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14.06.2022 | (rsn) – Als rund 45 Sekunden nach der Durchfahrt von Andreas Leknessund (Team DSM) am Challpass im östlichen Jura-Mittelgebirge die Kamera umschwenkte und das pinke Trikot von Jonas Rutsch (EF Education – EasyPost) sowie kurz dahinter das Weiß von Michael Schär (Ag2r – Citroen) auftauchten, durfe man beeindruckt sein. Ausgerechnet die beiden Schwergewichte der Ausreißergruppe des Tages hatten es am letzten Anstieg der 2. Etappe bei der Tour de Suisse geschafft, am nächsten am überlegenen Norweger dran zu bleiben.
"Ich habe im steileren Teil nochmal attackiert und bin die Anderen losgeworden. Als Schär dann in die Abfahrt hinein zu mir kam, dachte ich, dass wir ihn (Leknessund, d. Red.) vielleicht noch kriegen können. Aber der ist schon einen ordentlichen Schlag gefahren", erzählte der 24-jährige Odenwälder radsport-news.com nach dem Abendessen und einer Partie Uno mit den Teamkollegen.
___STEADY_PAYWALL___ An Leknessund heran kamen er und sein Schweizer Begleiter nicht mehr und am Ende eines langen, harten Tages in der Ausreißergruppe stand schließlich doch nur Rang 66 in der Saisonstatistik von Rutsch. Doch das tat dem positiven Gefühl keinen Abbruch, dass der EF-Profi mitnahm.
Jonas Rutsch (EF Education – EasyPost) bestritt 2022 die komplette Klassiker-Kampagne und bereitet sich nun auf die Tour de France vor. | Foto: Cor Vos
"Ich komme gerade erst aus einem längeren Höhentrainingslager zurück und gestern (auf der 1. Etappe zeigte das Thermometer 32 Grad, Anm. d. Red.) ging es mir wegen der Hitze gar nicht gut. Aber ich bin froh über den Fortschritt, den ich jetzt gemacht habe – und der heutige Tag wird mich mit Blick auf die anstehenden Aufgaben auch weiterbringen", so Rutsch, der im Juli seine zweite Tour de France bestreiten will.
Eigenwerbung auf dem Weg zum Tour de France-Kader
"Ich bin auf der Liste und das wird sich erst nach der Tour de Suisse endgültig entscheiden. Aber ich denke, wenn ich an das anknüpfen kann, was ich heute gezeigt habe, sollte es ganz gut aussehen", meinte er.
Tatsächlich dürfte der Teamleitung gefallen haben, was Rutsch am Montag zwischen Küsnacht und Aesch angeboten hat. Nach einer schnellen Anfangsphase, in der es knapp 30 Kilometer dauerte, bis das Peloton mit der Zusammensetzung einer Ausreißergruppe zufrieden war und die Gruppe fahren ließ, fand sich Rutsch in eben jener wieder.
Andreas Leknessund (Team DSM, schwarzes Trikot) war der Stärkste in der Ausreißergruppe auf der 2. Etappe der Tour de Suisse um Jonas Rutsch (EF Education – EasyPost, pinkes Trikot). | Foto: Cor Vos
Zu Beginn der zweiten Rennhälfte dann folgte er dem Schweizer Joel Suter (UAE Team Emirates) im Anstieg zum ersten Bergpreis der 2. Kategorie bei Gempen und das Duo fuhr schnell eine knappe Minute auf die ehemaligen Begleiter heraus, wurde später aber wieder zurückgeholt. "Danach habe ich geguckt, dass ich meine Körner zusammenhalte, weil ich wusste, dass es mit meinen 80 Kilo am letzten Berg gegen die leichteren Fahrer in der Gruppe schwer werden würde", so Rutsch.
Leknessund ist "ganz schön beeindruckend losgebrettert"
Und so war es schließlich auch: Als am Challpass unten hinein Anthony Turgis (TotalEnergies) attackierte, konnte Rutsch noch folgen. Doch dem Konter von Leknessund hatte niemand mehr etwas zu entgegnen. "Der ist ganz schön beeindruckend losgebrettert. Da konnte ich nicht mehr mit. Er war einfach der Stärkste und hatte ja auch sehr schnell 45 Sekunden", erklärte der Südhesse.
Tatsächlich beeindruckte Leknessund, der den bis dahin sinkenden Vorsprung aufs Hauptfeld am Challpass im Solo dann wieder ruckartig anwachsen ließ und schließlich mit 38 Sekunden auf das bis zum Schluss mit Hochgeschwindigkeit jagende 75-Mann-Hauptfeld in Aesch ankam, während Rutsch und Schär als letzte Verfolger rund vier Kilometer vor Schluss eingeholt wurden.
"Niemand wusste genau, wie weit Leknessund noch weg ist – und die hinten haben es wohl gar nicht richtig mitbekommen, dass er das überhaupt noch ist", schilderte Rutsch die Situation im Feld, das auf der Zielgeraden schließlich um Rang zwei sprintete, wie um den Sieg – mit dem besten Ende für Rutschs Teamkollegen Alberto Bettiol. Der Italiener jubelte ausgelassen, um dann beim Ausrollen zu erfahren: Du hast gar nicht gewonnen.
Jeder Punkt zählt – auch Rang zwei ein Grund zum Jubeln
"Ich habe mich noch ganz kurz in den Zug eingeordnet für Alberto, aber schnell gemerkt, dass die Beine nichts mehr hergeben. Deshalb konnte ich dann nur von hinten zuschauen, wie die Jungs ein sehr ordentliches Leadout gefahren sind und Alberto Zweiter wurde", so Rutsch. "Ich wusste natürlich, dass er Zweiter war, aber das kam in der Hitze des Gefechts wohl nicht wirklich zu allen durch. Mei, das kann schon mal passieren, dass man das nicht mitkriegt."
Alberto Bettiol (EF Education - EasyPost) jubelte in Aesch über Rang 2, als hätte er gewonnen. Er wusste nicht, dass Ausreißer Leknessund schon seit 38 Sekunden im Ziel war. | Foto: Cor Vos
An der Fahrweise geändert hätte es ohnehin nichts: Das Feld rauschte auf den Sprint zu und auch um Rang zwei hatte sich das Kämpfen gelohnt. Immerhin gehört auch EF Education – EasyPost zu einem der Teams, die noch den Abstieg aus der WorldTour am Jahresende fürchten müssen. Da zählt jedes Spitzenergebnis, jeder Weltranglistenpunkt.
"So sieht's aus, genau", bestätigte Rutsch und fügte hinzu: "Außerdem kann man sich über einen zweiten Platz sowieso freuen. Vor einem Pasqualon und einem Matthews muss man einen Feldsprint erstmal gewinnen!"
Ein Tour-Kader mit starkem Klassiker-Touch?
Wie Rutsch so dürfte auch Bettiol zum achtköpfigen Tour de France-Kader des US-Rennstalls gehören, der am 1. Juli in Kopenhagen am Start steht. Denn für die Männer in Pink geht es bei der Frankreich-Rundfahrt vor allem um das Thema Etappenjagd.
Sicher: Die Kolumbianer Esteban Chaves und Rigoberto Uran werden auch aufs Gesamtklassement schielen, zu den Top-Favoriten gehören beide aber nicht. Und auch ein Weltklasse-Sprinter fehlt. Deshalb dürfte die Teamleitung den Rest des Teams aus Fahrern zusammensetzen, die in Fluchtgruppen und auf Klassikerterrain stark sind – wie Rutsch, wie Bettiol, wie Magnus Cort, Michael Valgren und Stefan Bissegger.
Jonas Rutsch (EF Education – EasyPost) ist ein Mann für die Offensive: Auch bei Eschborn-Frankfurt am 1. Mai, seinem letzten Rennen vor der Tour de Suisse, war er einer der Aktivposten und in der Gruppe des Tages. | Foto: Cor Vos
"Wir haben mit Stefan Bissegger jemand sehr interessantes für das Zeitfahren auf der 1. Etappe. Darauf liegt ein großes Augenmerk. Und dann ist die ganze erste Woche ja etwas für Klassikerfahrer – Kopfsteinpflaster, Windkantenetappen an der Küste von Frankreich und in Dänemark. Ich denke dafür sind wir ganz gut aufgestellt", so Rutsch.
Mit Ambitionen und schönen Erinnerungen zur DM ins Sauerland
Für den 24-Jährigen geht es nach der Tour de Suisse erstmal nach Hause und dann am Wochenende vor dem Tour-Start – wie für die meisten deutschen Profis – ins Sauerland zur Deutschen Meisterschaft. Dort will er sowohl im Einzelzeitfahren am Freitag als auch im Straßenrennen am Sonntag gemeinsam mit Teamkollege Georg Steinhauser die Bora – hansgrohe-Phalanx durchbrechen.
"Ich habe in den letzten Wochen sehr gut gearbeitet und freue mich ehrlich gesagt auch sehr auf das Wochenende dort", sagte er. "Wir werden alles geben, um ihnen Steine in den Weg zu werfen, damit der Meister diesmal nicht von Bora - hansgrohe gestellt wird."
Gute Erinnerungen an den Austragungsort der Meisterschaften hat Rutsch allemal. Als er zuletzt am Kahlen Asten, wo das DM-Straßenrennen mit einer Bergankunft endet, ankam, überquerte er den Zielstrich dort als Erster: beim Bundesliga-Finale 2019, der Sauerland-Rundfahrt.
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