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27.05.2014 | (rsn) - Fliegengewicht Nairo Quintana (Movistar) hatte auf der Königsetappe des 97. Giro d`Italia das dickste Pfund drauf. Der 24 Jahre alte Kolumbianer übernahm als souveräner Gewinner des 139 Kilometer langen Abschnitts von Ponte de Legno zum Martelltal (Val Martello) die Führung in der Gesamtwertung und löste seinen Landsmann Rigoberto Uran (Omega Pharma - Quick-Step) als Träger des Rosa Trikots ab.
„Das macht mich zuversichtlich, und bestätigt mir, dass ich jetzt und in der Zukunft große Ziele erreichen kann. Ich widme diesen Sieg meinem Team, denn ihm verdanke ich, dass ich heute gewonnen habe“, sagte Quintana in einer ersten Reaktion.
Bei der spektakulären Jagd über die beiden Alpenpässe Gavia (2.618 Meter) und Stilfserjoch (2.758), die erstmals in der Giro-Geschichte gemeinsam im Verlauf einer Etappe gemeistert werden mussten, lieferte Quintana bei Regen, Schnee und Temperaturen nahe dem Nullpunkt eine überragende Vorstellung ab, die er mit dem Etappensieg krönte, den er mit acht Sekunden Vorsprung auf den Giro-Gewinner von 2012, den Kanadier Ryder Hesjedal (Garmin-Sharp), errang.
Der drittplatzierte Franzose Pierre Rolland (Europcar) hatte 1:13 Minuten Rückstand. Die weiteren der Favoriten lagen deutlich mehr als drei Minuten zurück, Uran und der bisherige Gesamtzweite Cadel Evans (BMC) hatten sogar jeweils über vier Minuten Rückstand auf Quintana.
Der Zweite der Tour de France 2013 hat im Kampf um den Gesamtsieg nun die allerbesten Karten, zumal Uran auf Platz zwei bereits 1:41 Minuten Rückstand aufholen müsste. Damit ist angesichts von Quintanas heutiger Gala in den Alpen allerdings kaum zu rechnen.
Auf einer der schwersten Giro-Bergprüfungen der vergangenen Jahre mit insgesamt rund 60 Kilometern Steigung (rund 4.700 Höhenmeter) wurden die noch 167 im Rennen befindlichen Profis auf eine brutale Probe gestellt. Die 16. Etappe führte nämlich über die Alpenriesen Gavia, Stifserjoch bis zum Martelltal, wobei die äußeren Bedingungen phasenweise katastrophal waren. Den Anstieg zum Stilfserjoch flankierten in den höheren Gefilden meterhohe Schneewände, bei eiskalten Temperaturen waren die meisten Fahrer dick vermummt unterwegs. Erst gegen Ende besserten sich die Verhältnisse, und im Schlussanstieg kam sogar die Sonne aus den Wolken hervor.
Trotz aller Strapazen kamen 160 der 167 gestarteten Fahrern im Ziel an. Zu den ausgeschiedenen zählten die italienischen Altmeister Alessandro Petacchi (Omega Pharma - Quick-Step) und Michele Scarponi (Astana/Giro-Sieger von 2010) sowie der Fuldaer Bjorn Thurau (Europcar), der allerdings mit seinem Giro-Debüt zufrieden sein kann.
Lange passierte nichts am ersten Anstieg des Tages, dem 18 Kilometer langen Gavia, in den es schon fünf Kilometer nach dem Start hinein ging. Geschlossen fuhr das Feld im Dauerregen zwei Drittel des Berges hinauf, ehe der Kolumbianer Robinson Chalapud (Colombia) attackierte, dem seine Landsleute Julian Arredondo (Trek) und Jarlinson Pantano (Colombia) nachstiefelten. Die Bergwertung in 2.618 Metern sicherte sich Chalapud vor Arredondo, der damit weiter Punkte für sein Bergtrikot sammelte. In der Abfahrt vom mit Schnee bedeckten Gipfel fiel das Feld dann auseinander – mit Evans und dem gesundheitlich angeschlagenen Pozzovivo waren auch zwei der Favoriten darunter, die aber beide wieder den Anschluss fanden. <7p>
Im Anstieg zum Stilfserjoch fand sich dann eine neunköpfige Gruppe zusammen, wobei drei Teams jeweils gleich zwei Fahrer in der Spitze platzieren konnten, nämlich Androni-Giocattoli (Franco Pellizotti und Diego Rosa), Ag2R (Hubert Dupont und Alexis Vuillermoz) sowie Colombia (Robinson Chalapud und Jarlinson Pantano). Dazu kamen die drei Einzelkämpfer Dario Cataldo (Sky), Przemylsaw Niemiec (Lampre-Merida) und Robert Kiserlovski (Trek), wobei der Kroate als Neunter des Gesamtklassements, 5:44 Minuten hinter Uran, eine echte Gefahr für alle Favoriten war. Und auch Pellizotti (15./+11:02 Minuten) befand sich in Schlagdistanz zumindest zu den Top Ten.
