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10.03.2022 | (rsn) - Beim 57. Tirreno - Adriatico steigen mit Tadej Pogacar, 23 Jahre jung, Remco Evenepoel, 22, und Jonas Vingegaard, 25, drei junge Burschen, die in der kommenden Dekade die großen Rundfahrten bestimmen dürften, erstmals in dieser Saison gemeinsam in den Ring.
Es ist ein Dreikampf sehr unterschiedlicher Talente. Präsentiert sich der bereits zweimalige Tour-de-France-Sieger Pogacar als immer strahlendes Glückskind, so muss Evenepoel den übergroßen Erwartungen, die das Radsportland Belgien ihm gegenüber hegt, gegenwärtig noch hinterher fahren.
Vingegaard, der frühere Fisch-Skelettierer aus Dänemark, bleibt trotz seines kometenhaften Aufstiegs als Tour-Zweiter 2021 hinter dem Slowenen die Ruhe selbst und lässt sich weder von hohen Erwartungen noch von kleineren Rückschlägen beeindrucken.
___STEADY_PAYWALL___ Renndirektor Mauro Vegni jedenfalls ist glücklich, das Trio beim Tirreno-Adriatico begrüßen zu dürfen. “Ich könnte mir kaum ein besseres Feld vorstellen. Wir haben den absoluten Spitzenfahrer hier mit Tadej Pogacar, mit Remco Evenepoel ein viel Spektakel versprechendes Talent und mit Jonas Vingegaard einen, der den beiden in der Gegenwart wie in der Zukunft große Kämpfe liefern wird. Der Tirreno findet im Rennkalender immer mehr seinen Platz als wichtiges Vorbereitungsrennen auf die ganz großen Events“, sagte Vegni, zugleich Chef des Giro d’Italia, zu radsport-news.com.
Vegni ist stolz auf das erstklassige Tirreno-Feld
Der Mann hat Recht. Das kleine Rennen in seinem Portfolio wird immer mehr zum Aufgalopp für die Mutter aller Rundfahrten. Für Pogacar war der Tirreno bereits im vergangenen Jahr ein wichtiger Baustein im Formaufbau für einen ganz souveränen Toursieg. Er dominierte damals auch das Rennen zwischen den Meeren, so wie zuvor die UAE Tour.
Remco Evenepoel (li.) gilt als größtes belgisches Talent seit Eddy Merckx, Tadej Pogacar dagegen hat nicht nur mit seinen beiden Tour-de-Fance-Siegen schon gezeigt, dass er in den Spuren des "Kannibalen" wandelt. | Foto: Cor Vos
Das gleiche Programm hat er auch in dieser Saison. Und er ist womöglich noch dominanter. Dem erneuten Gesamtsieg bei der UAE Tour, inklusive zweier Etappensiege, ließ Pogacar die Solo-Performance auf den Strade Bianche folgen. Da wurde er im letzten Jahr noch Siebter. “Pogacar ist eine Urgewalt. Dagegen kannst du wenig ausrichten, eigentlich nur ihm im Fernsehen zuschauen“, meinte trocken Altmeister Giuseppe Martinelli, einst Chef der Rundfahrtcracks Marco Pantani und Vincenzo Nibali, zu radsport-news.com.
Weit mehr als nur zugucken will jedenfalls Evenepoel. Der junge Belgier hat sich zum Seriensieger der kurzen Rundfahrten gemausert. Belgien-Tour und Algarve-Rundfahrt gewann er schon zwei Mal, letztere erst in diesem Februar erneut. Auch Polen- und Burgos-Rundfahrt sowie die Vuelta a San Juan gehören zu seinen Palmares. Er holte sie mit seinem Mix aus Zeitfahrqualitäten und Bergfestigkeit. An beidem hat er weiter gearbeitet.
