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21.10.2015 | (rsn) - Auf die Tour de France 2016 kann man sich schon jetzt mächtig freuen - denn der Kurs ist fast schon ein Meisterstück mit Klassikern, Premieren und Hinguckern - meint unser Eurosport-Kollege Andreas Schulz.
Chapeau.
Auf die Tour de France 2016 kann man sich schon jetzt mächtig freuen – denn der Kurs, den die Organisatoren im Pariser Palais des Congrès präsentierten, ist fast schon ein Meisterstück.
Eine spannende Mischung aus Neuentdeckungen und Klassikern, ein sportlich ausbalancierter Mix, und dies immer wieder vor grandioser Kulisse: Die 103. Austragung der "grande boucle" bringt alles mit, um für Fans wie Fahrer zum Highlight zu werden.
Die drei Wochen im Juli 2016 werden durch drei Berge geprägt – zumindest für die Zuschauer: Der Auftakt am Mont-Saint-Michel präsentiert eine der schönsten Kulissen, die Frankreich überhaupt zu bieten hat, die Bergankunft am Mont Ventoux ist der absolute Höhepunkt der zweiten Tour-Woche und die Schlusstage in den Alpen finden allesamt fast im Schatten des Mont Blanc statt.
Neben den drei Monts sorgen auch viele Newcomer für Neugier: 16 Etappenorte sind erstmals im Streckenplan, zehn der 28 schweren Berge geben ihre Tour-Premiere. Dieses Konzept von Tour-Chef Christian Prudhomme, sein Team permanent auf die Suche nach versteckten Schätzen zu schicken, mit Traditionen auch mal zu brechen, neue Varianten zu wählen und keine Dogmen zu kennen, hat sich in den letzten Jahren schon bewährt. Diesmal aber ist die Balance besonders geglückt.
Die Sprinter haben turnusgemäß wieder zum Auftakt die Chance, sich Gelb zu holen, doch die 2. Etappe serviert zum Ziel gleich einen gemeinen Anstieg über drei Kilometer und dazu das Risiko, vom Winde verweht zu werden. Die erste Bergetappe kommt schon am fünften Tag, vier Bergankünften stehen ebenso viele Kletterpartien mit Ziel im Tal gegenüber. Zwei Einzelzeitfahren, darunter das erste Bergzeitfahren seit 2004, sind ein faires Angebot an Kletterer wie Tempobolzer nach dem Tiefpunkt im Vorjahr.
Die Streckenführung gerade im Bergzeitfahren ein gelungener Kompromiss und kein Extremsport wie teilweise beim Giro. Schließlich, fast schon traditionell, eine schwere Bergetappe am vorletzten Tag: Streckenchef Thierry Gouvenou hat ganze Arbeit geleistet.
Denn seien wir doch ehrlich: Wer wünscht sich noch die arg stereotypen Streckenführungen der Ära Jean-Marie Leblanc zurück? Immer ein Prolog, dann meist eine Woche Flachetappen samt Teamzeitfahren, gefolgt von einem langen Einzelzeitfahren, dem ersten Bergmassiv, zweiten Bergmassiv, Flachetappen Richtung Paris und nochmals 50 Kilometern gegen die Uhr.
"Der optische Aspekt ist fast ebenso wichtig wie der sportliche", erinnert Prudhomme – ganz der einstige TV-Journalist. Und da gibt es 2016 viel zu sehen. Neben den erwähnten drei Monts wird es im massif central, dem Lac de Payolle, am Grand Colombier und besonders zum Stausee von Emosson Hingucker geben, die man nicht jedes Jahr bei der Tour hat; dazu die Gorges de l’Ardèche, Städte wie Carcassonne und Bern sowie am D-Day-Landungsstrand Utah Beach die Erinnerung daran, dass Sport nur eine Nebensache ist.
Die erstmals oder nur selten befahrenen Berge unter den 28 schweren Anstiegen der Tour 2016 machen das Rennen nicht nur für die Fahrer, sondern auch alle Zuschauer spannend: Man kennt die Pässe nicht schon mit geschlossenen Augen, sondern wird feststellen, dass sich Hourquette d’Ancizan, Beixalis, Bisanne oder Finhaut-Émosson hinter den großen "Klassikern" der Pyrenäen und Alpen nicht verstecken müssen – und dass der selten besuchte Col de Joux-Plane als letzter Berg dieser Tour keine Fehlbesetzung ist.
Keine Nation hat in den letzten Jahren bei den Etappensiegen so abgeräumt wie Deutschland – und 2016 könnte es zumindest laut Parcours weitergehen. Zwar wird nun wie immer viel über die Schwierigkeiten der Tour debattiert, doch bis zu sieben der 21 Etappen sind auf dem Papier klar den Sprintern vorbehalten – und damit mögliche Beute der Seriensieger André Greipel und Marcel Kittel. Je nach genauer Streckenführung kommt auch die Etappe nach Bern noch hinzu, aber für schwereres Terrain steht aus deutscher Sicht ja auch noch ein John Degenkolb parat.
