Zeitfahrweltmeisterin dankt dem Wettergott

Brennauer fliegt dem Regen und der Konkurrenz davon

Von Felix Mattis aus Ponferrada

Foto zu dem Text "Brennauer fliegt dem Regen und der Konkurrenz davon"
Lisa Brennauer auf der Jagd nach dem WM-Gold | Foto: Cor Vos

23.09.2014  |  (rsn) – Als Lisa Brennauer nach ihren 29,5 Kilometern in die Glückseligkeit anhielt, wusste sie noch gar nichts. Die Deutsche Zeitfahrmeisterin setzte sich erstmal hin und schnappte nach Luft. Sie hatte bis zum Zielstrich alles gegeben. Einige Sekunden später schaute die 26-Jährige ihren Physiotherapeuten Lars Schiffner an: „Und? Und? Habe ich Bestzeit?!“ 

Ja – und zwar deutlich. Um 18,68 Sekunden distanzierte Brennauer die Ukrainerin Anna Solovey, die acht Kilometer vor dem Ziel noch um vier Sekunden geführt hatte. Kurz darauf begann es im Ziel auf die am Boden sitzende Weltmeisterin in spe zu tropfen – Regen setzte ein, der, wenn er zehn Minuten früher gekommen wäre, alles hätte zunichte machen können. 

„Das habe ich realisiert, als ich auf dem ‚heißen Stuhl‘ gesessen habe. Das war ein Moment, wo ich wirklich gedacht habe: ‚Vielen, vielen Dank da oben!‘“ Als die Allgäuerin im Zelt saß und auf jenem „Hot Seat“ darauf wartete, dass Linda Villumsen und Ellen Van Dijk ins Ziel kommen würden, begann es draußen richtig zu schütten. Doch die Neuseeländerin Villumsen und die niederländische Titelverteidigerin hatten schon vorher zu viel Rückstand, um Brennauer selbst bei trockenen Bedingungen noch zu gefährden. 

„Als ich die Abstände im Fernsehen gesehen habe, merkte ich so langsam, dass ich wirklich Weltmeisterin werden kann“, so Brennauer über emotionsgeladene Minuten, während denen man ihrem Gesicht richtiggehend ansehen konnte, wie die Erkenntnis in ihren Kopf einzog, dass sie gerade den größten Moment ihrer Karriere erlebte. Trotzdem wollte die Deutsche nicht zu früh jubeln, doch als Van Dijk sich noch auf der Strecke durch den Regen kämpfte und Brennauers Zeit bereits durchgelaufen war, zuckte die erste Freude durch ihren Körper. Die Augen wurden feucht, und als die Niederländerin 71 Sekunden später die Ziellinie überquerte, war kein Halten mehr. 

Zu den ersten Gratulantinnen gehörte nach Brennauers Betreuerstab auch Mieke Kröger, die in ihrem ersten WM-Zeitfahren bei der Elite völlig überraschend auf den vierten Platz fuhr und zu einer der glücklichsten Viertplatzierten aller Zeiten in einem WM-Rennen wurde. „Ich hatte auf die Top 20 gehofft und wäre mit den Top 10 schon sehr glücklich gewesen. Jetzt ist es ein Top-5-Ergebnis – das ist völlig aus dem Rahmen“, freute sich die 21-Jährige, die dieses Ergebnis für wertvoller als ihren U23-EM-Titel aus dem Juli hält. Trixi Worrack rundete das hervorragende deutsche Resultat mit Rang zehn ab.

Brennauers Erfolg war, ähnlich wie der im Teamzeitfahren mit Specialized-lululemon am Sonntag, ein Produkt perfekter Vorbereitung. Die Deutsche wusste genau, worauf es ankommen würde, und zog ihr Rennen exakt nach ihrer Taktik durch, ohne sich verrückt machen zu lassen, weil sie an den Zwischenzeiten etwas zurücklag. „Sie hat sich sehr gut unter Kontrolle und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, wie man ja heute gesehen hat“, charakterisierte deshalb auch Kröger ihre Landsfrau. 

