Interview mit Milrams Sportlichem Leiter

Ralf Grabsch: „Die Fahrer hatten zu viele Freiheiten“

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Ralf Grabsch (Milram)

Foto: ROTH

11.01.2010  |  (rsn) – In seinem zweiten Jahr als Sportlicher Leiter wird Ralf Grabsch beim Team Milram für "die Rennplanung und die direkte Fahreransprache zuständig sein“, wie es der deutsche ProTour-Rennstall im Rahmen seiner Teampräsentation ankündigte. Im Interview mit Radsport News erklärte der 36 Jahre alte Ex-Profi, wie er sein Team zum Erfolg führen will und was er von den Fahrern in der neuen Saison erwartet.

Gerry van Gerwen sprach von einer akribischen Vorbereitung des gesamten Teams. Was ist anders und besser als im vergangenen Jahr?

Grabsch: Wir haben unser Team in drei Gruppen eingeteilt, die sich unterschiedlich vorbereiten. Da ist die „Down Under-Gruppe“, die Klassikergruppe und dann sind da die Fahrer, die etwas später in die Saison starten. Die acht Fahrer für Down Under etwa haben schon früh ihr erstes Traininsglager auf Mallorca absolviert. Sie haben in zwei Viererappartements gewohnt und haben praktisch 24 Stunden am Tag miteinander verbracht und sich komplett selbst versorgt. Zweck des Ganzen war, dass die Fahrer sich besser kennenlernen, sich gegenseitig unterstützen und miteinander kommunizieren. Das gibt es bei Aufenthalten in Hotels ja so nicht, denn dort verschwindet jeder auf sein eigenes Zimmer. Und natürlich das Wichtigste: miteinander trainieren.

Und was wollten Sie damit erreichen?

Grabsch: Wir wollen, dass sich die Fahrer mehr miteinander beschäftigen. Sie gehen durch Höhen und Tiefen und müssen an einem Strang ziehen. Das ist, was wir wollen: Jeder soll sich mit seiner ganzen Energie und seiner ganzen Kraft einbringen und wir versuchen, alles aus jedem Fahrer herauszukitzeln. Wir erhoffen uns von dieser Art Vorbereitung sehr viel, denn in den Rennen müssen sich alle Fahrer in bestimmten Situationen blind verstehen.

Es heißt, dass die Abläufe stärker strukturiert sein werden. Hatten die Fahrer im letzten Jahr zu viele Freiheiten?

Grabsch: Definitiv. Für mich war das erste Jahr Sportlicher Leiter auch eine Lernphase, aber ich habe von Anfang an gesehen, dass die Fahrer mehr oder weniger machen konnten, was sie wollten – und das passte nicht. Jeder muss sich bewusst sein, dass alle auf uns schauen, weil wir das einzige deutsche Spitzenteam sind. Da muss sich jeder darüber bewusst sein, dass man nicht einfach machen kann, was man will. Es muss eine klare Linie rein und ich bin überzeugt: Wenn wir das durchziehen, dann kommen auch die Erfolge, die wir haben wollen.

Sie sind künftig sozusagen für die „direkte Ansprache“ der Fahrer verantwortlich. Gibt es da auch Konflikte?

Grabsch: Die gab es schon im vergangenen Jahr. Beim Giro etwa war ich zweiter Mann und habe da viele Sachen gesehen, die bei mir nicht durchgegangen wären. Da haben wir uns dann auch zwei Mal zusammengesetzt, weil es mir nicht gepasst hat, wie die Fahrer die Sache angegangen sind. Nicht jeder war mit meinem Verhalten einverstanden. Aber ich habe auch meine Erfahrungen als Profi gemacht und ich denke, wenn man als Sportlicher Leiter klare und deutliche Ansagen macht, müssen die befolgt werden. Ansonsten fährt jeder durchs Feld, ohne dass was dabei rauskommt.

Haben die Fahrer Ihre Kritik angenommen?

Grabsch: Ja, das ist angekommen, ansonsten hätte ich jetzt nicht die neue Position inne. Das ist nichts Negatives gegen Christian (Henn, d. Red.), nur ist es bei mir so, dass ich klar und deutlich ansage, und dann gehe ich davon aus, dass die Fahrer alt genug sind, dass auch umzusetzen. Wenn dem nicht so ist, dann spreche ich auch mal ein ernstes Wort. Es gibt zwei Punkte: Es muss Spaß machen, Rad zu fahren, aber zu dem Spaß gehört auch der Druck dazu, um Erfolge einzufahren. Und die beiden Faktoren müssen wir miteinander verbinden. Ich bin überzeugt, dass ich das auch vermittelt habe. Die Fahrer wissen jetzt genau, dass das umgesetzt werden muss, was ich vorgebe.

