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19.01.2010 | (rsn) – Nach seinem Schlüsselbeinbruch beim Giro d’Italia 2009 will Matthias Russ in seinem zweiten Jahr beim Team Milram wieder angreifen. Der 26 Jahre alte Kletterspezialist hofft auf den Giro d’Italia, wo er vor zwei Jahren fast das Rosa Trikot erobert hätte. Außerdem will Russ auch bei anspruchsvollen kleineren Rundfahrten und Eintagesrennen eine gute Figur abgeben, wie er im Trainingslager auf Zypern gegenüber Radsport News verriet.
Warum trainieren Sie hier mit einer kleinen Gruppe auf Zypern und nicht auf Mallorca?
Russ: Weil ich im Dezember schon mal auf Mallorca gewesen bin und weil es in diesem Jahr das Angebot gab, nach Zypern zu kommen. Und da ich gerne mal neue Strecken ausprobiere und gehört habe, dass man hier gut Radfahren kann, habe ich mich entschlossen, das Angebot anzunehmen.
Wie sieht Ihre Vorbereitung hier auf Zypern konkret aus?
Russ: Ich trainiere hier zwischen fünf und sechs Stunden und mache vor allem Kraft bzw. Kraft am Berg. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich mich noch im Aufbau befinde, denn ich will noch nicht im Februar in Topform sein, sondern eher in Richtung Tirreno-Adriatico. Da sollte ich dann 100 Prozent haben. Aber ich will schon mit einer guten Form in die ersten Rennen reingehen.
Sie haben eine schwere letzte Saison bei Milram gehabt, sind beim Giro gestürzt, wurden am Schlüsselbein operiert und waren lange verletzt. Sind alle Folgen der Verletzung ausgestanden?
Russ: Ich war beim Giro schon auf der 1. Etappe gestürzt und wurde zwei Tage danach operiert. Dabei wurde mir ein Draht ins Schlüsselbein eingesetzt, der erst nach der Lombardei-Rundfahrt wieder entfernt wurde. Bis dahin habe ich die Verletzung schon noch gespürt. Aber seit der Draht draußen ist, geht es wieder sehr gut.
Hat Sie das im Rennen behindert?
Russ: Ich habe es in den Antritten immer wieder gespürt, aber behindert hat mich das nicht. Der Draht hat am Brustbein noch herausgeschaut und dadurch das Gelenk irritiert. Es waren aber keine Schmerzen, die Ärzte haben das schon gut gemacht. Jetzt ist es allerdings perfekt.
Was haben Sie sich für die neue Saison vorgenommen?
Russ: Ich hoffe auf ein gutes Programm, mit der Mallorca Challenge, die Ruta del Sol, Tirreno, Katalonien-Rundfahrt. Dann fahre ich wohl zwei Ardennenklassiker, Fleche Wallonne und Lüttich-Bastogne-Lüttich und dann den Giro d’Italia. Ich habe mir vor allem vorgenommen, in den großen Rennen ein wichtiger Teil des Teams zu sein, bei Lüttich oder Tirreno etwa. Dort wird es wichtig sein, Linus Gerdemann zu unterstützen. Beim Giro habe ich ja schon mehrmals gezeigt, dass ich gute Form habe und ich hoffe, dass es auch in diesem Jahr wieder so sein wird. Die Chance auf einen Etappensieg ist immer da, vor zwei Jahren war es ja sogar einmal ganz knapp mit dem Rosa Trikot. Ich will natürlich die Mannschaft unterstützen, aber auch mal meine eigene Chance nutzen.
Wie sieht’s mit der Teilnahme an der Tour aus?
Russ: Dafür muss man sich natürlich durch entsprechende Leistungen empfehlen. Aber dazu werde ich ja genügend Möglichkeiten haben, auch beim Giro.
