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28.06.2024 | (rsn) – Nach dem Horror-Crash auf der 4. Etappe der Baskenland-Rundfahrt im April und seiner anschließenden langen Reha-Phase ist Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Visma – Lease a Bike) vor dem Start der 111. Tour de France die große Unbekannte. Für die Konkurrenz ist es schwer einzuschätzen, wie stark der Däne bereits ist – auch wenn dessen Team im Mai immer wieder betonte, dass man ihn nur an den Start bringen werde, wenn er zu 100 Prozent bereit sei für die Frankreich-Rundfahrt.
"Leider hat man mir seine aktuellen Leistungsdaten und auch die Arztberichte nicht zukommen lassen", scherzte Red Bull – Bora – hansgrohes Sportdirektor Rolf Aldag am Mittwoch am Rande der Vorstellung des Tour-Teams und des neuen Looks seiner Mannschaft im Hangar-7 in Salzburg, von wo er und seine Fahrer abends per Oldtimer-Flugzeug aus dem Red-Bull-Sammelsurium nach Florenz zum Grand Départ aufbrachen.
"Ich habe keine Ahnung, wie es Vingegaard geht. Er war - wie wir - in Tignes im Höhentrainingslager und wenn wir jetzt etwas deuten wollen: Als ich den Berg runtergefahren bin, kamen sie gerade rauf und er war hinter Wout van Aert und Tiesj Benoot. Wenn wir daher davon ausgehen, dass er schlechter ist als die beiden am Berg, dann habe ich realistische Hoffnung, dass wir ihn schlagen werden", feixte Aldag weiter. "Aber ich denke, das war nicht sein wahres Leistungspotenzial."
Ernsthaft erwartet keiner der Konkurrenten, dass Vingegaard wirklich schwach sein wird. Aber klar ist: Man wird es bei dieser Tour relativ schnell herausfinden. Schon die ersten beiden Etappen von Florenz nach Rimini und von Cesenatico nach Bologna, wo es zweimal die steile Rampe nach San Luca hinaufgeht, könnten da Aufschluss geben – und dann auch das vierte Teilstück mit vielen Höhenmetern von Pinerolo über Montgenevre und den Col du Galibier nach Valloire.
"Es gibt immer gemeinsame Interessen und Einzel-Interessen. Und ein gemeinsames Interesse von allen, die die Tour ernsthaft gewinnen wollen, muss es sein, ein Gespür dafür zu finden, wie gut Jonas momentan ist. Das geht auch nicht persönlich gegen ihn, es ist nur einfach so: Wir erwarten, dass er gut sein wird, sonst würde er die Tour nicht fahren. Er startet nicht, um die rote Laterne zu bekommen. Aber wie gut ist er?", fragte Aldag und gab zu bedenken:
"Es ist auch so, dass wir glauben, wenn man ihn erst mal in Ruhe seine Form aufbauen lässt, mit der Klasse, die er als zweifacher Tour-Sieger hat, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Sieges für ihn immer weiter. Wenn wir zeitgleich auf Etappe 20 kommen, würde ich mich jetzt nicht festlegen wollen, dass er nicht gewinnt. Deshalb ist es nur intelligent, über die frühen Etappen nachzudenken."
Dass es gleich am Wochenende also einen Vollgas-Start in 'La Grande Boucle' geben wird, ist wohl zu erwarten. Dafür steht sicher auch Giro-Sieger Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) mit seinem Namen. Der Slowene attackierte auch bei der Italien-Rundfahrt von Tag eins an und wird das bestimmt auch für die Tour planen – wobei man bei ihm ebenfalls nicht ganz sicher sein kann, ob er gleich zum Start der Tour bei 100 Prozent ist. Schließlich musste er nach dem Giro erst mal pausieren und neu aufbauen.
"Wir alle werden automatisch Tests bestehen müssen", sagte Red-Bull-Kapitän Roglic auf die Frage von RSN, ob auch er Vingegaard gleich von Beginn an auf den Zahn fühlen möchte. "Die ersten Tage sind immer nervös und verrückt und wir müssen Vollgas geben. Man muss an diesen Tagen auf sich selbst aufpassen und überleben." Wirklich konkret auf seine Kontrahenten eingehen wollte der 34-jährige Slowene nicht.
Aldag aber war sicher, dass Roglics Landsmann Pogacar in Frankreich so offensiv wird weitermachen wollen, wie er beim Giro aufgetreten ist. "Unser slowenischer Giro-Freund (Pogacar, d.Red.) wird ein Interesse daran haben, gleich zu sehen, wie gut er (Vingegaard) ist", meinte der Deutsche und nahm dabei neben den punchy Rampen des Auftakt-Wochenendes, die Pogacar und Roglic sowie wohl auch Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) ohnehin besser liegen sollten als Vingegaard, auch den ersten Tag im Hochgebirge ins Visier.
"Pogacars Mannschaft kann es schwer machen und dann sollte man die Riemchen schon mal enger stellen und bereit sein, wenn die loslegen", so Aldag mit Blick auf das extrem starke Bergteam von UAE mit Adam Yates, Joao Almeida und Juan Ayuso als absoluter Edelgarde für die Kletterpartien im Zug vor Pogacar. "Die Bereitschaft ist das Entscheidende – nicht rumzuträumen, wenn auf Etappe 4 der Planet brennt. Wir müssen von Etappe 1 an 'on fire' sein, denn dass Vingegaard gleich am Anfang getestet wird, ist, glaube ich nicht aus der Luft gegriffen."
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