Wurden die fünf Neuzugänge auch so ausgewählt, dass sie in die neuen Strukturen passen?

Grabsch: Natürlich. Gerade bei Roger Kluge, Luke Roberts und Roy Sentjens ist es so, dass sie auch optimal als Anfahrer für Gerald Ciolek eingesetzt werden können. Das Ziel ist, komplett konkurrenzfähig mit Columbia zu werden. Wir werden alles versuchen, um Columbia Paroli zu bieten. Dazu sind Kluge, Roberts und Sentjens drei optimale Leute, um in den Sprints mitzureden. Zum anderen hatten wir letztes Jahr große Probleme in den flämischen Frühjahrsrennen, wo wir überhaupt nicht überzeugen konnten. Da ist Sentjens jetzt eine echte Schlüsselfigur, die das Team führen kann und die Rennen in Belgien bestens kennt. Von den drei Leuten verspreche ich mir sehr viel.

Wie könnte denn ein Sprintzug für Ciolek funktionieren?

Grabsch: Wie gesagt: Wir haben optimale Voraussetzungen und Bedingungen, dass der Zug funktionieren und mit Columbia mithalten kann. Unser Klassikerteam trainiert im Trainingslager auf Mallorca derzeit speziell das Anfahren. Und dann wird sich herausstellen, wer welche Position einnimmt. Luke Roberts ist zwar nicht dabei, aber ich denke, er wird sich problemlos einfügen, denn er hat sowohl die Grundschnelligkeit als auch die jahrelange Erfahrung. Wir werden also sehen, wie die Reihenfolge in den Sprints aussieht und dann haben in Katar und im Oman zwei Rundfahrten, bei denen wir das optimal umsetzen können. Und ich gehe davon aus, dass wir dort schon den Zug für Ciolek erfolgreich aufbauen werden.

Milram will frühe Erfolge einfahren, um Druck vom Team zu nehmen. Die erste Gelegenheit dazu gibt es bei der Tour Down Under. Was trauen Sie in Australien ihrer Mannschaft zu?

Grabsch: Wir haben ein super zusammengesetztes Team für Down Under, das auf höchstem Niveau fahren kann. Wir haben zwei Fahrer für Gesamtklassement mit Thomas Rohregger und Markus Fothen. Dann gibt es die beiden Sprinter Robert Förster und Wim Stroetinga. Björn Schröder und Luke Robert schließlich können in den Ausreißergruppen dabei sein und auch Etappen gewinnen. Ich denke schon, dass wir mit dieser Mischung ganz vorne mitfahren werden. Wir haben speziell für dieses Rennen trainiert und verfügen schon über die nötige Rennhärte. Man kann den Erfolg nicht vorprogrammieren, aber man kann im Vorfeld alles dafür tun, um erfolgreich zu sein - und das haben wir auf jeden Fall gemacht.

Robert Förster hat ein schwarzes Jahr gehabt. Glauben Sie, dass er in dieser Saison an seine erfolgreichsten Gerolsteiner-Zeiten wird anknüpfen können?

Grabsch: Zunächst mal: Robert passt optimal in unser Team, und so wie er als Typ ist, so stelle ich mir einen guten Rennfahrer vor. Robert war letztes Jahr auf der Straße eigentlich mein verlängerter Arm. Er hat das Team in vielen Rennen optimal geführt. Es war auf der anderen Seite schade, dass er nicht seine Qualitäten umsetzen konnte – weshalb er ja auch nur ein Rennen gewonnen hat. Er ist aber nach wie vor ein sehr wichtiger Mann für mich und für das Team, denn er hat die Erfahrung, kann alle mitreißen und kann in rennentscheidenden Situationen wichtige Ansagen machen. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Er war motiviert und hatte auch immer ein sehr hohes Niveau. Das erhoffe ich mir auch dieses Jahr von ihm, aber ich stelle mir auch vor, dass er an die 1 noch eine 0 dranhängt und zehn Saisonsiege einfährt. Das wäre das Optimum.

Glauben Sie, dass Förster auch gegen André Greipel in den Sprints wird bestehen können?

Grabsch: Das kann man schwer sagen. Auf dem Papier und mit Blick auf die Ergebnisse des letztens Jahres wohl nicht. Aber wenn wir als Team funktionieren und harmonieren, dann werden wir auch erfolgreich sein. Bei Greipel weiß eh jeder, wie stark er ist. Wir schauen auf uns und lassen alles auf uns zukommen.

Mit Ralf Grabsch sprach Matthias Seng.

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