RSNplusThomas? Roglic? Oder doch Almeida?

Der Monte Lussari entscheidet: Wer stößt in Rom in Rosa an?

Von Tom Mustroph

Foto zu dem Text "Der Monte Lussari entscheidet: Wer stößt in Rom in Rosa an?"
Kann Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) auch am Sonntagabend in Rom noch im Rosa Trikot anstoßen? Die Entscheidung fällt am Samstag am Monte Lussari. | Foto: Cor Vos

27.05.2023  |  (rsn) - "Dieser Giro d’Italia steht im Zeichen der alten Generation, derer, die bald in die Radsportrente gehen." Das sagte niemand Geringeres als der Direktor des Giro d’Italia, Mauro Vegni. Gut, Vegni, Jahrgang 1959, dachte dabei nicht an seine Generation. Aber seiner Einschätzung darf man folgen:

Als Letzter ins Zeitfahren am Monte Lussari geht der 37-jährige Waliser Geraint Thomas (Ineos Grenadiers). Härtester Herausforderer ist der bald 34 Jahre alt werdende Slowene Primoz Roglic (Jumbo - Visma). Und hätte sich nicht der freche Portugiese Joao Almeida (UAE Team Emirates) dazwischen gedrängelt, dann würde Damiano Caruso (Bahrain Victorious), 35 Jahre alt, das Podium komplettieren.

Dieser Giro ist also eine Anomalie in der seit einigen Jahren um sich greifenden Jugendwelle. Die letzten Grand-Tour-Sieger waren allesamt weit diesseits der 30 Jahres-Marke - beim Giro 26 (Hai Hindley 2022), 24 (Egan Bernal 2021) und 25 (Tao Geoghegan Hart 2020). Die Tour de France gewannen in jenen Jahren Tadej Pogacar (21 und 22 Jahre jung bei seinen Siegen) und Jonas Vingegaard (25). Und wenn bei der Vuelta 2021 nicht Roglic höchstpersönlich im Alter von 31 Jahren zugeschlagen hätte, dann müsste man auch dort die Jugendtendenz mit Remco Evenepoel – 23 bei seinem Vuelta-Triumph im letzten Jahr – anerkennen.

___STEADY_PAYWALL___

Evenepoel fehlte dem Kampf um Rosa

Möglicherweise würden wir auch bei diesem Giro gar nicht von den Alten reden, wenn Evenepoel nicht wegen Corona hätte abreisen müssen. Der Belgier belebte das Rennen, solange er dabei war, mit Attacken, mit Schwächen, mit neuerlichen Kräftebeweisen nach Rückschlägen. Er war der Beleber dieses Giro. Und zum Bedauern für alle, die rasanten Rennsport mögen, stieg er eben ins Auto nach Hause.

Fehlte dem Giro letztlich wohl doch sehr: Remco Evenepoel (Soudal - Quick-Step), der nach seinem Zeitfahrsieg auf der 9. Etappe wegen einer Corona-Infektion ausstieg. | Foto: Cor Vos

Den frei werdenden Platz des Halbstarken nahm Joao Almeida ein. Allerdings war er, um im Bilde zu bleiben, nur viertelstark. Ja, er attackierte und befeuerte das Rennen. Auf der Königsetappe zu den Drei Zinnen musste aber auch er die Überlegenheit der alten Herren anerkennen. Thomas attackierte im Finale – das erste Mal bei diesem Giro! – Roglic hatte erst Mühe zu folgen, überspurtete dann aber noch den Waliser und nahm ihm sogar drei Sekunden auf den letzten 200 Metern ab.

Im Bergzeitfahren ist Roglic gegenüber Thomas leicht favorisiert. Das Gesetz der dritten Woche aber, das nicht immer den besseren Zeitfahrer, sondern den mit den meisten Reserven vorne sieht, kennt Roglic aber auch nur zu gut: 2020 verlor er im Gelben Trikot fahrend die Tour de France an der Planche des Belles Filles noch gegen Landsmann Pogacar.

Dreht Roglic das Belles-Filles-Trauma um?

Gegenüber seinem Alptraum Planche des Belles Filles sind die Karten jetzt anders verteilt. Am Monte Lussari ist Roglic der Verfolger. Der Druck liegt auf Thomas, Roglic kann nur gewinnen. Angefeuert wird er auch. Der Zielstrich liegt etwa 20 Kilometer entfernt von der slowenischen Grenze. Die Skisprungschanze von Planica, auf der er unzählige Sprünge absolvierte und 2007 so schwer stürzte, ist keine 25 Kilometer weit weg. Legionen slowenischer Fans werden ihn anfeuern. Auch das spricht für Roglic.

