Sagan übergangen. Wie Manager Douglas Ryder in einer Pressemitteilung erklärte, sei man davon ausgegangen

05.12.2017Sagans Tour-Ausschluss beruhte auf einem Fehlurteil

(rsn) - Peter Sagans Disqualifikation nach der 4. Etappe der Tour de France war nicht Folge eines Fehlverhaltens des Weltmeisters, der in einem hart umkämpften Sprint in Vittel den Sturz seines Konku

13.11.2017Sagans Tour-Disqualifikation wird vor dem CAS verhandelt

(rsn) - Peter Sagans umstrittene Disqualifikation nach der 4. Etappe der Tour de France wird am 5. Dezember vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS verhandelt. Das geht aus CAS-Terminkalender her

06.09.2017Düsseldorf macht mit Grand Depart 7,8 Millionen Euro Verlust

Düsseldorf (dpa) - Die Stadt Düsseldorf hat mit dem Start der Tour de France 2017 einen Verlust von 7,8 Millionen Euro gemacht. Diese Zahl nannte Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bei de

28.07.2017Denk: "Das Material gibt es ja, man muss es nur verwenden"

(rsn) - Ralph Denk hat mit Verwunderung auf die Forderung von Philippe Mariën, Chef der Jury der Tour de France, reagiert, künftig bei Radrennen auf den Video-Beweis zu setzen. Hintergrund ist der A

28.07.2017Barguil fährt lieber ohne Powermeter

(rsn) – Auch in diesem Jahr brodelt nach der Tour de France in Sachen Teamwechsel die Gerüchteküche, vor allem bei denjenigen Fahrern, deren Verträge auslaufen. Letzeres gilt zwar nicht für Warr

28.07.2017Martens: "Roglic und Groenewegen können Weltstars werden"

(rsn) - Paul Martens (LottoNL-Jumbo) hatte bei seiner dritten Tour de France allen Grund zum Jubeln. Sein Team kehrte mit zwei Etappensiegen durch Primoz Roglic und Dylan Groenewegen aus Frankreich zu

28.07.2017Jury-Chef der Tour fordert Video-Beweis für Sprints

(rsn) - Philippe Mariën, Chef der Jury der Tour de France, die Peter Sagan nach der 4. Etappe in einer heftig kritisierten Entscheidung wegen dessen vermeintlichem Ellbogencheck gegen Mark Cavendish

28.07.2017Dan Martin fuhr die Tour mit zwei gebrochenen Wirbeln zu Ende

(rsn) - Daniel Martin (Quick-Step Floors) hat sich bei seinem Sturz auf der 9. Etappe der Tour de France zwei Wirbel gebrochen. Die Verletzung allerdings wurde erst in dieser Woche bei einer Computert

Weitere Radsportnachrichten

14.11.2024Bardet: “Sinnlos, an ethischen Radsport zu glauben“

(rsn) - Es war ein durchaus ungewöhnlicher Zeitpunkt, als Romain Bardet im Sommer, kurz vor der Tour de France, sein Karriereende ankündigte. Mindestens genauso ungewöhnlich ist das Rennen, das sei

14.11.2024Bonnamour gibt Kampf gegen Dopingsperre auf

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

14.11.2024Rhodos-Prolog-Experte mit Sturzpech im stärksten Rennen

(rsn) – Seine elfte Saison auf KT-Niveau ragt zwar nicht als seine beste heraus, dennoch zeigte Lukas Meiler (Team Vorarlberg) auch 2024, was er drauf hat. Seine beste Platzierung gelang ihm dabei

14.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

14.11.2024Schädlich übernimmt die deutschen Ausdauer-Spezialisten

(rsn) – Der Bund Deutscher Radfahrer hat einen neuen Nationaltrainer auf der Bahn für den Bereich Ausdauer. Lucas Schädlich, der seit 2019 die deutschen Juniorinnen unter seinen Fittichen hatte, Ã

14.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

14.11.2024Schär wird Schweizer Nationaltrainer

(rsn) – Marc Hirschi, Stefan Küng und Co. haben einen neuen Nationaltrainer. Michael Schär wird mit Jahresbeginn 2025 die Verantwortung für die Schweizer Männer in den Bereichen Elite und U23 ü

14.11.2024Lotto Kern - Haus wird Development-Team von Ineos Grenadiers

(rsn) – In den vergangenen beiden Jahren war das deutsche Kontinental-Team Lotto Kern - Haus PSD Bank sogenannter Development-Partner von Red Bull – Bora – hansgrohe. Ab der kommenden Saison wi

14.11.2024Meisen kündigt baldiges Karriereende an

(rsn) – “Spätestens im Januar ist Schluss“, kündigte Marcel Meisen (Stevens) gegenüber RSN an. Der 35-Jährige ist in seine letzte Cross-Saison gestartet und will diese nicht mehr ganz zu End

14.11.2024Traumszenario mit kurzem Anfangsschock

(rsn) – Unverhofft kommt oft – dieser Spruch traf in dieser Saison auch auf Meo Amann zu. Mit dem Elite-Team Embrace The World in die Saison gestartet, bewarb er sich im Sommer auf einen Platz bei

13.11.2024Auch ein kurioser erster UCI-Sieg reichte nicht zum Profivertrag

(rsn) – Auch wenn er in dieser Saison seinen ersten UCI-Sieg einfahren konnte, so gelang Roman Duckert (Storck – Metropol) am Ende seiner U23-Zeit nicht der Sprung in ein Profiteam. Deshalb wird e

13.11.2024Ein Jahr geprägt von Stürzen und viel Unglück

(rsn) – Eigentlich wollte Mikà Heming (Tudor Pro Cycling) 2024 so richtig durchstarten. Die Klassikerkampagne in Belgien hatte er sich als erstes Saisonhighlight gesetzt, doch diese endete für den

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine