Tour-Blog / Teil 16

Krönung oder drittes Drama?

Von Andreas Schulz (Eurosport)

Foto zu dem Text "Krönung oder drittes Drama?"
Cadel Evans (BMC) | Foto: ROTH

23.07.2011  |  (rsn) - Und täglich grüßt das Murmeltier? Mit ein wenig Übung könnte Cadel Evans ganz gut den mürrisch-melancholischen Bill Murray aus dem Kultfilm geben. Zum Abschluss der Tour zumindest könnte ihm das Szenario durchaus bekannt vorkommen.

Im letzten Zeitfahren gilt es für ihn, wie 2007 und 2008, einen Rückstand aufzuholen und den greifbar nahen Gesamtsieg perfekt zu machen. Wieder geht der 34-Jährige dabei als Favorit ins Rennen - doch zweimal schon ist er an dieser Aufgabe gescheitert.

Deshalb ist Vorsicht geboten, niemand weiß das besser als Evans selbst: "Tomorrow, very simple: ride fast from point (a) to point (b)", so seine Marschroute für die 42,5 Kilometer rund um Grenoble. Sein großer Vorteil: Er hat das vor sechs Wochen hier schon einmal ausprobiert und den Kurs unter Rennbedingungen bei der Dauphiné absolviert.

Frühentwickler vs. schlampiges Talent

Andy Schleck wiederum kennt die Strecke bisher nur als Video und gilt, trotz einzelner Top-Resultate wie beim Tour-Finale 2010, als der schwächere Zeitfahrer der beiden Siegkandidaten. Für ihn spricht, ganz banal, der Vorsprung von 57 Sekunden und der Vorteil, dass er als letzter Starter jede Zwischenzeit seines Rivalen kennen wird.

Außerdem kündigte er vor der Tour an, sich in der ungeliebten Disziplin weiter gesteigert zu haben: "Ich habe noch nicht zeigen können, wie ich mich im Zeitfahren verbessert habe, aber ich denke schon, dass ich stärker geworden bin. Ich habe viel dafür gearbeitet, stundenlang im Training damit zugebracht. Ein Zeitfahren am Ende der Tour ist eine besondere Sache. Und wenn der Sieg in der Tour greifbar nahe ist, gelingen einem außerordentliche Dinge - daran glaube ich wirklich", sagte er im Eurosport-Interview im Juni.

Dem Australier hingegen dürfte in die Karten spielen, dass die Strecke einige durchaus anspruchsvolle technische Passagen enthält. Der einstige Weltcup-Gesamtsieger der Mountainbiker ist fahrtechnisch versiert und verfügt über immens viel Erfahrung auf der Zeitfahrmaschine. Sein Talent auf den schwierig zu beherrschenden Spezialrädern bewies er einst schon beim "Erstkontakt":

Mit 18 Jahren bekam er kurzfristig die Chance, nach einigen Testfahrten bei der Junioren-WM im Einzelzeitfahren zu starten. Ergebnis - Rang drei ohne besondere Vorbereitung. Bei besserer Renneinteilung wäre sogar der Titel möglich gewesen.

Andy Schleck und das Zeitfahren ist dagegen keine solche Liebe auf den ersten Blick: Mit sanftem Druck brachte ihn Bjarne Riis schrittweise dazu, sich dem Kampf gegen die Uhr intensiver zu widmen und spezielles Training zu intensivieren. Der extra dafür abgestellte Sonderbeauftragte Bobby Julich allerdings war sich nie wirklich sicher, ob die Übungen, die er gezeigt hatte, auch immer brav gemacht wurden...

Brad McGee, Sportlicher Leiter bei Saxo Bank und einstiges Zeitfahr-Ass, brachte es so auf den Punkt: "Das ist eine komplizierte Disziplin - und Andy mag die komplizierten Dinge nicht so."

Vergleichswerte? Fehlanzeige!

Wie sieht's nun aber mit dem knallharten Zahlen-Check aus? Wer auf lange Kolonnen von Vergleichswerten gewartet hat, muss enttäuscht werden. Zu dürftig ist die Datenlage. Entweder der Kurs ist in Länge oder Profil nicht vergleichbar, einer der beiden Probanden gehandicapt oder nicht mit Vollgas unterwegs gewesen bzw. die Zeitfahren sind inzwischen schlichtweg zu lange her, um noch aussagekräftig zu sein.

