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30.03.2024 | (rsn) – Mit ihren Siegen bei der UAE Tour und bei Strade Bianche hat Lotte Kopecky (SD Worx – Protime) ihre Ausnahmestellung im Frauen-Peloton gleich zu Saisonbeginn klargestellt. Und für die belgischen Fans ist die Weltmeisterin nun auch am Ostersonntag der Top-Star bei der Flandern-Rundfahrt – umso mehr, da die beiden größten belgischen Hoffnungsträger im Männerrennen, Wout van Aert und Jasper Stuyven nun verletzt fehlen.
Doch die vergangenen Wochen haben gezeigt: Ein Selbstläufer wird der dritte Sieg in Folge für die Lokalmatadorin nicht. Kopeckys Favoritenstellung im Frauen-Rennen ist weniger deutlich als die von Mathieu van der Poel bei den Männern. Denn auch wenn SD Worx – Protime in absoluter Bestbesetzung zur 'Ronde' anreist, so ist auch Lidl – Trek bestens aufgelegt – dazu kommt die wohl stärkste Marianne Vos (Visma – Lease a Bike) seit Jahren, eine sehr fokussiert in die Saison gestartete Katarzyna Niewiadoma (Canyon – SRAM) und eine Puck Pieterse (Fenix – Deceuninck), die am Sonntag absolut gar nichts zu verlieren hat. (Zu den Aufgeboten aller Teams!)
Nicht rein zufällig wurde SD Worx – Protime am Mittwoch bei Dwars door Vlaanderen in die Schranken gewiesen, als sich Vos und Shirin van Anrooij (Lidl – Trek) absetzten und den Sieg unter sich ausmachten, während Kopecky 19 Sekunden dahinter Vierte wurde. Der Unterschied zum Sonntag: In Waregem fehlten Marlen Reusser und Lorena Wiebes dem niederländischen Rennstall. So war Kopecky, auch weil Demi Vollering nicht in Bestform schien, taktisch unterlegen, als van Anrooij die vorentscheidende Attacke ritt. Das dürfte bei der 'Ronde' nun so nicht passieren.
"Wir haben die Nummer 1 bis 4 der Weltrangliste jetzt alle dabei und sind sehr vielseitig aufgestellt. Das gibt uns Chancen in unterschiedlichen Szenarien, was bei der Ronde sehr wichtig ist, weil sich die Rennsituation dort schnell ändern kann", sagte die Sportliche Leiterin Anna van der Breggen, die vor sechs Jahren selbst in Oudenaarde gewonnen hatte. "Wir setzen nicht auf eine Anführerin. Unsere Fahrerinnen können den Druck auf mehrere Schultern verteilen."
Die Maximallast schultert, gerade wegen der öffentlichen Erwartungshaltung in Belgien, aber trotzdem Kopecky. Und auch wenn sie die Ronde bereits zwei Mal gewonnen hat, so will die 28-Jährige den Hattrick unbedingt. Eine Situation in der sie sagt: 'Ich hab' die Trophäe schon, macht ihr mal', dürfte es in keinem Rennszenario wirklich geben.
"Ich bin entspannt. Ich freue mich wirklich darauf, die Flandern-Rundfahrt in meiner Heimat als Weltmeisterin zu bestreiten", sagte sie zwar und betonte: "Der Fakt, dass ich das Rennen bereits gewonnen habe, nimmt mir etwas Druck. Am Ende ist das Wichtigste, dass wir als Team den Sieg holen." Doch Kopecky gab auch zu, wie besonders es für sie als Weltmeisterin wäre, gerade in der aktuellen Situation den dritten Ronde-Sieg in Folge zu feiern: "Als Weltmeisterin in der Heimat mit der Nummer 1 auf dem Rücken zu gewinnen, das würde das Bild vervollständigen."
Die Frage ist, wie sehr sie auf die Unterstützung von Demi Vollering bauen kann. Die Tour-de-France-Siegerin gehörte nach ihrer Rückkehr aus dem Höhencamp in der Sierra Nevada am Mittwoch bei Dwars door Vlaanderen ganz deutlich nicht zu den Besten. Dazu kommt, dass um ihre Person unter der Woche viel Aufregung herrschte, weil Sportdirektor Danny Stam und auch Team-Manager Erwin Janssen öffentlich bestätigten, dass Vollering das Team am Saisonende verlassen werde – was die Niederländerin selbst wiederum überraschte. Die Frage ist, ob das am Wochenende neue Kräfte freimacht oder Vollering eher blockiert. "Ich will die Ronde van Vlaanderen am Ende meiner Karriere in meinen Palmares stehen haben", sagte die 27-Jährige jedenfalls vor dem Rennen.
In den vergangenen Wochen präsentierte sich vor allem das Team Lidl–Trek – übrigens einer der Kandidaten für die Vollering-Verpflichtung 2025 - sehr stark und machte SD Worx–Protime bei den WorldTour-Rennen Konkurrenz. Shirin van Anrooij ist bestens aufgelegt, Elisa Longo Borghini spielt bei der Flandern-Rundfahrt immer eine gute Rolle und auch Lucinda Brand und Lizzie Deignan können wichtige Faktoren sein, um offensiv zu agieren. Vor allem aber Elisa Balsamo war im März so stark wie vielleicht seit ihrem WM-Sieg 2021 in Leuven nicht mehr. Bei ihr ist nur die Frage, ob sie mit den Allerbesten über alle Hellingen kommt. (Alle Details zur Strecke hier!)
