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24.12.2023 | (rsn) – Sie ist eine Späteinsteigerin wie sie im Buche steht: Erst mit 30 Jahren nahm Elena Hartmann (Israel – Premier Tech – Roland) erstmals an einem Radrennen teil, den Schweizer Zeitfahrmeisterschaften 2021. Es dauerte sogar noch ein weiteres Jahr, bis die Polizistin aus Chur auch an der Startlinie ihres ersten Straßenrennens stand – und das waren dann gleich die Weltmeisterschaften Ende 2022 in Wollongong in Australien. Inzwischen ist sie Profi in der Women's WorldTour und 2023 feierte Hartmann prompt auch ihren ersten UCI-Sieg auf der Straße, bei der Tour de Berlin.
"Das war das Highlight – wirklich ganz toll", freute sich die Schweizerin nun im Rückblick mit radsport-news.com über ihren Solo-Erfolg am 2. Juli in der deutschen Hauptstadt. Rund 20 Kilometer vor Schluss war Hartmann dort dem Feld davongefahren – und brachte schließlich 23 Sekunden Vorsprung mit über die Linie. ___STEADY_PAYWALL___
"Das Solo war von Anfang an mein Plan. Am Tag davor gab es dort ein Kriterium und da habe ich mir die Fahrerinnen ein bisschen angeschaut und mir gedacht: Okay, vom Zeitfahren her könnte ich da vielleicht schon einige abwimmeln. Und dann habe ich mir überlegt: Weißt Du was, ich fahre einfach 20 Kilometer vor Schluss los. Ich weiß, dass ich das kann und kenne meine Wattzahlen – und besser ich versuche es, als dann im Feld zu bleiben und dann verliere ich eh", so Hartmann. Das Vorhaben ging perfekt auf.
Ihr Heil in der Flucht zu suchen, war simpler Pragmatismus: Hartmann tut sich als Späteinsteigerin beim Fahren im Peloton noch schwer. "Es ist eine riesengroße Herausforderung für mich. Ich fahre da nicht einfach easy mit, sondern bin wirklich 100 Prozent darauf konzentriert, wo ich fahre, wie ich fahre und was die Anderen machen", so Hartmann, die aber betont, dass es ihr trotzdem Spaß mache:
"Ich mag beim Zeitfahren den Aspekt der mentalen Fitness. Ich finde, das ist eine schöne Herausforderung. Aber ich kann den Straßenrennen inzwischen auch sehr viel abgewinnen. Das ist wirklich cool und macht mir Spaß – vor allem, wenn man dann irgendwann versteht, dass viel Taktik dahintersteckt und es eigentlich auch ein Mannschaftssport ist, dass man zusammenarbeitet. Das ist auch sehr faszinierend."
Auf dem Straßenrad hat die Ex-Triathletin Hartmann weniger Rennerfahrung, als auf der Zeitfahrmaschine. | Foto: Cor Vos
Das alles hat Hartmann erst in den letzten anderthalb Jahren wirklich gelernt. Früher habe sie keine Radrennen geschaut und entsprechend keine Ahnung von dem Sport gehabt. "Ich denke, das hat man auch dieses Jahr immer mal wieder gesehen", gab Hartmann lachend zu. Doch Ausdauersport, das liegt ihr eben.
Als Jugendliche spielte sie Fußball – allerdings weniger leistungsorientiert, als vielmehr wegen der Freude, die es ihr machte, mit ihren Freundinnen. Hartmanns Position dabei: der Flügel. "Das war das Einzige, was ich konnte. Ich hatte Ausdauer, aber wenn ich den Ball dann hatte, wusste ich nicht, was ich damit anfangen soll", so die Schweizerin. Mit 25 Jahren wechselte sie in Richtung Ausdauersport, begann mit Triathlon und wurde dort immer besser – vor allem auf der Mitteldistanz. 2021 wurde sie Zweite in ihrer Altersklasse beim Ironman 70.3 in Rapperswil in der Schweiz, im Mai 2022 folgte beim Ironman 70.3 auf Mallorca sogar der Sieg in der Gesamtwertung aller Altersklasse-Athletinnen, also quasi all derjenigen Frauen am Start, die keine Profi-Lizenz besaßen.
