Kellers Guadeloupe-Tagebuch

Der Bus wird von Tag zu Tag leerer

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Der Bus wird von Tag zu Tag leerer"
Hermann Keller (rechts) und seine Teamkollegen bei der Tour de Guadeloupe | Foto: Embrace The World

13.08.2022  |  (rsn) - Als wir gestern einschliefen, hatten wir uns schon immens gefreut, etwas länger schlafen zu können, da der Bus erst um 9 Uhr abfahren sollte. Dieser Bus transportiert übrigens von Tag zu Tag weniger Fahrgäste. Dem Zeitfahren fieberten sehr viele Fahrer schon seit mehreren Tagen entgegen, aber nicht aufgrund superhoher Siegchancen, sondern aufgrund des “halben Ruhetags“.

Vor der Busfahrt unterhielt ich mich noch mit einem für das Sweden Cycling Academy fahrenden Finnen über die gestrige Etappe. Er war mit Thomas (Lienert) im Gruppetto unterwegs und erzählte mir noch aus seiner Sicht die von mir bereits geschilderte Situation, als zwei Fahrer zum Hotel abbogen. Er war schon mit ihnen auf der Abbiegespur, als Thomas mit seinem Finger auf ihn zeigte und meinte: "You, you come with us!“. Der 19-jährige Kollege aus Finnland folgte dem Befehl und bedankte sich nach der Etappe bei Thomas fürs Mitnehmen.

Der ursprüngliche Plan war, einen 38er Schnitt anzupeilen, aber als wir heute nochmals genauer nachrechneten, beschlossen wir, eher in Richtung 40 plus zu gehen, um kein Risiko einzugehen. Gestartet wurde in umgekehrter Reihenfolge des Gesamtklassements, weshalb Thomas, Fabian (Kruschewski), Marcel (Peschges) und ich zu den früheren Startern gehörten. Obwohl die Startzeiten schon seit gestern Abend bekannt waren, schafften es zwei Fahrer, ihren Start zu verpassen. So wurde Thomas Zeuge, wie ein Fahrer vor ihm durch die Radkontrolle rannte, auf das Startpodest stieg, sofort auf das Rad sprang und startete. Sein Betreuer rannte die ersten Meter noch neben ihm her und reichte ihm den Tacho und ein Gel. Das war dann auch schon das aufregendste an Thomas‘ Zeitfahren.

Wir alle schafften es im Zeitlimit ins Ziel, mussten aber doch mehr Energie investieren als geplant. Uns wurde auch schmerzlich vor Augen geführt, dass sich rund 300 Watt für 40 Minuten auf der 8. Etappe einer Rundfahrt anders anfühlen als im Training. Dennoch konnten wir im Gegensatz zu Oli (Mattheis) das Ganze sehr entspannt angehen. Da er noch auf dem 15. Rang im Gesamtklassement liegt, sollte er nicht zu viel Zeit verlieren. Er hatte wie schon beim ersten Zeitfahren Aero Extensions montiert und machte sich so mit seinem Hybrid-Zeitfahrrad auf den Weg.

Die Koppelung mit seinem Powermeter funktionierte nicht, daher fuhr er einfach nach Gefühl und Anfeuerungsrufen von hinten aus dem Auto. Und wie er fuhr! Nach 30 Kilometern mit 200 Höhenmetern stoppte die Uhr bei 38:45 Minuten. Dies bedeutete einen superstarken fünften Platz mit nur 2:30 Minuten Rückstand auf den Sieger. Das Zeitfahren gewann Alexys Brunel, ehemaliger Junioren-Europameister in dieser Disziplin, Träger des Gelben Trikots dieser Rundfahrt und bis in den Mai noch WorldTour-Profi (UAE Team Emirates, d. Red.). Brunel war, wie alle anderen Fahrer in den Top 10 auch, auf Zeitfahrrädern unterwegs.

