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01.07.2023 | (rsn) - Bisher präsentierten wir unsere Favoriten der Tour de France nach dem altehrwürdigen Schema der L'Equipe: Fünf Sterne für den ersten Sieg-Kandidaten, vier für die größten Herausforderer, drei für weitere Mitfavoriten und so weiter.
In diesem Jahr weichen wir davon ab. Denn hinter den beiden Topstars Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) geht es extrem eng zu. 15 oder gar 20 Namen haben wir ruckzuck zusammen bekommen, als wir uns Gedanken über mögliche Kandidaten für die Top 5 gemacht haben.
___STEADY_PAYWALL___Deshalb haben wir umgedacht und jedes Redaktionsmitglied hat seine persönliche Top Ten für die Tour getippt. Für den ersten Platz gab es zehn Punkte, für Platz zehn noch einen – und die Addition der Punkte für alle Fahrer hat die Top Ten der Gesamtwertungs-Kandidaten von radsport-news.com ergeben – verrückt dabei: Wir scheinen die Ineos Grenadiers vergessen zu haben. Vom einst so dominanten Tour-Team jedenfalls ist keiner oft genug genannt worden, um es in Addition der Punkte in unsere Top Ten zu schaffen.
Unser Toursieger wird Tadej Pogacar und das hauchdünn vor Titelverteidiger Jonas Vingegaard. Beide waren punktgleich, den Slowenen haben aber mehr Redaktionsmitglieder als Gesamtsieger getippt. Hinter Pogacars Form steht nach seinem bei Lüttich-Bastogne-Lüttich erlittenen Handgelenksbruch zwar noch ein Fragezeichen. Aber man kann davon ausgehen, dass der UAE-Kapitän trotz der langen Zwangspause in bestmöglicher Form am Start stehen wird. Die Slowenischen Meisterschaften, bei denen er sich den Titel im Zeitfahren und im Straßenrennen sicherte, waren aber aufgrund der mangelnden Konkurrenz kein wirklicher Gradmesser.
Seine Mannschaft ist der von Vingegaard erstmals mindestens ebenbürtig. Im Hochgebirge hat Pogacar, der an 21 Renntagen in diesem Jahr 13 Siege einfuhr, mit dem Dauphiné-Zweiten Adam Yates sowie Rafal Majka, Marc Soler und Felix Großschartner eine starke Helferriege an seiner Seite. Und auch auf den Flachetappen dürfte er durch Matteo Trentin und Mikkel Bjerg sowie Vegard Stake Laengen bestens unterstützt werden. Alle sieben Helfer werden sich im Verlauf der Rundfahrt bedingungslos in den Dienst ihres Kapitäns stellen, auch wenn die Teamleitung vorsichtig ankündigte, dass Yates aufgrund von Pogacars Verletzung Co-Leader sein soll. Sollte der Vorjahreszweite schwächeln, wohl der Brite ebenfalls ein Podiumskandidat.
Im vergangenen Jahr lieferten sich Tadej Pogacar (UAE Team Emirates, links) und Jonas Vingegaard (Jumbo –Visma) ein packendes Duell um das Gelbe Trikot, das der Däne schließlich für sich entschied. | Foto: Cor Vos
Nach der letztjährigen Niederlage gegen Vingegaard dürfte Pogacar umso motivierter in die Mission dritter Toursieg gehen. Der 24-Jährige hat nicht nur mit seinen beiden Gesamtsiegen bei der Andalusien-Rundfahrt (2.Pro) und Paris-Nizza (2.UWT), wo er jeweils auch drei Etappen gewann, seine überragende Klasse unter Beweis gestellt. Bei Paris-Nizza konnte Pogacar – was sicher gut für sein Selbstvertrauen war –Vingegaard zudem an allen Tagen hinter sich lassen.
Bei einem Radrennen würde man wohl sagen, dass Vingegaard im Gesamtklassement zeitgleich mit Pogacar lag, der Slowene allerdings mehr Etappensiege auf seinem Konto hatte und deshalb der Gesamtsieg an den UAE-Kapitän geht. Vingegaard geht allerdings mit einer reibungslos verlaufenen Vorbereitung in die Tour. Der Däne konnte in diesem Jahr schon elf Siege einfahren, steht insofern seinem Rivalen kaum etwas nach. Seine Generalprobe, das Critérium du Dauphiné, entschied der 26-Jährige zudem mit großem Vorsprung für sich und zeigte damit, dass er für die Mission Titelverteidigung bereit ist. Nur die Niederlage bei Paris-Nizza gegen Pogacar dürfte etwas nagen.
Vingegaard hat auch ohne den fehlenden Primoz Roglic ein starkes Team an seiner Seite. Wout Van Aert allerdings wird wieder auf das Grüne Trikot und Sprints setzen, so dass Jumbo – Visma im Gegensatz zu UAE nicht nur ein einziges Ziel anpeilt. Im Hochgebirge werden Sepp Kuss, Wilco Kelderman und Van Aert Vingegaards wichtigste Helfer sein. Aber auch Dylan van Baarle und Tiesj Benoot können mehr als nur ordentlich klettern. Auf den flacheren Etappen werden Nathan Van Hooydonck und Christophe Laporte sowie Van Aert gefragt sein.
