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28.09.2015 | (rsn) - Die Weltmeisterschaften haben in Richmond Spuren hinterlassen und werden das Bild der Stadt noch einige Zeit prägen. Nicht nur, weil die entspannten Südstaatler keine Eile haben, die Absperrgitter, die ununterbrochen den ganzen 16,2 Kilometer langen Kurs entlang aufgestellt wurden, wegzuräumen. Nein, auch über die ersten Tage nach Peter Sagans Triumph in der Broad Street hinaus werden die Regenbogenfarben hier eine Rolle spielen.
Schließlich hatte sich die Stadt wunderbar schick gemacht - sei es durch Fahrräder in Schaufenstern, durch großflächige Graffitis in den UCI-Farben oder sogar in Sachen Mode: Cool designte T-Shirts, Sweatshirts und Baseball-Caps mit blau-rot-schwarz-gelb-grünen Streifen haben Hochkonjunktur in Virginia und werden sicher nicht sofort auf der Altkleidersammlung landen.
Es war über die gesamte WM-Woche hinweg beeindruckend, wie sich die Amerikaner mit einem Event identifizierten, von dem sie doch eigentlich überhaupt keine Ahnung hatten. „Are you here for 'The Bike Race'?", wurde man immer wieder gefragt, wenn man Menschen kennenlernte und erzählte, dass man aus Europa komme.
Dass „The Bike Race" in Wirklichkeit zwölf einzelne Rennen waren, überraschte nicht wenige, wenn man ihnen das System „Weltmeisterschaft" erklärte. Was Team Time Trial, Individual Time Trial und Road Race bedeuten sollten, wussten ohnehin die Allerwenigsten. „Kennt Ihr einen Eddy Merckx? Ist wohl ein ehemaliger Radfahrer. Der war jeden Tag hier zum essen", erklärte uns am Sonntagabend unser Kellner Alex in einem Restaurant direkt an der Strecke. Er machte große Augen, als wir antworteten, dass es sich bei diesem alten Mann um den erfolgreichsten Radrennfahrer der Geschichte handelte, etwa den Michael Jordan des Radsports.
„Radsport ist neu für uns. Wir kennen nur Lance Armstrong", erklärte an einem anderen Abend unser Taxifahrer Richard, was ohnehin offensichtlich war, und fügte dann hinzu: „Aber wenn man uns ein Event wie die Weltmeisterschaften gibt, dann sind wir Feuer und Flamme."
Und genau so war es. Die Amis begeisterten sich während der WM, vor der viele Angst hatten, weil sie nicht wussten, wie sie bei all den Straßensperren zur Arbeit kommen sollten, für den Radsport. Die Virginia Commonwealth University gab ihren Studenten gar die ganze Woche frei. Anstatt im Vorlesungssaal zu sitzen, wurden die Sportler frenetisch angefeuert - und zwar völlig unabhängig davon, ob es Stars waren, die vorbeifuhren, oder Underdogs. Viele erkannten sie ja ohnehin nicht.
Etwas enttäuscht waren die Einwohner von Richmond aber über den Zulauf fremder Fans. „Die Bars in der Umgebung hatten deutlich mehr erwartet", erklärte Ben, der Rezeptionist im brandneuen und pünktlich zur WM eröffneten Hostel. 450.000 Zuschauer wollte die Stadt anlocken, 600.000 seien es geworden, verbreitete die Lokal-Politik am Sonntag. Diese Zahl aber darf mehr als angezweifelt werden. Zwar platzte der „Libby Hill" vor allem am Sonntag beim Männerrennen förmlich aus allen Nähten, doch andere Streckenabschnitte sahen kaum Zuschauer.
Trotzdem: Das Zuschaueraufkommen von Ponferrada im Vorjahr wurde um ein Vielfaches übertroffen, schon zur Eröffnungsfeier pilgerten beeindruckende 12.000 Menschen. Und ein Vergleich mit Florenz ist kaum möglich, da in der toskanischen Stadt an sämtlichen Sehenswürdigkeiten Touristen spontan und unfreiwillig zu 15-Minuten-Zuschauern wurden, ohne eigens für die WM nach Italien gekommen zu sein.
Natürlich fanden auch internationale Fans den Weg nach Virginia. Die norwegische Flagge schien allgegenwärtig. Doch mit Abstand am größten war der Jubel bei den im Convention Center abgehaltenen Siegerehrungen, wenn jemand im blau-roten Trikot mit den „Stars & Stripes" das Podium bestieg.
So wurde die Doppel-Weltmeisterin Chloe Dygert als Juniorin zum Star samt Live-Interview im Fernsehen und fragte uns nach der Dopingkontrolle, ob wir unser Interview bitte noch drin machen könnten, anstatt draußen auf der Straße, wo das Licht besser gewesen wäre. „Da draußen werden wir sonst nicht in Ruhe gelassen", lachte sie. Und tatsächlich brauchte sie anschließend zehn Minuten für den 50 Meter langen Weg vom Convention Center auf die andere Straßenseite zum Teamhotel der US-Amerikaner, so viele Selfie- und Autogramm-Anfragen hatte sie zu bedienen.
Überraschend übrigens, dass sie dabei nicht von Bodyguards begleitet wurde. Denn wenn an den Abläufen und der Organisation der WM etwas missfallen konnte, dann die fast schon paranoide Sicherheitspolitik der US-Amerikaner, die vieles im Vergleich zu Europa verkomplizierte. So stürmten beim Mannschaftszeitfahren der Frauen zwei Polizisten auf die Betreuer von Velocio-SRAM zu und knallten sie wie potenzielle Attentäter gegen die Absperrgitter, als sie nach dem Ziel auf der Straße zu ihren jubelnden Fahrerinnen wollten - 100 Meter früher als vorgesehen, weil Lisa Brennauer, Trixi Worrack und Alena Amialiusik eben vor der dafür vorgesehenen Zone angehalten hatten. Die US-Polizisten wussten offensichtlich nicht, was ein Soigneur ist.
Wenn man die Begeisterung um Dygerts Siege sah, konnte man sich ausmalen, was losgewesen wäre, wenn Kristin Armstrong, Taylor Phinney oder Megan Guarnier in den Eliterennen Gold abgeräumt hätten. Doch die bei den Junioren angedeutete US-Siegesserie blieb aus, und am Ende jubelten eine Neuseeländerin, ein Weißrusse, eine Britin und ein Slowake in den wichtigsten vier Rennen der Woche. Während die Zeitfahrsieger sowohl bei den Frauen als auch Männern eine Überraschung waren, zeigte sich in den Straßenrennen, wie ideal der teilweise extra angelegte Kurs von Richmond - das Kopfsteinpflaster in der steilen 23rd Street war vor einem halben Jahr noch Asphalt - für eine Weltmeisterschaft geeignet war.
„Ich denke, das Ergebnis zeigt, dass das ein selektiver Kurs war - keiner für Außenseiter", sagte André Greipel am Sonntag - Recht hatte er: Mit Elizabeth Armitstead und Peter Sagan fahren 2016 tatsächlich die Besten ihres Geschlechts im Regenbogentrikot - verdientere Weltmeister hat es wohl selten gegeben. Auch darauf darf Richmond stolz sein.
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