Der Toursieger im Porträt

Tadej Pogacar: Erholungskünstler mit hohem Radsport-IQ

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Tadej Pogacar: Erholungskünstler mit hohem Radsport-IQ"
Das Podium der 107. Tour de France, v.l.: Primoz Roglic (Jumbo - Visma), Tadej Pogacar (UAE - Team Emirates), Richie Porte (Trek - Segafredo)| Foto: Cor Vos

20.09.2020  |  (rsn) - Jung Siegfried kommt aus Slowenien und heißt Tadej Pogacar. Und so wie einst Sagenheld Siegfried mit Burgunderkriegern und Hunnenkönigen umging, so ging dieser Slowene mit den wackeren Kämpen des Straßenradsports um.

Die ganz alten Recken wie Chris Froome und Geraint Thomas trauten sich gar nicht erst in die Arena oder wurden von ihren Geschirrmeistern als zu schwach dafür eingeschätzt. Der Mann, der sich schon sicher auf dem obersten Podest gesehen hatte, der in Gedanken vielleicht sogar schon den Telemark vollführt hatte, mit dem er gern auf den Champs Elysees seinen Umstieg von den fliegenden Brettern auf die rasenden Pneus gefeiert hätte, der muss nun ungekrönt nach Hause gehen. Tour-Debütant Pogacar hatte Primoz Roglic am letzten Berg der Tour einen gewaltigen, geradezu vernichtenden Schlag versetzt.

Er nutzte dazu aber weder Faust noch Schwert, sondern seine offenbar sehr mächtige Erholungsfähigkeit. "Ja, ich regeneriere wohl ziemlich gut", sagte er nach dem Rennen. Diese Fähigkeit erst erlaubte ihm das außerordentliche Zeitfahren.

Unter Beweis gestellt hatte Pogacar das bereits vor fast genau einem Jahr. Am 14. September 2019 nahm er Roglic beim Anstieg zur Plataforma de Gredos 1:41 Minuten ab. Es war der letzte Anstieg der Vuelta. Pogacar zog los, als hätte er gerade frisch geduscht und befände sich ganz am Anfang einer Rundfahrt. Roglic ließ ihn gewähren, sein Gesamtsieg war nicht in Gefahr. Nairo Quintana und Miguel Angel Lopez, die gedacht hatten, sie duellierten sich um Gesamtrang drei, machten aber so lange Gesichter wie jetzt Roglic. Damals fuhr Pogacar die beiden Kolumbianer ebenfalls am letzten Berg der Rundfahrt aus allen Podiumsträumen. In diesem September war sein Gegner eine Hausnummer größer. Aber auch der hatte am Ende keine Chance.

In Frankreich wie bei der Vuelta 2019 - nur noch stärker

Wer Pogacars Ritt im letzten Jahr in Spanien erlebt hatte, der dachte, aus diesem Burschen wird einmal ein Großer. Aber wohl niemand dachte, dass er so schnell ein Großer wird - nicht einmal seine frühen Entdecker. Denn in ganz jungen Jahren hatte er zu kämpfen, um sich überhaupt durchzusetzen. "Seine Altersgenossen überragten ihn um zehn bis 20 Zentimeter", erzählte Miha Koncilija, Pogacars Jugendtrainer, radsport-news.com. Vor allem beim Fahren gegen den Wind hatte der Radfloh Nachteile.

Auf lange Sicht aber, so Koncilija, habe Pogacar von diesen frühen Nachteilen nur profitiert. "Er lernte dabei zu kämpfen, sich gegen Größere und Stärkere durchzusetzen", meinte er am Telefon. Und er setzte sich durch. Das führte dann zu solchen Bildern, dass der Knirps auf der obersten Podiumsstufe noch immer von denen überragt wurde, die auf den Stufen darunter standen. Im Rennen aber hatte er die Lulatsche bezwungen. Und dieses Wissen, vermeintlich Stärkere doch bezwingen zu können, hat sich Pogacar offenbar von seinen Kindertagen bis ins Heute bewahrt.

Nationale Aufmerksamkeit errang Pogacar erstmals bei den U17-Landesmeisterschaften. "Es war ein schwerer, ein bergiger Kurs. Etwa 40 Kilometer vor dem Ziel zog er allein los und gewann", erinnerte sich Koncilija. Schon vorher war er den Fachleuten aufgefallen. "Seit seinem 14. Lebensjahr haben wir Aufzeichnungen von ihm", erzählte Radoje Milic radsport-news.com. Milic ist Sportwissenschaftler, leitet das leistungsdiagnostische Labor an der Universität Ljubljana und machte auch die ersten Tests bei Skisprung-Rad-Umsteiger Roglic.

Pogacar habe noch bessere Werte, sagte er im letzten Jahr radsport-news.com bei einem Besuch in seinem Institut. "Die Daten, die wir von Pogacar haben, zeigen ein kontinuierliches Wachstum", sagte er jetzt am Telefon. Alles glaubwürdig also? Milic meint ja, auch Nachwuchscoach Koncilija ist überzeugt, dass Talent und harte Arbeit Pogacar so gut machten. Koncilija hebt noch Pogacars Stärken im Lesen eines Rennens hervor. Und Milic lobt den "sehr hohen Radsport-IQ" des mutmaßlich neuen Toursiegers.

