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16.07.2023 | (rsn) – Vor dem zweiten Ruhetag der 110. Tour de France hat Jonas Vingegaard (Jumbo – Visma) das Gelbe Trikot ein weiteres Mal verteidigt. Der Däne parierte auf dem Schlusskilometer souverän Angriffe von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) und kam zeitgleich mit dem Slowenen ins Ziel. Dessen Teamkollege Adam Yates nahm am Schlussanstieg der 15. Etappe dem Gesamtdritten Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers) einige Sekunden ab und verdrängte Jai Hindley (Bora – hansgrohe) von Rang vier der Gesamtwertung. Der am Vortag gestürzte Australier verlor 1:34 Minuten auf den Briten und ist im Klassement nun Fünfter.
Den Tagesssieg holte sich nach spektakulären 179 Kilometern von Les Gets les Portes du Soleil zur Bergankunft in Saint-Gervais Mont-Blanc jedoch Wout Poels (Bahrain Victorious). Der 35-jährige Niederländer war der Beste einer ursprünglich fast vierzig Fahrer starken Fluchtgruppe und feierte erstmals in seiner Karriere einen Grand-Tour-Etappensieg. Poels fuhr elf Kilometer vor dem Ziel dem späteren Tageszweiten Wout van Aert (Jumbo – Visma) und dem Spanier Marc Soler (UAE Team Emirates) auf und davon. Dritter wurde mit drei Minuten Rückstand der Franzose Mathieu Burgaudeau (TotalEnergies) vor dem UU-Amerikaner Lawson Craddock (Jayco – AlUla) und dem Spanier Mikel Landa (Bahrain Victorious).
Ein Monument hat er schon in seinen Palmares stehen, eine Grand-Tour-Etappe konnte Poels bei bisher 21 Teilnahmen an dreiwöchigen Rundfahrten bislang nicht für sich entscheiden. “Der Sieg bedeutet mir viel. Von dem träume ich schon, seit ich ein Kind bin“, freute sich Routinier im Ziel-Interview. In der immer kleiner werdenden Gruppe des Tages war der Sieger von Lüttich-Bastogne-Lüttich 2016 klar der Stärkste und bescherte Bahrain Victorious den zweiten Tagessieg bei dieser Tour.
Obwohl er im Ziel 2:08 Minuten Vorsprung auf van Aert hatte, war Poels sich lange unsicher. “Erst auf dem letzten Kilometer habe ich daran geglaubt. Wir Niederländer sagen immer: ‘Wout van Aert ist kein Pfannkuchen‘. Also musste ich Vollgas bis zur Linie fahren“, zitierte er eine heimische Redensart. Mit dem Etappensieg beendete Poels eine für ihn schwierige Phase, denn der Tod seines bei der Tour de Suisse verunglückten Mannschaftskollegen Gino Mäder machte ihm sehr zu schaffen. Und auch sportlich lief es lange Zeit nicht wie gewünscht. “Ich hatte ein wenig gebraucht, bis ich in die Tour reingefunden habe. Ich war im Höhentrainingslager krank geworden und musste die Dauphiné auslassen. Dann bin ich die Slowenien-Rundfahrt gefahren. Da ist es gut gelaufen und dadurch kam ich in das Tour-Aufgebot.“
Der 28-jährige van Aert jagt derweil weiter seinem zehnten Etappensieg bei der Frankreich-Rundfahrt nach. “Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung, mehr war nicht drin“, urteilte der Flame nach der Bergankunft gegenüber dem belgischen TV-Sender Sporza und machte auf einen entscheidenden Unterschied gegenüber Poels aufmerksam: “Er wird so 20 Kilo weniger wiegen als ich.“ Sein Kapitän Vingegaard hingegen konnte das Hinterrad seine Hauptkonkurrenten Pogacar halten und verteidigte so seinen knappen Vorsprung im Klassement.
“Ich habe versucht, das Finale hart zu machen, Jonas ist supergut und ich konnte ihn nicht loswerden“, blickte der Slowene im Ziel zurück. Zuvor hatte UAE im Schlussanstieg das Tempo hochgeschraubt, bis nur noch Pogacar und Vingegaard hinter Adam Yates übrige waren. “Adam hat ein paar Sekunden gewonnen, auch er kommt dem Podium nun nahe und das ist gut für uns. Wir können mit viel Selbstvertrauen in die letzte Woche gehen, das ganze Team fährt super. Der Rest hat nun zwei Ruhetage, denn nur ich und Adam müssen im Zeitfahren Vollgas geben“, meinte der zweimalige Toursieger.
