Düragers Algerien-Tagebuch

„But he only works at night“

Von Alex Dürager

Foto zu dem Text "„But he only works at night“"
Alex Dürager und seine Teamkollegen bei der Tour de Blida | Foto: Dürager

12.03.2016  |  (rsn) – Heute (Freitag) stand eine Bergetappe am Programm und somit waren meine Erfolgsaussichten eher begrenzt. Flache Anfahrt, ein 18 Kilometer langer Berg und dann wieder relativ flach zurück ins Ziel. Die taktische Option für mich war, anfangs versuchen in eine Gruppe zu kommen, dann bergauf kämpfen, um den Rückstand möglichst gering zu halten, anschließend eine gut rollende Gruppe zu finden und mit der Vollgas Richtung Ziel. Wird vorne das Tempo rausgenommen, bietet sich vielleicht die Chance, wieder ranzukommen und im Finale dann mitzumischen.

Doch zunächst stand erst mal auf der Kippe, ob heute überhaupt gefahren werden sollte. Denn infernalischer Regen, Donner und Hagel fegten vom Himmel und die Fahrer hatten arge Bedenken wegen der Straßenverhältnisse, insbesondere auf der angeblich gefährlichen Abfahrt.

Nach längerem Hin und Her hatten sich alle Fahrer eingeschrieben und wir rollten gemeinsam vom Hotel zum Start. Die ersten Kilometer aus der Stadt wurden im neutralisierten Modus gefahren - und dann lichtete sich auch der Himmel über uns. Schnell Jacke und Handschuhe ausgezogen und schon folgte der scharfe Start.

Im Vergleich zu den letzten Tagen rollte das Feld relativ entspannt durch die Ebene und eine kleine Gruppe konnte sich absetzen. Je näher dann der Berg des Tages rückte, desto schneller und nervöser wurde das Feld. Wieder kam es zur Kante, mein Teamkollege Rupi nahm mich aber sehr gut aus dem Wind und so musste ich mich gar nicht erst in den hektischen Platz um die Positionen mischen. Die Gruppe wurde gestellt und neue Attacken folgten.

Ich konnte mich mit fünf Mann absetzen, schon nach kurzem war aber klar, dass die Gruppe überhaupt nicht harmonierte und die Jungs wohl auf das Feld warten würden. Dann ging es in ein Dorf, und drei Kurven später begann der lange Anstieg. Nach einigen hundert Metern schossen schon die ersten Jungs an mir vorbei, mit ordentlichem Druck am Pedal, da fühlt man sich doch kurzzeitig wie eine Verkehrsinsel. Vor allem Eritrea und Ruanda war hier vorne vertreten, oben an der Bergwertung machten diese beiden Mannschaften die Plätze eins bis neun unter sich aus.

Ich finde schnell in meinen Rhythmus und eine gute Gruppe. Nach der Bergwertung geht’s dann in eine rasante Abfahrt, mit 75km/h vorbei an einem mit einer Steinschleuder auf uns zielendem Kind, hinein in ein quirliges Dorf und dann hinaus in die Ebene. Meine Gruppe schließt dann zur Gruppe meiner beiden Teamkollegen Daniel und Christian auf und wir können ein hohes und gleichmäßiges Tempo Richtung Ziel fahren. Auf die Spitze reicht es jedoch nicht mehr und so müssen wir uns mit Platz 26 und 28 für Daniel und mich zufriedengeben.

Beim Relaxen in der Hotellobby nach dem Rennen kommen wir mit Sam vom Syrischen Nationalteam ins Gespräch. Es war schon sehr überraschend für uns, ein Team aus Syrien am Start zu sehen. Sam selbst studiert momentan in England, da seine Mutter dort Ärztin ist und spricht auch ausgezeichnetes Englisch. Vor drei Jahren verließ der mittlerweile 19-Jährige Aleppo und ging nach Ägypten, wo er für ein dortiges Nachwuchsteam fuhr. Wie die meisten von uns träumt auch er davon, in einem europäischen Profiteam unterzukommen. Vier seiner Teamkollegen wohnen in Damaskus, wo auch der Olympische Verband seinen Sitz hat.

