Oberurseler gewann zweimal auf dem Pflaster

Degenkolb und Roubaix: Eine ganz spezielle Beziehung

Von Eric Gutglück

Foto zu dem Text "Degenkolb und Roubaix: Eine ganz spezielle Beziehung"
John Degenkolb (Trek - Segafredo ,re.) sprintete 2018 in Roubaix zum bisher einzigen Tour-Etappensieg seiner Karriere. | Foto: Cor Vos

12.04.2020  |  (rsn) – Es braucht Courage, um sich bei Paris-Roubaix an den Start zu stellen. Es braucht Charakter, um Paris-Roubaix zu mögen. Und es braucht das Zeug zum Champion, um Paris-Roubaix zu gewinnen. John Degenkolb (Lotto Soudal) gelang mit seinem Sieg 2015 die Krönung seiner bisherigen Karriere. Drei Jahre später holte der Oberurseler zudem seinen ersten und bislang einzigen Tour-Etappensieg – ebenfalls in Roubaix.

Mehr als 250 Kilometer, über 50 davon auf schmalen Kopfsteinpflasterstraßen, die von Traktoren zerfurcht sind und die niemand freiwillig mit dem PKW befahren würde, geschweige denn, mit dem Rad: Zurecht trägt das Rennen den Beinamen "Königin der Klassiker". Schwere Stürze und Defekte gehören ebenso zum Bild wie Fahrer, die staubbedeckt und völlig entkräftet im altehrwürdigen Velodrom das Ziel erreichen – wenn sie vorher nicht in das Begleitfahrzeug gestiegen sind.

Doch was für die einen brutal klingt, ist für die anderen Radsport pur. Hier zählen nicht Watt pro Kilogramm – hier braucht es Willen, Charakter und eine gehörige Prise "Zähne zusammenbeißen". Die Fans stehen auf den engen Pavés Spalier, es ist staubig, manchmal gefährlich. Und es sorgt jedes Jahr für Dramen und neue Heldengeschichten. Kein Wunder, dass die Rundfahrtasse und Grand-Tour-Aspiranten meist einen großen Bogen um das Pflaster im Norden Frankreichs machen.

Debüt 2011, Triumph 2015

Als John Degenkolb 2011 das Rennen erstmals in Angriff nahm, zeigte sich bereits sein Faible für die "Königin der Klassiker". Im Trikot von HTC - Highroad ging der damals 22-Jährige in die Spitzengruppe des Tages und erreichte letztlich nur 2:10 Minuten hinter seinem ehemaligen Fluchtkollegen Johan Vansummeren als 19. das Ziel. "Roubaix ist geil! So viele Glückshormone hat mein Körper noch nie ausgeschüttet. Etwas Härteres habe ich zwar auch noch nie erlebt, aber das Hochgefühl im Velodrom von Roubaix ist wie ein Rausch", schrieb Degenkolb damals auf seiner Website.

Es dauerte allerdings, bis sich neben dem Rausch auch die Ergebnisse im Norden Frankreichs einstellten. Nach Platz 63 im Jahr 2012 und Rang 28 im Folgejahr schaffte er 2014 als Zweiter den Sprung aufs Treppchen. Als bester Sprinter unter den Verfolgern musste er an diesem Tag nur Solosieger Niki Terpstra den Vortritt lassen.

Schon ein Jahr später gelang Degenkolb dafür sein großer Coup. Im Sprint einer sechsköpfigen Spitzengruppe behielt der gebürtige Geraer auf der Betonbahn von Roubaix die Nerven. Zuvor hatte er mit einem Vorstoß elf Kilometer vor dem Ende zum Spitzenduo um Greg Van Avermaet und Yves Lampaert aufgeschlossen und schließlich seine Sprintstärke mustergültig ausgespielt. 2016 konnte der Titelverteidiger nach einem schweren Trainingsunfall in Spanien nicht antreten.