Trotzdem nahmen zunächst lediglich Quintanas Helfer die Last der Verfolgung auf ihre Schultern, und zwar in fast voller Mannschaftsstärke. Im oberen Teil des 21 Kilometer langen Anstieges hinauf zum höchsten Punkt dieses Giro stieß der Franzose Alexandre Geniez (FDJ.fr) zur Spitze vor, die ihrerseits aber lediglich 1:45 Minuten Vorsprung auf das noch knapp 50 Fahrer starke Feld hatte, in dem mittlerweile Tinkoff-Saxo mit gleich vier Mann für das Tempo sorgte.
Kurz vor dem Zusammenschluss ließ Cataldo im oberen Teil des Berges – wo sich der Regen in Schnee gewandelt hatte - mit einem trockenen Antritt seine Begleiter stehen und überquerte als erster den Gipfel, womit er sich 40 Punkte und die Cima Coppi sicherte. Dahinter folgten Chalapud und Dupont, mit knapp zwei Minuten Rückstand kam das Feld zur Bergwertung. Bei eisigen Temperarturen stoppten zahlreiche Profis, um sich vor der Bergabfahrt noch in warme Kleidung einzuhüllen.
Dort baute der verwegen fahrende Cataldo seinen Vorsprung sowohl auf die ersten Verfolger als auch auf die Favoritengruppe beständig aus. Interessanter war aber, was hinter dem Italiener passierte, denn in der langen Abfahrt musste Uran zwei seiner gefährlichsten Rivalen ziehen lassen. Quintana und Rolland lösten sich gemeinsam mit ihren Helfern Gorka Izaguirre (Movistar) und Romain Sicard (Europcar) sowie mit Hesjedal und dem Italiener Matteo Rabottini (Neri Sottoli) aus der Gruppe um das Rosa Trikot und schlossen im Flachstück kurz vor Beginn des Schlussanstiegs zu Chalapud, Pantano und Dupont auf.
Damit geriet Omega Pharma-Quick Step unter Druck und erhielt in der Verfolgung Hilfe von Tinkoff-Saxo und Astana. Dagegen sorgte in der Quintana-Gruppe nur Izagirre für Tempo, wogegen das Ag2R-Duo alles versuchte, den Rhythmus zu brechen. Rolland, dessen Helfer Sicard bereits zurückgefallen war, und Hesjedal hielten sich ebenfalls zurück, dafür sprang Pantano seinem Landsmann Quintana bei.
Am Fuß des 22,3 Kilometer langen Schlussanstiegs ins Martelltal hinein hatte Cataldo noch eine gute Minute Vorsprung auf die ersten Verfolger. Die wiederum lagen knapp zwei Minuten vor der Uran-Gruppe, die noch aus elf Fahrern bestand, darunter auch Rafal Majka (Tinkoff-Saxco), Fabio Aru (Astana) Evans, Pozzovivo und der erneut starke Wilco Kelderman (Belkin). Uran und Evans waren ohne Helfer, wogegen Majka noch Rogers und Aru den Spanier Mikel Landa an seiner Seite hatte, Pozzovivo konnte sogar auf die Unterstützung von Dupont und Vuillermoz bauen.
18 Kilometer vor dem Ziel schlossen Quintana, Rolland und Hesjedal zu Cataldo auf und schüttelten den Sky-Profi schnell ab. Und die Verfolger kamen einfach nicht näher an das Spitzentrio heran – im Gegenteil: Obwohl Rolland und Hesjedal nicht in der Lage waren, Quintana in der Tempoarbeit beizustehen, wuchs der Vorsprung immer weiter an, bis auf 2:40 Minuten gut sieben Kilometer vor dem Ziel. Das war der Zeitpunkt, an dem Quintana seinem Landsmann das Rosa Trikot abgenommen hatte.
Doch damit gab sich der Movistar-Kapitän nicht zufrieden. Quintana nutzte eine steile Passage zu einer Attacke gegen seine beiden Begleiter, die große Mühe hatten, ihm zu folgen. In einem weiteren Steilstück setzte der kleine Kolumbianer sich erneut ab, und hier hatte Rolland nichts entgegenzusetzen, wogegen der 33-jährige Hesjedal erst an dem 14 Prozent steilen letzten Kilometer nicht mehr folgen konnte, sich aber knapp hinter Quintana doch noch den zweiten Platz sicherte vor Rolland, der im Finale noch mehr als eine Minute einbüßte.
Davon konnte Uran nur träumen. Stattdessen musste der längst entthronte Gesamtführende auf den letzten Kilometern zunächst Kelderman und dann auch noch Pozzovivo, Aru und Majka ziehen lassen. Uran überquerte schließlich 4:11 Minuten hinter Quintana als Etappenneunter an der Seite seines Landsmanns Sebastian Henao (Sky) den Zielstrich. Der 23-jährige Kelderman belohnte sich mit Rang vier, knapp vor den beiden Italienern und dem 24-jährigen Polen, der im Gesamtklassement auf Rang fünf (+3:28) zurückfiel, noch hinter Evans (3./+3:21) und Rolland (4./+3:26).
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