Trotz der schwierigen Sicherheitslage arbeiten die Jungs hart an ihrem Traum, zum Training steht ihnen ein etwa 60 Kilometer langer Straßenstreifen zur Verfügung. Hier befindet sich die Militärgrenze zwischen der Assad- Regierung und der „Neuen Volksarmee“. 60 Kilometer hin, 60 Kilometer retour und das Tag für Tag. Einmal kam es zu Kampfhandlungen und sie mussten sich sechs Stunden auf den Straßenasphalt legen, bis die Schüsse wieder verstummten. Ein anderer Teamkollege wohnt in Aleppo, er trainiert ausschließlich im Radstadion.

Am ersten Tag erfuhren wir zu unserer skeptischen Verwunderung von Sam, alles sei normal in Syrien. Heute hören wir aber mehr. Die Definition von normal ist eine Andere. Sein Vater wohnt und arbeitet noch in Aleppo, am Ende seiner Wohnstraße ist ein Scharfschütze postiert „but he only works at night“ (Sam meint den Scharfschützen). Alltag und Wahnsinn sind sich hier sehr nahe, während in dem einen Stadtteil gekämpft wird, herrscht oft unweit davon Alltag.

Morgen dann die letzte und abschließende Etappe der Tour of Blida - mit einer Bergankunft.

Gute Nacht von den Denzel Jungs
Alex

Mehr Informationen zu diesem Thema

13.03.2016Ziel-Empfang bei der Österreichischen Botschafterin

(rsn) – So, und heute nochmal richtig! Der letzte Tag der Tour de Blida stand für uns im Zeichen der vollen Attacke. Strömender Regen, tiefe Temperaturen und am Ende eine Bergankunft lieferten de

11.03.2016Erfolgreicher Highspeed-Kampf um die Gruppe des Tages

(rsn) – Nach einem Ruhetag ging es heute mit der 1. Etappe der Tour of Blida (2.2) weiter. Wir sind nun wieder etwas weiter im Landesinneren, umringt von Bergen, auf denen auch noch der Schnee lieg

09.03.2016Mit schreienden Beinen aus dem letzten Hügel heraus

(rsn) - Mit dem Grand Prix d´Oran (1.2) stand heute (Dienstag) ein schnelles Rundstreckenrennen auf einer hügeligen Sechs-Kilometer-Runde in den Straßen von Oran auf dem Programm - wieder mit Vid

08.03.2016In Serpentinen dem Himmel entgegen

(rsn) - Puhh. Das war wieder richtig hart heute (Montag, d. Red.). Der letzte Tag und zugleich die Königsetappe der Tour d´Oran. zwei Berge und eine Bergankunft in Monte Christo oberhalb Algiers.

06.03.2016"Weißt du noch, damals auf der Windkante ..."

(rsn) - Was für ein epischer Tag heute in Algerien. Der Start im Zentrum von Oran, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurde noch im neutralisierten Modus hinter dem Auto des Rennleiters gefahren.

06.03.2016Ein guter Auftakt für unser Team!

(rsn) - Da der Tour-Tross heute weiterziehen sollte, hieß es für uns früh aufstehen. Um sechs Uhr klingelte bereits der Wecker. Nach dem Frühstück hieß es erst mal Kartons und Material schleppen

05.03.2016Rein ins Großstadtgetümmel von Algier

(rsn) - Heute (Freitag) ging es los mit dem ersten Rennen. Von der winterlichen Komfortzone, bei der man bei langen Trainingseinheiten durch die verschneite Landschaft von zukünftigen Erfolgen und

04.03.2016Grand Tour d´Algier: Erfahrungen und Top-Ten-Platzierungen sammeln

(rsn) – Hallo ich heiße Alex Dürager und fahre für das Österreichische Elite-Radteam Arbö Denzel Cliff aus Wien. Unser Kader umfasst insgesamt 14 Fahrer und ist ein Mix aus jungen Talenten und

Weitere Radsportnachrichten

04.06.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die w

04.06.2025Tritt Almeida bei der Tour de Suisse in die Fußstapfen von Yates?