Van Avermaet und Lampert sollten auch 2018 bei Degenkolbs Tour-Etappensieg  eine entscheidende Rolle spielen. Gemeinsam setzte sich das Trio auf der 9. Etappe in Richtung Roubaix 18 Kilometer vor dem Ziel ab und fuhr sich bis zu eine Minute an Vorsprung auf die Verfolger heraus. Im Dreiersprint bewies Degenkolb einmal mehr seine Nerven und holte sich seinen ersten und bisher einzigen Tour-Etappensieg, dem er sechs Jahre lang vergeblich nachgejagt war.

"Die pure Freude. Ich habe diesen Sieg so lange angestrebt. Ich kann es nicht beschreiben", gab Degenkolb in einem ersten Interview mit Tränen in den Augen zu Protokoll. Auch wenn das Ziel nicht im Velodrom lag – der Zielort und die Streckenführung über einige der schwersten Pavés verliehen dem Sieg seine sehr spezielle Bedeutung.

Botschafter, Retter, Namensgeber

Doch die Beziehung zwischen John Degenkolb und Roubaix geht weit über seine Rennerfolge hinaus. Seit Oktober 2018 engagiert er sich als Botschafter von "Les Amis de Paris-Roubaix (Die Freunde von Paris - Roubaix)", einem Zusammenschluss freiwilliger Helfer, die sich darum bemühen, die Strecke des erstmals 1896 ausgetragenen französischen Klassikers in gutem Zustand zu halten. Dabei werden vor allem an den Kopfsteinpflasterabschnitten immer wieder Verbesserungsarbeiten vorgenommen, die Kosten müssen ausschließlich durch Spenden gedeckt werden. "Ich bin sehr stolz darauf, dem Rennen, dem ich so viel verdanke, etwas zurückgeben zu können“, sagte Degenkolb damals.

Kaum vier Monate später engagierte sich der Sieger von 2015 erneut: Ende Februar 2019 wurde bekannt, dass das Nachwuchsrennen von Paris-Roubaix vor dem Aus stand. Rennveranstalter John Malaise hatte verkündet, dass ihm 10.000 Euro fehlen würden und er fürchte, das Rennen für 2019 absagen zu müssen. Also ergriff Degenkolb - bei der Tour de la Provence unterwegs - die Initiative. Mit einer spontanen Crowdfunding-Aktion sammelte er binnen zwei Tagen knapp 15.000 Euro sicherte somit den Fortbestand des Rennens.

Degenkolb selbst spendete 2.500 Euro und versprach allen, die mehr als 25 Euro einzahlten, ein "Dege Special Roubaix T-Shirt" zuzuschicken. Außerdem versprach er, dass das Rennen auch dann gerettet werde, wenn das Ziel von 10.000 Euro knapp verfehlt würde. "In diesem Fall werde ich den fehlenden Betrag noch auf meine Spende draufpacken."

Zum Dank für sein Engagement um das Nachwuchsrennen benannten im Februar dieses Jahres die Organisatoren des Rennens ein Pavé nach dem Deutschen: den 3,7 Kilometer langen Sektor Hornaing á Wandignies. Diese Ehrung war zuvor keinem aktiven Radprofi zuteil geworden. "Es ist unglaublich und ich muss mich bei allen bedanken, die dieses Wunder möglich gemacht haben", kommentierte Degenkolb bescheiden und zu Tränen gerührt die feierliche Zeremonie.

Auch wenn die 118. Auflage von Paris-Roubaix am heutigen Ostersonntag aufgrund der Corona-Pandemie nicht ausgetragen werden kann und ein möglicher Nachholtermin noch offen ist – für John Degenkolb wird die nächste Austragung des Rennens eine ganz besondere sein, wenn er bei seinem Lieblingsrennen über seinen Sektor fahren darf. Dieser Moment dürfte die Liebe zwischen dem Oberurseler und Roubaix noch tiefer werden lassen.

