Gerolsteiner-Chef im Interview

Holczer: Wir sind in der Spitze angekommen!

08.11.2006  |  Der deutsche ProTour-Rennstall Gerolsteiner kann auf das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte zurückblicken. 41 Siege fuhren die Männer in Cyan-Blau in der abgelaufenen Saison ein. Im neuen Jahr setzt die Teamleitung verstärkt auf junge Fahrer. „Die innere Entwicklung muss jetzt nach außen Früchte tragen“, so Teamchef Hans-Michael Holczer im Interview mit Radsport aktiv. Den von den ProTour-Teams eingeführten DNA-Test sieht Holczer als eine Chance für Fahrer, die unter Dopingverdacht geraten sind.

2006 gab es so viele Siege wie nie für Team Gerolsteiner – aber die scheinen angesichts des Dopingskandals im Sommer kaum wahrgenommen zu werden. Können Sie sich noch unbeschwert über die Erfolge freuen?

Holczer: Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere sportlichen Erfolge nicht wahrgenommen werden. Und natürlich können wir uns über unsere Siege freuen. Auch am Ende der Saison lief es ja noch sehr gut. Bei der Lombardei-Rundfahrt haben wir mit Rebellin, Totschnig und Wegmann hervorragend abgeschnitten, das hat dann gleich schon Lust auf mehr gemacht. Vor allem Fabian Wegmann ist fantastisch gefahren und hat seine Klasse aufblitzen lassen. 2006 war für Team Gerolsteiner definitiv das bisher beste Jahr, und zwar nicht nur in sportlicher Hinsicht. Die Infrastruktur des Teams stimmt, wir haben den „ProTour-Schritt“ endgültig vollzogen. Wir haben weiter in das Team investiert, haben uns beispielsweise zwei neue große Busse angeschafft, einen für die Fahrer und einen für Betreuer, Mechaniker und Material. Die täglichen Arbeitsablauf haben reibungslos funktioniert, unsere Angestellten (insgesamt mehr als 50 einschließlich Fahrer) sind mit diesem Jahr allesamt zufrieden. Ich denke, wir sind nicht nur in rein sportlicher Hinsicht in der Spitzengruppe der Teams angekommen, sondern auch was unsere Infrastruktur betrifft.

Wo soll es im nächsten Jahr mit Team Gerolsteiner hingehen?

Holczer: Im November/Dezember fragt man mich besser nicht nach Perspektiven. In dieser Zeit warne ich immer vor zu hohen Erwartungen. In den vergangenen acht Jahren ist es für Gerolsteiner immer nur bergauf gegangen. Die Kurve nach oben wird jetzt immer steiler und die Sturzhöhe nimmt zu. Wir haben diesmal nur junge Fahrer geholt, sind damit ganz bewusst ein Risiko eingegangen. Aber wenn man sich die Rennergebnisse dieses Jahres anschaut, sieht man, dass wir - von Levi Leipheimer abgesehen - die „Big Points“ behalten haben,. Und es beruhigt mich, dass das Teammanagement einen guten Job abliefert und sich auch dadurch Erfolge einstellen. Das Team ist jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die innere Entwicklung nach außen Früchte tragen muss. Unsere Ziele blieben die gleichen wie bisher: Die Klassiker, die Tour de France und die Deutschland Tour. Ein besonderes Gewicht bekommt die Heim-WM in Stuttgart. Da werden die Fahrer besonders motiviert sein.

Mit Stefan Schumacher, Markus Fothen und Heinrich Haussler fahren drei der talentiertesten deutschen Profis in ihrem Team. Was erwarten Sie von ihnen in der neuen Saison?