Ok, ein Beispiel - als Beweis dafür, dass ich wirklich ein wenig in den Ergebnislisten gekramt habe: Im Jahr 2011 haben Evans und Schleck nur ein Zeitfahren zusammen bestritten: Bei Tirreno-Adriatico Mitte März war Evans klar schneller, doch die 9,3km taugen eben nicht als Grundlage für eine Hochrechnung: Der Ex-Weltmeister fuhr um den Gesamtsieg, der Luxemburger war im frühen Formaufbau.

Auch in Italien rief man Evans vor dem abschließenden Zeitfahren damals schon zum Sieger aus, lag er doch komfortabel vor den wichtigsten Gegnern in Front. Aber der zurückhaltende Wahl-Schweizer zeigte sich als gebranntes Kind und wollte keinesfalls zu früh jubeln: "Ich habe schon Rennen verloren, die ich gewonnen glaubte", sagte er aus bitterer Erfahrung. Am Ende aber stand der Gesamtsieg beim Saisoneinstand.

Zum Abschluss noch der Taktik-Geheimtipp von Evans: "You have to start as fast as possible and finish as fast as possible. And hope it's fast enough."

Auf dass der Bessere gewinne!

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.07.2011Teamwechsel, bitte!

(rsn) - Eigentlich hatte Cadel Evans bereits im Herbst 2009, als er mit einem brillanten Auftritt die Straßenweltmeisterschaft gewann, den Ruf eines Mannes abgelegt, der einfach keine wichtigen Radre

24.07.2011Die Spezialisten profitierten von den Regeländerungen

(rsn) – Mit neuen Punktesystemen für die Berg- und die Sprintwertung wartete die 98. Auflage der Tour de France auf. Für viele Fahrer, die sich in der Vergangenheit auf diese Sonderwertungen konze

22.07.2011Comeback der „frischen Franzosen“

(rsn) - Die meisten Franzosen lieben ihre Tour de France bedingungslos, aber diese Liebe war zuletzt auch ein gespanntes Verhältnis. Seit dem Festina-Skandal 1998 hatten es Profis aus dem Gastgeberla

20.07.2011Doping: Wandel oder Weichspüler?

Wie geht´s uns denn heute? Zumindest einmal pro Tour muss die Gretchenfrage gestellt werden: Ist der Radsport auf dem Weg aus der Talsohle oder kurbelt er weiter eifrig auf die Klippe zu und stürzt

19.07.2011Ganz oder gar nicht!

(rsn) - „Ganz oder gar nicht“, möchte man all den Medien zurufen, die sich wegen der Doping-Skandale vergangener Jahre immer mehr aus der Radsport-Berichterstattung zurückziehen. Und am liebsten

18.07.2011Warum nicht in den Hindukusch?

Montpellier (rsn) - Die Tour de France hat nicht umsonst den Beinamen "Tour der Leiden weg". Jedes Jahr versuchen die Organisatoren, für Fahrer und Begleittross neue Schikanen einzubauen. Die erste

17.07.2011"It´s not a f...ing strip club"

(rsn) - Fabian Cancellara war sauer. Und wenn jemand mit dem Spitznamen "Spartakus" sauer wird, duckt sich selbst die aufdringliche Journalistenmeute weg. Vor wenigen Minuten hatte der Schweizer erst

15.07.2011Klöden ist mein „härtester Tour-Profi"!

(rsn) - Die Kollegen von der Zeitung mit den vier Buchstaben küren Johnny Hoogerland (Vacansoleil-DCM) heute zum härtesten Profi der Tour. Der Niederländer ist, im Gegensatz zu anderen Bild-Helden,

14.07.2011Sprinter-Rechenspiele

(rsn) - Mann, Mann, Mann! Haben Sie das gestern gesehen? Da hat sich der Mark Cavendish nicht die Wurst vom Brot nehmen lassen. Da konnte Andre Greipel seinem Ex-Kollegen nicht den Schaum vom Guiness

13.07.2011Noch ein "beschissenes kleines Rennen"?

