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27.05.2016 | (rsn) - Plötzlich ist Esteban Chaves (Orica GreenEdge) ganz nah dran am großen Triumph. Nach dem Sturz des bisherigen Spitzenreiters Steven Kruijswijk (LottoNL-Jumbo) in der Abfahrt vom Colle dell'Agnello steht der Kolumbianer plötzlich an der Spitze des Gesamtklassements. Des einen Freud ist des anderen Leid, man könte aber auch sagen: So grausam ist der Sport manchmal. Und so ist Chaves nur noch eine schwere Etappe vom Gesamtsieg des 99. Giro d'Italia entfernt.
"Das Rosa Trikot hat für mich keinen minderen Wert, weil Kruijswijk heute stürzte. Das gehört zum Radsport. Wenn das Rennen gestartet ist, läuft es. Ein kleiner Fehler kann da entscheiden", sagte der 26-Jährige pragmatisch auf der Pressekonferenz nach dem Rennen.
Denn so tragisch die Wendung für Kruijswijk an diesem Tag war, unverdient steht Chaves nicht an der Spitze der Rundfahrt. Der Kletterspezialist leistete sich im bisherigen Verlauf der Rundfahrt keinerlei Schwächen oder Fehler – im Gegensatz zu vielen seiner Kontrahenten.
Und auch auf der 19. Etappe zur Bergankunft nach Risoul unterstrich Chaves mit Platz drei seine aktuell starke Verfassung: Bereits am Colle dell'Agnello zeigte er sich angriffslustig, forderte seine Gegner mit einigen Tempoverschärfungen heraus und erreichte schließlich nur noch mit Kruijswijk und Nibali den Gipfel des 2.744 Meter Höhe Alpenpasses.
"Wir haben diese Etappe heute im Angriffsmodus gefahren. Mein Team hat mich super unterstützt. Wir haben die Attacke recht früh gestartet, wir wollten ja auch für eine Veränderung sorgen. In der Abfahrt hatte ich Schwierigkeiten, Nibali zu folgen. Er ist einfach ein Verrückter. Aber ich war verrückt genug, ihm zu folgen", berichtete Chaves.
Zu diesem Zeitpunkt fehlte Kruijswijk nach seinem verhängnisvollen Sturz bereits. Angesprochen auf das Drama um das Rosa Trikot sagte Chaves: "Als er stürzte, war ich hinter Nibali und der fuhr in der Abfahrt sehr schnell." Kruijswijks Träume auf den Giro-Coup zerschellten womöglich in diesem Moment, die von Chaves waren plötzlich realistischer denn je.
Ein Schlüssel zum Erfolg war zudem Ruben Plaza. Der spanische Routinier gehörte zur Spitzengruppe des Tages und wurde zum wichtigen Unterstützer im Finale. "Das Team hat unglaublich gearbeitet. Alle attackierten am dell’Agnello, aber Ruben wartete auf mich und trieb mich wie eine echte Maschine an", beschrieb Chaves die Rolle seines Teamkollegen.
Plaza drückte in der Abfahrt vom Colle dell'Agnello und zum Schlussanstieg mächtig aufs Tempo und hatte großen Anteil daran, dass die Verfolger um Alejando Valverde (Movistar) nicht mehr herankamen und am Ende 1:21 Minuten einbüßten.
In der Gesamtwertung geht Chaves mit einem Vorsprung von 44 Sekunden auf den wiedererstarkten Nibali in den alles entscheidenden letzten Schlagabtausch in den Alpen. Morgen wartet eine schwere Etappe über 132 Kilometer nach Sant'Anna di Vinadio - und ein gefährlich geringer Vorsprung, doch der Orica-GreenEdge-Profi gab sich zuversichtlich: "Warum sollte ich angreifen? Ob ich mit zehn Sekunden Vorsprung gewinne oder mit zehn Minuten, das macht doch keinen Unterschied."
Sein Sportlicher Leiter Matt White prognostizierte einen großen Kampf. "Wir haben noch einen Tag zu überstehen und müssen auf einen Gegner achten, das ist Vincenzo Nibali. Er ist in guter Form und wird uns überall hin folgen. Morgen ist einer der härtesten Tage, wie eine Rundfahrt enden kann", so White, um gleich nachzuschieben: "Ich bin aber überzeugt, Chaves wird die Aufgabe bestehen."
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