Pogacar und Vingegaard verzichteten auf “Lastwagensimulation“
“Im Zeitfahren komme ich Schritt für Schritt voran. Ich will mich Filippo Ganna, der das Nonplusultra in dieser Disziplin ist, erst annähern und ihn dann überholen“, kündigte Evenepoel beim Tirreno an. Zumindest Teil 1 gelang ihm gut. Im Auftakt-Zeitfahren hatte er nur elf Sekunden Rückstand auf Ganna, aber sieben Sekunden Vorsprung auf den ebenfalls exzellenten Zeitfahrer Pogacar.
Zupass kam Evenepoel dabei auch die umstrittene Taktik seines Teams Quick-Step Alpha Vinyl, mit einem ganzen Set von Ersatzrädern auf dem Begleit-PKW für aerodynamisch günstige Luftströmungen um den Rennfahrer herum zu sorgen. Eine bis drei Sekunden mochte das auf dem knapp 14 km langen Kurs gebracht haben, spekulierten Experten. Weil Ineos für Ganna eine ähnliche Lastwagensimulation mit Pkw und Rad bewerkstelligte, verfälschte dies das Resultat auf den ersten beiden Plätzen nicht.
Tadej Pogacar versuchte schon auf den beiden Tirreno-Flachetappen mit frühzeitigen Attacken, wertvolle Sekunden auf seine Konkurrenten herauszuholen - was dem Slowenen auch gelang. | Foto: Cor Vos
Pogacar machte bei dieser Aufrüstung jedoch nicht mit. Was er an jenem Tag durch windige Tricks der Konkurrenz verlor, machte er mit Beinkraft und Rennintelligenz auf den folgenden Etappen allerdings mehr als wett. Auf der 2. Etappe sicherte er sich eine Bonussekunde im Zwischensprint, auf der dritten gar deren drei. “Mir macht Radrennen einfach Spaß. Und ich weil ich weiß, dass es im Tirreno knapp zugehen kann, sichere ich mir lieber diese Sekunden“, meinte der Titelverteidiger. Aus eigener Erfahrung kann er das Wissen der Knappheit nicht schöpfen. Im letzten Jahr hatte Pogacar mehr als eine Minute Vorsprung auf den Zweitplatzierten Wout Van Aert (Jumbo - Visma). Aber 2010, da war Pogacar gerade mal elf Jahre alt, kamen die Italiener Stefano Garzelli und Michele Scarponi auf die Sekunde gleich an; entscheiden musste damals die Addition der Tagesplatzierungen.
Pogacar kämpfte zweimal um Bonussekunden
Die Euphorie des geglückten Sekundenraubs führte Pogacar am Mittwoch sogar noch in Versuchung, den ganz großen Coup zu wagen. Gemeinsam mit seinem Teamkollegen Marc Soler, der schon das Finish der 2. Etappe mit einer Attacke belebt hatte, sowie dem ebenfalls jeder Attacke zugeneigten Weltmeister Julian Alaphilippe setzte er den Ausreißversuch bei 27 Kilometer vor dem Ziel noch fort. Ex-Giro-Sieger Tao Geoghegan Hart (Ineos Grenadiers) schloss zu ihnen auf. Auf den letzten zehn Kilometern war das prominente Quartett aber gestellt.
Evenepoel dagegen nahm seinem übermächtigen Konkurrenten aus Slowennien im Auftakt-Zeitfahren immerhin sieben Sekunden ab. | Foto: Cor Vos
“Wir hatten eine Lücke, wir waren gute Fahrer vorn, und so versuchten wir unser Glück“, erklärte Pogacar später. Mangels der ganz großen Berge versucht er das Kampfgebiet eben durch Intelligenz und Initiative auszuweiten.
Evenepoel wirkte zumindest irritiert. “Ich war etwas überrascht, dass er die Attacke bis zum Ziel durchziehen wollte. Wer weiß, welchen Vorteil er darin sah. Aber wenn du auf den letzten 15 Kilometern das ganze Peloton gegen dich hast, das dazu noch recht frisch ist, wird es für nur vier Mann vorn extrem schwer“, meinte der Quick Step-Kapitän und mutmaßte, dass Pogacar für die heutige 4. Etappe durchs Hügelland von Umbrien Kraft gelassen haben könnte.
