Björn Schröder: Giro-Tagebuch/ 13. Etappe

Es hat weh getan, aber es hat Spaß gemacht

Von Björn Schröder

Foto zu dem Text "Es hat weh getan, aber es hat Spaß gemacht"

Björn Schröder (Milram)

Foto: ROTH

22.05.2009  |  (rsn) – Das Rennen heute begann für mich mit einem kleinen Problem. Kurz vor dem Start musste ich nochmal dringend, fand aber im ganzen Village kein WC – und auch nirgendwo einen Busch, hinter dem ich mich hätte verdrücken können, oder irgendeine stille Ecke. So viele Besucher wie heute waren bei diesem Giro noch nie am Start zu sehen, glaube ich. Ausgerechnet….

Naja, dann ging das Rennen auch schon los, ohne dass ich mich hätte erleichtern können. Und sofort begann die Springerei. Als Ignatiev und Scarselli vorne raus gingen, war das in einer kurvigen Phase, und schnell sah man sie nicht mehr. Ich habe versucht, zu ihnen hinzuspringen, dachte mir aber schon: Die sind weg. Waren sie aber nicht. Ich kam noch hin und dann waren wir beisammen für die nächsten Stunden.

Ich habe zwischendurch schon ein bisschen spekuliert, ob es nicht vielleicht doch reichen könnte – aber leider konnten meine beiden Fluchtkollegen nicht mehr, als es drauf ankam. Wenn wenigstens einer noch durchgehalten hätte…aber als Solist hat man praktisch keine Chance gegen das geschlossene Feld. Andererseits weiß man ja nie, was hinten passiert, und deshalb habe ich erst aufgegeben, als die Verfolger ein paar Hundert Meter hinter mir aufgetaucht sind.

Wir hatten früh untereinander abgesprochen, dass wir es anfangs etwas ruhiger angehen lassen und erst auf den letzten 45-50 Kilometern richtig schnell fahren würden. Aber dann hat gerade Scarselli, der ursprünglich die Idee hatte, immer wieder aufs Tempo gedrückt: 45-48 war in den ersten Rennstunden unser Schnitt, und auch in die Bergwertung ist Scarselli regelrecht hochgeballert. Das machte in meinen Augen wenig Sinn, denn man vergeudet nur seine Kräfte, und es ist ja so: Letzten Endes entscheidet das Feld, ob sie dich kriegen oder nicht.

Zum Glück war der Wind heute auf unserer Seite. Wir hatten Schiebekante, so dass es ganz gut lief. Ich habe unterwegs immer mal wieder auf meinen Radcomputer geschaut, Dort kann ich unter anderem genau sehen, wo wir langfahren und auch, woher der Wind weht. Gerade auf so einer langen, monotonen Fahrt ist das eine wertvolle Unterstützung – und eine angenehme Abwechslung.

Als es dann auf die letzten 40 Kilometer ging und der Vorsprung erst auf unter vier, dann unter drei Minuten geschmolzen war, dachte ich: Jetzt müssen wir aber mal fahren. Aber gerade, als wir eigentlich Tempo hätten machen müssen, konnten Ignatiev und Scarselli nicht mehr, ihre Führungen wurden immer kürzer. Bei Ignatiev rechnete ich damit, dass er jeden Moment attackierte. Tat er aber nicht.

Da ich mich nicht so früh wieder einfangen lassen wollte, bin ich dann also rund 30 vor dem Ziel losgestiefelt. Ich habe mich gut gefühlt und konnte bis auf die letzten Kilometer einen Schnitt zwischen 48 und 55 durchhalten. Natürlich hat das dann richtig weh getan, aber es macht Spaß, wenn man sich auf die Art weh tun kann.

Bis etwa zehn vor dem Ziel hatte ich noch rund 1:20 Vorsprung, was ja nicht schlecht war für einen Einzelnen. Danach wurd’s dann aber richtig hart, da kam noch eine kleine Welle, auf der ich fast stehenblieb. Fünf Kilometer vor dem Ziel habe ich mich rumgedreht und das Feld hinter mir gesehen – da war dann Feierabend.