So viele ausgewiesene Kletterer hat das Team ja nicht…
Russ: Aber ich habe aber schon ein straffes Programm bis dahin und habe zudem die Erfahrung gemacht, dass ich nach langen Rundfahrten müde bin und Ruhe brauche. Wenn ein größerer Zeitraum zwischen zwei dreiwöchigen Rundfahrten liegt, geht das bei mir eher, wie etwa mit Giro und Vuelta. Bei mir ist es so, dass ich in der dritten Woche immer meine Probleme habe. 15 Tage geht das sehr gut, aber in der letzten Woche habe ich immer zu kämpfen. Deshalb kann ich es mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht so gut vorstellen, zwei große Rundfahrten hintereinander zu fahren. Natürlich: Wenn ich auf einem hohen Level fahre, würde ich gerne einer der neun Tour-Startern sein – aber nur, wenn ich mir den Platz über die Leistung verdiene. Wenn andere stärker sind, brauche ich nicht dabei zu sein.
Sie sind zwar schon mehrmals den Giro und die Vuelta gefahren, aber noch nicht die Tour. Wurmt Sie das nicht?
Russ: Giro und Vuelta sind ja auch beides große Landesrundfahrten, wobei mir der Giro schon ganz besonders gefällt. Aber natürlich will jeder Rennfahrer in seiner Karriere auch mal die Tour fahren. Im Moment sehe ich mich nicht bei der Tour. Aber da können wir in drei Monaten nochmal drüber sprechen.
Bei Milram lief es 2009 nicht wie erhofft. Sehen Sie in diesem Jahr bessere Perspektiven?
Russ: Wir hatten auch im vergangenen Jahr viele gute Rennen und haben keine schlechte Saison abgeliefert. Die Siege haben halt gefehlt. Wir haben jetzt zwar gute Neuzugänge, aber der Ergebnisdruck wird sicherlich auf dem Kern der Mannschaft lasten, der schon im letzten Jahr dabei war. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir z.B. zu den belgischen Klassikern eine deutlich stärkere Mannschaft haben.
Sie sind im sechsten Jahr Profi. Glauben Sie, dass Sie bei Milram jetzt auch schon jüngere Fahrer führen können, obwohl Sie ja erst 26 Jahre alt sind?
Russ: Prinzipiell müssen das andere entscheiden, aber sicherlich bekommt man im Lauf der Jahre einen Blick für Rennsituationen. Natürlich habe ich schon mehr Erfahrung, kenne manche Strecken von vielen Rennen und weiß, wie man sich nach einer langen Rundfahrt fühlt – und kann da Erfahrungen weitergeben. Aber ansonsten sehe ich mich da noch nicht in der Rolle. Ich fühle mich auch nicht als alter Fahrer.
Haben Sie Lieblingsrennen?
Russ: Natürlich gefallen einem die Rennen am besten, bei denen man die größten Erfolge einfahren kann oder eingefahren hat. Bei mir ist das der Giro, wo ich 2008 um das Rosa Trikot fahren konnte und 2007 nach zwei Wochen noch auf Rang 24 lag, also auch in der Gesamtwertung ganz gut dabei war. Der Giro ist für mich auch deshalb ein besonderes Rennen, weil mir die steilen Berge dort liegen. Die Classica San Sebastian ist auch ein sehr schönes Rennen. Bei den Ardennenklassikern habe ich bisher noch nicht so den richtigen Tritt gefunden. Aber wenn man da die Aufgabe hat, schon gleich am Anfang in den Gruppen dabei zu sein, ist man oft gar nicht mehr in der Lage, am Ende ganz vorne mit einzugreifen. Die Regio-Tour war auch ein sehr schönes Rennen, auch wenn sie nicht die ganz große Bedeutung hatte. Schade, dass es sie nicht mehr gibt, auch weil sie direkt vor meiner Haustüre stattfand.
Werden Sie als kletterstarker Fahrer die Stärken ausbauen oder eher versuchen, die Schwächen auszumerzen?
Russ: Am besten natürlich beides. Es ist schon so: Wenn man ein weniger starker Fahrer im Sprint ist, fällt es einem schon schwer, aus einer Ausreißergruppe heraus zu gewinnen. Daran will ich schon arbeiten. Grundsätzlich will ich mich aber eher auf meine Stärken konzentrieren und meine Kapitäne in den Bergen unterstützen.
Mit Matthias Russ sprach Matthias Seng.
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