Nils Politt (Bora – hansgrohe) gehörte wie seine Teamkollegen Marco Haller und Patrick Konrad der Gruppe des Tages an. Sie fielen aber zurück, als das Tempo in den Bergen in die Höhe geschraubt wurde. Ihr Mannschaftskollege Emanuel Buchmann stürzte kurz vor dem zweigeteilten Schlussanstieg und konnte deswegen im Finale seinen Kapitän Hindley nicht unterstützen. Der Deutsche Meister fiel so auch in der Gesamtwertung auf die 15. Position zurück. "Ich war direkt hinter Jai, bin weggerutscht und dann lag ich auf der Straße. Ich denke das war einfach ein Fahrfehler. Ich habe ein paar Schürfwunden, aber nichts Dramatisches, denke ich“, sagte Buchmann zu radsport-news.com.
Sein Teamkollege Hindley hat als Gesamtfünfter nunmehr 6:39 Minuten Rückstand auf Vingegaard, der zehn Sekunden vor Pogacar und 5:21 Minuten vor Rodriguez die Gesamtwertung anführt. Sein Teamkollege Adam Yates folgt 19 Sekunden hinter dem Spanier auf Position vier.
Der Italiener Giulio Ciccone (Lidl – Trek) übernahm das Bergtrikot von Vingegaard; Neilson Powless (EF Education - EasyPost), der es stellvertretend für den Dänen trugt, ist punktgleich unverändert weiterhin Zweiter ist. In der Punktewertung bleibt Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck), Pogacar führt weiterhin die Nachwuchswertung an, Jumbo – Visma verdrängte Ineos Grenadiers von der Spitze der Teamwertung.
Chaos war Trumpf auf den ersten 50 Kilometern der mit fast 4.500 Höhenmetern gespickten Alpenetappe. Attacke folgte auf Attacke, ehe sich nach 27 Kilometern der Deutsche Zeitfahrmeister Politt lösen konnte. Nach einem mehrminütigen Solo sprangen aber immer mehr Fahrer zum Hürther vor. Insgesamt 38 Fahrer bildeten nach 50 Kilometern schließlich die riesige Ausreißergruppe des Tages. Aus dieser setzten sich Julian Alaphilippe (Soudal – Quick-Step) und Alexey Lutsenko (Astana Qazaqstan) ab, doch das Duo konnte sich nur einen knappen Vorsprung herausfahren.
Im Feld kam es zu einem Massensturz, verursacht von einem am Streckenrand stehenden Zuschauer, der Vingegaards Edelhelfer Sepp Kuss mit einer plötzlichen Bewegung zu Boden riss, wodurch in einer Kettenreaktion rund 20 Fahrer stürzten. Zwar konnten alle gestürzten Profis das Rennen fortsetzen, darunter auch Nathan Van Hooydoonck (Jumbo – Visma), der besonders hart auf dem Asphalt aufschlug. Doch sorgte die Szene dafür, dass nun die Schere zur Spitze aufging und die Ausreißer sich einen Maximalvorsprung von rund 8:30 Minuten auf das Feld herausfahren konnten, in dem nun Jumbo – Visma die Kontrolle übernahm.
Guillaume Martin (Cofidis) war mit 16:50 Minuten Rückstand im Klassement der bestplatzierte Profi der großen Gruppe. In Bluffy rollte Alaphilippe als erster über den Zwischensprint. Anschließend begann der Col de la Forclaz de Montmin (1.Kat.), dessen Kuppe Lutsenko als Erster überquerte. Ciccone überraschte Powless im Kampf um Platz drei mit einem trockenen Antritt und holte sich noch sechs Zähler. Der US-Amerikaner übernahm mit den vier Punkten für Platz vier virtuell dennoch wieder die Spitze im Bergklassement.
Kurz darauf wurden Alaphilippe und Lutsenko rund 85 Kilometer vor dem Ziel von den Verfolgern gestellt. In der großen Gruppe war Bora – hansgrohe mit Politt, Marco Haller und Patrick Konrad gleich dreifach vertreten, gleiches galt für Lidl – Trek (Ciccone, Mathias Skjelmose und Juan Pedro Lopez) sowie Jayco – AlUla (Craddock, Luka Mezgec und Chris Juul-Jensen). Jeweils einen Fahrer mehr hatten EF Education - EasyPost (Powless, Andrey Amador, Magnus Cort und Rigoberto Uran) und Israel - Premier Tech (Michael Woods, Hugo Houle, Krists Neilands und Dylan Teuns) in die Gruppe platzieren konnte. Dazu kamen noch weitere Kletterspezialisten wie Guillaume Martin, Ion Izagirre (Cofidis), Warren Barguil (Arkéa – Samsic, Thibaut Pinot (Groupama - FDJ) und Landa, aber auch Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) versuchte sich wieder als Ausreißer. Die Farben von Jumbo – Visma vertrat van Aert, die von UAE Soler, lediglich Lotto – Dstny hatte keinen Fahrer in der Spitzengruppe dabei.
