Siegfried Fröhlichs Sportrechtsblog

RadioShack-Nissan: Wie einst Team Coast?

Von Siegfried Fröhlich

Foto zu dem Text "RadioShack-Nissan: Wie einst Team Coast?"
Sportrechtler Siegfried Fröhlich | Foto vom Autor

18.07.2012  |  (rsn) - Als vor etwa einem Jahr die Fusion der Teams Leopard Trek und RadioShack verlautbart wurde, sprachen viele Experten vom Entstehen des besten Teams aller Zeiten. Einige Radsportkenner befürchteten sogar eine Wettbewerbsverzerrung. Schließlich überträfe die vorhandene Fahrerqualität und die Wirtschaftskraft alles bisher Dagewesene, hieß es.

Ein Jahr später kehrt die Ernüchterung bei Fans und Verantwortlichen ein: Sportlich befindet sich RadioShack-Nissan nur im Mittelfeld des WorldTour-Rankings. Team-Chef Johan Bruyneel streitet sich über die Presse mit den sportlichen Aushängeschildern Andy und Fränk Schleck. Die amerikanische Anti-Doping Agentur USADA will Bruyneel lebenslang zu sperren; daher kann der Team-Chef beim wichtigsten Rennen des Jahres nicht vor Ort sein. Der Tour de France-Favorit Andy Schleck sagt verletzt und außer Form seinen Tour-Start ab. Aus Fahrerkreisen werden finanzielle Engpässe bekannt und schließlich wird einer der Protagonisten der Mannschaft, nämlich Fränk Schleck, bei der Tour wegen Dopingverdachts aus dem Verkehr gezogen.

Es scheint so, als würde die Situation eskalieren. Bereits vor einigen Wochen kamen erste Spekulationen auf, RadioShack-Nissan drohe der Lizenzentzug. Dies sei bewusst von der Konkurrenz gestreut, wehrte sich das Team gegen die Berichterstattung. Alles nur eine Ente? Immerhin gibt es im Radsport eine verlässliche Konstante: Fast alle Gerüchte, und seien sie noch so abwegig, stimmen.

Juristisch gesehen scheint sich die Luft für RadioShack Nissan meines Erachtens wirklich sehr dünn zu werden. Denn die Voraussetzungen, unter denen ein Lizenzentzug erfolgen kann, dürften gemäß des Regelwerks bereits vorliegen.

Das UCI-Reglement kennt zwei Möglichkeiten, eine Mannschaft aus dem Verkehr zu ziehen: die vorläufige Suspendierung und der Lizenzentzug.

Eine Suspendierung, die grundsätzlich nur vorläufiger Natur wäre, ist über eine Art Generalklausel im Regelwerk möglich: Hiernach kann eine Mannschaft vorläufig von allen Wettbewerben ausgeschlossen werden, wenn dies für das Ansehen der UCI WorldTour notwendig sei. Als Skeptiker der UCI würden mir jetzt viele Gründe einfallen, weshalb das Image einer von der UCI betriebenen Rennserie nur schwer zu beschädigen sei. Aber das wäre wohl polemisch und sollte vielleicht Gegenstand eines eigenen Blog-Beitrages werden. Zweifelsfrei ist es aber so, dass die Doping-Verfahren gegen Bruyneel und Fränk Schleck sicherlich nicht geeignet sind, das Bild des Radsports in der kritischen Öffentlichkeit zu verbessern.

Viel ernster aber präsentiert sich aus Sicht von RadioShack-Nissan die Situation mit Blick auf einen eventuellen kompletten Lizenzentzug. Dieser ist unter anderem dann möglich, wenn eine Mannschaft ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommt oder nachkommen könnte.

In der Presse wurde berichtet, dass Jakob Fuglsang inzwischen seine Mannschaft auf Zahlung rückständiger Löhne verklagt habe. Ebenso sollen Fabian Cancellara sowie die Schleck-Brüder die UCI auf verspätete Gehaltszahlungen hingewiesen haben.

Wäre es wirklich so, hätte das zuständige Gremium der UCI laut Reglement die Pflicht, eine kurzfristige Stellungnahme von RadioShack-Nissan einzufordern. Auch hätte die UCI die Möglichkeit, einen Wirtschaftsprüfer mit der Sichtung der Geschäftsbücher der Betreibergesellschaft zu beauftragen. Dieser würde, entsprechende Presseberichte als wahr unterstellt, allerdings kaum Gutes zu berichten wissen. Schließlich soll die Betreibergesellschaft Leopard SA im Vorjahr einen Verlust von über 7 Millionen Euro „erwirtschaftet“ haben.