Dem jungen Finnen fehlten übrigens sieben Sekunden zum Zeitlimit, und so schied er wie fünf weitere Fahrer aus. Ob das auch passiert wäre, wenn Thomas hinter ihm gestartet wäre?! Jedenfalls wird es in unserem “Teambus“ wohl auch morgen wieder einige freie Plätze mehr geben.

Im Gesamtklassement konnte sich Oli allerdings nicht verbessern. Morgen (Samstag) könnte es durchaus passieren, dass das Gesamtklassement nochmal völlig auf den Kopf gestellt wird. Direkt nach dem Start geht es den Anstieg zum Vulkan hoch, danach wird es dann erstmal “flach“, bevor zur Hälfte der 132 Kilometer langen Etappe weitergeht mit den Anstiegen. Insgesamt werden sieben Bergwertungen ausgefahren. Den Zielstrich werden wir an der letzten Bergwertung auf 1810 Meter überqueren, die Steigung zuvor ist bis zu 17,4 Prozent steil. Als Zuschauer würde mich sehr darüber freuen, die Etappe im Fernsehen zu verfolgen, da es mit Sicherheit sehr spannend wird zu sehen, welches Team wie versuchen wird, das Gelbe Trikot in Bedrängnis zu bringen.

Als Fahrer freut man sich eher nicht über solch ein Profil, zumindest nicht als ein Fahrertyp, wie ich es bin. Unser Plan ist es zu überleben, Oli wird es schon irgendwie richten. Anbei schicke ich noch ein Bild des Streckenprofils mit in der Hoffnung, etwas Mitleid zu erfahren.

Bis dann
Hermann

Mehr Informationen zu diesem Thema

15.08.2022Im Schlussanstieg musste sogar das Auto geschoben werden

(rsn) - Wie gestern schon erwähnt, ging es heute (Sonntag) nach kurzer Fahrt direkt in den Passanstieg zum Vulkan. Jeder wusste, dass die heutige Etappe entscheidend sein würde im Kampf um das Gesam

12.08.2022Gruppetto-Bildung im Stile eines Puppenspielers

(rsn) - Marcel Peschges scheint einfach ein Händchen für spektakuläre Starts bei TV-Beteiligung zu haben. Im Höhenprofil war es nicht so ganz deutlich eingezeichnet, aber auch heute ging es wieder

11.08.202270 Kilometer vor dem Ziel zog ich ein Parkticket

(rsn) - Heute standen 148 schwere Kilometer auf dem Programm. Wie gestern erwähnt, war der Plan, jemanden in der Spitzengruppe unterzubringen, um dann nach dem Anstieg zum Vulkan noch einen Helfer f

10.08.2022Was ist schon Paris-Roubaix im Vergleich zur Tour de Guadeloupe?

(rsn) - Das Tolle an Rundfahrten wie dieser sind auch der rege Austausch mit anderen Teams und die Begegnungen mit alten Bekannten. So fährt Matias Fitzwater, ein Neuseeländer, der 2019 mit uns als

09.08.2022Zu erschöpft? Von wegen!

(rsn) - Wieder einmal klingelte um 6 Uhr der Wecker, allerdings war es heute der erste Morgen, an dem ich mich nochmal auf die andere Seite gedreht habe und erst später zum Frühstück kam. Auch am B

08.08.2022“Da wird niemand mehr kommen, fahr´ einfach!“

(rsn) - Wie jeden Morgen klingelte auch heute um 6 Uhr der Wecker und wir begaben uns auf zum Frühstück. Danach ging es dann zum Verladen der Räder – im strömenden Regen. Somit wurden wir auch

07.08.2022Ich hatte den Sieg schon vor Augen

(rsn) - Hallo zusammen, heute stand nach dem gestrigen Auftaktzeitfahren die erste Straßenetappe der Tour der Guadeloupe (2.2) an. Diese wurde auf dem östlichen Inselteil über 156 Kilometer ausget