Holczer: Schumi hat mehrfach gezeigt, was er kann. Der Bursche hat einen regelrechten „Killerinstinkt“ und nicht zufällig die Sarthe- oder die Benelux-Rundfahrt ganz knapp gewonnen. Noch ist nicht entschieden, ob er sich auf die Frühjahrsklassiker konzentriert oder ob die Tour ein Thema für ihn sein könnte. Ich bin gespannt, ob er sich zu einem „Jalabert-Typ“ entwickelt, der sich bei großen Rundfahrten einzelne Etappen heraussucht und kleinere Rundfahrten wie Paris-Nizza gewinnen kann – oder ob er bei den großen Rundfahrten tatsächlich auf Gesamtwertung fahren kann. Bei Markus Fothen ist die Geschichte relativ klar. Er ist unser Mann für die großen Rundfahrten und hat jetzt seine körperliche Entwicklungsphase abgeschlossen. Mit 25 Jahren befindet er sich aber im Hinblick auf die großen Rundfahrten noch im Aufbau. Nach Platz 15 bei der diesjährigen Tour spürt er schon einen gewissen Druck. Heinrich Haussler hat Riesenpotenzial. Er musste durch seine Krankheit die Erfahrung machen, dass das zweite Profijahr das schwerere ist. Ich glaube aber nicht, dass ihm das geschadet hat. Seine Klasse hat er trotzdem bewiesen, mit Siegen vor und nach seiner Krankheitspause. Ich sehe ihn als Klassikerfahrer, Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix könnten sein Metier werden. Man darf auch gespannt sein, wie er seine Sprintfähigkeiten weiterentwickeln wird.

Sie haben ausschließlich junge Fahrer verpflichtet, mit Leipheimer, Totschnig und Rich aber drei erfahrene und erfolgreiche Profis verloren. Fürchten Sie nicht, dass die Balance zwischen Routine und Talent verloren gehen könnte?

Holczer: Die würde dann verloren gehen, wenn wir nicht Leute wie Wegmann, Schumacher, Markus Fothen, David Kopp oder Sebastian Lang hätten, die mittlerweile über Erfahrung verfügen und sich zu Siegfahrern entwickelt haben. Dazu kommen Davide Rebellin, die Zberg-Brüder oder Volker Ordowoski – alles Fahrer, die über genügend Routine verfügen. Natürlich ist der Weggang von Levi Leipheimer ein gewisser Verlust für uns, aber wir haben uns eben dazu entschieden, das Team zu verjüngen.

Sie haben sich unter den Teamchefs als einer der entschiedensten Vorkämpfer im Kampf gegen das Doping erwiesen. Wieviel Überzeugungsarbeit mussten oder müssen Sie bei Ihren Kollegen leisten?

Holczer: Keine. Das war eher eine Entwicklung, die sich abgezeichnet hat und die nötig war. Meine Kollegen haben das erkannt. Die Teams tun jetzt viel mehr, um eine kollektive Verantwortung sicherzustellen. In Zukunft haben nicht nur die Fahrer in Dopingfällen mit Sanktionen zu rechnen, sondern auch die Teams. Außerdem sehe ich mich nicht als Vorreiter und möchte schon gar nicht in die Saubermann- Rolle gedrängt werden. Man erhält dadurch eher ein Negativ-Image und steht ziemlich dumm da, wenn im eigenen Team ein Dopingfall vorkommt. Schließlich kann man für keinen Fahrer die Hand ins Feuer legen.

Die Teams versprechen sich viel von der Einführung des DNA-Tests. Ihr Kollege Johan Bruyneel scheint ihn aber abzulehnen mit der Begründung, neue Antidopingmaßnahmen wären Aufgabe der UCI. Sind die Teams überhaupt einer Meinung in dieser Frage?

Holczer: Ich denke schon. Bruyneel brachte doch nur zum Ausdruck, was man in der Reformeuphorie leider allzu oft vergisst: Es ist tatsächlich nicht einfach, so etwas wie einen DNA-Test durchzusetzen. Juristisch ist das für die Teams nicht unproblematisch und der Kern von Bruyneels Aussage war dass es normalerweise Aufgabe der UCI wäre. Die Presse hat dann aber daraus gleich die Zeile gemacht: Bruyneel lehnt DNA-Test ab.

Bei Team Gerolsteiner sind die ersten Verträge mit DNA-Klausel bereits unterschrieben. Wie war die Reaktion der Fahrer?

