RSNplus“Attacke gegen den Markt“

Zocker Schachmann eröffnet den Giro mit Bravour

Von Tom Mustroph aus Turin

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Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe, re.) wurde Zweiter des Giro-Auftaks 2024 | Foto: Cor Vos

04.05.2024  |  (rsn) - Im Ziel in Turin war Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) von den Emotionen überwältigt. Natürlich war er sauer, dass er zum Auftakt des Giro d’Italia so knapp am Rosa Trikot vorbeigefahren war. “Ich hasse die kurzen Sprints. Deshalb habe ich früh eröffnet. Als ich zurück in den Windschatten kam, wusste ich, dass ich lieber hinter dem Rad hätte bleiben sollen. Dann hätte ich vielleicht eine winzige Chance gehabt“, sagte er, noch ganz außer Atem.

“Aber es war knapp“, gestand er sich auch ein. “Und es war einfach gut, mit Pogi in so einem Rennen so zu fahren“, bilanzierte er, und dabei überwog dann schon die Freude.

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Vor allem aber war der lange durch Verletzungen und Krankheiten gebeutelte Schachmann stolz auf seine Attacke 16 Kilometer vor dem Ziel. Denn die ließ nicht nur die Pläne vieler Teams zur Makulatur werden. Sie gab auch dem gesamten Peloton Hoffnung, neben der Lichtgestalt Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) nicht total zu Nebendarstellern degradiert zu werden. “Heute morgen haben ja alle gedacht, dass Pogacar attackiert. Das ist ein wenig wie am Aktienmarkt, da denkt man auch, wir haben eine Inflation wie 1980, nicht genau gleich, aber ähnlich. Und hier ist das auch so: Common sense war Pogi. Und ich habe gedacht, vielleicht stimmt das nicht“, sagte Schachmann zu RSN. Er war der Zocker, der sich gegen den Markt stellte. “Gegen den gesamten Markt, gegen alle, gegen die gesamte Meinung“, feixte der gebürtige Berliner.

Schachmann wurde aber auch nicht gleich übermütig. Bei einer Linkskurve im Finale, die er nicht genau kriegte, belastete er gewaltig sein Material. “Das habe ich richtig versaut. Ich habe den Reifen in die Ecke gehämmert. Und ich war überrascht, dass der Reifen durchhielt. Andernfalls wäre ich jetzt schon zu Hause“, berichtete er.

Mit seiner Attacke 16 Kilometer vor dem Ziel überraschte Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) seine Konkurrenten und bereitete das spannende Finale des Giro-Auftakts vor. | Foto: Cor Vos

Schachmanns Attacke erfolgte einerseits aus einem Instinkt heraus. Er bemerkte, dass Pogacars Team am vorletzten Berg etwas das Tempo herausnahm. “Man konnte fast den Eindruck gewinnen, dass UAE heute doch nicht auf den Tagessieg fahren wollte“, schilderte er die Situation. Dem war nicht ganz so. UAE-Manager Mauro Gianetti gestand RSN ein, dass seine Fahrer einfach platt waren und auch mal durchatmen mussten. Aber auch niemand anderes übernahm die Tempoarbeit. “Es herschte großes Durcheinander“, meinte Schachmann. Und inmitten dieser Unentschlossenheit der anderen nutzte er seine Chance. Er war allerdings auch darauf vorbereitet, an diesem Tag etwas zu probieren.

“Ich habe mit Max schon während der Ardennenwoche darüber gesprochen, dass die erste Giro-Etappe für einen Fahrer mit seiner Charakteristik einfach perfekt ist. Ich sagte ihm, dass er sich darauf konzentrieren soll. Denn ein Rosa Trikot am Anfang des Giro bringt viel Prestige, es ist gut für seine Karriere und natürlich auch fürs Team“, sagte Boras Sportlicher Leiter Enrico Gasparotto zu RSN. Trotz des dann doch etwas ernüchternden Ausgangs mit Etappenplatz 2 meinte er: “Max hat einfach seine Hausaufgaben gemacht. Er fuhr super smart.“

Gasparotto war schon der Mastermind auf der Turin-Etappe beim Giro 2022, die den Grundstein für den Gesamtsieg von Jai Hindley legte. Auch jetzt war der Plan gut. Denn nicht nur, dass Schachmann attackierte. Seine Teamkollegen setzten sich zugleich an die Spitze des Pelotons und verlangsamten die Fahrt. Den späteren Antritt von Pogacar konnten sie freilich nicht verhindern. “Er kam wie eine Rakete an“, schilderte Schachmann seinen Eindruck, als der Slowene plötzlich in seinem Blickfeld auftauchte. Und im Finale gab es dann noch einen, der besser war, nämlich Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers).

Top-Favorit Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) zog im letzten Anstieg des Tages davon, konnte aber weder Schachmann noch den späteren Etappensieger Jhonatan Narvaez (Ineos Grenadiers) abschütteln. | Foto: Cor Vos

Der Ecuadorianer vollendete, was Schachmann mit seiner Attacke vorbereitet hatte. “Er hatte heute den Job, an Pogacar dranzubleiben. Mit Filippo Ganna wollten wir auf den Sprint gehen, er bringt einfach zuviel Masse mit, um mit ihm mithalten zu können. Johnny aber sollte an Pogacar dran bleiben“, erläuterte Dario Cioni von Ineos Grenadiers gegenüber RSN den Matchplan seines Teams.

Narvaez hielt sich daran. “Ich war echt am Limit, ich habe nicht mehr auf mein Garmin geschaut, welche Werte ich trat, als ich an Pogacar dran blieb“, sagte er 27-Jährige später. Aber er blieb eben dran. Auch das ist eine Erkenntnis des Grande Partenza. Team UAE kann nicht dauerhaft die Pace hochhalten. Und wenn die Anstiege nur giftig sind, aber nicht allzu lang, wie eben an diesem ersten Tag in Turin, kann man Pogacar sogar folgen – und ihn auch noch im Sprint niederringen.

Im Zielsprint setzte sich Narvaez deutlich vor Schachmann (re.) und Pogacar durch und eroberte so das erste Rosa Trikot des 107. Giro d‘Italia. | Foto: Cor Vos

An eine erfolgreiche Verteidigung seines Trikots glaubt Narvaez aber nicht. Der morgige Schlussanstieg nach Oropa ist wie gemacht für Pogacar. Und im Lager von Bora - hansgrohe glaubt man beim realistischen Blick auf das Etappenprofil mehr an Daniel Martinez als an Schachmann. Viel eher ist noch eine Attacke von ogacar zu erwarten. “Er ist sicher nicht glücklich mit dem Ausgang des heutigen Tages“, prophezeite Gasparotto RSN.

Schachmanns Attacke hat allen gezeigt, dass man vor dem Top-Favoriten Pogacar nicht erstarren muss. Den ersten möglichen Rekord des Slowenen hat sie schon zunichte gemacht. Einen Durchmarsch von Tag 1 bis zum Rundfahrtende im Rosa Trikot, wie ihn Gianni Bugno 1990 hinlegte, kann er schon mal nicht wiederholen. Der Giro ist gleich am ersten Tag etwas offener geworden als erwartet, selbst wenn Pogacar auf seine unmittelbaren Klassement-Rivalen bereits Sekunden herausholte. Aber er ist auch nicht unbezwingbar. Das zumindest zeigte Schachmann mit seiner bravourösen Attacke, und auch Schattenmann Narvaez lieferte großen Taktikunterricht.

 

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