Brennauers Plan war, sich auf keinen Fall vor dem zwei Kilometer langen Anstieg im Finale des Zeitfahrens zu sehr zu verausgaben. „Mir war klar, dass das Rennen auf den letzten fünf Kilometern entschieden wird und man in den zwei Kilometer langen Berg nicht zu schnell reinfahren durfte“, erklärte sie später. „Wir haben einen Trainings-Wettkampf gefahren und da habe ich gemerkt, dass man sonst oben zu langsam wird. Deshalb habe ich exakt bis zur Vier-Kilometer-Marke gewartet, um dann wirklich alles zu geben. Für mich war das Ziel quasi oben auf dem Berg.“ 

Die Taktik ging auf, denn während am Fuß des Anstiegs noch Solovey vorne lag, gab die GPS-Zeitmessung oben auf einmal mehr als zehn Sekunden Vorsprung für die Deutsche aus, die anschließend dann auch noch von ihren Beobachtungen aus dem Junioren-Zeitfahren am Morgen profitierte: „Ich habe mir das Rennen heute früh angeschaut und gesehen, wie die Jungs die Schlüsselstellen fahren. Zum Beispiel habe ich an einem Kreisverkehr, an dem ich eigentlich umgreifen wollte, gesehen, dass sie im Auflieger gefahren sind. Deshalb habe ich das dann auch gemacht.“ 

Ob Tony Martin sich Brennauers Fahrt angeschaut hat, um davon auch noch etwas zu lernen, ist nicht bekannt. Sicher ist allerdings, dass der dreimalige Weltmeister nun unter Zugzwang steht: Nach zwei Gold-Medaillen für den BDR am Dienstag muss er am Mittwoch nachlegen. „Tony, streng‘ Dich an!“, sagte die überglückliche Weltmeisterin deshalb lachend.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

19.03.2015Ponferrada hat nach der WM mit dickem Minus zu kämpfen

(rsn) – So gut die Straßen-Weltmeisterschaften im vergangenen September für den Bund Deutscher Radfahrer verlaufen sind, und so reibungslos in Ponferrada alles für die Medienvertreter und Zuschau

23.10.2014Verdienstkreuz in Gold für Weltmeister Kwiatkowski

(rsn) – Nach Rafal Majkas beiden Etappensiegen bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt und Michal Kwiatkowskis Sensations-Coup bei der Straßenweltmeisterschaft ist der polnische Radsport, der bi

12.10.2014Kwiatkowksi präsentierte sich in Torun seinen Fans

(rsn) – Für Michal Kwiatkowski ist die Saison 2014 zu Ende. Bevor der Straßenweltmeister in die verdiente Renn- und Trainingspause ging, zeigte er sich seinen Fans am vergangenen Sonntag im Regenb

10.10.2014Herklotz wehrt sich gegen Grabschs Kritik

(rsn) – Während mit Sprinter Phil Bauhaus (zu Bora Argon 18) einer der beiden Kapitäne das Team Stölting in Richtung zweite Liga verlässt, bleibt mit Rundfahrer Silvio Herklotz die andere wichti

30.09.2014Millar: In Ponferrada schloss sich der Kreis

(rsn) - David Millar hat am Sonntag im WM-Straßenrennen von Ponferrada seinen Abschied vom Profiradsport gegeben. Der 37 Jahre alte Schotte, der noch einmal für das britische Team nominiert worden w

30.09.2014Martin: „Kwiatkowskis Titel beste Alternative zu deutschem Sieg"

(rsn) – Nach dem WM-Straßenrennen von Ponferrada hat Tony Martin eine positive Saisonbilanz gezogen. „Insgesamt bin ich zufrieden, auch wenn ich das Zeitfahrergebnis bei der WM dabei ein bisschen

30.09.2014Kwiatkowski interessierte nur die Goldmedaille

(rsn) - Dass Patrick Lefevere ein Näschen für Radsport-Talente wie kaum anderer hat, ist hinlänglich bekannt. Der belgische Teammanager weiß, wie man mit den Champions der Zukunft umgehen und

29.09.2014Cancellara jagt weiter dem Regenbogentrikot hinterher

(rsn) – Fabian Cancellara jagt weiter seinem ersten Weltmeistertitel auf der Straße hinterher. Der Schweizer, als einer der Gold-Kandidaten in das 254,8 Kilometer lange Straßenrennen von Ponferrad

29.09.2014BDR-Nachwuchs verspricht eine goldene Zukunft

Ponferrada (dpa/rsn) - Rudolf Scharping soll sich fast täglich von China aus per Telefon nach dem Rechten erkundigt haben. Die Nachrichten von der Straßen-WM in Ponferrada dürften den BDR-Präsiden

29.09.2014Kwiatkowski vergoldet in Ponferrada die Gala seines Teams

(rsn) – Michal Kwiatkowksi ist nicht nur der erste Pole, der in einem WM-Straßenrennen der Profis das Regenbogentrikot erobert hat. Mit seinen 24 Jahren ist der Teamkollege von Tony Martin ist der

