5:45 Minuten hinter Vingegaard im Ziel

Leere Beine, leerer Blick: Pogacar am Col de la Loze gedemütigt

Von Tom Mustroph aus Courchevel

Foto zu dem Text "Leere Beine, leerer Blick: Pogacar am Col de la Loze gedemütigt"
Marc Soler (UAE Team Emirates) half seinem Kapitän Tadej Pogacar auf dem Weg ins Ziel. | Foto: Cor Vos

19.07.2023  |  (rsn) - Das Schlimmste kam zum Schluss. Auf der bis zu 18% steilen Rampe zum Hochgebirgsflughafen von Courchevel pendelte der Oberkörper von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) vor Erschöpfung hin und her. Er wollte mit den Seitwärtsbewegungen noch jenen Vorschub erzeugen, der ihn nicht vom Rad fallen ließ. Sehen musste er auch, dass Warren Barguil (Arkéa - Samsic) an ihm noch vorbeizog. Der Franzose, einst ein riesiges Bergtalent, ist mittlerweile zum Hinterherfahrer geschrumpft. An diesem Tag des großen Zusammenbruchs des Slowenen aber kam selbst er am talentiertesten Rundfahrer der Gegenwart vorbei.

Der allerdings erlebte auf der Königsetappe der 110. Tour de France einen schon historisch zu nennenden Einbruch. Fast sechs Minuten verlor er auf Jonas Vingegaard, von dem ihm über 2.600 Kilometer nur zehn Sekunden getrennt hatten. Alle, die nach der Zeitfahrschlappe vom Dienstag mit einer famosen Reaktion des Slowenen gerechnet hatten, sahen sich getäuscht. Am meisten wohl sah er sich selbst getäuscht. "Ich weiß auch nicht, was passiert ist. Ich habe genug gegessen. Aber das kam nicht bis zu den Beinen durch. Am letzten Anstieg habe ich mich einfach leer gefühlt“, sagte Pogacar im Ziel.

Der Tag begann schon nicht so günstig. Zu Beginn der Etappe sah er sich in einen Sturz verwickelt. "Ein Fahrer vor ihm wollte in die Fluchtgruppe vorfahren. Dabei touchierte sein Rad das von Tadej. Deshalb fiel er“, erzählte Jonas Vingegaard (Jumbo - Visma), der selbst ganz in der Nähe des Slowenen war. "Aber Pogacar kam dann wieder in die Gruppe“, berichtete er noch. Im Fernsehen sah man Blut vom linken Unterschenkel des Slowenen tropfen. Auch am Arm war Schorf zu sehen. Wie sehr ihn der Sturz im weiteren Verlauf der Etappe eingeschränkt hatte, bleibt aber Spekulation.

Pogacar bezeichnete frühen Sturz als “unglückliche Situation“

Die Geschwindigkeit war nicht sehr hoch. Auf exakt 22,1 km/h bezifferten die Datensammler der Firma NTT sie. Pech für den Mann im Weißen Trikot war natürlich, dass er erneut auf die linke Seite gefallen war. Das war schon die Sturzseite bei Lüttich-Bastogne-Lüttich (1.UWT).

Unterwegs kamen ihm sogar Zweifel, ob er noch den zweiten Podiumsplatz halten könnte, so matt fühlte er sich. "Dann aber haben mir meine Teamkollegen geholfen“, sagte Pogacar. Besonders Marc Soler war bei ihm. Teilweise aber war selbst der behutsame Tritt des Spaniers zu heftig für den schwächelnden Kapitän. Wohl noch nie sah man Pogacar derart aufgelöst, derart erschöpft wie an diesem Mittwoch.

Im Ziel bot der zweimalige Toursieger den Anblick größten Radsportelends. Gut, er raffte sich noch zu einem schiefen Lächeln auf, als er das Podium betrat für die Ehrung des besten Nachwuchsfahrers. Zum 71. Mal zog er es sich bereits über, bei 80 Touretappen, die er überhaupt absolviert hat – was für eine Leistung. Es war aber wohl der traurigste Tag in Weiß in seiner ganzen Karriere. "Ja, ich muss sagen, heute war einer der schlimmsten Tage überhaupt für mich auf dem Rad. Ich weiß auch gar nicht, was so richtig mit meinem Körper los war“, sagte er.