Pogacar sah den Antritt hingegen als Generalprobe für heute. “Da kommen viele kleine harte Anstiege, da kann genau solch eine Attacke das richtige Mittel sein“, meinte der Slowene. Er hat sich also eingeübt.
Vingegaard will sich Schritt für Schritt weiter entwickeln
Mehr in der Fernsehsesselposition, die Radsport-Urgestein Martinelli allen, die nicht Pogacar heißen, ans Herz legte, hält sich derzeit noch Jonas Vingegaard auf. Der junge Däne war unzufrieden mit seinem Zeitfahren. 42 Sekunden verlor er auf Evenepoel – ohne aerodynamische Zusatzhilfe -, immer noch 35 Sekunden auf den wie er konventionell unterwegs gewesenen Pogacar. “Ja, das war schon enttäuschend. Ich hatte mir mehr ausgerechnet, denn meine Form ist gut“, sagte er zu radsport-news.com. Groß verunsichern lässt er sich aber nicht davon. “Ich werde in den nächsten Tagen einfach mein Bestes versuchen. Vor allem am Donnerstag, Freitag und Samstag gibt es viel Terrain dafür“, meinte Vingegaard.
Der junge Däne lässt sich auch nicht vom gestiegenen Erwartungsdruck nach seinem zweiten Platz in Frankreich verunsichern. “Klar sind die Erwartungen an mich gewachsen. Aber ich nehme das nicht als Belastung wahr. Ich möchte mich einfach Schritt für Schritt entwickeln“, sagte er. Schritt für Schritt auf dem Rad, so wie er vor wenigen Jahren noch beim Halbtagsjob in der Fischfabrik Schnitt für Schnitt die gefangenen Meerestiere filettierte. Für die Königsetappe am Samstag hat er mit Tour-Etappensieger Sepp Kuss einen sehr wertvollen Helfer auf seiner Seite.
Der Tour-de-France-Zweite Vingegaard hat nach den ersten drei Etappen bereits einen recht deutlichen Rückstand auf Pogacar und Evenepoel, den er auf den nun anstehenden Bergetappen wettmachen muss. | Foto: Cor Vos
Der doppelt gefahrene Anstieg zum 1.358 Meter hohen und bis zu 15 Prozent steilen Monte Carpegna wird auch Aufschluss darüber geben, wie gut sich Evenepoel auf den steilen Bergen verbessert hat. “Das ist ein großes Fragezeichen. Da habe ich immer noch Probleme und muss daran arbeiten“, schätzt er selbst ein. Bei der Valencia-Rundfahrt nahm ihm am bis zu 12,6 prozent steilen Alto de las Antenas del Maigmo der spätere Gesamtsieger Alexander Vlasov (Bora - hansgrohe) immerhin 41 Sekunden ab. Und auch an den brutal steilen Monte Zoncolan, bei dem ihm beim letzten Giro Egan Bernal 90 Sekunden abnahm, hat Evenepoel keine guten Erinnerungen.
Wie er sich am Monte Carpegna macht, wird Aufschluss geben über die Berechtigung der Hoffnungen in seinem Heimatland, endlich mal wieder einen Grand-Tour-Siegkandidaten zu haben. Weil im Hause Quick Step Realismus herrscht, wird Evenepoel seinen nächsten Grand-Tour-Versuch auch erst mit weniger öffentlichem Druck bei der Vuelta a Espana unternehmen. Pogacar und Vingegaard haben hingegen die Tour de France gebucht. Das faszinierende Duell zwischen beiden vom Mont Ventoux und den Pyrenäen vom letzten Sommer findet jetzt in den steilen Bergen der Provinz Marken seine Fortsetzung.
(rsn) - Bei Tirreno-Adriatico spielte Weltmeister Julian Alaphilippe (Quick-Step Alpha Vinyl) im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als ihm insgesamt drei Etappensiege gelangen, diesmal keine Rolle.
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