Egal – ich hab’s wieder probiert, und auch wenn die Wahrscheinlichkeit gegen mich sprach, war das ein guter Tag für mich. Alle aus dem Team haben mir gratuliert, gleich gibt’s Abendessen und da werden wir uns viel zu erzählen haben. Schließlich sind wir ja heute praktisch zwei Rennen gefahren. Ach ja – wenn’s passt, werde ich es wieder versuchen, aber morgen ganz bestimmt nicht. Das wird eine Etappe, auf die ich mich schon richtig freue. So viel Ironie muss sein…..

Bis morgen
Björn

Björn Schröder (Milram) ist einer von acht deutschen Fahrern, die beim 92. Giro d’Italia am Start stehen werden. Der 28 Jahre alte Berliner will sein Glück in Ausreißergruppen versuchen und wird in einem Tagebuch für Radsport News von seinen Erlebnissen beim 100-jährigen Jubiläum der Italien-Rundfahrt berichten.

Mehr Informationen zu diesem Thema

01.06.2009Radrennen am Kolosseum vorbei

(rsn) – Mit einer kleinen Verspätung hier der letzte Tagebucheintrag zum Giro, schon in der Heimat geschrieben. Für mich selber war das Zeitfahren von Rom eine eher lockere Angelegenheit. Ich habe

30.05.2009Nicht nur Di Luca hat gepennt

(rsn) – Auch wenn wieder kein Ergebnis herausgesprungen ist, war das ein guter Tag für uns. Schon bei der Teambesprechung vor dem Rennen hatten wir uns vorgenommen, heute in den Gruppen dabei zu se

29.05.2009In den dunklen Gassen von Napoli

(rsn) – Heute ging’s zum Glück viel gemächlicher los als gestern. Nach dem heftigen Tag gestern waren sich alle Teams wohl einig, dass wir etwas langsamer machen sollten. Irgendwann ging dann do

28.05.2009Mal wieder ein rasend schneller Giro-Tag

(rsn) – Das war heute eine wunderbare Etappe – mit einem allerdings großen Haken. Ich habe nämlich einen klaren Fehler begangen: Denn wenn ich gewusst hätte, wie schwer der große Berg war, wä

27.05.2009Blockhaus: Nicht so schwer wie befürchtet

(rsn) – Wie zu erwarten war das heute eine schnelle Etappe. Zügig ging eine Gruppe - wir versuchten es erst gar nicht -, aber es war klar, dass die niemals durchkommen würde. Ich fühlte mich heu

26.05.2009Ein typischer Ruhetag

(rsn) – Heute gibt’s nicht viel zu berichten. Ein typischer Ruhetag bei einer großen Rundfahrt. Wir konnten ausschlafen, in aller Ruhe frühstücken und den ganzen Tag locker angehen lassen. Nach

26.05.2009240 Kilometer Radrennen und 370 Kilometer Transfer

(rsn) – Ob Ihr’s glaubt oder nicht: Nach der langen und megaschweren Etappe heute sitzen wir jetzt noch im Bus und reißen 300 (!!!) Kilometer Transfer ab. Laut Navi werden wir nicht vor halb elf

24.05.2009Wie benebelt von der Hitze

(rsn) – Heute ging’s die ganze Zeit ging’s nur hoch und runter – und das bei brutaler Hitze. Schon beim Einschreiben stand die Luft regelrecht. Im Village habe ich mir schon eine Flasche Wasse

24.05.2009Die gleiche Hektik wie bei der Tour

(rsn) – Nach meinem langen Tag in der Ausreißergruppe gestern war ich fast ein bisschen überrascht, dass es heute so gut lief. Anfangs beteiligte ich mich sogar an der Springereie, war in einer Gr