Mit deutlichem Rückstand “best of the rest“ wird nach unserer Einschätzung Jai Hindley sein. Der Bora-Kapitän hat im letzten Jahr beim Giro d`Italia bewiesen, dass er Grand Tours gewinnen kann und geht in Bestform an den Start. Die Vorbereitung lief weitgehend nach Wunsch, was der Australier zuletzt mit Platz vier beim Criterium du Dauphiné unterstrich. Im Hochgebirge kann Hindley vor allem auf Emanuel Buchmann und Patrick Konrad bauen, aber auch Bob Jungels ist an guten Tagen ein starker Kletterer. Der Rest des Teams um Nils Politt wird Hindley bei dessen Tour-Premiere vor allem im Flachen unterstützen.
Schafft es Tour-Debütant Jai Hindley (Bora – hansgrohe) nach dem Giro-Coup 2022 auch in Frankreich aufs Podium? | Foto: Cor Vos
Dem Movistar-Kapitän fehlt ein gutes Stück zum Podium. Aber den Rest der Konkurrenz sollte Mas unter Kontrolle haben – meinen zumindest die Meisten von uns. Der Spanier fuhr in diesem Jahr konstant und war bei der Andalusien-Rundfahrt (2.Pro), Tirreno – Adriatico (2.UWT) und der Baskenland-Rundfahrt (2.UWT) nie schlechter als Sechster. Ausgerechnet bei der Tour-Generalprobe lief es jedoch nicht nach Plan. Das Critérium du Dauphiné schloss Mas abgeschlagen auf Rang 17 ab. Fast neun Minuten fehlten ihm da auf Vingegaard.
Das positive Abschneiden in unserem Ranking hat wohl auch damit zu tun, dass sich Mas in der Vergangenheit bei den Grand Tours als sehr konstant erwiesen hat – abgesehen von der Tour 2022, wo er vor allem aufgrund seiner Abfahrtsschwächen ein Schatten seiner selbst war und dann nach positivem Corona-Test aufgeben musste. Die Spanien-Rundfahrt (2.UWT) beendete er bereits dreimal auf Rang zwei, bei der Tour de France wurde Mas 2020 Fünfter und im Jahr darauf Sechster. Seine wichtigsten Berghelfer dürften der Österreichische Meister Gregor Mühlberger sowie der Romandie-Zweite Matteo Jorgensen sein.
Knapp hinter Mas reiht sich der Franzose David Gaudu ein. Im Vorjahr verpasste der Kletterer als Vierter nur knapp das Podium. An diese Leistungen konnte der FDJ-Kapitän zunächst 2023 anknüpfen, wurde er Zweiter bei Paris Nizza – hinter Pogacar aber vor Vingegaard – und Vierter bei der Baskenland-Rundfahrt. Danach erfolgte allerdings ein kleiner Einbruch. Keinen der Ardennenklassiker fuhr er zu Ende, dazu sprang beim Critérium du Dauphiné nur ein enttäuschender 30. Platz heraus. Mit Thibaut Pinot, der seine letzte Tour bestreiten wird, dem Luxemburger Kevin Geniets und dem Französischen Meister Valentin Madouas hat der 26-Jährige allerdings drei sehr gute Teamkollegen bei sich, wenn es in die Berge geht.
Bei DSM ist Romain Bardet wieder zu einer Bank bei den großen Rundfahrten geworden. Beim Giro 2022 lag er auf Rang vier, ehe ihn eine Krankheit ausbremste. Bei der anschließenden Tour de France wurde er sehr guter Sechster. Dass ein ähnliches Resultat auch diesmal möglich ist, deutete der 32-Jährige in diesem Jahr mehrfach an. Paris-Nizza schloss er auf Rang sieben ab, das gleiche Ergebnis folgte bei der Tour de Romandie und die Tour de Suisse als Generalprobe beendete er sogar auf Platz fünf. In den Bergen wird Bardet allerdings wohl ziemlich oft auf sich allein gestellt sein. Lediglich Kevin Vermaerke und Chris Hamilton gelten im DSM-Aufgebot als ordentliche Kletterer und können ihrem Kapitän eine Stütze sein.
