RSNplusBoras Bilanz nach 6. Tour-Etappe

Gelb verloren, Buchmann geopfert, aber Hindley auf Podiumskurs

Von Joachim Logisch (Cauterets) und Peter Maurer

Foto zu dem Text "Gelb verloren, Buchmann geopfert, aber Hindley auf Podiumskurs"
Jai Hindley (Bora - hansgrohe) im Ziel der 6. Tour-Etappe. | Foto: Cor Vos

06.07.2023  |  (rsn) – Die 6. Etappe der Tour de France 2023 stand ganz im Zeichen der beiden Topfavoriten auf den Gesamtsieg. Da sich Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) und Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) ein Duell in einer eigenen Liga lieferten, musste Bora – hansgrohe das erst 24 Stunden zuvor mit viel Kraftaufwand eroberte Gelbe Trikot wieder abgeben. Kapitän Jai Hindley rutschte vom ersten auf den dritten Platz der Gesamtwertung zurück, Emanuel Buchmann, der sich als letzter Helfer im Finale komplett aufrieb, handelte sich in Cauterets Cambasque 6:26 Minuten Rückstand ein und fiel vom vierten auf den 15. Rang des Klassements zurück.

"Es war ein epischer Tag", stellte Hindley im ersten Interview an der Ziellinie fest. "Ich bin im Gelben Trikot über mythische Berge gefahren. Aber um ehrlich zu sein, ich wurde ziemlich abgewatscht", resümierte der Australier, der das Maillot Jaune an Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) abgeben musste. 1:34 Minuten liegt er nun hinter dem Dänen, 59 Sekunden beträgt sein Rückstand auf Tadej Pogacar (UAE Team Emirates), der die Etappe für sich entscheiden konnte.

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Dafür hat Hindley aber 1:40 Minuten Vorsprung auf Simon Yates (Jayco AlUla), den aktuell Vierten der Gesamtwertung. "Das war eine gute Leistung von Jai, die beiden vorn sind aktuell in einer anderen Liga", so Team-Manager Ralph Denk gegenüber radsport-news.com. Seine Hoffnungen, das Trikot in den Pyrenäen zu verteidigen, wurden von Jumbo – Visma zunichte gemacht.

Im ersten Teil der schweren Pyrenäenetappe lief für Bora – hansgrohe noch alles nach Plan. | Foto: Cor Vos

"Ich habe es nicht ganz verstanden, warum Jumbo so das Tempo diktiert hat und so schnell den Tourmalet hochgefahren ist", blickte er auf die Vorentscheidung in der 145 Kilometer langen und in Tarbes gestarteten Etappe zurück. Am 2.115 Meter hohen Tourmalet sorgte die Mannschaft des neuen Leaders mit einem Generalangriff dafür, dass nur noch Pogacar folgen konnte.

Am Tourmalet gingen bei Hindley die Lichter aus

"Das hat uns das Gelbe Trikot gekostet. Sie haben uns rausgefahren", erklärte Denk, merkte aber noch an, dass die Aktion der niederländischen Equipe am Ende nicht siegbringend war, denn Vingegaard verlor auf den letzten drei Kilometern noch den Anschluss an Pogacar, der die Hälfte der am Vortag eingebüßten Sekunden wieder aufholen konnte: "Sie waren auch nicht die Profiteure und ich bin jetzt nicht schadenfroh, aber es freut mich mehr für UAE."

Zunächst sah es am Tourmalet für Bora gar nicht schlecht aus, weil Hindley die erste Tempoverschärfung von Jumbo mitgehen konnte. Doch als Wilco Kelderman noch einmal beschleunigte, musste der 27-Jährige vier Kilometer unterhalb des Gipfels die Segel streichen und sich in die Verfolgergruppe zurückfallen lassen. "Ich wollte mein eigenes Rennen fahren und versuchen, mich an die beiden Favoriten dranzuhängen. Aber oben haben sie mich stehen gelassen. Und das war es dann für mich, die Lichter gingen aus", erinnerte sich Hindley und fügte an: "Ich habe mich drangehängt, als hinge mein Leben davon ab."

Fast zwei Minuten kassierte er schließlich bis zum Gipfel, gleiches galt aber auch für alle anderen aus dem Kreis der Mitfavoriten. An der Bergwertung wartete dann Vingegaards Teamkollege van Aert, um seinen Kapitän bis ins Finale mit Tempoarbeit zu unterstützen. Dahinter hatte Hindley nur noch Buchmann als Helfer, der Deutsche Meister spannte sich vor die Spitze der Verfolgergruppe und fuhr so lange von vorne, bis auch bei ihm der Ofen aus war.

Am Tourmalet konnte Jai Hindley (bora – hansgrohe, hinten) der Tempoverschärfung von Jumbo – Visma nicht mehr folgen. | Foto: Cor Vos

Fast sechseinhalb Minuten verlor Buchmann schließlich bis zur Ziellinie und büßte damit seine gute Position im Klassement ein. "Er war da und hat geholfen. Wir mussten Emu heute opfern, sind aber happy mit seiner Leistung", so Denk, der dann aber noch eine kleine Spitze in Richtung derjenigen Fans abfeuerte, die davon geträumt hatten, dass der Deutsche Meister an seine Höhenflüge von vor vier Jahren bei der Tour anknöpfen könnte: "Radsport-Deutschland hat gehofft, er bleibt Vierter. Für uns wäre es superschlecht, wenn wir Vierter und Sechster in Paris werden."

