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20.07.2023 | (rsn) – Vier Etappensiege, dazu die souveräne Führung im Kampf um das Grüne Trikot: Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck) ist der überragende Sprinter bei der 110. Tour de France. Doch was macht den Belgier so stark und wie tickt er als Mensch? radsport-news.com hat sich bei ehemaligen und aktuellen Teamkollegen umgehört.
Dass Philipsen bei den Sprints dermaßen abräumen würde, kam für die, die nahe an ihm dran sind, nicht überraschend. "Ich habe ihn sehr stark bei der Tour erwartet", sagte etwa sein Teamkollege Michael Gogl, der ebenfalls zum Tour-Aufgebot gehört, gegenüber radsport-news.com.
Ein Schlüssel des Erfolgs sind, so paradox es klingen mag, Philipsens Kletterfähigkeiten. "Er kommt saugut die Berge hoch“, meinte etwa Alexander Krieger, der dem Belgier in der Vergangenheit selbst den einen oder anderen Sprint angezogen hat, gegenüber radsport-news.com. Dadurch komme Philipsen meistens ein bisschen frischer als seine Konkurrenten in den Sprint.
___STEADY_PAYWALL___Ganz ähnlich lautet die Einschätzung von Philip Walsleben, der mit dem Sprinter 2021 gemeinsam bei Alpecin – Deceuninck fuhr und der mittlerweile als Performance-Coach für den WorldTour-Rennstall tätig ist. "Es ist beeindruckend, wie er bergauf fährt. Da neigt man immer dazu, ihn aufzufordern, dass er etwas rausnimmt. Die Praxis beweist aber, dass er das verträgt und auch benötigt“, so Walsleben, der beim Höhentrainingslager des Teams in La Plagne dabei war, gegenüber radsport-news.com.
Jasper Philipsen (rechts) mit seinem Teamkollegen Alexander Krieger (beide Alpecin - Deceuninck) bei der Tour de France 2022 | Foto: Cor Vos
In La Plagne teilte sich Gogl das Zimmer mit Philipsen. "Wir hatten da ein paar Mal Angst um ihn, dass er von zu viel Training einen Motorschaden bekommt. Aber er hat sich immer gut davon erholt", berichtete der Österreicher.
Ebenfalls zum Erfolg trägt Philipsens Ausdauerfähigkeit bei. "Das ist nach Paris-Roubaix aber auch kein Geheimnis mehr“, spielte Walsleben auf dessen zweiten Platz in diesem Jahr an. Dies trage auch dazu bei, dass Philipsen relativ frisch auf den letzten Kilometer komme. Das wiederum habe nicht nur Folgen für die Beine, Philipsen sei dadurch auch geistig frisch. "Deshalb kann er auch noch gute Entscheidungen treffen“, meinte Walsleben.
Ähnlich äußerte sich auch Teamkollege Maurice Ballerstedt. "Bei Sprintern geht die Entwicklung dahin, dass du immer mehr Ausdauer brauchst, weil du bei WorldTour-Sprints die letzten 10, 20 Kilometer so hart fährst. Manche Leute fahren auf dem Papier riesige Werte von 2000 Watt, aber nach einem harten Renntag kommen dann nur noch 1000 Watt raus. Jasper hat so eine Ausdauer, ist fast schon Klassikerfahrer, er kommt bei den härtesten Sprints noch frisch an. Fabio Jakobsen und andere Sprinter sind auf dem Papier wahrscheinlich schneller, aber Jasper kann am Ende noch fast Bestwerte fahren, was oft ausreicht zu gewinnen“, so Ballerstedt gegenüber radsport-news.com.
Und auch für die allerletzten Meter hat Philipsen noch Reserven, die dann den Ausschlag geben, dass er den Sprint erfolgreich fährt. "Er ist einer der wenigen, die in der Lage sind, auf den letzten 100 Metern noch mal zu beschleunigen“, erklärte Marcel Meisen, der 2021 bei Alpecin Teamkollege des 25-Jährigen bei war, gegenüber radsport-news.com.