Holczer: Zunächst einmal zur Klarstellung: Dieser Test soll dazu dienen, unter Verdacht stehenden Fahrern die Chance zu geben, ihre immer wieder beteuerte Unschuld zu beweisen. Bei so schwer wiegenden Beschuldigungen, wie sie im Zuge der Operation Puerto vorgebracht wurden, kann ein DNA-Test doch nur helfen. Es geht keinesfalls um Strafmaßnahmen gegen den Fahrer, der Test bedeutet keine Restriktion. Auch das wird in der Presse oft falsch dargestellt. Die Reaktionen unserer Fahrer waren unterschiedlich: Manche haben den Vertrag kommentarlos unterschrieben, für andere war es ein Anlass die Vorgänge der letzten Zeit noch einmal im Gespräch zu analysieren und aufzuarbeiten. Wir werden das ganze Thema auch noch beim Teamtreffen Ende November besprechen. Es ist aber auch klar, dass wir keinen Fahrer zwingen können, einen laufenden Vertrag um die DNA-Klausel erweitern zu lassen.

Paolo Bettini lehnt den Test vehement ab mit dem Verweis auf Datenschutz und den Schutz seiner Intimsphäre. Sind diese Einwände nicht berechtigt?

Holczer: Ich denke, Bettini missversteht unser Anliegen. Der DNA-Test ist, wie gesagt, kein Kontrollinstrument, sondern bedeutet eine Chance für den Athleten. Es gibt doch für einen Fahrer nichts Schlimmeres, als zu Unrecht verurteilt zu werden. Mit dem genetischen Fingerabdruck hat er die Möglichkeit sich zu wehren. Ich habe durchaus Verständnis für die Fahrer, wenn sie sagen: Genug, das reicht an Kontrolle. Aber angesichts der Ereignisse dieses Sommers scheint es mir nötig, diesen Schritt zu gehen, auch wenn er unpopulär sein mag.

Manolo Saiz darf seine ProTour-Lizenz behalten. Wenn er ein neues Team zusammenbekommt – wie werden sich die Teamchefs ihm gegenüber verhalten?

Holczer: Ich weiß es nicht, wie ich mit der Situation umgehen werde, falls es soweit kommen sollte. So weit ich weiß, ist Manolo aus der IPCT ausgeschlossen werden, der neu gegründeten Vereinigung der ProTour Teams.

Angesichts der Dopingproblematik – bleibt Ihnen überhaupt noch genug Zeit, sich ausreichend um die Belange des Teams zu kümmern?

Holczer: Die habe ich, allerdings geht momentan zuviel meiner Arbeitszeit für das Thema Doping drauf. Ich habe hier eine Anfrage nach der anderen. Ich will mich in der ganzen Dopingproblematik nicht verstecken und sträube mich bestimmt nicht, dazu Interviews zu geben. Aber ich muss aufpassen, dass es nicht überhand nimmt.

Sind die Personalplanungen für die neue Saison abgeschlossen?

Holczer: Die sind definitiv abgeschlossen. Weitere Neuverpflichtungen sind nicht geplant. Wir werden mit 26 Fahrern in die neue Saison gehen.

Welcher Gerolsteiner-Sieg in der abgelaufenen Saison hat sie am meisten gefreut und über welchen würden Sie sich 2007 am meisten freuen?

Holczer: Spontan fallen mir da die Siege von Stefan Schumacher beim Giro auf der Etappe nach Namur und bei der Sarthe-Rundfahrt ein. In Frankreich war ich mit dabei und ich weiß noch, wie ich nach der letzten Etappe eine Viertelstunde mitgezittert habe, bis feststand, dass Schumi die Rundfahrt gewonnen hatte. Emotional besonders berührt haben mich die Etappensiege von Robert Förster beim Giro und bei der Vuelta. Ganz wichtig war David Kopps Sieg bei der Trofeo Calvia im Februar: Es war Davids erster im Gerolsteiner-Trikot und zugleich der erste für das Team. So ein früher Erfolg nimmt immer einiges an Druck. 2007 würde ich mich über einen WM-Titel besonders freuen – und natürlich über einen Etappensieg bei der Tour oder einen Erfolg bei einem Klassiker.

Mit Hans-Michael Holczer sprach Matthias Seng.

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