21.05.2009"Privatduell" mit Frösi

(rsn) – Das war heute hart – natürlich -, aber es hat Spaß gemacht. Ich bin wie die meisten anderen auch mit meinem normalen Straßenrad gefahren und habe mich auch nicht speziell vorbereit, bin

20.05.2009Mit 50 Sachen in die Verpflegungszone reingeknallt

(rsn) – Ein sehr heißer und sehr schneller Tag war das heute. Mal wieder wurde von Anfang an hohes Tempo eingeschlagen, das ging ratzfatz mit den Gruppen. Aber komisch war, dass das Feld keine einz

19.05.20097 Stunden und 15 Minuten im Sattel!

(rsn) – Was für ein Tag. Eine Fahrt von 262 Kilometern über drei schwere Berge und mit einem heftigen und gefährlichen Finale! Ich saß 7:15 Stunden im Sattel und bin einen 38er-Schnitt gefahren.

Weitere Radsportnachrichten

25.12.2024Kräftezehrendes Jahr mit zwei Grand Tours

(rsn) – Die Ambitionen von Felix Gall (Decathlon – AG2R La Mondiale) waren vor dem Jahr 2024 berechtigter Weise groß. Denn der Österreicher konnte auf eine erfolgreichste Saison zurückblicken,

25.12.2024Alles offen nach einer erfolgreichen Saison

(rsn) - Das Resümee ihrer ersten vollständigen Profi-Saison dürfte durchweg positiv für die Schweizerin Elena Hartmann vom Team Roland ausgefallen sein. Erst vor zwei Jahren gelang der inzwischen

25.12.2024Traum erfüllt und doch unzufrieden

(rsn) – Es gibt durchaus einfachere Aufgaben als die Saison 2024 von Pascal Ackermann zu bewerten. Auch er selbst ist da ein wenig zwiegespalten. Schließlich hat er es mit dreißigeinhalb Jahren en

25.12.2024Meistertitel das Highlight im insgesamt bislang besten Jahr

(rsn) - Die abgelaufene Saison wird Franziska Koch vom Team dsm-firmenich - PostNL wohl noch länger in Erinnerung bleiben - war es doch mit Abstand ihre erfolgreichste, seit sie im Jahr 2019 beim Tea

25.12.2024Auch Colombo und vier Kollegen verlassen Q36.5

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

25.12.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

25.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Frauen 2024

(rsn) - Wie bei den Männern so blicken wir traditionell am Jahresende auch auf die Saison der Frauen zurück und stellen die besten 15 Fahrerinnen unserer Jahresrangliste vor. Wir haben alle UCI-Ren

25.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste der Männer 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

24.12.2024Der größte Sieg war jener über Long-Covid

(rsn) – Es war eine Saison voller Höhen und Tiefen für Marlen Reusser (SD Worx – Protime), wobei vor allem in der zweiten Saisonhälfte die Tiefe übernahm – und zwar komplett. Denn die Schwe

24.12.2024Top-Sprinter mit starkem Sinn für Realismus

(rsn) - Mit zwei Siegen und insgesamt 21 Top-Ten-Resultaten bei UCI-Rennen zeigte Phil Bauhaus (Bahrain Victorious) auch 2024, dass er zu den schnellsten Männern im Feld zählt. Mit seiner Saison w

24.12.2024Mit 36 Jahren noch immer einer der Besten

(rsn) – Seit vielen Jahren gehört Riccardo Zoidl (Felt – Felbermayr) zu den absolut besten Fahrern Österreichs. 2013 erlebte er seinen absoluten Durchbruch, wo er sich mit zahlreichen Rundfahrts

24.12.2024Hamilton bricht sich das Schlüsselbein bei Trainings-Crash

(rsn) – Chris Hamilton, Tim Naberman und Oscar Onley sind am letzten Tag des Dezember-Trainingslagers des Teams dsm-firmenich – PostNL, das ab Januar Picnic – PostNL heißen wird, gestürzt. Wä

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine