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22.09.2015 | (rsn) - Es ist zum Heulen. Das dürften sowohl Charlotte Becker am Sonntag vor dem Start des WM-Mannschaftszeitfahrens als auch Christa Riffel 24 Stunden später beim Einzelzeitfahren der Juniorinnen gedacht haben, bevor die Tränen flossen. Beide Nationalfahrerinnen des BDR hatten ein ganz ähnliches Problem: Den UCI-Kommissären gefiel ihr Arbeitsgerät nicht.
Beim technischen Check, den die Räder vor jedem Zeitfahren bestehen müssen, wurden regelwidrige Werte ermittelt. So war am Sonntag Beckers Zeitfahrlenker einen Tick zu lang, am Montag fiel Riffels Rad durch den Abrolltest zur Überprüfung der beim Nachwuchs maximal erlaubten Übersetzung. Nicht dass Riffel mit einer zu schweren Übersetzung starten wollte, nein, die 53 Zähne am großen Kettenblatt wären in Ordnung gewesen, doch in Kombination mit 22 Millimeter dicken Reifen kann die Abrollstrecke fürs Reglement zu lang werden - und das war bei Riffel der Fall.
Chef-Kommissär Wayne Pomario ließ sie so nicht starten. „Wir wollen niemand vom Fahren abhalten, sondern nur für gleiche Voraussetzungen sorgen", erklärte er radsport-news.com später. „Die Regeln sind ganz klar und stehen da Schwarz auf Weiß." Das sei auch nicht das Problem, erklärte BDR-Sportdirektor Patrick Moster: „Es kann schon sein, dass der Umfang des Rades zu groß war. Aber das muss von vorne herein gesagt werden."
Die Betreuer der Nationalmannschaft hatten Riffels Rad nämlich bereits lange vor dem Start ihrer Athletin zu den Kommissären gebracht - zum sogenannten Pre-Check, wo man sicherheitshalber alles kontrollieren lassen kann, um nicht wenige Minuten vor dem Start eine böse Überraschung zu erleben. Beim ersten Besuch bemängelten die Kommissäre die Sattelposition, beim zweiten war dann nach entsprechenden Anpassungen alles in Ordnung. Die Abrolllänge passte laut Moster bei beiden Pre-Checks.
Man verließ sich auf das „Okay" der Kommissäre, doch als Riffel später mit drei Betreuern und ohne Ersatzmaterial zum Start rollte, mussten alle Beteiligten auf schmerzhafte Weise lernen, dass die Pre-Check-Auskünfte alles andere als bindend sind. Diesmal rollte das Rad beim Übersetzungs-Test zu weit. „Es gibt viele Gründe, warum sich das verändert haben könnte. Zum Beispiel, wenn der Reifen noch aufgepumpt wurde", erklärte Pomario, betonte aber: „Es war nicht knapp, sondern deutlich zu lang."
Gegen die Entscheidung der Kommissäre konnte nichts mehr unternommen werden: Riffels Rad musste angepasst werden, der Mechaniker fuhr schnell zum Team-Camper zurück und brachte ein neues Hinterrad mit - identische Scheibe, identischer Reifen - und montierte schnell um. Nun war alles okay und Riffel konnte starten.
Leider aber war ihre Startzeit inzwischen verstrichen, die 17-Jährige rollte mit 3:30 Minuten Verspätung von der Startrampe und wurde deshalb Letzte des Zeitfahrens. Riffels reine Fahrtzeit hingegen hätte trotz der Hektik und der Tränen am Start zu Platz elf gereicht - keine 30 Sekunden weg vom Podium. „Christa ist trotz der Widrigkeiten ein starkes Rennen gefahren", lobte Nationaltrainer André Korff seine Fahrerin.
Doch die Gesamtsiegerin der Bundesliga der Juniorinnen war kaum zu trösten - durch ihren Traum vom WM-Debüt machte der Technik-Check einen dicken Strich. Und Riffel war nicht die erste Deutsche bei dieser WM, die von den Kommissären ins Tal der Tränen gestürzt wurde. Am Sonntag hatte auch der Mechaniker vom Team Hitec Products bereits weit vor dem Start des Mannschaftszeitfahrens das Rad von Charlotte Becker zum Pre-Check gebracht - ohne, dass etwas beanstandet wurde, wie Becker und auch Teamchef Karl Lima unisono berichteten.
