Degenkolb trotz Sturz Siebter

Van der Poel gewinnt das 120. Paris-Roubaix im Rekordtempo

Von Sebastian Lindner

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Mathieu van der Poel (Alpecin - Deceuninck) hat das 120. paris-Roubaix gewonnen. | Foto: Cor Vos

09.04.2023  |  (rsn) – Zwei, vielleicht drei Kopfsteinpflasterpassagen von insgesamt 29 machten den Unterschied bei der 120. Austragung von Paris-Roubaix (1.UWT). Nachdem sich am Ostersonntag in Haveluy recht früh im Rennen die Gruppe der Favoriten bildete und sich direkt danach im Wald von Arenberg festigte, war nach dem Sektor 4, Carrefour de l'Arbre, klar, wer den Pflasterstein mit nach Hause nehmen würde: Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) hat nach einem 15 Kilometer langen Solo ausgiebig auf der Schlussrunde im Velodrom über seinen ersten Sieg bei der “Königin der Klassiker“ jubeln können.

46 Sekunden betrug sein Vorsprung auf Teamkollege Jasper Philipsen, der sich im Sprint gegen Wout van Aert (Jumbo – Visma) durchsetzen konnte und Zweiter wurde. Der Belgier wiederum musste am Ende des Sektors 4 den späteren Sieger nach einem Defekt ziehen lassen.

Der viertletzte Kopfsteinpflasterabschnitt wurde aber auch John Degenkolb (DSM) zum Verhängnis. Nach einer Berührung mit van der Poel kam der Roubaix-Sieger von 2015 zu Fall und wurde nach einem starken Auftritt so eines besseren Resultats als Platz sieben (+ 2:35) beraubt.

Vor dem Oberurseler belegten Mads Pedersen (Trek – Segafredo), Stefan Küng (Groupama – FDJ) und Filippo Ganna (Ineos Grenadiers) die Plätze vier bis sechs. Hinter Degenkolb wurde Max Walscheid (Cofidis) Achter und rundete damit die starke Vorstellung der Deutschen ab. Lange Zeit hielten sich nämlich auch Jonas Koch (Bora – hansgrohe) und Juri Hollmann (Movistar) in der Gruppe des Tages.

Van der Poel im Glück und in Rekordzeit im Ziel

Für van der Poel war es nach Mailand-Sanremo bereits der zweite diesjährige Triumph bei einem der fünf Monumente und der vierte seiner Karriere. “Unglaublich, wie wir heute als Team zusammengearbeitet haben. Es war unmöglich, es besser zu machen“, erklärte der 28-Jährige im Zielinterview. “Ich glaube, ich hatte einen meiner besten Tage auf dem Rad.“

Aber auch Glück, wie er selbst eingestehen musste: “Ich hatte einen kleinen Rückstand zu Wout, doch dann bekam er einen Platten und ich befand mich alleine an der Spitze“, schilderte van der Poel die entscheidende Situation und ergänzte: “Dann bin ich so schnell wie ich konnte zur Ziellinie gefahren.“ So schnell, wie zuvor noch kein anderer Fahrer bei Paris-Roubaix war. Mit 46,6 km/h war die Austragung nochmal schneller als die im letzten Jahr, als bereits ein neuer Rekord aufgestellt wurde.

Van Aert nimmt den Defekt sportlich, Degenkolb tief enttäuscht

Van Aert, der damit weiter auf seinen zweiten Sieg bei einem Monument nach Mailand-Sanremo 2020 warten muss, nahm seinen dritten Platz im Ziel sportlich. “Ich hatte schon mehrere Reifenschäden, aber zu diesem Zeitpunkt im Rennen ist das bitter. Vorerst bleibt ‘De Hel‘ für mich verflucht. Ich glaube, ich verliere mit diesem Radwechsel 20 oder 25 Sekunden. Das kann man auf einen Mathieu in Topform nicht wettmachen“, sagte er gegenüber Sporza, um anzufügen: “Aber ich war gut und freue mich, das Frühjahr mit einer guten Leistung beendet zu haben.“