(rsn) - „Greipel ziiiiiieht an Cavendish vorbei und gewinnt seine erste Tour-de-France Etappe!“ - ein schöner Ausruf, oder? Darauf haben deutsche Fans lange warten müssen. Man könnte sich glatt

09.07.2011Wer trägt die Verantwortung?

(rsn) – Die Tour ist die Tour, das wichtigste Radrennen der Welt. Die Pedaleure riskieren bei der Grand Boucle Kopf und Kragen und das im wahrsten Sinne des Wortes. So viele Stürze wie in dieser er

07.07.2011Peloton durch's Nadelöhr

(rsn) - Die Tour de France hat sich in den vergangenen Jahren wohltuend etwa vom Giro d’Italia abgehoben. Die Organisatoren der ASO legten nämlich bei der Streckenplanung ind er Regel keinen besond

Weitere Radsportnachrichten

13.10.2025Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir über die w

13.10.2025Balsamo als Topfavoritin nach China

(rsn) – Die Tour of Chongming Island (2.WWT) bildet den Abschluss der Women’s WorldTour 2025. Drei Tage lang findet das Rennen auf der zweitgrößten chinesischen Insel vor den Toren Shanghais st

13.10.2025Nicolas Vinokurov verlängert bei XDS - Astana

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

13.10.2025Saisonfinale im Fernost: Sprint-Chancen und ein “Scharfrichter“

(rsn) – Die Tour of Guangxi bildet vom 14. bis 19. Oktober das Saisonfinale der UCI WorldTour 2025. Auf den sechs Etappen der chinesischen Rundfahrt werden 1019,9 Kilometer zwischen Fangchenggang un

13.10.2025Seltene Niederlage: Pogacar verliert gegen Amateur

(rsn) – Tadej Pogacar hat am Sonntag eine seltene Niederlage einstecken müssen – und das ausgerechnet bei seiner eigenen Veranstaltung. Bei der "Pogi Challenge" in Slowenien musste sich

13.10.2025Tour of Chongming Island im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(ran) - Bereits seit 2007 steht die Tour of Chongming Island im Rennkalender der Frauen und zählt seit 2016 zur Women´s World Tour. Die Rundfahrt führt über drei Etappen und kam zumeist den Sprin

13.10.2025Grande Partenza 2026 in Bulgarien

(rsn) – Der Giro d’Italia 2026 wird in Bulgarien beginnen. Dies bestätigte der Präsident der Organisation RCS Urbano Cairo beim Festival dello Sport in Trentino. Das bedeutet, dass die Italien-

13.10.2025Tour of Guangxi im Rückblick: Die ersten neun Jahre

(rsn) - Die erstmals 2017 ausgetragene Tour of Guangxi ist seitdem das letzte WorldTour-Rennen der Saison. Die sechstägige Rundfahrt wird in der autonomen Region Guangxi im Süden Chinas ausgetragen

12.10.2025Biesterbos überrascht bei der Gravel-WM

(rsn) - Nicht zum ersten Mal in dieser Saison bringt ein Fahrer eines Teams außerhalb der WorldTour die Profis der Topliga des Radsports beim Kampf um einen Meistertitel ins Schwitzen. Nachdem in Ita

12.10.2025“Im Finale waren wir vielleicht ein bisschen dumm“

(rsn) – Bis eine Minute vor der endgültigen Entscheidung von Paris-Tours (1.UWT) hatte die Grande Nation noch fest daran glauben können, dass nach dem Vorjahressieg von Christoph Laporte (Visma â

12.10.2025Philipsen: “Mit diesen Jungs auf dem Podium zu sein, ist ein Privileg“

(rsn) – Matteo Trentin (Tudor) hat die 119. Auflage von Paris–Tours (1.Pro) im Sprint einer sechsköpfigen Spitzengruppe gewonnen und damit seinen dritten Sieg beim französischen Herbstklassiker

12.10.2025Trentin gewinnt auch die zweite Version von Paris-Tours

(rsn) – Matteo Trentin (Tudor) hat mit Paris-Tours (1.Pro) den letzten großen Herbstklassiker auf europäischer Bühne im Zielsprint einer Sechsergruppe für sich entschieden. Das traditionsreiche

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Gree-Tour of Guangxi (2.UWT, CHN)
  • Radrennen Männer

  • Tour of Holland (2.1, NED)