Jumbo ließ das Rennen am Tourmalet explodieren

Damit unterstrich Denk erneut das große Ziel Tourpodium, wofür die Ausgangslage nach den Pyrenäen nun sehr gut ist. Allerdings haben die Raublinger auch nur die Karte Hindley, denn Buchmann fiel vom vierten auf den 15. Platz zurück. "Wir sind aber voll im Soll", resümierte der Teammanager abschließend.

Dass die Mannschaft bis zum Tourmalet alles im Griff hatte, bestätigte auch Buchmann. "Als Jumbo angefangen hat, ist das Rennen explodiert. Jai konnte nicht mit und dann waren die beiden weg", schilderte er die Vorentscheidung am höchsten Pass in den Pyrenäen. Der Deutsche Meister Emanuel Buchmann war schließlich Hindleys einzig verbliebener Helfer, als es zur Sache ging. | Foto: Sprintcycling

"Ich musste schauen, dass wir ein bisschen hinterherfahren. Es hatte den Eindruck gemacht, dass die anderen Teams es auch aufgegeben haben. Niemand hatte mehr Hoffnung, dass wir die noch zurückholen", erinnerte sich Buchmann, der sich nach der Abfahrt vom Tourmalet an die Spitze der Verfolgergruppe spannte.

Denk hoffte darauf, Gelb halten zu können

Viel mehr, als den Siegern zu gratulieren, konnte auch Nils Politt nicht tun. Der Hürther hatte das Feld bis zur Tempoübernahme von Jumbo am Tourmalet angeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt lag Bora auch noch voll im Plan, doch nach und nach gingen Buchmann und Hindley die Helfer aus. “Uns bleibt nicht viel mehr übrig, als Chapeau zu sagen, vor allem bei dem was Vingegaard heute und gestern gezeigt hat“, erklärte Politt.

Vielleicht aber auch hatte das gestern in der Spitzengruppe so aktive Trio aus Buchmann, Hindley und Patrick Konrad aber dann doch mehr Kräfte gelassen. Den Etappensieg und den “Gelben Tag“ hätte es bei einer passiveren Fahrweise aber nicht gegeben.

"Wir sind mit fünf Minuten in den Tourmalet reingefahren. Oben hatte ich auf drei oder vier Minuten gehofft. Wir wollten ein dosiertes Tempo fahren, um vielleicht Jungels oder Konrad mit rüberzubringen. Am Schlussanstieg hätte es dann noch ein wenig Gespringe gegeben und Jai hätte 20 Sekunden verloren und wir hätten noch Gelb gehabt", blickte dann Denk noch einmal auf den ausgegebenen Etappenplan zurück.

Im Finale konnte sich Hindley aber doch vorne behaupten und wurde schließlich Tagessechster. | Foto: Cor Vos

Doch die frühzeitigen Attacken von Jumbo – Visma durchkreuzten alle Bora-Pläne. Schon am sechsten Tourtag ging die Mannschaft des Titelverteidigers voll in die Offensive, was viele auf dem falschen Fuß erwischte, nicht nur Bora - hansgrohe. Hindley & Co. fuhren angesichts der Umstände ein fast noch ideales Ergebnis heraus.

Ohne Sprinter bessere Karten im Kampf um Gelb?

Dennoch wusste auch Denk, dass der Kampf ums Gelbe Trikot wohl auch andere Maßnahmen erfordert hätte. "Alle haben reingehauen, was da war. Wenn man Gelb hat, ist es schon ein Nachteil, wenn man einen Sprinter dabei hat", spielte er auf die Nominierung der beiden schnellen Männer Jordi Meeus und Danny van Poppel an. "Wenn wir hier jetzt noch Lennard (Kämna) und (Sergio) Higuita hätten, dann hätte es anders ausgeschaut. Und als Jumbo so auf die Pace gedrückt hat, war auch Emu nicht mehr da", erklärte er. Und hätte man vielleicht Wilco Kelderman, der bis Ende 2022 noch das Bora-Trikot trug, doch noch einen neuen Vertrag gegeben. Der Jumbo-Neuzugang sorgte für Hindleys K.O. am Tourmalet.

“Hättiwari“ sagt man im Österreichischen dazu, fast ein Pendant zum “Sockenanziehen bei Tausendfüßlern“, wie es Hindley zuletzt nannte. Im Endeffekt müssen die Raublinger keine Gedanken daran verschwenden, was anders laufen hätte können. Sie liegen in der Pole-Position im Kampf um das Tourpodium. Und wie überlegen Pogacar und Vingegaard sind, davon wusste Buchmann ein Lied zu singen: "Die Zwei waren zu stark, da hatten wir keine Chance“, sagte er.

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