Der 34-jährige Degenkolb sprach hingegen von einer “großen Enttäuschung“, obwohl Platz sieben sein bestes Roubaix-Ergebnis seit 2015 war. “Ich bin ein cleveres Rennen gefahren, habe mich gut gefühlt, war immer auf der Höhe – deswegen fehlen wir jetzt erstmal die Worte“, schilderte er seine Gefühlswelt kurz nach der Zieldurchfahrt. Er wolle aber “nicht mit dem Finger auf irgendjemanden zeigen“.

So lief das 120. Paris-Roubaix:

Bei 11 Grad, Südwind und Sonne machten sich am späten Vormittag in Compiègne 175 Fahrer aus 25 Teams auf den Weg in Richtung Norden. Mit einem Schnitt von mehr als 51 Kilometern in der ersten Rennstunde war das Tempo enorm hoch. Die zahlreichen Versuche, eine Ausreißergruppe zu bilden, scheiterten entsprechend sämtlich.

Einzig der Schweizer Silvain Dillier (Alpecin - Deceuninck) vermochte es, sich zunächst mit Dorian De Maeght (Bingoal WB), dann mit Ryan Mullen (Bora – hansgrohe), für mehrere Minuten jeweils einige Sekunden vor dem Feld zu halten. Doch auch nach knapp 60 Kilometern war alles beisammen.

Es dauerte weitere rund 25 Kilometer, bis das Feld dann doch eine Gruppe ziehen ließ. Die beiden Deutschen Jonas Koch (Bora – hansgrohe) und Juri Hollmann (Movistar), der Niederländer Sjoerd Bax (UAE Team Emirates) sowie der Kanadier Derek Gee (Israel – PremierTech) erreichten nach 96 Kilometern mit eineinhalb Minuten Vorsprung Troisville à Inchy, den ersten der 29 Sektoren. Van Aert zeigte sich direkt vorne im Feld, Kasper Asgreen (Soudal – Quick-Step) dagegen fiel mit Defekt zurück. Kurze Zeit später traf es noch die zweite Soudal-Hoffnung Florian Senechal.

Van Aerts frühe Attacke sprengt das Feld

Auch Politt musste nach vier Sektoren mit einem Defekt zunächst wieder Aufholarbeit leisten, schaffte es jedoch wieder zurück ins große Feld. Desaströs verlief das Rennen dagegen für TotalEnergies: Peter Sagan, Roubaix-Sieger von 2018, Daniel Oss und Maciej Bodnar mussten nach Stürzen aufgeben.

111 Kilometer vor dem Ziel machte sich eine Verfolgergruppe auf dem längsten Abschnitt ohne Pflastersteine auf die Jagd nach Koch, Hollmann & Co. Jens Reynders (Israel - PremierTech) und Miles Scotson (Groupama - FDJ) bekamen Unterstützung von Anthony Turgis (TotalEnergies), Luke Durbridge (Jayco - AlUla) und dem erst 19-jährigen Esten Madis Mihkels (Intermarché).

 

Interessanter war, was dahinter passierte: Im Feld attackierte gut 100 Kilometer vor dem Ziel Van Aert im Sektor 20, Haveluy à Waller, und sprengte damit das Feld. Dem Belgier folgten sein Teamkollege Christophe Laporte, van der Poel, Küng sowie Degenkolb, und auch Neoprofi Mihkels konnte kurzzeitig an den Favoriten dranbleiben. Im Wald von Arenberg, dem ersten 5-Sterne-Sektor 96 Kilometer vor dem Ziel, setzte die Van-Aert-Gruppe ihre Jagd fort, wogegen dahinter bei einem Massensturz unter anderem Vorjahressieger Dylan Baarle (Jumbo – Visma), Asgreen und auch Matej Mohoric (Bahrain Victorious) zu Boden gingen.