Jasper Philipsen (rechts) mit seinen Teamkollegen Michael Gogl (Bildmitte) und Mathieu van der Poel (alle Alpecin - Deceuninck) am ersten Ruhetag der diesjährigen Tour de France | Foto: Cor Vos
Eine weitere Qualität des Flamen ist außerdem, dass er nicht auf eine bestimme Art der Sprintvorbereitung angewiesen ist, um zum Erfolg zu kommen. "Mit Jasper kann man alle möglichen Arten von Leadouts machen. Mit Selbstbewusstsein kann er aus fast jeder Position gewinnen“, so Krieger. Ballerstedt ergänzte: "Jasper lässt sich führen, kann aber auch einfach selber fahren".
Ballerstedt war in diesem Frühjahr mit Philipsen bei der Elfstetenronde (1.1) im Einsatz, die der Belgier auch ohne Sprintzug im Finale gewann. "Dort hat er sich nach Stürzen der Anfahrer um Jonas Rickaert einfach selbst in Position gefahren“, so der Deutsche, der das Rennen selbst noch auf Platz sechs beendete. Dabei machte sich Philipsen eine weitere positive Eigenschaft zunutze. "Er hat so ein Auge für das ganze Renngeschehen“, erklärte Ballerstedt. Ganz ähnlich sah es Meisen. "Jasper ist absolute Weltklasse in der Positionierung“, lobte der Cross-Spezialist. Und Gogl ergänzte. "Er sieht im Finale noch alles, kann dadurch Positionen im Sprint korrigieren."
Als angenehmen Zeitgenossen empfinden Philipsen all die von radsport-news.com Befragten. "Menschlich kann Jasper sehr gut zwischen lustig und `angenehm seriös` wechseln", erzählte etwa Walsleben. Krieger bezeichnete Philipsen auf der einen Seite als "zielstrebig“, aber auch als "sehr unbekümmert. Die Leichtigkeit bringt ihm den Erfolg“, verriet der Schwabe.
Ballerstedt pflichtete dem bei: "Jasper ist super entspannt drauf. Er weiß, wann er was zu machen hat, er geht mit Spaß und Gelassenheit an die Sache ran. Das kann man sich von ihm abschauen: Dass man immer Vollgas geben, aber sich seine Lockerheit bewahren muss, um den stressigen Rennalltag überleben zu können. Wenn es ins Sprintfinale geht, ist es superstressig, superhart. Er ist aber nicht nervös, sondern fährt am Ende einfach seinen Sprint und gewinnt das Ding dann meistens“, brachte es Ballerstedt auf den Punkt.
Meisen sprach in Bezug auf Philipsen von einem "total bodenständigen“ Teamkollegen. Durchweg positiv waren auch die Eindrücke von Ballerstedt, der 2022 bei Alpecin Profi wurde. "Als ich zum ersten Teamtrainingslager kam, hatte ich schon Respekt, weil man nie weiß, wie alle so drauf sind und ich hatte in der Vergangenheit auch schon schlechtere Erfahrungen mit großen Jungs gemacht. Jasper und die anderen habe mich aber absolut ernst genommen und waren sehr locker drauf, ob abends beim Pokerspielen oder im Training, man konnte sich ganz normal unterhalten. Jasper und die anderen waren kein bisschen abgehoben, man merkte kein bisschen, dass man da mit Superstars zusammen war“, erinnerte sich Ballerstedt.
Philipsen wie man ihn dieses Jahr bei der Tour de France oft gesehen hat: in Grün auf dem Podium | Foto: Cor Vos
Ähnlich ging es Uhlig, der ebenfalls zur Saison 2022 zu Alpecin - Deceuninck wechselt - allerdings zum Development-Team. Die Profis und die Nachwuchskräfte absolvierten im Winter jedoch ein gemeinsames Trainingslager. "Ich war damals schon sehr aufgeregt. Ich kam von rad-net Rose und für mich waren das alles berühmte Fahrer, die am Tisch saßen. Ich wurde aber bestens aufgenommen", so Uhlig, der ebenfalls von gemeinsamen Pokerabenden berichtete, "Vielleicht erinnert sich Jasper da noch dran, weil ich ihn besiegt habe", scherzte Uhlig, der 2022 an der Seite von Philipsen Rund um Köln (1.1) bestreiten durfte. "Das war schon ein krasser Moment, mit ihm das Rennen fahren zu dürfen. Wir saßen am Abend zuvor zusammen und er hat sich für mich und meinen Rennkalender interessiert".