Doch als die Deutsche mit ihren Teamkolleginnen schließlich zum Start und dem finalen Check kamen, sah es auch in ihrem Fall anders aus. Plötzlich war der Zeitfahrlenker zu lang - „um einen Millimeter", berichteten Becker und Lima radsport-news.com beziehungsweise cyclingnews.com.
„Wegen einem Millimeter würden wir normalerweise niemanden durchfallen lassen", sagte Pomario nun, und der bei Becker zuständige Kommissär Randall Schafer erläuterte radsport-news.com: „Ich habe das Rad vermessen, und der Lenker war zwei Zentimeter zu lang. Das ist eine signifikante Abweichung. Wir haben vorher beim Pre-Check mit dem Mechaniker gesprochen und ihm gesagt, dass es zu lang war - und als das Rad wiederkam, war ich überrascht, dass es immer noch so war."
Egal ob ein Millimeter oder zwei Zentimeter, die nun noch verbleibenden fünf Minuten reichten nicht, um das Problem aus der Welt zu schaffen, und so musste Becker hilflos zusehen, wie ihre Teamkolleginnen zu fünft und ohne ihre beste Frau ins Teamzeitfahren starteten.
„Es gibt eine Regel, die sagt, dass man 15 Minuten vor dem Start kommen muss. Das machen die Wenigsten, aber wir würden deshalb niemandem den Start verbieten", so Pomario. „Nur: Wenn man knapp kommt, geht man eben ein Risiko ein - selbst wenn man beim Pre-Check war." Da liegt eines der zahlreichen Probleme: Die Teams glauben, sich auf die bis zu zwei Stunden vor Rennbeginn getroffenen Aussagen der Kommissäre verlassen zu können und kommen deshalb zu kurz vor dem Start zur finalen Kontrolle, als dass noch große Veränderungen vorgenommen werden könnten.
Allerdings gibt Moster zu bedenken: „Die Viertelstunde wird auch von der UCI nicht immer eingehalten. Es kann durchaus sein, dass ein Sportler dann nur fünf, sechs oder sogar nur zwei Minuten hat." Die Lösung des Problems könnte sein, dass aus dem Pre-Check in Zukunft die finale Kontrolle wird und die Zeitfahrräder schon eine Stunde vor dem Start abgegeben werden. „Damit hätten wir kein Problem", so Moster. „Das Warmfahrprogramm auf der Rolle kann auch mit Straßenrädern absolviert werden."
Pomario behauptet, das sei ohne Weiteres bereits möglich: „Wir können den finalen Check auch zwei Stunden vor dem Rennen machen. Solange das Rad den Bereich nicht mehr verlässt, kontrollieren wir es nicht nochmal." Allerdings ist der nötige Platz für die Räder des gesamten Starterfeldes in einer Art „Wechselzone" - wie beim Triathlon - hinter der Startrampe so gut wie nie gegeben. „Es müsste ein verschlossener Raum zur Verfügung stehen, denn die Räder sind teuer und wir können keine Person abstellen, die dort aufpasst", so Moster.
Besonders unverständlich war für Becker auch, dass sie in dieser Saison bereits sechs UCI-Rennen mit dem exakt selben Rad und Setup bestritt. „Es ist unwahrscheinlich, dass bei den anderen Rennen derselbe Typ Messgerät verwendet wurde", erklärte daraufhin Schafer. „Das hier von der UCI eingesetzte ist sehr präzise." Fragt sich nur, woran sich die Mechaniker orientieren sollen, wenn die Messgeräte und auch das Augenmaß der Kommissäre von Rennen zu Rennen unterschiedlich sind.
Sicher ist: Es muss eine Lösung her, und die wird nur über den Dialog zwischen Welt- und Nationalverbänden sowie den Profiteams gefunden werden. Bis dahin ist das Traurige, wie so oft: Am Ende leiden und weinen die Sportler und Sportlerinnen.
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