Kontinuierliche Entwicklung in Riesenschritten

Entwickelt hat Pogacar sich in den letzten Jahren tatsächlich kontinuierlich, allerdings auch in Riesenschritten. Musste er anfangs kämpfen, sich in seiner Altersgruppe durchzusetzen, so wuchs er spätestens mit 18 Jahren über sie hinaus. Im Jahre 2018 gewann er die Tour de l'Avenir, das renommierteste Nachwuchsrennen des internationalen Kalenders.

Kurz darauf durfte er beim UAE - Team Emirates seinen ersten Profivertrag unterschreiben. An seinem 30. Renntag als Profi überhaupt gewann er im Mai 2019 gleich ein WorldTour-Rennen - die Kalifornien-Rundfahrt. Er wurde damit zum jüngsten Sieger eines WorldTour-Rennens - alt genug zum Siegen, aber zu jung, um die Siegeschampagnerflasche auf dem Podium selbst öffnen zu dürfen. Alkohol gibt es in Kalifornien offiziell erst ab dem 21. Lebensjahr. Pogacar war damals gerade mal 20.

Jetzt ist er der mit seinen knapp 21 Jahren zweitjüngste Tour-de-France-Gewinner aller Zeiten, nur Debütsieger Henri Cornet war jünger. Von dem hörte man später nicht sehr viel. Bei Pogacar, dem guten Erholer, ist das nicht wahrscheinlich.

Pikant ist auch, dass gegen diesen jugendfrischen Gegner all der Ersatzbrennstoff Ketone, den Roglic sich zuführte, nichts ausrichten konnte. Roglic wirkte am Samstag älter als seine 30 Jahre und Pogacar wie ein Jüngling, der sich seiner Kraft noch gar nicht recht bewusst ist. Einsetzen immerhin kann er sie prima. Von seinem hohen Radsport-IQ hat man sich bei dieser Tour auch überzeugen können. Seine größte Attacke setzte er dann, als ihn kein Bergzug von Jumbo - Visma an die Kette legen konnte. Er kann auch warten, schließlich wird er am Montag erst 22.

In Zukunft darf man sich auf Erschöpfungsduelle mit einem anderen, nur wenig älteren Dreiwochenkönig freuen: Egan Bernal. Neue Namen einer neuen Ära.

Mehr Informationen zu diesem Thema

16.06.2021Madiot: “Wir hätten Pinot früher aus der Tour nehmen sollen“

(rsn) - Sein bisher letztes Rennen bestritt Thibaut Pinot (Groupama - FDJ) vor mittlerweile zwei Monaten, als er die Tour of the Alps unter ferner liefen auf Rang 60 beendete. Danach entschied der Fra

23.12.2020Bernal wieder schmerzfrei auf dem Rad

(rsn) - Egan Bernals Genesung macht offensichtlich deutliche Fortschritte. Wie der Tour-de-France-Sieger von 2019 gegenüber dem Internetportal primertiempo.co sagte, könne er wieder schmerzfrei trai

11.12.2020Dumoulin zuversichtlich: “Mir fehlt nur noch ein Prozent“

(rsn) - 2020 war für Tom Dumoulin ein Jahr mit vielen Tiefen und nur wenigen Hochs. Nach dem mit großen Hoffnungen verbundenen Wechsel von Sunweb zu Jumbo - Visma warf zunächst ein bakterieller Dar

15.11.2020Pogacar lobt Roglic als slowenischen Vorreiter

(rsn) - Tadej Pogacar (UAE - Team Emirates) hätte seinem Landsmann Primoz Roglic (Jumbo - Visma) den Tour-de-France-Sieg gegönnt. Das sagte der 22-jährige Slowene im Gespräch mit der spanischen Sp

27.10.2020Bernals Genesung dauert länger als gedacht

(rsn) - Egan Bernals Rückenprobleme, die ihn zum Ausstieg bei der Tour de France und zum vorzeitigen Saisonende zwangen, sind offensichtlich ernsthafter als bisher angenommen. Wie der Kolumbianer geg

10.10.2020Bernal: “Ich hatte eine schwierige Zeit“

(rsn) - Der bei der Tour de France vorzeitig ausgestiegene Egan Bernal (Ineos Grenadiers) wird in diesem Jahr keine Rennen mehr bestreiten. Das kündigte der Kolumbianer auf Instagram an und bestätig

03.10.2020War der Toursieg für Roglic im Zeitfahren unmöglich?

(rsn) - Radsportjournalist Thijs Zonneveld von der niederländischen Zeitung AD hat nach eigenen Angaben Einblick in die Leistungswerte des Tour-Zeitfahrens von Primoz Roglic (Jumbo – Visma) erhalte

24.09.2020Pogacar: “Die Saison ist noch lange nicht vorbei“

(rsn) - Nach seinem Tour-de-France-Triumph hat Tadej Pogacar (UEA - Team Emirates) schon die nächsten großen Ziel im Blick. "Ich muss konzentriert und fit bleiben für die Weltmeisterschaft und die

23.09.2020Viviani: Beim Giro zurück in die Erfolgsspur?

