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23.06.2022 | (rsn) - Nach dem Karriereende von Tony Martin stellt sich bei den am Freitag im sauerländischen Marsberg anstehenden Deutschen Zeitfahrmeisterschaften die Frage, wer in die großen Fußstapfen des zehnmaligen Deutschen Meisters und viermaligen Weltmeisters treten wird.
Kandidaten dafür gibt es zu Genüge. Doch der 27,5 Kilometer lange Kurs führt über anspruchsvolles Terrain, so dass sich die klassischen Zeitfahrer schon sehr strecken müssen, um die Hügelspezialisten auf Distanz zu halten.
Gleich nach dem Start in Marsberg geht es direkt 1,6 Kilometer bergauf. Der “Kaltstart nach Obermarsberg wird einigen schon zu schaffen machen", erklärte Jörg Scherf, einer der Organisatoren der DM im Sauerland, gegenüber radsport-news.com.
Danach folgen einige Rollerpassagen, die aber immer wieder von leichten Abfahrten und Gegenanstiegen unterbrochen werden. "Wenn es regnen sollte, wird es auch etwas technischer und die eine oder andere Mutkurve ist dabei", wie Scherf anfügte. Insgesamt sind auf dem Kurs 632 Höhenmeter zu absolvieren. "Ein völlig untypischer Zeitfahrkurs", fügte er an.
___STEADY_PAYWALL___Unter den Zeitfahren fallen vor allem die Namen Kämna und Schachmann
Hört man sich unter den Startern um, so fällt nach der Absage von Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) ein Name: Lennard Kämna. Der Teamkollege von Schachmann konnte in seiner Profikarriere zwar noch kein Zeitfahren auf dem Podium beenden, doch in der Form vom Giro d`Italia würde es nicht überraschen, wenn sich das am Freitag ändern würde.
"Ich habe gut trainiert, denke, dass die Form stimmen sollte. Ich habe auch ein bisschen mehr auf dem Zeitfahrrad gemacht als sonst. Ich rechne mir auf jeden Fall etwas aus im Zeitfahren", erklärte Kämna gegenüber radsport-news.com. Der Bremer betonte aber auch, dass es ihm eher darum gehe, "den Prozess weiterzubringen. Ich will ein gutes Zeitfahren hinlegen, und am Ende mit meiner Performance zufrieden sein", so Kämna.
Der Vorjahresdritte Max Walscheid (Cofidis, hier bei der Straßen-WM 2021) sieht sich angesichts des anspruchsvollen Kurses nicht in der Favoritenrolle. | Foto: Cor Vos
Walscheid schätzt seine Podiumschancen als "ziemlich gering" ein
Der Vorjahresdritte Max Walscheid (Cofidis) , der auf einem etwas leichteren Kurses trotz seines schweren Trainingssturzes im Frühjahr zu den Topfavoriten zählen würde, winkte schon ab. "Die Chancen auf das Podium oder gar den Titel sind ziemlich gering, aufgrund der Schwere des Kurses und der Tatsache, dass alle guten deutschen Zeitfahrer am Start sind", sagte der Heidelberger zu radsport-news.com.
Vorjahresfünfter Wolf will alles aus seinem Tank holen
Auch Justin Wolf (Leopard), der sich in den letzten Jahren zu einem der besten deutschen Zeitfahrer gemausert hat, ist mit dem Kurs nicht so wirklich zufrieden. "Die Strecke ist, wie sie ist. Man muss sagen, sie ist schwierig, dafür aber extrem abwechslungsreich und die Zeit vergeht schnell", so die Einschätzung des Rouleurs. "Ich möchte alles aus meinem Tank holen und mein Bestes geben. Welche Platzierung dann herausspringt, werde ich sehen", fügte der Dortmunder an.
Politts Zeitfahren der vergangenen Jahre waren nicht sehr beeindruckend
Dagegen haderte Nils Politt (Bora - hansgrohe) weniger mit dem Kurs als mit seinen Zeitfahrleistungen in der Vergangenheit. "Meine Performance war in den letzten eineinhalb Jahren nicht super. Ich gehe also ohne viel Stress und Druck ins Rennen", so Politt gegenüber radsport-news.com. Der Kölner sieht vielmehr seinen Teamkollegen Kämna als "heißen Titelkandidaten."
Nils Politt (Bora – hansgrohe) ist mit seinen jüngsten Leistungen in Zeitfahren nicht sehr zufrieden gewesen. | Foto: Cor Vos
Steimle bereit, 35 bis 40 Minuten sehr zu leiden
Jannik Steimle (Quick-Step Alpha Vinyl) geht dagegen ausgesprochen selbstbewusst ins Rennen. "Ich habe viel in die Disziplin investiert. Nach meinem Sturz letztes Jahr in Belgien bin ich zum ersten Mal ohne Probleme unterwegs. Ich rechne mir eine Medaille aus, das ist mein Ziel", kündigte der Schwabe gegenüber radsport-news.com an. Den Kurs beschrieb Steimle als "nicht einfach", der den "bergfesten Fahrern entgegen" komme. Steimle würde es wohl etwas flacher bevorzugen, aber "ich kann auch über 35 bis 40 Minuten sehr leiden und tief gehen."
Sütterlin reist ins Sauerland, um Meister zu werden
Jasha Sütterlin (Bahrain Victorious) hat bei den nationalen Zeitfahrmeisterschaften schon einige Platzierungen unter den ersten Drei vorzuweisen. Nach zweiten und dritten Plätzen in den Jahren 2016 bis 2019 soll diesmal aber der Sieg und damit der erste Titel her.
Jasha Sütterlin (Bahrain Victorious, hier noch im DSM-Trikot) peilt selbstbewusst seinen ersten nationalen Zeitfahrtitel an. | Foto: Cor Vos
Rutsch mit Ambitionen, aber ohne DruckPlatz sechs bei der Zeitfahr-DM 2021 ging an Jonas Rutsch (EF Education - EasyPost. Bei der Tour de Suisse bestritt der Wiesbadener als Generalprobe bereits ein 25 Kilometer langes Einzelzeitfahren. Allerdings unter "komplett anderen Vorzeichen im Vergleich zur DM", wie Rutsch im Gespräch mit radsport-news.com erklärte. In der Schweiz sei er an den drei Tagen vor dem Zeitfahren als einzig verbliebener Helfer von Neilson Powless gefordert gewesen und die extreme Hitze von weit über 30 Grad habe ihm auch zugesetzt.
Zwar hat Rutsch nach eigenen Worten in diesem Jahr nicht allzu sehr am Zeitfahren gearbeitet. Die Vorbereitung auf die Tour de France inklusive eines Höhentrainingslagers hatte Priorität, zudem sieht er sich chancenreich im Straßenrennen am Sonntag. Dennoch will Rutsch im Zeitfahren "all-in" gehen. "Sonst braucht man erst gar nicht bei der DM antreten. Die Form ist auf jeden Fall gut", meinte der 24-Jährige, dem zudem der Kurs liegen sollte. "Ich sehe mich aber nicht als großen Favoriten", fügte Rutsch an.
U23-Meister Heßmann will auch bei den Profis "vorne mitmischen"
Gespannt sein darf man, wie sich Neo-Profi Michel Heßmann (Jumbo - Visma) im Kampf gegen die Uhr schlagen wird. Im vergangenen Jahr wurde er im Zeitfahren U23-Meister, nun wird er sich erstmals mit den Profis messen. Das Frühjahr war nach einer Schlüsselbeinverletzung, die noch bis zuletzt behandelt werden musste, zwar nicht optimal. "Aber die letzten Wochen liefen echt gut, ich kann meine Leistung wieder abrufen. Normalerweise liegt mir auch so ein leichtes unrhythmisches Fahren. Ich denke schon, dass ich da vorne mitmischen kann", zeigte sich Heßmann gegenüber radsport-news.com optimistisch.
Allerdings schränkte er auch ein. "Es stehen Fahrer am Start, die mitten in ihrer Tour-Vorbereitung stehen, die extrem viel Erfahrung haben. Es wird auf jeden Fall eine riesige Herausforderung. Da ich auch noch nicht den Vergleich mit all diesen Topfahrern habe, wäre es zudem vermessen, eine konkrete Platzierung als Zeil auszugeben", schloss der 21-Jährige.
Der letztjährige U23-Meister Michel Heßmann (Jumbo - Visma) gibt sein Debüt in der Elite. | Foto: Cor Vos
Arndt will beim DM-Comeback um die Medaillen mitfahren
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als die DM ihm entweder nicht in den Rennkalender passte oder er krankheitsbedingt absagen musste, wird auch Nikias Arndt (DSM) dieses Mal wieder mit dabei sein. "Ich freue mich riesig auf die DM. Es ist ein sehr schwerer Kurs, der etwa einem Kämna mehr liegen sollte als den massiveren Fahrern wie mir, Nils Politt oder Jasha Sütterlin. Ich bin aber gut drauf und mein Ziel ist es auf jeden Fall, um die Medaillen mitfahren", kündigte Arndt im Gespräch mit radsport-news.com.
Osborne der X-Faktor?
Der X-Faktor im Kampf gegen die Uhr könnte Jason Osborne werden. Der Ex-Ruderer fährt seit einigen Tagen beim Devo-Team von Alpecin-Fenix und traut sich am Freitag im Sauerland einiges zu, auch wenn er lange Zeit kein Einzelzeitfahren mehr bestritten hat. "Wegen einer Platzierung möchte ich gar nicht so viel sagen. Ich werde einfach mein Bestes geben. Ich fahre einfach mein Rennen. Im Training habe ich mich zuletzt gut gefühlt. Wenn ich das im Rennen abrufen kann, bin ich zufrieden", so Osborne, der in den Jahren 2018 und 2019 bei der Zeitfahr-DM die Plätze acht und sechs belegt hatte, gegenüber radsport-news.com.
Vervollständigt wird der große Kreis an Podiumskandidaten vom Vorjahreszweiten Miguel Heidemann (B&B Hotels - KTM) und Juri Hollmann (Movistar).
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