Die Gruppe um Van Aert schaffte direkt nach dem Wald von Arenberg den Anschluss an die dreiköpfige Spitze, aus der Gee nach einem Vorderradschaden herausgefallen war. Kurz darauf konnte auch Pedersen nach vorn fahren, wogegen Laporte mit Defekt zurückfiel. Wenige Sekunden dahinter bildete sich eine Gruppe um Ganna, an dessen Hinterrad auch Walscheid sowie van der Poels Helfer Philipsen und Gianni Vermeersch fuhren und ebenfalls herankamen.

Gleich vier Deutsche in der 13-köpfigen Spitzengruppe

 

88 Kilometer vor dem Ziel bestand die Spitze aus 13 Fahrern. Van Aert, Küng, van der Poel, Ganna, Pedersen, Philipsen, Vermeersch, Bax, Laurenz Rex (Intermarché Circus – Wanty) sowie die vier Deutschen Degenkolb, Walscheid, Hollmann und Koch hatten sich eineinhalb Minuten auf das Feld herausgefahren, in das Laporte zurückgefallen war.

 

70 Kilometer vor dem Ziel ging Hollmann als erstem der Ausreißer die Luft aus, kurz darauf musste auch Koch passen. Unterdessen hatten sich Laporte und Teamkollege Nathan van Hooydonck gemeinsam mit Florian Vermeersch (Lotto - Dstny) aus dem Hauptfeld gelöst, doch auch bei diesem Trio konnten die beiden Deutschen nicht mehr mithalten. Kurzzeitig betrug der Rückstand unter eine Minute, doch näher kam die Gruppe nicht.

Spannend wurde es wieder 51 Kilometer vor dem Ende. In Sektor 12 testete van der Poel seine Gegner, zunächst konnte nur Degenkolb folgen. Als alles wieder zusammengerollt war, versuchte sich Walscheid. Doch das war das letzte Aufbäumen des Cofidis-Kapitäns, der bei der nächsten Tempoverschärfung genau wie Rex zurückfiel.

Degenkolb stürzt, Van Aert hat Defekt, van der Poel freie Fahrt

 

Aber das reichte van der Poel nicht. An einer kleinen Welle am Ende des 5-Sterne-Sektors Mons-en-Pévèle attackierte er 47 Kilometer vor dem Ziel erneut. Nur Van Aert konnte zunächst mitgehen, doch die Verfolger arbeiteten zusammen und schlossen die Lücke wieder. Dann blieb es ruhig bis zum Sektor 4, Carrefour de l'Arbre, der 18 Kilometer vor dem Ziel als letzter der 5-Sterne-Sektoren anstand.

Dort überschlugen sich die Ereignisse: Degenkolb wurde von van der Poel im Positionskampf nach außen gedrängt und stürzte, zugleich attackierte Van Aert. Doch der musste nach dem Sektor absteigen und sein plattes Hinterrad wechseln. Nur noch van der Poel war zu diesem Zeitpunkt bei ihm – und der Alpecin-Kapitän nutzte die Gelegenheit und zog voll durch.

Schnell betrug der Rückstand der Verfolger, die bis auf Degenkolb zusammenblieben, rund 30 Sekunden, der Deutsche kämpfte 20 Sekunden dahinter um Anschluss. In Sektor 2 mussten Küng und Ganna reißen lassen, während van der Poel in einer Kurve nochmal eine Schrecksekunde zu überstehen hatte, als er fast auf einen Poller gefahren wäre. Vier Kilometer vor dem Ziel konnte dann auch Pedersen dem Duo Philipsen und Van Aert nicht mehr folgen.

Genau eine Runde Vorsprung brachte van der Poel auf die beiden ins Ziel im Velodrome von Roubauix. Sein Teamkollege, der kurz darauf gegen Van Aert sogar noch den Doppelsieg perfekt machte, jubelte da bereits.

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