28.09.2014Kwiatkowski ließ sich in Ponferrada auf keine Spielchen ein

(rsn) - Auf diesen Tag haben die polnischen Fans lange warten müssen. Vor 25 Jahren sicherte sich Joachim Halupczok im französischen Chambery das Regenbogentrikot des Amateur-Weltmeisters. Am

28.09.2014Mehrere Verletzte bei Autounfall im WM-Straßenrennen

(rsn) - Bei einem schweren Unfall im WM-Straßenrennen sind am Sonntag mehrere Personen verletzt worden. Auf einer der regennassen Abfahrten prallte der Begleitwagen des norwegischen Teams gegen einen

Weitere Radsportnachrichten

27.04.2024Huys saust im Zeitfahren allen davon

(rsn) – So schnell wie Tabea Huys (Maxx Solar Rose Women Racing) war noch nie eine Athletin auf dem 13,5 Kilometer langen Zeitfahrparcours der Gracia-Rundfahrt in der Tschechischen Republik. Seit 20

27.04.2024Königsetappe in der Romandie geht an Carapaz

(rsn) – Lange blieb es auf der Königsetappe der Tour de Romandie (2.UWT) ruhig, doch das letzte Drittel des Schlussanstieges reichte aus, um die Gesamtwertung nochmal ordentlich durchzuwirbeln. Und

27.04.2024“Alles in trockenen Tüchern“: Dorn hat Rot und Weiß sicher

(rsn) - Einen Tag vor Rundfahrtende hat Vinzent Dorn (Bike Aid) freudige Gewissheit. Nach dem Bergtrikot ist dem Freiburger bei der Tour of Turkiye (2.Pro) auch das Weiße Trikot der Zwischensprintwe

27.04.2024Andresen sprintet zum Tageserfolg in Izmir

(rsn) - Der Däne Tobias Lund Andresen feiert auf der 7. Etappe der 59. Tour of Türkiye seinen zweiten Sieg in wenigen Tagen und gleich den fünften für sein Team DSM Firmenich - PostNL bei der aktu

27.04.2024Reusser zurück im Feld und am Weg zu Olympia

(rsn) - Knapp ein Monat ist seit dem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt vergangen, der für die 32-jährige Marlen Reusser (SD Worx - Protime) schwere Folgen hatte. Ober- und Unterkiefer, die

27.04.2024Ein Klassikerfrühjahr 2025 mit Evenepoel?

(rsn) – Mit Lüttich-Bastogne-Lüttich hat Remco Evenepoel (Soudal – Quick Step) schon eines der fünf Monumente abgehakt, auch die Lombardei-Rundfahrt liegt dem jungen Belgier gut. Im nächsten J

26.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

26.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Tour de Romandie

(rsn) – Brandon McNulty (UAE Team Emirates) hat das Einzelzeitfahren der 77. Tour de Romandie gewonnen. Der US-Meister in dieser Disziplin benötigte für den 15,5 Kilometer langen Parcours rund um

26.04.2024Helferrolle bei der Vuelta: Vorjahresfünfte Bauernfeind kränkelt

(rsn) – Im vergangenen Jahr hat eine Deutsche bei der Vuelta Espana Femenina die Weltspitze überrascht und ist bei den Bergankünften am Mirador de Penas Llanas und an den Lagos de Covadonga mit de

26.04.2024Teutenberg büßt Führung ein, peilt nun aber Gesamtwertung an

(rsn) - Auf der 2. Etappe der Tour de Bretagne (2.2) hat Tim Torn Teutenberg (Lidl - Trek Future Racing) das hellgrüne Trikot des Gesamtführenden abgeben müssen. Der 21-Jährige aus Mettmann, der

26.04.2024Bike Aid nach Türkei-Königsetappe “etwas enttäuscht“

(rsn) - Aufgrund der starken Leistungen an den ersten fünf Tagen und der guten Ausgangssituation für die Kletterer im Team ging Bike Aid optimistisch in die Königsetappe der Türkei-Rundfahrt (2.P

26.04.2024McNulty gewinnt Zeitfahren, Teamkollege Ayuso holt Gelb

(rsn) – 142 Fahrer lang musste Brandon McNulty (UAE Team Emirates) warten, ehe er endgültige Gewissheit darüber hatte, dass ihm seine 20:06 Minuten für das 15,5 Kilometer lange Zeitfahren auf der

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Tour de Romandie (2.UWT, SUI)
  • Radrennen Männer

  • Gracia Orlová (2.2, CZE)
  • Tour de Bretagne (2.2, FRA)
  • Tour of the Gila (2.2, USA)