"Es war ein sehr guter Frühling, auch für uns als Team. Bei jedem Rennen ist jemand von uns vorne dabei, oder sogar mehrere. Außerdem bestimmen wir jedes Mal das Rennen mit, was besonders schön ist", erklärte van Anrooij nach Dwars door Vlaanderen gegenüber Wielerflits und zog aus den letzten Auftritten Zuversicht für den Ostersonntag:
"Es wird wichtig sein, immer gut vertreten zu sein und nicht hinter dem Rennen her zu eilen", so die 22-jährige Tour-de-l'Avenir-Siegerin. "Ich denke tatsächlich, dass wir sie (SD Worx, Anm. d. Red.) in eine ungünstige Lage bringen können. Oft sind viele von uns da, wenn attackiert wird und auch Elisa (Balsamo) klettert momentan gut. Wir müssen auf unsere Teamstärke vertrauen, aber auch selbst antizipieren und nicht einfach nur darauf warten, dass sie angreifen."
Weniger über die Breite ihrer Teams, aber trotzdem kaum minder gefährlich für Kopecky und Co. sind Vos und Pieterse. Die niederländische Altmeisterin ist nach ihrer Operation an der Beckenarterie im vergangenen Jahr so gut in die Saison 2024 gestartet, wie lange nicht. Während sie in den letzten Jahren in Sprints immer noch gut war, präsentierte sich Vos zuletzt auch auf schwereren Strecken wieder extrem stark, ließ sich von Kopecky beim Omloop Het Nieuwsblad bergauf nie abschütteln und gewann sowohl Ende Februar dort, als auch jetzt am Mittwoch bei Dwars door Vlaanderen in Waregem.
"Zu Beginn des Jahres hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ich meine Saison so starten würde. Dass ich jetzt schon zwei Siege habe, ist wirklich etwas besonderes für mich", sagte die 36-Jährige dort und die 'Grande Dame des Frauenradsports' ist nun wahrscheinlich die Frau, vor der man bei SD Worx – Protime am meisten Respekt hat. Einziges Manko: Vos' Team ist nicht so stark aufgestellt, dass man im Finale noch taktische Spielchen wird spielen können.
Etwas mehr Unterstützung dürfte da Pieterse noch haben. Denn mit der Tirolerin Christina Schweinberger, der Niederländerin Yara Kastelijn und der Belgierin Julie De Wilde hat Fenix – Deceuninck durchaus einige Kandidatinnen, um es bei der Ronde weit zu schaffen. Die schärfste Waffe ist aber wahrscheinlich das 21-jährige Mountainbike-Ass: Pieterse, deren größtes Ziel in diesem Jahr Olympia auf dem Mountainbike ist, hat im Frühjahr eine acht Rennen umfassende Straßen-Kampagne in ihre Saison eingebaut und glänzte dabei auf jedem Terrain. Nur bei Strade Bianche (Platz 13) fuhr sie nicht in die Top Ten, in Drenthe sowie bei der Trofeo Binda in Italien landete sie sogar auf dem Podium. Bei der 'Ronde' nun wird sie nochmal alles in die Waagschale werfen:
"Es macht großen Spaß, bei allen Rennen dabei zu sein und das hier als eine Art Intermezzo zu erleben. Die Ronde ist dabei mein letztes Rennen dieser Straßenkampagne. Danach konzentriere ich mich wieder auf das Mountainbike", sagte Pieterse gegenüber Wielerflits und deutete damit an, dass sie kaum etwas zu verlieren hat. "Am Sonntag muss ich besonders aufmerksam sein und die Angriffe so weit wie möglich mitgehen. Aber andererseits sollte ich auch keine Angst davor haben, selbst anzugreifen."
Insgesamt dürfte das der Schlüssel sein, um SD Worx – Protime am Sonntag zu ärgern: Offensive. Nur so kann die Konkurrenz herausfinden, wie gut Vollering momentan ist und ob beispielsweise auch Sprint-Ass Lorena Wiebes über mehrere Hellingen hintereinander genauso gut klettern kann, wie bei Gent-Wevelgem in der vergangenen Woche am Kemmelberg, als sie Kopecky noch am besten folgen konnte. Denn das Ziel für alle anderen Teams muss sein, die zahlenmäßige Überlegenheit von SD Worx aufzubrechen und Kopecky und Reusser taktisch so an die Wand zu stellen, wie man es am Mittwoch in Waregem mit der Weltmeisterin gemacht hat. Im Eins-gegen-Eins nämlich dürfte es für jede andere im Peloton schwer werden, sie zu schlagen. Das Zünglein an der Waage könnte dann Reusser werden, deren Fähigkeiten zu einem langen Solo für SD Worx der Trumpf in der Hinterhand sind.
Eine Frau aber gab es in dieser Saison bereits, die in kurzen, steilen Rampen sogar zeitweise stärker wirkte, als Kopecky: Niewiadoma. Die Gravel-Weltmeisterin aus Polen fühlte der Straßen-Weltmeisterin bei Strade Bianche empfindlich auf den Zahn, bevor sie dann taktisch gegen SD Worx unterlag. Seither hat die 29-Jährige kein Rennen bestritten und sich aufs Training fokussiert – Überraschungs-Potential in alle Richtungen bringt sie daher mit. Elise Chabbey und Chloe Dygert sind jedenfalls auch nicht die schlechtesten Co-Leaderinnen an Niewiadomas Seite.
Zum erweiterten Kreis der Top-5-Kandidatinnen gehören außerdem Arlenis Sierra, Emma Norsgaard Bjerg, Floortje Mackaij (alle Movistar), Pfeiffer Georgi (dsm-firmenich – PostNL) und Thalita De Jong (Lotto – Dstny).
Die Live-Übertragung der Flandern-Rundfahrt der Frauen beginnt am Sonntag um 14:50 Uhr auf Discovery+. Auf Eurosport im TV wird nach der Zielankunft der Männer um etwa 16:45 Uhr zum rund eine Stunde später endenden Frauenrennen herübergeschaltet.
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