Neueste Vorwürfe: Missbrauch von Minderjährigen

Polnischer Radsport wird durch Skandale erschüttert

Von Wolfgang Brylla

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Das polnische Team im WM-Straßenrennen von 2014, das Michal Kwiatkowski gewann. Derzeit wird der polnische Radsport von einer ganzen Reihe von Skandalen erschüttert. | Foto: Cor Vos

01.12.2017  |  (rsn) - Derzeit hat der polnische Radsport weltweit schlechte Presse. Im Zusammenhang mit einem Sex-Skandal, in den ein bekannter Funktionär verwickelt sein soll, ist der nationale Radsportverband in die Schlagzeilen geraten. Aber nicht nur wegen des Missbrauchsverdachts, der immer noch offiziell nicht bestätigt worden ist, wurde der Ruf des Verbands massiv beschädigt. Der Vorwurf der sexuellen Nötigung von Rennfahrerinnen, darunter auch minderjährigen, brachte das Fass aber zum Ãœberlaufen.

Als im Dezember 2016 auf einer Versammlung des nationalen Verbands Dariusz Banaszek zum neuen Präsidenten gewählt wurde und somit in die Nachfolge von Waclaw Skarul trat, reagierten die meisten Radsport-Medien und Fans auf diese Nachricht eher distanziert. Banaszek, der früher selbst Rennen fuhr, später einige erfolgreiche Unternehmen leitete und, bevor er Sportlicher Leiter beim polnischen Zweitdivisionär ActiveJet wurde, auch ein eigenes Team hatte (den Drittdivisionär BDC), war für sein loses Mundwerk bekannt. Deshalb war er nicht bei allen beliebt.

Trotzdem hegte man die Hoffnung, dass mit einem neuen Steuermann die schlechte finanzielle Lage des Verbandes, der seine infolge des Radrennbahnbaues entstandenen Schulden in Höhe von rund zwei Millionen Euro noch nicht zurückzahlen konnte, verbessert würde.

Banaszeks erste Zeit als wichtigster Mann im polnischen Radsport verlief auch vielversprechend. Vom Sportministerium erhielt der Verband für das Jahr 2017 eine Unterstützung von über drei Millionen Euro, dazu wurden noch zwei weitere Sponsorenverträge unterschrieben. Zuerst holte man mit 600.000 Euro den größten Ölkonzern Mitteleuropas, die mit staatlichem Kapital agierende Firma PKN Orlen, ins Boot. Mit dem Sportkleidungunternehmen 4F, das auch die polnische Olympiamannschaft ausrüstet, sicherte man sich einen anderen großen Player als Partner. Außerdem konnte Banaszek auf einen Zuschuss von ungefähr 350.000 Euro vom Schuhdiscounter CCC rechnen, der selbst ein Pro-Conti-Team sponsert und seit 2011 den Verband mehrmals aus einer ökonomischen Krise heraus half.

Banaszek hatte somit 4,5 Millionen Euro zur Verfügung. Alles deutete darauf hin, dass man mit einem neugewählten Vorstand in der Lage sein würde, den Verband finanziell aus der Klemme zu führen. Statt sich jedoch auf diese relevanten Aufgabefelder zu konzentrieren, muss sich der ganze Bund nun einem noch größeren Problem stellen, mit dem sich seit zwei Wochen fast alle beschäftigen. Es gibt keinen Tag, der keine Neuigkeiten bringen würde, die die Gerüchteküche einmal mehr befeuern. Was ist passiert?

Begonnen hat das ganze Durcheinander mit den Entlassungen des Sportlichen Direktors Andrzej Piatek, dem Bahnfahrer-Trainer Andrzej Tolamonow und dem U23-Trainer Marek Lesniewski. Ohne Gründe zu nennen, wurde dem Trio gekündigt. Schnell zeigte sich, dass Tolamonow keinen gültigen Vertrag mit dem Verband besaß, obwohl er ein monatliches Gehalt bezog. Die Überraschung war umso größer, als schon zu Jahresanfang Banaszek ankündigte, eine externe Beraterfirma mit einem Audit zu beauftragen, das die vorherigen Verbandsleitungen durchleuchten sollte. Mit anderen Worten: Banaszek wollte die Schuldigen für die fatale Situation ausfindig machen und bestrafen.

