Interview mit dem zurückgetretenen Rabobank-Profi

Niermann: „Ich bin kein Jens Voigt“

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Grischa Niermann (Rabobank) im Einsatz | Foto: ROTH

12.09.2012  |  (rsn) – Mit Grischa Niermann (Rabobank) hat einer der dienstältesten Profis nach 17 Jahren seine Karriere beendet. Im Interview mit Radsport News spricht der 36-jährige Hannoveraner über gute und schlechte Zeiten in seinem Traumberuf und erklärt, warum er sich auf die kommenden Jahre als Trainer bei seinem langjährigen Rennstall freut.

Sie beenden nach 17 Jahren Ihre Profikarriere. War das eine lange vorbereitete Entscheidung?

Niermann: Bereits im vergangenen Winter gab es erste Gespräche mit Rabobank über die Möglichkeit, nach dieser Saison eine andere Tätigkeit im Team zu übernehmen. Konkreter wurde es dann im Juni, als ich gemeinsam mit der Teamleitung beschlossen habe, diesen Weg wirklich zu gehen.

Hätten Sie denn noch einen neuen Vertrag bekommen?

Niermann: Ich hätte auch wieder einen Vertrag als Radprofi bei Rabobank bekommen. Letztendlich aber war das Angebot, Trainer zu werden etwas, was ich in meinem hohen Radsportleralter nur schwerlich ablehnen konnte, zumal ich immer gesagt habe, dass ich nach dem Karriereende weiterhin im Radsport und am liebsten bei Rabobank arbeiten würde. Leicht war diese Entscheidung deshalb trotzdem nicht. Nur bin ich halt kein Jens Voigt und habe in diesem Jahr immer wieder am eigenen Körper erfahren müssen, dass ich mich nicht mehr ganz so gut erholen und nicht mehr ganz so gut quälen kann wie noch vor ein paar Jahren.

Mit welchen Gefühlen haben Sie Ihr letztes Profirennen, die Vuelta a Espana, bestritten?

Niermann: Dass die Vuelta mein letztes Rennen wird, habe ich gemeinsam mit den sportlichen Leitern erst drei Tage vor dem Ende der Vuelta abgesprochen. Eigentlich waren noch ein paar italienische Eintagesrennen für den Oktober geplant. Aber die Karriere dann mit einem "did not finish" bei z.B. der Emilia-Rundfahrt zu beenden, war für mich keine so schöne Vorstellung. Emotional waren die letzten Tage trotzdem- wobei ich sagen muss, dass für mich die emotionalsten Tage jene im Sommer waren, in denen ich abwegen musste, wie ich mir meine Zukunft vorstelle.

Sie sind in diesem Jahr keine Tour gefahren. Hätten Sie gerne das größte Radrennen der Welt als Bühne für Ihre Abschiedsvorstellung gehabt?

Niermann: Nein. Sicherlich hätte ich gerne eine 10. Tour de France bestritten, aber ich muß sagen, den Abschied in Madrid zu feiern, am Ende einer für Rabobank recht erfolgreichen Vuelta, war ein perfekter Moment.

Sie sind 14 Jahre als Profi für Rabobank gefahren. Was macht diesen Rennstall aus und haben Sie sich niemals vorstellen können, zu einem anderen Team zu wechseln?

Niermann: Erstmal ist es schon etwas ganz besonderes, dass ein Sponsor ein Team so lange unterstützt. Außer Rabobank ist nur Cofidis noch ähnlich lange im Radsport aktiv. Und davon abgesehen ist das Team einfach perfekt organisiert, und ich habe mich dort von Anfang an sehr wohl gefühlt. Sicherlich gab es in der Vergangenheit Angebote von anderen Rennställen. Aber ich hatte zum einen nie das Bedürfnis das Team zu wechseln, und zum anderen wollte man mich bei Rabobank auch nie loswerden.

Welche waren Ihre schönsten Moment als Profi, welche die schlimmsten?

Niermann: Die schönsten Momente waren einerseits meine eigenen Siege, allen voran der Sieg bei der Regio-Tour 1999, meinem ersten Jahr bei Rabobank. Andererseits habe ich mich aber auch immer genauso sehr über große Erfolge meiner Teamkollegen gefreut, wie zum Beispiel die vier Tour-Etappensiege bei meiner ersten Teilnahme im Jahr 2000, oder den Sieg bei der Königsetappe und die darauf folgenden Tage im Gelben Trikot von Robert Gesink bei der Tour de Suisse 2010. Gelitten, gefroren und auf der Nase gelegen habe ich in meiner Karriere oft genug, aber die schlimmsten Momente waren für mich die Nachrichten vom Tod von Wouter Weylandt oder dem schweren Sturz meines damaligen Teamkollegen Pedro Horillo. In diesen Momenten wird einem selbst vor Augen geführt, was für eine gefährliche Sportart man betreibt und wie dankbar man sein muss, wenn man wie ich eine 17-jährige Karriere ohne wirklich große Blessuren überstanden hat.

Welches sind Ihre Lieblingsrennen und welches Rennen hätten Sie gerne einmal gewonnen?