Lange blieben die Ausreißer aber nicht beisammen, denn 72 Kilometer vor dem Ziel löste sich Haller und fuhr mit fast einer Minute Vorsprung in den Col de la Croix Fry (1.Kat.) hinein, zehn Kilometer später schloss Rui Costa (Intermarché – Circus – Wanty) zu dem Österreicher auf, der das Tempo des Portugiesen nicht mitgehen konnte und wieder in die erste Verfolgergruppe zurückfiel. Costa selbst wurde von der inzwischen auf 20 Mann geschrumpften Verfolgergruppe wenige Meter vor der Bergwertung eingeholt.
Powless war hier bereits zurückgefallen, und so legte niemand Ciccone Steine in den Weg, als der Italiener sich die maximal möglichen zehn Bergpunkte und sich so das Bergtrikot sicherte. Am kurz darauf folgenden Col de Aravis (3.Kat.) attackierte Soler, holte sich den Bergpreis vor van Aert, der sich kurz zuvor gelöst hatte, und Neilands, der das Hinterrad des Belgiers halten konnte. Dahinter folgte Poels, der wie das Duo vor ihm in der Abfahrt 42 Kilometer vor dem Ziel den Anschluss an den Spitzenreiter schaffte.
Das Profil der 15. Etappe der Tour de France. | Foto: ASO
In der Abfahrt schlug Neilands dann nach einem Fahrfehler heftig gegen eine Begrenzungsmauer. Der Lette wollte sich in einer Kurve vom Begleitmotorrad eine Trinkflasche reichen lassen, verlor die Kontrolle über sein Rad und überschlug sich. Nachdem er einige Zeit benommen auf dem Asphalt hockte, konnte Neilands das Rennen in der ersten, noch 15-köpfigen Verfolgergruppe zumindest fortsetzen. An einen möglichen Etappensieg war aber nicht mehr zu denken.
Bis zum Fuß des rund 12 Kilometer langen, zweigeteilten Schlussanstiegs hatten Soler, van Aert und Poels ihren Vorsprung gegenüber den Jägern auf rund 1:20 Minuten ausgebaut, das weiterhin von Jumbo angeführte Feld folgte mit gut sieben Minuten Rückstand. Soler, der zwischenzeitlich den Anschluss an seine Begleiter verloren hatte, kam im unteren Teil der 2,7 Kilometer langen und elf Prozent steilen Côte des Amerands (2.Kat.) zwar wieder heran, war aber wie van Aert gegen den Antritt von Poels elf Kilometer vor dem Ziel chancenlos.
Der Routinier passierte die Bergwertung 28 Sekunden vor van Aert, der sein Tempo weiterfuhr. Soler konnte dem Belgier in der kurzen Abfahrt nicht folgen, im längeren, aber nicht ganz so schweren Anstieg zum Ziel vergrößerte Poels seinen Vorsprung deutlich und holte sich souverän den 22. und neben Lüttich-Bastogne-Lüttich größten Sieg seiner Karriere. Hinter van Aert holte sich der noch stark aufkommende Burgaudeau den dritten Platz.
In der Favoritengruppe entwickelte sich das Finale zu einem Ausscheidungsfahren. Lediglich Gall fehlte beim Einstieg den letzten Berg, weil der Osttrioler in der kurzen letzten Abfahrt des Tages durch einen Defekt aufgehalten wurde. Sieben Kilometer vor dem Ziel fielen dann aber auch Hindley, Simon Yates (Jayco – AlUla), Pello Bilbao (Bahrain Victorious) und Tom Pidcock (Ineos Grenadiers) zurück. Zwei Kilometer später konnten auch David Gaudu (Groupama – FDJ), Sepp Kuss (Jumbo – Visma) und Rodriguez dem von UAE angeschlagenen hohen Tempo nicht mehr folgen.
Nur Adam Yates, Pogacar und Vingegaard blieben schließlich noch übrig. Pogacar ließ seinen britischen Teamkollegen fahren und verschleppte das Tempo, so dass Rodriguez zurückkahm. Zu dritt fuhren sie wieder zu Yates auf, der wie der Spanier aber nicht folgen konnte, als Pogacar unter dem Teufelslappen aus dem Sattel ging und attackierte. Vingegaard hingegen klebte am Hinterrad des Gesamtzweiten und versuchte auf den letzten Metern sogar noch erfolglos, ein paar Sekunden zu gewinnen. Die beiden Top-Favoriten fuhren schließlich Seite an Seite über den Zielstrich.
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