Mehr Informationen zu diesem Thema

11.10.2020Ein Pflasterstein gegen das Virus

(rsn) - Die wegen den zunehmenden Corona-Zahlen in Frankreich erfolgte Absage von Paris-Roubaix hat unter Sportlern und Zuschauern für große Enttäuschung gesorgt. Ausgesprochen kreativ reagierte Ch

09.10.2020118. Paris-Roubaix abgesagt

(rsn) - Wegen der sich verschärfenden Corona-Lage in Frankreich hat die ASO die für den 25. Oktober geplante 118. Auflage von Paris-Roubaix abgesagt. Davon betroffen ist auch das Frauenrennen, das e

09.10.2020Paris-Roubaix ohne Zuschauer an den Pavé-Sektoren?

(rsn) - Am 25. Oktober soll zwischen Compiègne und Roubaix die 118. Ausgabe der “Königin der Klassiker“ stattfinden. Normalerweise steht auf den Kopfsteinpflasterteilstücken das Publikum Spalie

02.10.2020Paris-Roubaix wackelt wegen Corona, Tourmalet schneebedeckt

(rsn) - Der 25. Oktober soll zum "Super Sunday" des Radsports werden: Die Schlussetappe des Giro d´Italia, eine Bergankunft bei der Vuelta a Espana am Col du Tourmalet und der Klassiker Paris-Roubaix

25.09.2020Roubaix-Premiere: Auf die Frauen warten 17 Kopfsteinpflaster-Sektoren

(rsn) - Die ASO hat die Strecke für die Premiere des Frauenrennens von Paris-Roubaix bekanntgegeben. Das für den 25. Oktober geplante Rennen, das sofort in die Women´s WorldTour aufgestiegen ist, w

07.08.2020Lampaert muss auf Tour verzichten, zielt aber weiter auf die Klassiker

(rsn) - Yves Lampaert (Deceuninck - Quick-Step) wird in diesem Jahr wegen des am Mittwoch bei Mailand-Turin erlittenen Schlüsselbeinbruchs nicht wie geplant an der Tour de France teilnehmen können.

30.06.2020Van der Poel & Co. erkunden Kopfsteinpflaster-Klassiker

(rsn) - Auch Mathieu van der Poel und seine Teamkollegen von Alpecin - Fenix bereiten sich auf den Neustart der Saison vor. Am Montag erkundeten die Klassikerspezialisten des belgischen ZweitdivisionÃ

15.06.2020Ganna träumt vom Paris-Roubaix-Triumph

(rsn) - Das britische Ineos-Team verfügt über die stärkste Rundfahrerriege im Peloton. Deutlich weniger dominant tritt der Rennstall von Manager Dave Brailsford dagegen in den fünf Monumente des R

07.06.2020Van Dijk und Brand besichtigen Pavé-Sektoren von Paris-Roubaix

(rsn) - Denn sie wissen noch nicht, was sie tun: So ähnlich könnte man wohl die Erstauflage von Paris-Roubaix für Frauen im Vorfeld beschreiben. Für das Rennen, das am 25. Oktober stattfinden soll

15.05.2020Nibali träumt vom Paris-Roubaix-Debüt

(rsn) - In seiner langen und erfolgreichen Karriere hat Vincenzo Nibali noch nie Paris-Roubaix bestritten. Auch wenn er im November 36 Jahre alt wird, so hofft der Italiener, dass er noch sein Debüt

08.05.2020Bardet plant Debüts in Flandern und bei Paris-Roubaix

(rsn) - Durch die Verlegung der Frühjahrsklassiker in den Herbst bietet sich Romain Bardet (AG2R) erstmals in seiner Karriere die Möglichkeit, an den Monumenten Flandern-Rundfahrt (18. Oktober) und

12.04.2020De Vlaeminck: van der Poel kann alle Monumente gewinnen

(rsn) - Roger De Vlaeminck war in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gemeinsam mit Eddy Merckx der erfolgreichste Klassikerjäger des Pelotons. Der Belgier gewann in der Phase von 1970