Romain Bardet (DSM) präsentierte sich als Fünfter der Tour de Suisse in starker Verfassung und gehört zu den zahlreichen Kandidaten auf einen Podiumsplatz hinter Vingegaard und Pogacar. | Foto: Cor Vos
Abgesehen von seinem Sieg bei der Mercan Classique (1.1) ist Richard Carapaz in seinem ersten Jahr bei EF Education - EasyPost vieles schuldig geblieben. Auch die Generalprobe, das Critérium du Dauphiné, verlief mit Rang 36 im Schlussklassement nicht sonderlich positiv. Mut machen seine letzte Tour-Teilnahme im Jahr 2021, als Carapaz Dritter wurde, sowie der Giro 2022, als er bis zur vorletzten Etappe das Rosa Trikot trug und am Ende hinter Jai Hindley Zweiter wurde. Außerdem gewann er die Italien-Rundfahrt vor vier Jahren bereits einmal. Dazu hat der Olympiasieger mit Rigoberto Uran, Esteban Chaves, Andrey Amador und Neilson Powless vier hervorragende Berghelfer dabei, die ihm in den entscheidenden Rennsituation wichtige Dienste leisten könnten und sogar Kandidaten für die Top Ten sein könnten.
Mikel Landa blickt auf eine gute erste Saisonhälfte zurück. Er wurde Zweiter der Andalusien-Rundfahrt, Fünfter der Katalonien-Rundfahrt sowie Zweiter der Baskenland-Rundfahrt. Auch bei ihm lief ausgerechnet die Generalprobe nicht so gut wie erhofft. Beim Critérium du Dauphiné musste sich der Spanier mit Rang 22 begnügen. Bei der Tour, die er erstmals seit 2020 bestreitet und bei der zwei vierte Plätze seine besten Platzierungen sind, ist Landa dennoch ein Top-Ten-Ergebnis zuzutrauen. Mit Jack Haig, Wout Poels und Bello Bilbao hat Bahrain drei starke Berghelfer nominiert. Hier gilt ähnliches, wie bei EF Education - EasyPost: Auch Haig oder Bilbao könnten am Ende in den Top Ten landen. Mit Bahrain Victorious wird in den Bergen in jedem Fall wieder zu rechnen sein.
Mit Platz vier bei der Tour 2021 war der Australier die große Überraschung. Bei der letztjährigen Frankreich-Rundfahrt musste er verletzungsbedingt früh aufgeben, kämpfte sich aber bei der Vuelta mit Rang acht zurück. In diesem Jahr überzeugte O‘Connor zuletzt mit Rang drei beim Critérium du Dauphiné. In den Bergen wird wohl Tour-Debütant Felix Gall, der zuletzt einen Etappensieg bei der Tour de Suisse einfuhr, sein wichtigster Helfer werden. Aber auch Nans Peters, Aurelien Paret-Peintre und Clement Berthet sind gute Kletterer.
Die Überraschung unseres Tippspiels: Kein Fahrer der Ineos Grenadiers schaffte es unter die Top Ten der Favoriten. | Foto: Cor Vos
Schon etwas Rückstand auf die weiteren Top-Ten-Fahrer hat in unserem Ranking Simon Yates. Der 30-Jährige hat seit seinem Ausstieg auf der 1. Etappe der Tour de Romandie am 26. April keinen einzigen Rennkilometer mehr absolviert. Für Yates spricht sein gutes erstes Saisondrittel mit Rang zwei bei der Tour Down Under, Rang vier bei Paris-Nizza und Platz neun bei der Baskenland-Rundfahrt. Bei der Tour ist der Brite bisher den Beweis schuldig geblieben, dass er ganz vorne landen kann. Anders sieht es bei Vuelta und Giro aus: Die Spanien-Rundfahrt gewann Yates 2018, den Giro beendete er drei Jahre später auf Rang drei. Seine letzten drei Grand Tours musste er aber allesamt vorzeitig beenden.
Bei der Tour will Yates wieder an seine erfolgreicheren Tage anknüpfen. Dazu beitragen sollen auch sein wichtigster – und einziger - Berghelfer Chris Harper. Der Australier schloss zuletzt das Critérium du Dauphiné auf Rang 16 ab. Der Rest des Teams ist eher auf Flachetappen ausgerichtet, auf denen Sprinter Dylan Groenewegen Siege einfahren soll.
Zu den Top-Ten-Kandidaten, die in unserem kleinen Tippspiel nicht genug Punkte für die ersten zehn Plätze sammelten, gehören neben den oben bereits bei ihren Kapitänen teilweise mitgenannten Helfern auch der Tour-de-Suisse-Sieger Mattias Skjelmose (Lidl – Trek) und der Franzose Guillaume Martin (Cofidis). Und auch dem norwegischen Uno-X-Duo Torstein Traeen und Tobias Halland Johannessen ist eine Überraschung im Gesamtklassement zuzutrauen - auch wenn sie aus der Redaktion niemand in die Top Ten wählte.
Vor allem aber fehlen in unseren Top Ten die Kapitäne des einst so dominanten Tour-Teams Ineos Grenadiers. Daniel Martinez traute unsere Redaktion hier am meisten zu, weil hinter Egan Bernal nach dessen Verletzungs-Historie noch ein riesiges Fragezeichen steht und Tom Pidcock wahrscheinlich noch das eine oder andere Jahr brauchen dürfte, um bei der Grand Boucle wirklich auf Klassement zu fahren.
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