Im Backstage-Bereich des Siegerpodiums sah man ihn dann zusammengesunken sitzen, den Kopf in eine Hand gestützt, die Augen halb geschlossen. Und als er sie öffnete, offenbarte sich ein Blick so leer und traurig wie der Blick von Mark Cavendish (Astana Qazaqstan), als der Brite bei dieser Tour nach Sturz in den Krankenwagen stieg. Pogacar erreichte aus eigener Kraft das Ziel. Er wird auch weiter fahren und er bleibt Gesamtzweiter. Aber dieser Tag wird ihm in keiner guten Erinnerung bleiben.

Jetzt ist der Etappensieg in den Vogesen das Ziel

Immerhin konnte er sich im Kreise seiner Teamgefährten trösten lassen. Die UAE-Männer umringten ihren Kapitän, schienen einen Schutzschild vor Fernsehkameras und Mikrofonen aufbauen zu wollen. Und im Kreise der Mannschaftskameraden fand der geschlagene Pogacar dann doch noch aufmunternde Worte. "Ich hoffe, dass ich mich in den nächsten beiden Tagen gut erholen kann und dass wir dann noch einmal um den Tagessieg kämpfen können. Es wäre gut für das Team, egal ob ich ihn hole, Adam, Marc oder auch Felix. Das Team hatte heute richtig gute Beine“, sagte der 24-Jährige mit Blick auf die schwere 20. Etappe, die durch die Vogesen führen wird.

Selbst Vingegaard wollte seinen großen Rivalen noch nicht ganz abschreiben. "Ich weiß nicht, was heute bei ihm los war. Aber so wie ich ihn kenne, gibt er niemals auf. Bis Paris kommen noch ein paar heikle Etappen“, meinte der souveräne Gesamtführende. Aber nur die branchenübliche Vorsicht war wohl die Mutter dieses Gedanken.

Mehr Informationen zu diesem Thema

25.06.2024Tour de France im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) - Die Tour de France ist die wichtigste Rundfahrt im internationalen Radsportkalender. Vor der am 29. Juni im italienischen Florenz beginnenden 111. Ausgabe liefern wir einen Überblick über d

11.06.2024Cofidis setzt auf erfahrenes Tour-Team inklusive Geschke

(rsn) – Die französische WorldTour-Mannschaft Cofidis präsentierte am Dienstag die ersten sechs Fahrer ihres Tour-de-France-Kaders in einer Presseaussendung und verkündete dabei auch, dass Simon

10.01.2024“Wir brauchen keine vier Soßen“: Wie Roglic Bora besser macht

(rsn) – Primoz Roglic macht Bora – hansgrohe besser. Das lässt sich schon sagen, bevor der Slowene überhaupt ein einziges Rennen gefahren ist. Während sich das erst Anfang März ändern und Rog

07.10.2023Thomas: “Ineos Grenadiers ist ein Team im Wandel“

(rsn) – Der letzte Tour-de-France-Sieg liegt schon vier Jahre zurück und vor allem daran lässt sich ablesen, dass Ineos Grenadiers längst nicht mehr das beste Grand-Tour-Team der Welt ist. Dennoc

30.07.2023Niewiadoma machte ihre Hausübungen für die Pyrenäen

(rsn) – Als am Col d‘Aspin auf der 7. Etappe der Tour de France Femmes die beiden Favoritinnen Demi Vollering (SD Worx) und Annemiek Van Vleuten (Movistar) erstmals in die Offensive gingen, konnte

27.07.202320 Sekunden Zeitstrafe: Vollering und SD Worx entsetzt

(rsn) – Der Kampf um den Gesamtsieg bei der Tour de France Femmes, er war bislang einer um Sekunden. Lediglich deren acht hatte Demi Vollering (SD Worx) an den ersten vier Tagen mit großem Aufwand

27.07.2023Cofidis erfolgreich, aber Geschke “nicht so gut drauf“

(rsn) – Am Sonntag erwartete Simon Geschke (Cofidis) seine Teamkollegen in Paris zum großen Finale der 110. Tour de France, die er auf der 18. Etappe aufgrund heftiger Magenprobleme verlassen musst

26.07.2023Vingegaard euphorisch in Kopenhagen empfangen

(rsn) – Der Sieger der Tour de France, der Däne Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma), wurde am Mittwochnachmittag in Kopenhagen von mehreren 10000 Menschen empfangen. Eine große Menge versammelte si

25.07.2023Buchmann zweifelt an seinem Comeback als GC-Fahrer

(rsn) - Für einen Moment war die Hoffnung wieder da. Die Hoffnung darauf, einen Emanuel Buchmann zu sehen, wie er sich im Juli 2019 bei der Tour de France präsentiert und dabei einen sensationellen