Niermann: Mein Lieblingsrennen ist die Baskenland-Rundfahrt. Es ist eine der schwersten Rundfahrten des Jahres, das Wetter ist immer bescheiden und es wird unglaublich hart gefahren. Aber die Basken sind die besten Fans der Welt, kennen jeden Fahrer beim Namen und machen selbst den schlimmsten Regentag zum Feiertag. Und dass ich dieses Rennen nun 14 Jahre hintereinander bestritten und auch jedes Mal beendet habe, macht es für mich noch ein wenig besonderer. Gewonnen hätte ich gerne einmal eine Bergetappe bei der Tour de France.

Sie waren praktisch Ihre ganze Karriere lang ein Helfer im Team. Bedauern Sie es, dass Sie nicht mehr auf eigene Rechnung haben fahren können?

Niermann: Nein. Natürlich habe ich als junger Fahrer die Hoffnung gehabt, einmal bei den großen Rundfahrten im Gesamtklassement ganz vorne landen zu können. Aber ich musste schnell einsehen, dass ich dafür nicht gut genug war und habe mich dann auf das konzentriert, was ich wirklich gut konnte. Und das war, meinen Kapitänen bei den ganz großen Rennen zur Seite zu stehen.

Sie haben auch die die Zeit der großen Doping-Skandale miterlebt. Hatten Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, den Beruf zu wechseln?

Niermann: Sicherlich gab es Zeiten, in denen es keinen Spaß gemacht hat, Radprofi zu sein und wo man sich gefragt hat, ob dies noch der richtige Beruf ist. Aber alles in allem habe ich immer daran geglaubt, dass der Radsport eine bessere, saubere Zukunft hat.

Mittlerweile gibt es im Radsport eines der dichtesten Doping-Überwachungsnetze überhaupt. Wie waren Ihre Erfahrungen damit und glauben Sie, dass der Radsport heutzutage eine überwiegend „saubere“ Sportart ist?

Niermann: Ich glaube, Doping kann man nur durch umfassende Kontrollen in den Griff bekommen. Und was das betrifft, spielt der Radsport mittlerweile eine Vorreiterrolle. Der Blut-Passport und das ADAMS-Abmeldesystem sind gute Werkzeuge im Kampf gegen Doping, und ich bin eigentlich froh, wenn morgens um 6:00 Uhr die Kontrolleure bei mir vor der Haustür stehen, weil das heißt, dass das System auch funktioniert.

Rabobank hatte selber einst den Fall Rasmussen und den Fall Dekker. Hat das Team Ihrer Meinung nach darauf angemessen reagiert?

Niermann: In beiden Fällen hat Rabobank gehandelt und sich von den entsprechenden Fahrern getrennt, noch bevor die UCI oder die WADA Maßnahmen ergriffen haben. Ich denke, dies ist der richtige Weg und ein deutliches Zeichen dafür, dass man bei Rabobank eine Null-Toleranz-Politik und sauberen Sport in den Vordergrund stellt.

Sie bleiben als Trainer im Team - wie genau wird Ihre Aufgabe aussehen?

Niermann: Ganz genau muss sich das noch zeigen. Aber ich werde in den kommenden Monaten teaminterne Schulungen machen und von meinem jetzigen Coach Louis Delahaye auf meine neuen Aufgaben vorbereitet werden. Im nächsten Jahr werde ich das Rabobank Continental Team als Trainer begleiten, aber sicherlich auch häufig bei Rennen vor Ort sein und im Mannschaftswagen Platz nehmen.

Was werden Sie an die jungen Fahrer weitergeben können?

Niermann: Ich denke, mit der Erfahrung aus 17 Jahren als Radprofi habe ich das Zeug, die Jungs optimal auf eine Profikarriere vorbereiten zu können. Jeder Fahrer in unserem Nachwuchsteam ist sehr talentiert. Aber um es auch wirklich zum Profi zu schaffen, braucht es auch noch Dinge wie Willen, Selbstdisziplin und Leidensfähigkeit. Diese Dinge und nicht mein Talent haben dafür gesorgt, dass ich eine lange Karriere hatte.

Wollen Sie auch als Betreuer längerfristig bei Rabobank arbeiten?

Niermann: Sicherlich. Ich fühle mich absolut wohl im Team und denke, dass ich es auch in meiner neuen Funktion noch lange dort „aushalten" werde.

Der Radsport gilt als eine der härtesten Sportarten überhaupt. Sie haben zwei kleine Kinder, waren oft von der Familie getrennt – wie kann man so lange diesen Beruf ausüben?

Niermann: Man muss als Radprofi eine besondere Leidenfähigkeit besitzen. Nicht nur, um sich ständig auf dem Rad quälen zu können, sondern auch, weil man die Familie gut 200 Tage im Jahr im Stich lassen muß. Glücklicherweise habe ich eine wundervolle Frau und zwei tolle Kinder, die ihr Leben auch bestens im Griff haben, wenn der Papa mal wieder wochenlang unterwegs ist. Und das macht es um einiges einfacher.

War der Beruf Radprofi Ihr Traumjob?

Niermann: Ja. Seitdem ich 1991 mit dem Radsport angefangen habe, war es mein Traum einmal Radprofi zu werden. Und trotz aller Höhen und Tiefen, die dieser Job mit sich bringt, habe ich diesen Schritt keinen einzigen Tag in meiner Karriere bereut.

Wenn Sie nicht Radprofi geworden wärst - was dann?

Niermann: Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich Ernährungswissenschaftler und würde Energieriegel entwickeln, die man essen kann, ohne gleich einen Würgereiz zu bekommen.

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