06.08.2022Wir sind nicht nur zum Baden gekommen

(rsn) - Hallo zusammen, ich darf euch die nächsten Tage von unseren Erlebnissen bei der Tour Cycliste International de la Guadeloupe (2.2) berichten. Die Tour wird über zehn Etappen und insgesamt 1

Weitere Radsportnachrichten

07.12.2025Vanthourenhout schlägt “nach schweren Wochen“ in Terralba zurück

(rsn) – Michael Vanthourenhout (Pauwels Sauzen – Altez) hat sich nach einem ereignisarmen Rennen mit spannendem Finale den Sieg beim Weltcup in Terralba gesichert. Aus einer Zehnergruppe war er in

07.12.2025Brand stürmt auf Sardinien weinend zum Premierensieg

(rsn) – Ein Jahr nach der wegen eines Sturmes abgesagten Weltcup-Premiere auf Sardinien hat sich Lucinda Brand (Baloise – Glowi Lions) den Sieg auf der italienischen Insel gesichert. Beim Weltcup

07.12.2025Zurück zu den Wurzeln als teamfreie Einzelkämpferin

(rsn) - Gerade einmal fünf Renntage fanden sich im Jahreskalender der Straßenolympiasiegerin von 2021, der Österreicherin Anna Kiesenhofer. Nach zwei Saisons in der WorldTour trat sie zumindest spo

07.12.2025Instagram-Video zeigt: Van der Poel verhindert Sturz spektakulär

(rsn) – Die Radsport-Welt scharrt seit geraumer Zeit mit den Füßen ob des Saisondebüts von Mathieu van der Poel im Cross-Kalender. Am nächsten Sonntag beim Weltcup in Namur ist es so weit, doch

07.12.2025Magnier nimmt Klassiker ins Visier

(rsn) – Paul Magnier (Soudal – Quick-Step) war in der abgelaufenen Saison einer der erfolgreichsten Profis überhaupt. 19 Siege feierte der 21-Jährige in seinem zweiten Jahr als Profi, vor allem

07.12.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2025

(rsn) – Es ist inzwischen RSN-Tradition. Und auch wenn sich mit Christoph Adamietz der Vater der Idee vor einem Jahr aus unserem Autoren-Team verabschiedet hat, so soll diese Tradition fortgesetzt w

07.12.2025Holm über Gaviria: “Der faulste Fahrer, den ich jemals kennengelernt habe“

(rsn) – Im Trikot von Quick-Step hat Fernado Gaviria gute Zeiten erlebt. Etappensiege bei der Tour de France und beim Giro; in Italien gewann er auch die Punktewertung. Als der Kolumbianer vor zehn

07.12.2025Spitze gegen Ex-Team: “Mensch wieder im Vordergrund“

Das neue Team und die neue Saison dürften für Marco Haller (Tudor) am Jahresbeginn erstmal im Hintergrund gestanden haben. Der 34-Jährige bekam Anfang Januar Nachwuchs und wurde zum zweiten Mal Vat

07.12.2025Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2025

(rsn) – Seit dem Jahr 2013 blicken wir am Ende der Straßenradsaison neben der Jahresrangliste der Männer auch auf das Jahr der Frauen mit entsprechendem RSN-Ranking zurück. Berücksichtigt werden

07.12.2025Hollmann muss Alpecin verlassen, ProTeam-Neuzugang für Bike Aid

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

06.12.2025Etxeberria hat “beim Real Madrid des Radsports unterschrieben“

(rsn) – Als der Zweitdivisionär Kern Pharma Ende 2024 fünf Neoprofis für die anstehende Saison bekannt gab, fiel vor allem der des Luxemburgers Mats Wenzel auf, der einer von nur zwei Ausländern

06.12.2025Die Trikots der WorldTeams für die Saison 2026

(rsn) - Wie sieht das Peloton 2026 aus? Welche Farben werden in der kommenden Saison vorherrschend sein? Nach und nach stellen die WorldTour-Rennställe ihre Trikots für das neue Jahr vor - den Anfan

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Tour de Gyeongnam (2.2, KOR)