Paddis Tour-Blog / 11. Juli

Epische Bilder auf über 2000 Meter Höhe

Von Sebastian Paddags

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Sebastian Paddags | Foto: Sebastian Paddags

11.07.2016  |  (rsn) - Sonntag, 10:45 Uhr. Ein mittelgroßes Örtchen unweit der französischen Grenze im Süden platzt aus allen Nähten und ringsherum grüßen die grünen Gipfel der Pyrenäen aus der Ferne. Knapp 1,25 Stunden bis zum Start, die Tour ist in Spanien angekommen.

Bereits jetzt ballert die Sonne, als gäbe es kein Morgen mehr und gefühlte 35 Grad im Village du Tour stehen sinnbildlich für das, was die Fahrer wohl heute erwarten wird: Einen mehr als heißen Ritt durch die Pyrenäen - ein Spektakel der allerhöchsten Güte, eine Fahrt auf den Gipfel des Daseins. Eine Etappe, auf der Helden geboren werden und wie sich später herausstellen wird auch eine Etappe, die einen der größten Helden in die Knie zwingt. Welcome to Stage 9 of the Tour de France 2016.

Ich bin heute wieder komplett auf der Strecke unterwegs und werde jeden einzelnen der 184,5 Kilometer bereits vor den Profis unter die Räder nehmen dürfen, im Auto versteht sich! Wir haben diesmal verhältnismäßig viel Besuch bei Tissot und sind daher gleich mit 5 Fahrzeugen unterwegs.

Am Start fällt auf, dass alle Teams vor ihren Bussen die Rollen aufgebaut haben und dass diesmal sogar einige Fahrer mit dem Rad anreisen. Normalerweise kommen alle Fahrer in den Bussen an und das ganze wird dann in etwa so zelebriert wie der Einlauf der Gladiatoren in das Colosseum im alten Rom. Dass dies heute anders ist und sich warmgefahren wird, ist dem Fakt geschuldet, dass es die ersten 20 Kilometer des Tages direkt ordentlich bergauf geht - da will und kann natürlich niemand ein unnötiges Risiko eingehen. Die Jungs für die Gesamtwertung können es nicht, da man nie weiß, ob vielleicht einer der Mitfavoriten bereits am ersten Anstieg eine Attacke bringt und man dann unnötig in Stress gerät, weil man nicht mitfahren kann.

Und die Sprinter bzw. alle anderen können es auch nicht, da es wohl der absolute Worstcase wäre, wenn sie dich auf einer solchen Etappe bereits am ersten Anstieg abhängen und Du dann mindestens 165 Kilometer lang alleine mit dir, deinem Rad, blöden Gedanken und den nicht enden wollenden Straßen der spanischen Provinz wärst. Da wirst du bekloppt. Und wenn es ganz dumm kommt wahrscheinlich sogar noch so, dass du das Gruppetto den ganzen Tag lang siehst, es aber trotzdem nie einholen kannst, weil dir der letzte Punch fehlt - logisch, denn sonst wärste ja nicht abgehangen.

Letztere Schilderung dürfte übrigens so in etwa auch Wagis Gedankengänge am Vorabend widerspiegeln, denn zumindest hörte ich das bei ihm zwischen den Zeilen heraus. Allerdings glaube ich, er muss sich keine Sorgen machen - auch wenn es dennoch natürlich sau hart ist jeden Tag.

Da ich die gestrige Etappe ja nur aus dem Hotel verfolgen konnte, war ich sehr gespannt auf den heutigen Tag und freute mich auf das bunte Treiben. Bereits auf dem Weg zum Start musste ich feststellen, dass die Pyrenäen bei diesem Traumwetter eine wahnsinnig schöne Gegend darstellen und ich fragte mich, wieso ich die Ecke hier bislang noch nie auf meiner persönlichen Landkarte im Kopf markiert hatte. Und ich sage euch eins: es wurde den kompletten Tag über nicht unbedingt weniger schön! Wer die Etappe im Fernsehen gesehen, weiß sicherlich, wovon ich spreche.

Wir wollten grade aufbrechen aus dem Village, da traf ich heute überraschender Weise noch Matze vom Team Katusha. Wir kennen uns noch aus meiner Zeit in Cottbus und er sorgt bei seinem Team für alles, was mit den Hotels usw. zu tun hat. Eine sehr wichtige Aufgabe also, da die Fahrer nach dem Rennen natürlich so wenig Stress wie möglich haben sollen und sich dann freuen, wenn in ihrem Zimmer bereits die Koffer und etwas zu essen warten. Da er immer im Hotels abhängt, haben wir uns bislang auch noch nicht getroffen - er war einfach noch nie am Start. Ich hab mich echt gefreut, ihn zu sehen und witziger Weise ist er also der nächste, den ich hier im großen Tourtross kenne. Die Welt ist echt ein Dorf.