Man munkelte, dass die Suspendierungen von Piatek, Lesniewski und Tolamonow mit eben dieser Untersuchung in Verbindung stehen würden. Ein offizielles Statement von seiten Banaszeks fehlte aber immer noch. Während der Straßenweltmeisterschaften in Norwegen auf diesen Umstand angesprochen, reagierte er in einem Interview genervt und gab bekannt, kurz nach der Rückkehr auf einer Pressekonferenz die Hintergründe für die Vorgehensweise des Verbandes vorzustellen. Die Pressekonferenz wurde bis heute nicht anberaumt.

Im Oktober zog sich die CCC-Firma mit deren Generalchef Dariusz Milek aus der langjährigen Partnerschaft zurück, weil sie, so die Begründung, „das Vertrauen in den Vorstand“ verloren habe. Einige Vorstandsmitglieder meldeten sich in der Presse zu Wort und bezeichneten Banaszek als das größte Übel des polnischen Radsports. Vor allem kritisierte man Banaszeks Alleingang, mit dem er sich in der Socialmedia-Welt brüstete, im nächsten Jahr die Bahnweltmeisterschaften nach Pruszkow zu holen, was den schon klammen Verbandshaushalt noch weiter belasten würde.

Die beiden Vizepräsidenten – Piotr Kosmala und Adam Wadecki -, die vor einem Jahr Banaszek noch unterstützten, traten zurück. Wojciech Walkiewicz, ehemaliger Präsident der Europäischen Radsportverbands und Vorsitzender des Polnischen Verbands, der für den Schuldenberg verantwortlich ist, bezichtigte Banaszek der Trunkenheit und Völlerei. Nach solchen Beschuldigungen musste das Sportministerium eingreifen, zumal es schon seit längerem damit liebäugelte, eine finazielle Kontrolle über den Verband einzuführen, um die Ausgaben unter Kontrolle zu haben.

Schließlich wurde die Auszahlung der letzten Geldtranche gestoppt. Sportminister Witold Banka forderte sogar den Rücktritt des kompletten Vorstands und Neuwahlen. Für den 22. Dezember wurde eine außerordentliche Sitzung einberufen, auf der man über die Zukunft des Vorstandes entscheiden wird. Um an den Machthebeln zu bleiben, reicht es Banaszek, wenn die Hälfte der Funktionäre abstimmt und davon ein Drittel für ihn votiert. Sich selbst vom Amt zu verabschieden, dies schwebt ihm wohl nicht vor.

In der Zwischenzeit hat sich die Lage jedoch weiter zugespitzt. Kosmala machte publik, dass die Ergebnisse der Ermittlungen, die Banaszek abgebrochen hatte, erschütternd sind. Der Audit soll offenbart haben, dass nämlich einer der Verbandsfunktionäre, „eine wichtige Persönlichkeit in der Radsport-Welt“, in der Vergangenheit sich sexueller Übergriffe an seinen Schützlingen, darunter auch Minderjährigen, schuldig gemacht haben soll. Namen wurden nicht genannt, weshalb Banaszek die Untersuchung frühzeitig beendete, ist auch unklar.

Banaszek selbst gab in einem Gespräch mit einer polnischen Boulevardzeitung zu, dass die Sex-Affäre die nicht mehr existierende MTB-Frauenmannschaft CCC betreffe, für den Audit soll Milek bezahlt haben. Der Ergebnisbericht soll im Hauptsitz des Konzerns nur Kosmala und Adam Wadecki, dem Bruder des Nationaltrainers und dem Manager von CCC Sprandi Piotr Wadecki, vorgetragen worden sein. In einem anderen Interview für sport.pl sagte Banaszek, dass er nie geahnt hätte, dass die interne Fahndung solche Nachrichten ans Licht bringen würde. Er übte auch Kritik am Verhalten von Kosmala, der den ganzen Skandal medial hochschaukele.

„Dieses Interview von Kosmala ist für mich eine Katastrophe. Mit der ganzen Sache befasst sich schon die Staatsanwaltschaft. Die Ermittler waren vor einigen Tagen beim Sportminister. Nichts wurde unter den Teppich gekehrt. Die Frauen wollten nur, dass dieser Mann niemandem mehr Leiden zufügt. Sie wollten aber nicht, dass ganz Polen über diese Ereignisse in einem Interview liest. Meiner Meinung nach war es ein Bruch der Vereinbarung mit diesen Frauen“, erklärte Banaszek.

Den Geldhahn haben mittlerweile auch PKN Orlen und 4F zugedreht. Der polnische Radsportverband hat einen riesiegen Imageschaden zu verkraften und steht vor dem Nichts.

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