Die UCI hätte, so denn sie wollte, nun wohl die Möglichkeit, einen Lizenzentzug ernsthaft in Erwägung zu ziehen und die notwendigen Schritte zu veranlassen.

Bei der Frage nach einem Lizenzentzug dürfen die Fahrer allerdings nicht vergessen werden. Einem Fahrer, dessen Mannschaft vertragswidrig nicht das volle oder gar kein Gehalt bezahlt, ist mit einer Team-Sperre die Grundlage seiner beruflichen Tätigkeit entzogen.

Ein Lizenzentzug führt nämlich dazu, dass sich die Sportler nicht mehr anderen Mannschaften und damit potenziellen Arbeitgebern präsentieren können. Auch wäre die Möglichkeit zur Erzielung von Weltranglisten-Punkten genommen; das wiederum bedeutet einen Einkommensverlust in der Zukunft, der nur schwer auszugleichen sein wird. Gerade die Weltranglisten-Punkte sind durch die Neuregelung des Reglements vor zwei Jahren von entscheidender Bedeutung für den Marktwert eines Fahrers geworden.

Ich bin zugegebenermaßen froh, dass ich nicht für die Entscheidung über einen Lizenzentzug zuständig bin.

Die ganze Situation ist für mich so eine Art Deja vu-Erlebnis. Vor über neun Jahren vertrat ich den Großteil der Beschäftigten im Team Coast, als es dort zu finanziellen Unregelmäßigkeiten kam. Die Chronologie war eine ähnliche. Günther Dahms war ein radsportbegeisterter Mäzen. Frühzeitig kamen Gerüchte über unregelmäßige Gehaltszahlungen auf. Diese wurden ins Reich der Fabeln verwiesen. Quasi über Nacht erfolgte wenig später die Suspendierung der Mannschaft. In der Not wurde das Team Bianchi aus der Taufe gehoben, welches immerhin den Fahrern ermöglichte, die Saison - wenn auch unter finanziellen Abstrichen - regulär fortzusetzen. Dennoch stand für einen großen Teil der Mannschaft mit der Auflösung von Coast bereits das Ende der eigenen Karriere fest. Spontan fällt mir da Raphael Schweda ein, der sein Talent hätte „verscherbeln“ müssen, um nach der 2003er Saison weiter Teil des Pelotons sein zu können.

Ob RadioShack-Nissan wirklich den Gang von Coast nehmen wird, kann heute niemand wissen. Aber die Spatzen pfeifen den Ernst der Lage schon von den Dächern. Wobei: Streng genommen pfeifen die Spatzen nichts mehr vom Dach, was die Situation viel dramatischer erscheinen lässt: Andreas Klöden twittert seit zehn Tagen nicht mehr.

Der Sportrechtler Siegfried Fröhlich schreibt in einem Blog auf Radsport News Stellung über aktuelle und Themen aus dem Radsport.

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.04.2013„Verpfeifen“ sollen andere

(rsn) - Im Oktober 2008 wurde Stefan Schumacher beschuldigt, bei der Tour de France mit dem Medikament CERA gedopt zu haben. Viereinhalb Jahre danach muss sich der Nürtinger wegen der damaligen Vor

23.10.2012Die Folgen der Wahrheit

(rsn) - Ständige Leser meiner Blogs werden wissen, dass ich grundsätzlich kein Freund der Kronzeugenregelung im Sport bin. Dies fördert meines Erachtens das Denunziantentum und weniger den sauberen

24.09.2012Berufsfreiheit für „Radsport-Azubis“

(rsn) - Als Rechtsanwalt berate ich seit gut einem Jahrzehnt auch Sportler. Der dabei häufigste Fall der Rechtsberatung ist derjenige, dass mich ein Sportler mit halbwegs ausgehandeltem Vertrag konta

24.08.2012Armstrong über Komplizenbetrug gestolpert?