Weitere Radsportnachrichten

22.12.2024Mit Cavendishs Tipps gelang der Durchbruch

(rsn) – Nicht nur wegen seines ersten Profisieges konnte Max Kanter mit seinem ersten Jahr bei Astana Qazaqstan ausgesprochen zufrieden sein. Der deutsche Sprinter etablierte sich schnell beim kasac

22.12.2024Van der Poel erteilt der Konkurrenz eine Lehrstunde

(rsn) – Er startete aus der dritten Reihe und lag schon nach etwas mehr als einer Minute in der ersten Abfahrt zur Kuil in Führung. Bei der Ausfahrt derselben setzte er sich unwiderstehlich ab: Mat

22.12.2024Van Aert muss seinen Cross-Auftakt verschieben

(rsn) – Am Montag hätten sich Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) und Wout Van Aert (Visma – Lease a Bike) beim Superprestige-Rennen in Mol das erste Mal in dieser Cyclocross-Saison geg

22.12.2024Zuerst kalte Hände, dann doch Siegpremiere für Alvarado

(rsn) - Ceylin del Carmen Alvarado (Fenix – Deceuninck) hat in und an der berühmten Kuil den Cross-Weltcup von Zonhoven gewonnen. Nach einem spannenden Rennen verwies sie Zoe Bäckstedt (Canyon –

22.12.2024Viel Spaß und eine Riesenerfahrung bei der Tour

(rsn) – Mit seinen 27 Jahren hat sich Georg Zimmermann (Intermarché – Wanty) zum absoluten Allrounder und einem Fixstarter bei fast allen großen Rennen des Jahres entwickelt. Der Augsburger ist

22.12.2024Teutenberg und Brauße holen sich Omnium-Titel

(rsn) – In Frankfurt an der Oder wurden an diesem Wochenende die Deutschen Meisterschaften im Mehrkampf auf der Bahn ausgefahren. Die Goldmedaillen sicherten sich Franziska Brauße (Ceratizit WNT Pr

22.12.2024“Bis zur Corona-Infektion lief es richtig gut“

(rsn) - Erst zwölf Tage des neuen Jahres waren vergangen, da standen für Linda Riedmann vom Team Visma - Lease a Bike schon die ersten Rennen an. In Australien bei der Santos Tour Down Under begann

22.12.2024Die Radsport-News-Jahresrangliste 2024

(rsn) - Auch diesmal starten wir am 1. November mit unserer Jahresrangliste. Wir haben alle UCI-Rennen der vergangenen zwölf Monate (1. November 2023 bis 31. Oktober 2024) ausgewertet - nach unserem

21.12.2024Schöne Highlights und ein sehr starker August

(rsn) – 22 Jahre ist Fabio Christen (Q36.5 Pro Cycling) alt, und der Schweizer kommt aus einer wahren Radsportfamilie. Schon sein Großvater gehörte zu den besten Straßensportlern und auch sein Va

21.12.2024Red-Bull-Sportchef Aldag über die Transfers von Lazkano und Co.

(rsn) – Es war abzusehen, dass Red Bull – Bora – hansgrohe auch in diesem Winter wieder allerhand Veränderungen am Kader für die neue Saison vornehmen würde. Neun Profis stoßen 2025 zum Team

21.12.2024Vandeputte mit Start-Ziel-Sieg zum ersten Weltcuperfolg

(rsn) – Dank einer technischen Glanzleistung hat Niels Vandeputte (Alpecin – Deceuninck) in Hulst nicht nur einen Start-Ziel-Sieg, sondern auch seinen ersten Weltcup-Erfolg gefeiert. Der Belgier w

21.12.2024Schreiber startet am schnellsten und bleibt bis zum Schluss vorn

(rsn) – Schnellstarterin Marie Schreiber (SD Worx – Protime) hat den Cross-Weltcup in Hulst mit einem Start-Ziel-Sieg für sich entschieden. Lucinda Brand (Baloise – Trek Lions) baute als Zweite

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine