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27.09.2022 | Viele Freizeitradler/innen kennen das Problem: Auf einer längeren Runde werden die Finger taub, die Hände schlafen ein. Der Grund dafür liegt in gereizten Nerven. Der pressedienst-fahrrad erklärt, was die Probleme verursacht und welche Maßnahmen dagegen helfen können.
Die Hände sind einer der drei Kontaktpunkte zwischen Mensch und Fahrrad - einer, der allerdings oft vernachlässigt wird. Dabei sind die Hände enorm wichtig, denn sie stützen je nach Rückenneigung - sehr aufrechte bis sehr sportliche Sitzposition - und Trainingszustand einen großen Teil des Oberkörpergewichts auf dem Lenker. Der durchaus hohe, beständige Druck wird dabei auf eine geringe Fläche am Griff verteilt, die punktuelle Druckbelastung ist hoch. Und anders als die Beine sind die Hände bei der Fahrt nicht in Bewegung.
Ein suboptimaler Griff kombiniert mit
einer falschen Griffhaltung kann so eine falsche Sitzhaltung auf dem Rad verursachen. "Das wirkt sich negativ auf das Gesamtgefühl aus", erklärt Stefan Stiener, Geschäftsführer des Fahrrad-Herstellers
Velotraum, der Custom-Aufbauten mit ergonomischen Vermessungen
durchführt: "Die Nerven nicht nur in den Händen werden gereizt, schon auf kurzen Touren können als Folge Nackenverspannungen und Rückenschmerzen auftreten."
Taubheitsgefühle in den Händen entstehen oft durch einen zu hohen Druck auf den empfindlichen Ulnar-Nerv. Der verläuft im Bereich des Kleinfingerballens, knapp unterhalb der Hautoberfläche. Durch zu hohen Druck auf der Handaußenseite kann sich auf die Dauer Taubheit an Ring- und kleinem Finger entwickeln. "Für Touren- und Alltags-Radler eine Lösung ist der Tausch des herkömmlichen Griffs gegen einen sogenannten Flügelgriff. Dadurch wird die Auflagefläche der Hand vergrößert und der Druck besser verteilt", weiß Lothar Schiffner von Ergon, einem Hersteller für ergonomische Fahrrad-Komponenten.
Treten Schmerzen oder Taubheit an Zeige-,
Mittelfinger oder Daumen auf, kann ein zu hoher Druck auf dem Ausgang des Karpal-Tunnels die Ursache sein. Hervorgerufen werden die Schmerzen meist durch ein zu starkes Abknicken des Handgelenks, was Nerven, Sehnen und Blutgefäße komprimiert. Die Folge ist ein verengter Karpal-Tunnel und ein geschädigter Median-Nerv, was auch als Karpal-Tunnel-Syndrom bezeichnet wird.
Damit ist nicht zu spaßen: Laut den Experten der "Aktion Gesunder Rücken" müssen sich in Deutschland jährlich rund 300 000 Menschen deshalb einer Operation unterziehen. "Gerade auf längeren Fahrten mit zunehmender Ermüdung ist es schwierig, die ergonomisch korrekte Position der Hand zu gewährleisten", sagt Schiffner: "Ein korrekt eingestellter Flügelgriff kann hier unterstützen und das Handgelenk in der ergonomisch optimalen Position halten, ohne dass es abknickt."
Ein weiteres Problem kann ein seitlich
überstrecktes Handgelenk sein, das ebenfalls zu tauben Fingern und Daumen führt, weil der Karpal-Tunnel eingeengt wird. Dieser Knick wird meist durch einen zu geraden Lenker hervorgerufen. "Die Lösung ist ein Lenker mit einer Biegung nach hinten. Das Handgelenk wird weniger überstreckt und der Karpal-Tunnel entlastet. Die Blutversorgung der Hand wird wieder verbessert", erklärt Stephanie Römer vom Fahrrad-Hersteller Tout Terrain.
Als hilfreich haben sich auch sogenannte Barends, also Lenker-Hörnchen erwiesen. Die werden an der Lenkeraußenseite angebracht; es gibt sie in verschiedenen Größen, und auch direkt in Griffe integriert. Andere Varianten lassen sich weiter in Richtung Lenkermitte montieren. Beide ermöglichen es, die Griff-Position während der Fahrt einfach zu verändern. Beim Bergauffahren hat das Vorteile, weil dadurch die komplette Position des Oberkörpers geändert und die Muskulatur entlastet wird.
Damit ergonomische Griffe ihr Potenzial
entfalten können, ist die richtige Einstellung wichtig. Lothar Schiffner von Ergon: "Die Griffe sollte man so einstellen, dass das Handgelenk nicht am Lenker abknickt, sondern in einer geraden Linie vom Handrücken zum Unterarm übergeht. Zudem sollten die Brems- und Schalthebel vom Griff aus leicht erreichbar sein." Bei der Einstellung hilft der Fachhändler oder eine spezielle Fitting-Box.
Übrigens: Dass moderne Griffe auf den Lenker geschraubt und nicht mehr mühsam aufgestopft werden, hilft auch bei der Justage. Bei eigenen Schraub-Aktionen muss man die Drehmoment-Angaben der Hersteller beachten, damit der Griff nicht zu stark oder zu locker angeschraubt wird. "Vor allem ein zu lockerer Griff ist ein Sturz-Risiko, da man schnell die Kontrolle über das Rad verlieren kann", warnt Stiener.
Passende Radhandschuhe können die Kontrolle
unterstützen und auch eine ergonomische Wirkung erfüllen. "Gut gepolsterte Handschuhe sind für viele Radfahrer/innen angenehm", erklärt Anna Rechtern vom Outdoor-Spezialisten Vaude: "Dank Schaumstoff- oder Gel-Polster werden die empfindlichen Bereiche auf der Handinnenseite zusätzlich gestützt und an die Ergonomie der Griffe angepasst." Handschuhe mit einer starken Polsterung verlieren jedoch an Taktilität. Wer eine sichere Lenker-Kontrolle bevorzugt, wählt eher eine dünne Innenhand-Polsterung. „Das ist vor allem für sportive MTB- und Rennrad-Fahrer/innen zu empfehlen", sagt Rechtern.
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