Den Frust von Tony Martin ob der schweren Zeitfahrstrecken kann ich zwar nachvollziehen, doch zumindest auf der 13. Etappe über 37km an den Gorges de l'Ardèche ist er nun wirklich kein Außenseiter. Insbesondere weil die Favoriten auf den Gesamtsieg am Tag zuvor am Mont Ventoux mächtig Kräfte lassen werden.
Außerdem hat Martin ja 2014 wie 2015 bewiesen, dass er nicht nur im Zeitfahren für Etappensiege bei der Tour gut ist. Die Streckenführung 2016 bietet ihm durchaus Chancen, einen Coup wie einst in den Vogesen zu wiederholen. Und schließlich hat uns Simon Geschke (dessen Freudentränen Prudhomme in seiner Präsentations-Rede extra erwähnte) gezeigt, dass auch auf schwerstem Terrain deutsche Erfolge möglich sind. Dominik Nerz oder Emanuel Buchmann sind ebenso aussichtsreiche Trümpfe für ähnliche Auftritte.
War es nur ein Zufall, dass von den Favoriten auf den Gesamtsieg 2016 allein Chris Froome den Weg zur Präsentation nach Paris gefunden hat? Es muss jedenfalls kein Omen sein.
Denn sicher, je mehr Zeitfahrkilometer, desto besser für den Sky-Kapitän. Es gilt aber auch: Je schwerer das Zeitfahren, desto geringer sein Vorteil gegen die Konkurrenz – siehe Tour 2013, als er nach 32km nur neun Sekunden vor Alberto Contador und 30 Sekunden vor Alejandro Valverde lag.
Die klare Favoritenrolle des Briten bringt die Rivalen unter Zugzwang, sie müssen jede Chance zur Attacke nutzen. Dazu bietet die Etappe durch das Zentralmassiv eine Steilvorlage ("das wird kein Formtest, sondern eine Selektion", so Prudhomme) ebenso wie die Abfahrten ins Ziel von vier schweren Bergetappen oder abseits von Alpen und Pyrenäen die mit 4000 Höhenmetern gespickte Jura-Etappe. Im Idealfall können wir uns also auf ein besonders aktionsreiches Rennen freuen.
Außerdem bietet die Tour 2016 zwar mehr Zeitfahrkilometer, aber eben auch mehr Berge als im Vorjahr und es sei daran erinnert, dass Nairo Quintana den entscheidenden Rückstand gleich auf der 2. Etappe im Wind kassierte… Die pausenlosen Attacken hätten den Kolumbianer fast noch zum Ziel geführt und bei der Vuelta haben wir gesehen, dass auf der letzten Bergetappe ein scheinbar souveräner Führender noch geknackt werden kann. Tom Dumoulin und Fabio Aru vergrößern das Feld der Herausforderer bei der Tour 2016, ebenso wie Richie Porte, der vom Edelhelfer zum Gegner für Froome wird.
Angriff vom Auftakt bis zum Finale ist also das Motto, das sich einerseits Prudhomme wünscht, andererseits auch der Schlüssel zu einem Erfolg gegen Froome ist. Bei seinen Tour-Siegen ging dem gebürtigen Kenianer immer an den letzten Renntagen etwas die Luft aus – diesmal kann er da nicht nur auf sein starkes Team als Rettung setzen: Im Bergzeitfahren nach Megève ist er auf sich allein gestellt…
Der gar nicht so heimliche Traum der Organisatoren ist eine Tour wie 2011, als Thomas Voeckler sich im Zentralmassiv ein paar Minuten Vorsprung holte und am Ende das Podium nur knapp verpasste. Solche Aktionen von "Fahrern, die etwas wagen" wünscht sich Prudhomme – und seine Strecke gibt mutigen und halbwegs bergfesten Profis die Chance dazu. Wer aber permanent nur das Hinterrad von Froome beobachtet, wird es schwer haben.
Froome selbst hat neben seiner Begeisterung für die Streckenführung bei Eurosport angekündigt, zu gerne erneut am Ventoux siegen zu wollen – ein Double, das bei der Tour einmalig wäre. Alle kritischen Beobachter der Szene werden diesen Anstieg mit besonderer Spannung verfolgen und seine grenzwertig gute Leistung von 2013 mit den aktuellen Daten vergleichen.
Denn auch wenn die harmonische "Familienfeier" im Palais des Congrès das ungeliebte Doping-Thema weiträumig umfuhr: Die offenen Fragen stehen weiter im Raum. Etwa nach den von Froome angekündigten Leistungsdaten – und Tests: Noch vor der Vuelta war er im Londoner "Human Performance Lab" eines Pharmagiganten, einsehbare Ergebnisse stehen aber weiter aus.
Immerhin: Eine weitere Neuerung für die Tour 2016 würde bei der Streckenvorstellung nicht genannt, könnte aber durchaus Folgen haben: Im neuen Jahr darf in Frankreich nun auch nachts zu Dopingtest gebeten werden.
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