(rsn) – Das am 8. Juni beginnende 77. Critérium du Dauphiné kann mit dem letztjährigen Tour-de-Franc-Podium Tadej PoGacar (UAE – Emirates- XRG), Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) und Re

04.06.2025Vingegaard: “Muss besser sein als vor zwei Jahren“

(rsn) – Sowohl im vergangenen Jahr als auch in dieser Saison wurde Jonas Vingegaards Vorbereitung auf die Tour de France durch Stürze kräftig aus dem Tritt gebracht. Doch konnte der Kapitän von V

04.06.2025Bauhaus kommt nicht mehr an Groenewegen vorbei

(rsn) - Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) hat zum Auftakt der 31. Slowenien-Rundfahrt (2.Pro) knapp seinen ersten Saisonsieg verpasst. Der 30-jährige Kölner musste sich auf der 1. Etappe über 168,

04.06.2025Kanter: “Das war mein bisher erfolgreichster Giro“

(rsn) – Nach seinem vierten Giro d’Italia gönnte sich Max Kanter noch einen Tag “Sightseeing“ in der “Ewigen Stadt“. Am Sonntag hatte der XDS-Astana-Sprinter in Rom auf der abschließende

03.06.2025Kudus gibt in Slowenien Comeback nach vier Monaten

(rsn) - Merhawi Kudus wird am Mittwoch bei der Tour of Slovenia (2.Pro) ins Peloton zurückkehren. Der Eritreer, der am 2. Februar beim Grand Prix La Marseillaise in einer Abfahrt schwer gestürzt war

03.06.2025Evenepoel-Coach sieht seinen Schützling stärker als vor einem Jahr

(rsn) – Remco Evenepoel ist Anfang Juni 2025 vor seinem Start beim Critérium du Dauphiné (2.UWT) am kommenden Sonntag besser in Form, als Anfang Juni 2024. Das hat sein Trainer Koen Pelgrim in ein

03.06.2025Belgien schickt komplette Delegation zur WM nach Ruanda

(rsn) - Der Belgische Radsportverband wird an den Straßen-Weltmeisterschaften vom 20. bis 29. September in Ruanda in allen Kategorien - von Junioren und Juniorinnen über die U23 bis zur Elite - teil

03.06.2025Bauhaus in Slowenien Road Captain und Sprinter zugleich

(rsn) –18 Tage nach seinem krankheitsbedingten Ausscheiden bei der Ungarn-Rundfahrt (2.Pro) kehrt Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) am Mittwoch ins Renngeschehen zurück und will bei der fünftägig

03.06.2025Groenewegen und Großschartner die Favoriten für Sprint und Berg

(rsn) – Mit der Tour of Slovenia (2.Pro) beginnt am Mittwoch die erste der verschiedenen ´Vorbereitungs-Rundfahrten´ für die Tour de France. Das fünftägige Event, das bislang Mitte Juni ausgetr

03.06.2025Jakobsen hofft nur noch ganz leise auf den Tour-Start

(rsn) – Fabio Jakobsen (Picnic – PostNL) ist seit knapp zwei Wochen wieder auf dem Rad unterwegs und trainiert – zuletzt auch auf Teneriffa. Doch ob der 28-jährigen Niederländer, der Ende Mär

03.06.2025Gee: “Toll, dass es noch viel Verbesserungspotential gibt“

(rsn) – Zwei Jahre nachdem er als Ausreißerkönig mit vier zweiten Etappenplätzen zum Shootingstar des Giro d´Italia 2023 geworden ist, hat Derek Gee (Israel – Premier Tech) bei seiner zweiten

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour du Cameroun (2.2, CMR)
  • Tour of Lithuania (2.2, LTU)
  • Ronde de l`Oise (2.2, FRA)
  • Tour of Malopolska (2.2, POL)
  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)
  • Tour of Slovenia (2.Pro, SLO)