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19.07.2023 | (rsn) - Das Schlimmste kam zum Schluss. Auf der bis zu 18% steilen Rampe zum Hochgebirgsflughafen von Courchevel pendelte der Oberkörper von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) vor Erschöpfung hin und her. Er wollte mit den Seitwärtsbewegungen noch jenen Vorschub erzeugen, der ihn nicht vom Rad fallen ließ. Sehen musste er auch, dass Warren Barguil (Arkéa - Samsic) an ihm noch vorbeizog. Der Franzose, einst ein riesiges Bergtalent, ist mittlerweile zum Hinterherfahrer geschrumpft. An diesem Tag des großen Zusammenbruchs des Slowenen aber kam selbst er am talentiertesten Rundfahrer der Gegenwart vorbei.
Der allerdings erlebte auf der Königsetappe der 110. Tour de France einen schon historisch zu nennenden Einbruch. Fast sechs Minuten verlor er auf Jonas Vingegaard, von dem ihm über 2.600 Kilometer nur zehn Sekunden getrennt hatten. Alle, die nach der Zeitfahrschlappe vom Dienstag mit einer famosen Reaktion des Slowenen gerechnet hatten, sahen sich getäuscht. Am meisten wohl sah er sich selbst getäuscht. "Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Ich habe genug gegessen. Aber das kam nicht bis zu den Beinen durch. Am letzten Anstieg habe ich mich einfach leer gefühlt“, sagte Pogacar im Ziel.
Der Tag begann schon nicht so günstig. Zu Beginn der Etappe sah er sich in einen Sturz verwickelt. "Ein Fahrer vor ihm wollte in die Fluchtgruppe vorfahren. Dabei touchierte sein Rad das von Tadej. Deshalb fiel er“, erzählte Jonas Vingegaard (Jumbo - Visma), der selbst ganz in der Nähe des Slowenen war. "Aber Pogacar kam dann wieder in die Gruppe“, berichtete er noch. Im Fernsehen sah man Blut vom linken Unterschenkel des Slowenen tropfen. Auch am Arm war Schorf zu sehen. Wie sehr ihn der Sturz im weiteren Verlauf der Etappe eingeschränkt hatte, bleibt aber Spekulation.
Die Geschwindigkeit war nicht sehr hoch. Auf exakt 22,1 km/h bezifferten die Datensammler der Firma NTT sie. Pech für den Mann im Weißen Trikot war natürlich, dass er erneut auf die linke Seite gefallen war. Das war schon die Sturzseite bei Lüttich-Bastogne-Lüttich (1.UWT).
Unterwegs kamen ihm sogar Zweifel, ob er noch den zweiten Podiumsplatz halten könnte, so matt fühlte er sich. "Dann aber haben mir meine Teamkollegen geholfen“, sagte Pogacar. Besonders Marc Soler war bei ihm. Teilweise aber war selbst der behutsame Tritt des Spaniers zu heftig für den schwächelnden Kapitän. Wohl noch nie sah man Pogacar derart aufgelöst, derart erschöpft wie an diesem Mittwoch.
Im Ziel bot der zweimalige Toursieger den Anblick größten Radsportelends. Gut, er raffte sich noch zu einem schiefen Lächeln auf, als er das Podium betrat für die Ehrung des besten Nachwuchsfahrers. Zum 71. Mal zog er es sich bereits über, bei 80 Touretappen, die er überhaupt absolviert hat – was für eine Leistung. Es war aber wohl der traurigste Tag in Weiß in seiner ganzen Karriere. "Ja, ich muss sagen, heute war einer der schlimmsten Tage überhaupt für mich auf dem Rad. Ich weiß auch gar nicht, was so richtig mit meinem Körper los war“, sagte er.
Im Backstage-Bereich des Siegerpodiums sah man ihn dann zusammengesunken sitzen, den Kopf in eine Hand gestützt, die Augen halb geschlossen. Und als er sie öffnete, offenbarte sich ein Blick so leer und traurig wie der Blick von Mark Cavendish (Astana Qazaqstan), als der Brite bei dieser Tour nach Sturz in den Krankenwagen stieg. Pogacar erreichte aus eigener Kraft das Ziel. Er wird auch weiter fahren und er bleibt Gesamtzweiter. Aber dieser Tag wird ihm in keiner guten Erinnerung bleiben.
Immerhin konnte er sich im Kreise seiner Teamgefährten trösten lassen. Die UAE-Männer umringten ihren Kapitän, schienen einen Schutzschild vor Fernsehkameras und Mikrofonen aufbauen zu wollen. Und im Kreise der Mannschaftskameraden fand der geschlagene Pogacar dann doch noch aufmunternde Worte. "Ich hoffe, dass ich mich in den nächsten beiden Tagen gut erholen kann und dass wir dann noch einmal um den Tagessieg kämpfen können. Es wäre gut für das Team, egal ob ich ihn hole, Adam, Marc oder auch Felix. Das Team hatte heute richtig gute Beine“, sagte der 24-Jährige mit Blick auf die schwere 20. Etappe, die durch die Vogesen führen wird.
Selbst Vingegaard wollte seinen großen Rivalen noch nicht ganz abschreiben. "Ich weiß nicht, was heute bei ihm los war. Aber so wie ich ihn kenne, gibt er niemals auf. Bis Paris kommen noch ein paar heikle Etappen“, meinte der souveräne Gesamtführende. Aber nur die branchenübliche Vorsicht war wohl die Mutter dieses Gedanken.
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