24.07.2023Tour-Achter Gall derzeit kein Thema für Bora - hansgrohe

(rsn) – Auch wenn ab August wieder Wechsel verkündet werden dürfen: Bora – hansgrohe und Felix Gall (AG2R - Citroën) werden nicht in einem Satz auftauchen. Nach der starken Vorstellung des Öst

24.07.2023Auch ohne Etappensiege imponieren Bauhaus und Zimmermann

(rsn) – Wie im Vorjahr kein Etappensieg und kein Fahrer in den vordersten Regionen des Klassements: Die Bilanz der nur sieben deutschen Starter bei der 110. Tour de France liest sich auf den ersten

24.07.2023Rückblick: Die 110. Tour de France in Zahlen

(rsn) – Drei hart umkämpfte Wochen, 21 Etappen und insgesamt 3405 Kilometer liegen hinter den Teilnehmern der diesjährigen Tour de France. Radsport-news.com blickt auf die 110. Frankreich-Rundfah

Weitere Radsportnachrichten

21.01.202576. Valencia-Rundfahrt: Zum Auftakt ein langes Teamzeitfahren

(rsn) – Nachdem die Valencia-Rundfahrt 2025 in Folge der verheerenden Überschwemmungen in der Region, die im vergangenen November mehr als 200 Menschenleben kostete, kurzzeitig in Gefahr schien, ko

21.01.2025Vuelta Femenina 2025 beginnt in Barcelona

(rsn) – Die Vuelta Femenina 2025 beginnt am 4. Mai in der katalanischen Hauptstadt Barcelona, wie die Organisatoren der Spanien-Rundfahrt der Frauen in einer Pressemitteilung ankündigten. Details

21.01.2025U23-Cross-Weltmeisterin Bäckstedt will in Liévin Titel verteidigen

(rsn) – Zoe Bäckstedt (Canyon – SRAM - zondacrypto) wird bei den kommenden Cyclocross-Weltmeisterschaften im französischen Liévin als Vorjahressiegerin im U23-Wettbewerb antreten und somit auf

21.01.2025Es fehlt nur ein überragender Rundfahrer

(rsn) – Kaum ein Team war 2024 in der Breite so gut aufgestellt wie Lidl – Trek. Obwohl in Mattias Skjelmose der beste Profi in der Abschluss-Weltrangliste erst auf Rang zwölf zu finden war, kam

21.01.2025Teutenberg sprintet nach Beinahe-Sturz noch auf Platz vier

(rsn) – Nachdem er als Sechster der Villawood Men´s Classic, einem nationalen Rennen drei Tage vor dem Start der 25. Tour Down Under, bereits bei den Besten hatte mitmischen können, hat Tim Torn T

21.01.2025Alle Etappen im Detail: Strecke der UAE Tour 2025

(rsn) – Auch bei ihrer siebten Auflage bleibt die UAE Tour (2.UWT) ihrem Konzept aus den vergangenen Jahren treu: Die siebentägige Rundfahrt durch die Vereinigten Arabischen Emirate bietet auf offi

21.01.2025Zum Saisonstart erleidet van Baarle einen schweren Rückschlag

(rsn) – Nach zwei schweren Verletzungen im vergangenen Jahr – Schlüsselbeinbruch beim Critérium du Dauphiné, Hüftbruch bei der Vuelta a Espana – sollte es für Dylan van Baarle in der Saison

21.01.2025Emirate setzen für ihre Frauen-Rundfahrt auf bewährtes Konzept

(rsn) – Ohne viele Neuerungen geht die UAE Tour Women (6. bis 9. Februar) in ihre dritte Auflage. Die zweite WorldTour-Rundfahrt des Jahres, die das Abu Dhabi Sports Council unter Mithilfe von Giro-

21.01.2025In dieser Saison heißt es: Die Position behaupten!

(rsn) – Auch im vergangenen Jahr war Elisa Longo Borghini eine der Protagonistinnen in den größten Rennen des internationalen Frauen-Radsports. Die 33-jährige Italienerin gewann für ihr Team Lid

21.01.2025Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

21.01.2025Welsford bleibt ´Down Under´ der Sprinter Nummer 1

(rsn) – Sam Welsford macht bei der 25. Tour Down Under da weiter, wo er im vergangenen Jahr aufgehört hat: beim Gewinnen. Der australische Sprinter von Red Bull – Bora – hansgrohe vollendete au

21.01.2025Im Überblick: Die Transfers der Frauen-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profiteam seit dem 1. August ihre Transfers offiziell bekanntgeben. Radsport-news.com samme

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Santos Tour Down Under (2.UWT, AUS)
  • Radrennen Männer

  • Tour du Sahel (2.2, 000)