Und zu dieser Zeit begann Hartmann auch bereits, sich mit Einzelzeitfahren im Radsport auseinanderzusetzen. "Mein Freund ist sehr interessiert an Aerodynamik. Wir haben viel rumgetestet und haben die Challenge angenommen und gesagt: Komm, wir versuchen es mal", sagte Hartmann nun mit Blick auf ihre Anmeldung bei der Schweizer Zeitfahrmeisterschaften 2021, bei denen sie auf Rang fünf fuhr. Ein Jahr später dann gewann sie den Titel – und von da an nahm ihre Radsportkarriere rasend schnell Fahrt auf.
"Der Nationaltrainer ist nach den Meisterschaften zu mir gekommen und hat gesagt: 'Elena, das gefällt mir, was ich da gesehen habe! Hast Du Lust zur EM mitzukommen? Natürlich habe ich da zugesagt, aber ich habe mir nichts ausgerechnet und dachte ich habe eh keine Chance", erinnert sie sich. Doch aus "keine Chance" wurde bei den Europameisterschaften in Fürstenfeldbruck im Sommer 2022 der neunte Platz. Swiss Cycling nahm die damals 31-Jährige prompt mit nach Australien zur WM, und weil sie dann ohnehin schon dort war, startete sie sechs Tage nach dem Zeitfahren auch im Straßenrennen – was für ein Debüt: Das erste UCI-Straßenrennen und dann gleich die WM!
"Ich war völlig überfordert. Ich hatte keinen Plan, was man machen muss und wie man fährt", so Hartmann heute. "Aber dann durfte ich auch die Tour de Romandie mit dem Nationalteam fahren und habe gemerkt: Hey, das gefällt mir richtig gut, das macht mir Spaß! Und deshalb bin ich dann auf Teamsuche gegangen – und es hat sich eins nach dem anderen ergeben."
Hartmann schloss sich dem Development-Team von Israel – Premier Tech – Roland für 2023 an und fuhr bis Ende Mai dort. Zum Juni aber bereits zog die Teamleitung um Ruben Contreras die Schweizerin in den WorldTour-Kader hoch und sie bestritt die Tour de Suisse Women, um anschließend am 25. Juni Schweizer Vizemeisterin auf der Straße zu werden und eine Woche danach in Berlin zu triumphieren. Was folgte, war ein Startplatz im Tour-de-France-Kader, doch ihre erste Frankreich-Rundfahrt hat Hartmann weniger gut in Erinnerung:
"Dort habe ich jeden Tag immer nur um den Anschluss gekämpft. Das war frustrierend. Aber solange ich nicht gut im Feld fahren kann, ist das einfach schwierig", gab sie zu. "Leider kann man das absolut nicht trainieren. Auch wenn man zu fünft Rad fahren geht, ist es ja nicht das gleiche. Deshalb muss ich jetzt einfach mehr Rennen fahren." Abgesehen vom Sieg in Berlin fuhr Hartmann bisher ihre besten Ergebnisse in Zeitfahren heraus. | Foto: Cor Vos
Nach der Tour fuhr Hartmann die Weltmeisterschaften in Glasgow, wo sie 23. im Zeitfahren wurde und zwei belgische Eintagesrennen sowie die beiden WorldTour-Rundfahrten Tour of Scandinavia und Simac Ladies Tour – viel mehr Renntage hätten kaum mehr reingepasst in den Rennsommer der Schweizerin, der schließlich mit drei starken Zeitfahren sehr gut zu Ende ging: Sie wurde Sechste beim Chrono Gatineau (1.1) in Kanada, gewann Anfang Oktober den Schweizer Zeitfahrtitel zum zweiten Mal und holte am 15. Oktober noch Rang vier beim Chrono des Nations (1.1) in Frankreich.
2024 nun soll es mit vielen Renneinsätzen weitergehen und Hartmann freut sich vor allem auf einige Rundfahrten, umso mehr Renntage und mehr Erfahrung im Feld sammeln zu können. Einsteigen wird sie ins Jahr bei der Mallorca Challenge schon im Januar, dann folgt die UAE Tour Women Anfang Februar.
Von Olympia in Paris träumt die 33-Jährige aber nicht. Die Schweiz hat nur einen Startplatz im Zeitfahren und Hartmann ist klar, dass der an Marlen Reusser gehen wird: "Der ist natürlich gesetzt – und das ist natürlich auch überhaupt keine Frage", betonte sie, dass sie auch als Meisterin ihres Landes keine Ansprüche stellen werde. "Natürlich wäre es cool, an der Heim-WM (Ende September in Zürich, Anm. d. Red.) dabei zu sein. Aber wenn es nicht sein sollte, dann geht die Welt auch nicht unter für mich."
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