(rsn) - „Ex-Teamkollegen belasten Armstrong schwer“ – so war es Anfang Juli im Internet zu lesen. George Hincapie, Floyd Landis und andere ehemaligen Kollegen sollen gegenüber der amerikanische

02.04.2012Wer Scharia kann, kann auch Sport

(rsn) - Wieder einmal sorgt die Wiener Blutbank für Aufregung im Sport. Eine heimliche Tonbandaufzeichnung des ehemaligen Langläufers Christian Hoffmann von einer Urteilsberatung der NADA Österreic

01.02.2012UV-Behandlung - angeblich verboten

(rsn) - Seit einigen Tagen diskutiert der Sport über einen möglichen Blutdoping-Skandal. Ausgangspunkt der Spekulationen war ein Bericht der Journalistin Grit Hartmann im Deutschlandfunk am 11. Janu

03.11.2011Schadensersatz bei vorzeitiger Teamauflösung

(rsn) – Die vorzeitige Auflösung von Rennställen hat für Radprofis oftmals unangenehme Folgen – das gilt in erster Linie natürlich für solche Fahrer, deren Verträge auslaufen. Wie aber gesta

Weitere Radsportnachrichten

11.09.2025Almeida: “Das Leben basiert auf ‘Was-Wäre-Wenns‘“

(rsn) – Im verkürzten Zeitfahren der Vuelta a Espana hat sich Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) seinen zweiten internationalen Sieg dieser Saison gesichert. Auf der 18. Etappe war er nach 12,2 Kilom

11.09.2025Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 18. Etappe

(rsn) - 184 Profis aus 23 Teams sind am 23. August in Turin in Norditalien zur 80. Vuelta a Espana (2.UWT) angetreten. 3151 Kilometer ist die Spanien-Rundfahrt in diesem Jahr lang, nicht weniger als

11.09.2025Ganna gewinnt Zeitfahren, Almeida macht Zeit auf Vingegaard gut

(rsn) – Top-Favorit Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) hat das Einzelzeitfahren der 80. Vuelta a Espana gewonnen. Der zweimalige Weltmeister aus Italien benötigte für den auf 12,2 Kilometer verkürz

11.09.2025Bredewold springt für gestürzte Kopecky in die Bresche

(rsn) – Nach ihrem Auftaktsieg bei der Tour de l´Ardèche (2.1) hat Weltmeisterin Lotte Kopecky (SD Worx – Protime) nach einem Sturz auf der 3. Etappe die Rundfahrt vorzeitig verlassen müssen. D

11.09.2025Del Toro clever und stark: Mexikaner gewinnt Coppa Sabatini

(rsn) – Isaac Del Toro (UAE – Emirates – XRG) hat bei den italienischen Herbstklassikern weiterhin alles unter Kontrolle. Der 21-jährige Mexikaner sicherte sich in der Toskana auch die 73. Copp

11.09.2025Coquard bleibt bei Cofidis, Juul-Jensen verlängert mit Jayco

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

11.09.2025Nach Giro-Sturz: Brenner wollte Karriere beenden

(rsn) – Auch wenn er beim Giro della Toscana nicht ins Ziel kam, so ist die Tatsache, dass Marco Brenner (Tudor) erstmals nach seinem Sturz auf der 19. Etappe des Giro d’Italia wieder ein Radrenne

11.09.2025Gall hofft für die letzten Vuelta-Tage auf bessere Beine

(rsn) – Felix Gall (Decathlon – AG2R La Mondiale) gehört zu denjenigen Fahrern, die über die Verkürzung des heutigen Einzelzeitfahrens der Vuelta a Espana nicht traurig sein dürften. Auf den j

11.09.2025Pogacar äußert Verständnis für Ayusos vorzeitigen Abschied

(rsn) – Tadej Pogacar hat Verständnis für den vorzeitigen Abschied von Juan Ayuso UAE – Emirates – XRG, will sich aber offensichtlich nicht in den Disput zwischen dem Spanier und dem Team einm

11.09.2025Startzeiten des Einzelzeitfahrens der Vuelta a Espana 2025

(rsn) – Oscar Riesebeek (Alpecin – Deceuninck) wird um 14:45 Uhr in Valladolid das Einzelzeitfahren der 80. Vuelta a Espana eröffnen. Aus Sicherheitsbedenken wegen auch für die 18. Etappe zu erw

10.09.2025Zeitfahren aus Sicherheitsgründen von 27,2 auf 12,2 km gekürzt

(rsn) – In Valladolid steht das einzige Einzelzeitfahren dieser Vuelta auf dem Programm. Der eigentlich 27,2 Kilometer lange, flache Parcours wurde am Vorabend der Etappe auf 12,2 Kilometer gekürzt

10.09.2025Vingegaard: “Diese Tage muss man eben überstehen“

(rsn) – Kaum etwas gewonnen hat Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) auf der 17. Etappe der Vuelta a Espana. Im schweren Schlussanstieg konnte der Däne keinen Unterschied machen. Immerhin: Se

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • La Vuelta Ciclista a Espana (2.UWT, ESP)
  • Radrennen Männer

  • Turul Romaniei (2.2, ROU)