Während unserer Fahrt über den Kurs ist mir übrigens aufgefallen, dass es fast ausschließlich über große und breite Straßen ging, selbst in den Anstiegen. Dies ist dann doch ganz anders, als ich dachte und wird sich sicherlich in den Alpen wohl noch deutlich ändern. Unsere kleine Karawane bahnte sich also ihren Weg in Richtung Andorra und ich wäre teilweise wirklich gerne abseits der Straßen in einen der vielen Seen oder Bäche gesprungen oder hätte einer der vielen Abfahrten mit dem Rad absolviert. Es war so ein super Wetter, dass selbst auf über 2000m noch knapp 30 Grad herrschten.

Nach dem obligatorischen Picknick und vielen vielen Höhenmetern kamen wir dann irgendwann in Andorra an. Hier wartete der Helikopterrundflug auf die Gäste - und heute fand der auch ordnungsgemäß statt. Der Hubschrauber-Startplatz befand sich interessanter Weise direkt neben der Sprintwertung des Tages und während wir dort kurz warteten, überlegte ich mir, wer eigentlich auf die Idee gekommen sein kann, diese Sprintwertung genau dort stattfinden zu lassen. Nach 138Km und auf knapp 1000 Metern Höhe. Ich musste eine Weile nachdenken, um einen passenden Vergleich zu finden und legte mich dann auf den hier fest: Die Sprintwertung an dieser Stelle des Rennens ist ungefähr so sinnvoll wie ein FKK-Strand in Dubai. Was meint ihr dazu?

Ab der Ankunft in Andorra führten die Straßen dann eigentlich tendenziell nur noch aufwärts und ich bereitete mich innerlich schon auf das große Finale am Schlussanstieg vor. Allerdings fand ich persönlich den vorletzten Berg dann doch um Längen härter, um nicht sogar zu sagen unfassbar krass. Der Col de Beixalis war teilweise so steil, dass ich da selbst mit dem Auto ordentlich zu tun hatte. Mein lieber Scholli! Wenn ich mir überlege, dass die Jungs da nach 150 Km hoch mussten, bin ich einmal mehr froh, dass ich mir das nicht mehr geben muss. Leider habe ich die Fahrer dort nicht live sehen können - aber es war sicher mehr als spektakulär!

Nun will ich natürlich den Schlussanstieg nicht verharmlosen, zumal das Ding auf 2240m hochführte - allerdings erhebt der sich eben spürbar gleichmäßiger und nicht ganz so steil. Wir kamen mit den Autos grade oben an und begaben uns zum Ziel, als dann dieser sagenhafte Wolkenbruch losging. ich sage Euch: das hat gehagelt und gedonnert da oben und es kamen Sturzbäche den Hang hinunter, da würde so manch einer noch nicht mal die Tür aufmachen, wenn es klingelt. Wir hatten glücklicher Weise ja den „Tourmalet-Bereich“ als Unterschlupf zur Verfügung und bleiben somit halbwegs trocken. Die vielen „normalen“ Zuschauer jedoch hat es natürlich voll erwischt und ich behaupte, die haben in dem Moment mehr unter dem Wetter gelitten als die Rennfahrer. Zusammengekauert unter Plastetüten oder Handtüchern versuchten sie zu retten, was zu retten war...

Epische Bilder waren es also da oben auf über 2000 Metern Höhe und ich fühlte mich in diesem ganzen Trubel plötzlich wahnsinnig geehrt. Geehrt, dass ich diesen Moment, in dem heroische Sportler inmitten dieser atemberaubenden Landschaft den Elementen trotzten und sich mit Schmerzen in den Beinen und Lungen unaufhaltsam ihren Weg in Richtung Ziel bahnten. Festentschlossene Gesichter, eiserner Wille und Pedalumdrehung für Pedalumdrehung den ohrenbetäubenden Lärm der Fans im Ohr. Das ist Radsport, das ist die Tour, das ist so ein Moment, den man sicherlich lange in der eigenen Erinnerung behalten wird.

Dafür bin ich heute dankbar.

Euer Paddi-avec-i

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