(rsn) - Im letzten Jahr gewann Elia Viviani im Trikot von Deceuninck - Quick-Step  bei der Tour de France eine Etappe und fuhr auf drei weiteren Teilstücken aufs Podium. Die 107. Austragung lief fÃ

22.09.2020UAE Emirates streicht das mit Abstand meiste Preisgeld ein

(rsn) - Kein Wunder: Durch den Gesamtsieg von Tadej Pogacar, der auch das Weiße Trikot als bester Jungprofi sowie die Bergwertung und drei Etappen gewann, sowie den Etappensieg von Alexander Kristoff

21.09.2020Phänomen Pogacar - zu schnell, um wahr zu sein?

(rsn) - Tadej Pogacar hat mit seinem Toursieg nicht nur Rekorde gebrochen, sondern damit auch Fragen aufgeworfen. Ist der Slowene einfach ein Jahrhunderttalent, für den die üblichen Maßstäbe nicht

21.09.2020Die Tour-Bubbles werden aufgelöst

(rsn) - Die Tour de France ist beendet. Die Bubbles werden aufgelöst. Neue werden errichtet, für die WM, die BinckBank Tour, den Giro d´Italia und die großen Klassiker. Primoz Roglic kann jetzt Tr

Weitere Radsportnachrichten

14.11.2024Bardet: “Sinnlos, an ethischen Radsport zu glauben“

(rsn) - Es war ein durchaus ungewöhnlicher Zeitpunkt, als Romain Bardet im Sommer, kurz vor der Tour de France, sein Karriereende ankündigte. Mindestens genauso ungewöhnlich ist das Rennen, das sei

14.11.2024Quintana beendet Spekulationen, Bonnamour gibt Kampf gegen Dopingsperre auf

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Radsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder Rücktr

14.11.2024Rhodos-Prolog-Experte mit Sturzpech im stärksten Rennen

(rsn) – Seine elfte Saison auf KT-Niveau ragt zwar nicht als seine beste heraus, dennoch zeigte Lukas Meiler (Team Vorarlberg) auch 2024, was er drauf hat. Seine beste Platzierung gelang ihm dabei

14.11.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

14.11.2024Schädlich übernimmt die deutschen Ausdauer-Spezialisten

(rsn) – Der Bund Deutscher Radfahrer hat einen neuen Nationaltrainer auf der Bahn für den Bereich Ausdauer. Lucas Schädlich, der seit 2019 die deutschen Juniorinnen unter seinen Fittichen hatte, Ã

14.11.2024Im Überblick: Die Transfers der Männer-Profiteams für 2025

(rsn) – Nachdem zahlreiche Transfergerüchte seit Monaten in der Radsportwelt zirkulieren, dürfen die Profimannschaften seit dem 1. August ihre Zu- und Abgänge offiziell bekanntgeben. Radsport

14.11.2024Schär wird Schweizer Nationaltrainer

(rsn) – Marc Hirschi, Stefan Küng und Co. haben einen neuen Nationaltrainer. Michael Schär wird mit Jahresbeginn 2025 die Verantwortung für die Schweizer Männer in den Bereichen Elite und U23 ü

14.11.2024Lotto Kern - Haus wird Development-Team von Ineos Grenadiers

(rsn) – In den vergangenen beiden Jahren war das deutsche Kontinental-Team Lotto Kern - Haus PSD Bank sogenannter Development-Partner von Red Bull – Bora – hansgrohe. Ab der kommenden Saison wi

14.11.2024Meisen kündigt baldiges Karriereende an

(rsn) – “Spätestens im Januar ist Schluss“, kündigte Marcel Meisen (Stevens) gegenüber RSN an. Der 35-Jährige ist in seine letzte Cross-Saison gestartet und will diese nicht mehr ganz zu End

14.11.2024Traumszenario mit kurzem Anfangsschock

(rsn) – Unverhofft kommt oft – dieser Spruch traf in dieser Saison auch auf Meo Amann zu. Mit dem Elite-Team Embrace The World in die Saison gestartet, bewarb er sich im Sommer auf einen Platz bei

13.11.2024Auch ein kurioser erster UCI-Sieg reichte nicht zum Profivertrag

(rsn) – Auch wenn er in dieser Saison seinen ersten UCI-Sieg einfahren konnte, so gelang Roman Duckert (Storck – Metropol) am Ende seiner U23-Zeit nicht der Sprung in ein Profiteam. Deshalb wird e

13.11.2024Ein Jahr geprägt von Stürzen und viel Unglück

(rsn) – Eigentlich wollte Mikà Heming (Tudor Pro Cycling) 2024 so richtig durchstarten. Die Klassikerkampagne in Belgien hatte er sich als erstes Saisonhighlight gesetzt, doch diese endete für den

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine