Schlussspurt statt Soloflucht

Darum griff Pogacar beim Flèche Wallonne nicht früher an

Von Joachim Logisch

Foto zu dem Text "Darum griff Pogacar beim Flèche Wallonne nicht früher an"
Der Angriff kurz vor dem Sieg! Mit einem kurzen Antritt an der 200-Meter-Marke ließ Pogacar beim Fleche Wallonne alle hinter sich | Foto: Cor Vos

20.04.2023  |  (rsn) - Das große Feld kam dem Ziel an der Mauer von Huy immer näher. Doch Tadej Pogacar (UAE Emirates) griff nicht an, wie er es bei seinen letzten Solo-Siegen bei der Flandern-Rundfahrt und dem Amstel Gold Race getan hatte. War der überragende Fahrer des Frühjahrs etwa müde? Boten sich dadurch Chancen für die Konkurrenten? Die Antwort gab der Slowene 200 Meter vor Schluss, als er mit seinem Antritt spielerisch wieder alle Konkurrenten stehen ließ. Mit mehreren Radlängen Vorsprung gewann Pogacar mit dem Flèche Wallonne auch den zweiten Teil des Ardennen-Triples.

Der Grund, weshalb der zweimalige Toursieger nicht vorher angriff? Er hatte es nicht nötig! Anders als bei der Ronde, wo er 17 Kilometer vor dem Ziel sein Solo startete und beim Amstel, wo Pogacar schon 28,5 Kilometer vor Schluss alle stehen ließ, war die Passivität seiner Konkurrenten und seine Mannschaft, die das Rennen perfekt kontrollierte. In ihrem Windschatten konnte Pogacar im Gefühl der eigenen Stärke seine Kräfte für die finale Attacke in der bis zu 16,4 Prozent steilen Mur de Huy sparen.

“Es war das perfekte Rennen aus unserer Sicht. Ich muss meinen Teamkollegen ein großes Dankeschön aussprechen. Es ist ein großer Ansporn für mich, wenn sie einen so tollen Job machen wie heute“, wusste Pogacar im Siegerinterview, wem er diesen Erfolg zu verdanken hatte. Seine Mannschaft lieferte ihn in der Spitzenposition an der Mauer ab, von wo an er im 1,3 Kilometer langen Anstieg (im Schnitt 9,7 Prozent steil) nun seinerseits die Lage perfekt unter Kontrolle hielt. Pogacar ging jede Tempoverschärfung locker mit.

Als Michael Woods (Israel – Premier Tech) 200 Meter vor dem Ziel eine Attacke versuchte, sprintete der zurzeit mit Abstand weltbeste Radprofi locker am Kanadier ihm vorbei, als wäre er im Flachen von Rückenwind unterstützt.

>Alle warteten bis zur Muy - und waren dann chancenlos

Dass es ihm nicht so leichtgefallen war, sah man dann nach der Ziellinie. Pogacar atmete schwer und brauchte augenscheinlich einen kurzen Moment der Erholung, was seine überragende Leistung ein wenig menschlicher erscheinen ließ. "Es hat mir geholfen, dass heute alle auf mich geblickt haben. Der größte Teil des Feldes schaute auf meinen Rücken. Das gab uns Raum, uns zu bewegen“, erklärte er, wie sehr dem Team UAE Emirates die passive Fahrweise seiner Gegner entgegenkam. Alle warteten bis zum Schlussanstieg, wo sie dann doch chancenlos waren. Pogacar musste nicht früher tätig werden.

Sein Respekt vor der Mur de Huy war wohl groß, wie aus seinen Worte zu schließen war. "Das ist ein spektakulärer Zieleinlauf. Winzige Fehler können an der Mur de Huy viel kosten. Letztes Jahr war ich in einer ähnlichen Form, trotzdem habe ich es nicht unter die Top 10 geschafft. Eine falsche Bewegung und du bezahlst es mit deinen Beinen. Wenn man im steilen Teil voller Laktat ist, kann man im Finale nicht sein Bestes geben. Man muss im Steilstück so viel wie möglich sparen“, erklärte Pogacar, warum er mit seinem Antritt so lange gewartet hatte.

Mit dem Amstel Gold Race und dem Fleche Wallonne hat er nun zwei der drei Ardennen-Klassiker gewonnen. Der 24-Jährige könnte mit dem Gewinn von Lüttich-Bastogne-Lüttich als Dritter nach Davide Rebellin (2004 für Gerolsteiner) und Philippe Gilbert (2011 für Omega Pharma - Lotto) das Ardennen-Triple schaffen. "Es wäre fantastisch, alle drei Ardennenklassiker zu gewinnen, aber ich würde sagen, dass das Rennen in Lüttich das größte ist und wirklich hart sein wird. Mein Team ist motiviert und sehr stark, also werden wir unser Bestes geben ... und wir werden sehen, wie es ausgeht“, machte er klar, dass der Sieg am kommenden Sonntag nur über ihn gehen wird.

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