Auch mit seinen Siegen bei der Tour gehe Philipsen "ganz entspannt" um, wie Gogl verriet. "Natürlich freut er sich auch über das Team und wie wir ihn unterstützen. Aber die Freude über seine Erfolge ist nicht überschwänglich. Und im Vergleich zu anderen Sprintern sagt er auch nicht von sich, dass er der beste Sprinter der Welt ist. Er ist mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben", so Gogl weiter.
Krieger bezeichnete Philipsen gar als "Marke“. Als Beispiel dafür nannte Krieger seine erste Begegnung mit dem Belgier im Rahmen des ersten Teamtrainingslagers im Dezember 2020. "Damals dachte ich mir schon: krasser Typ. Er hatte damals noch seinen eigenen Coach und ist seine Intervalle auf einem vorprogrammierten Training auf dem Tacho gefahren, wo es immer so runterpiept und ich dachte mir: welcher Mensch auf der Welt benutzt denn sowas? Aber Jasper Philipsen hat es genutzt“, so Krieger mit einem Augenzwinkern.
Auch Meisen konnte sich an eine lustige Anekdote erinnern. "Auf einer Etappe hatte Jasper den Kleber vor dem Rennen vergessen, damit die Aerosocken richtig sitzen. So war es auf den ersten 50 Kilometern unsere größte Sorge, Haarspray von den Betreuern zu bekommen. Zum Glück war es eine ruhige Etappe und als die Socken festsaßen, waren wir auch bereit für den Endsprint“; so Meisen lachend, um zugleich anzufügen. "Das sagt aber natürlich nichts über ihn als Mensch aus.“
Seine Schwächen hat aber auch Philipsen. Krieger berichtete etwa von "Chaos im Koffer“, dazu komme es ab und an vor, dass sein Teamkollege morgens verschlafe. "Aber insgesamt ist es mit ihm völlig unkompliziert“, fügte er an. Uhlig beschrieb seinen prominenten Teamkollegen als "manchmal etwas verpeilt."
Superstar Mathieu van der Poel ist bei der Tour de France bei seinem Team dank Jasper Philipsen in den Hintergrund geraten. | Foto: Cor Vos
Einig sind sich die Befragten auch, ob Philipsen aktuell der beste Sprinter der Welt ist. "Der beste Sprinter der Welt ist wohl immer gerade derjenige, der das letzte große Rennen gewonnen hat. Es könnte also auf ihn zutreffen“, meinte Walsleben. Und Krieger ergänzte. "Wenn man bei der Tour vier von vier Massensprints gewinnt, dann erledigt sich die Frage nach dem besten Sprinter der Welt von alleine.“
Für Uhlig ist Philipsen zudem auch ein Vorbild geworden, vor allem weil er zu Beginn seiner Profikarriere als der ewige Zweite galt, sich davon aber nicht unterkriegen ließ. "Er wurde durch die ganzen Niederlagen noch stärker. Da kann man sich echt eine Scheibe abschneiden. Das Gleiche gilt für seine Siegermentalität", ergänzte das deutsche Sprinttalent.
Perspektivisch trauen ihm seine Weggefährten auch große Klassikersiege zu. "Bei den Monumenten hat er bei Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix gute Chancen“, befand Walsleben. Krieger sieht ihn sogar als zukünftigen Weltmeister. "Er ist ein sehr begabter Fahrer, er kann deutlich mehr als sprinten und er wird noch sehr viel erreichen“, ist sich Krieger sicher.
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