"Ich habe mich auf der Etappe zu den Drei Zinnen richtig vergnügt. Am Samstag geht es ebenfalls All-In. Ich gehe selbstbewusst ins Zeitfahren. Ansonsten würde ich auch nicht antreten", sagte er mit seinem bekannten, etwas skurrilen Humor.

Angefeuert von den slowenischen Fans setzte Primoz Roglic (Jumbo - Visma) Thomas schon am Freitag unter Druck - kann er ihm Rosa am Samstag am Monte Lussari nahe der Grenze ausziehen? | Foto: Cor Vos

Sein Kontrahent blieb im rhetorischen Schlagabtausch etwas zurückhaltender. "Ich versuchte, das Tempo optimal zu steuern, aber dann kam Roglic doch auf den letzten 100 Metern. Ich habe ein paar Sekunden verloren, aber es war schön, etwas mehr Zeit auf Joao zu gewinnen", fasste Thomas die 19. Etappe zusammen. Und aufs Zeitfahren blickte er so voraus: "Es wird super eng werden. Ich denke, es wird toll zum Zuschauen sein und schrecklich zu fahren."

Natürlich ist so ein Sekundenkrimi, wie er sich für den Samstag andeutet, superspannend. Schade ist aber, dass sich die Kontrahenten auf den vorherigen 19 Etappen vornehmlich belauerten. Der ganze Giro war ein Vorspiel. Die Streckenplaner müssen ihre Konsequenzen daraus ziehen. Ein Zeitfahren am vorletzten Tag, und dann noch ein so schweres, lädt vor allem die zeitfahrstärkeren Rundfahrern zum Abwarten und Kräfteschonen ein. Roglic wie Thomas gehören beide in diese Kategorie. Natürlich, einer der beiden wird sich verrechnet haben. Einer der beiden wird am Samstagabend wohl sein wochenlanges Zaudern verfluchen. Den Giro macht das nicht schöner.

Gegen Almeida spricht der Formtrend

Traurig ist in diesem Zusammenhang, dass mit Almeida der Mann, der die dritte Woche zumindest ein wenig feuriger machte, in diesem abschließenden Zeitfahren mutterseelenallein auf einem ganz eigenen Orbit verkehren wird. Er ist zu weit weg von beiden Oldies. Und selbst wenn die Zeitfahrbilanz für ihn spricht – im direkten Vergleich führt er 4:3 gegen Thomas und gegen Roglic lag er immerhin in zwei der drei Aufeinandertreffen vor dem Olympiasieger in dieser Disziplin - so fällt das Gesetz der dritten Woche doch ein hartes Urteil gegen ihn. Immerhin kann er sich relativ sicher sein, von den Fahrern hinter ihm nicht überholt zu werden.

Joao Almeida (UAE Team Emirates) attackierte zwar zu Beginn der Schlusswoche, litt dann aber am Donnerstag und Freitag. | Foto: Cor Vos

Ein Zünglein an der Waage könnte natürlich der Radwechsel sein. Bei den ersten zehn Kilometern empfiehlt sich das Zeitfahrrad, für die letzten acht das Straßenrad. Roglic übte am Freitag schon mal den Radwechsel. Er stieg aus technisch-taktischen Gründen vor dem Anstieg zu den Drei Zinnen auf ein Rad mit kleineren Übersetzungen um. Das brachte ihm vielleicht auch die drei Sekunden im Schlussspurt.

Am Ende könnten aber auch die vier Sekunden den Ausschlag geben, die er als Bonifikation verlor, weil er nicht am Etappendritten Magnus Cort vorbeikam. Egal wie es ausgeht, in mindestens einem Team wird die retrospektive Suche nach den verlorenen Sekunden unterwegs einsetzen. Oder müssen sowohl Jumbo – Visma als auch Ineos Grenadiers in den Suchmodus gehen, weil Joao Almeida das Unwahrscheinliche, das fast Unmögliche gelingt? Er wäre dann auch der Fortsetzer der Jugendwelle im Straßenradsport. Aufklärung erfolgt Samstagnachmittag.

Mehr Informationen zu diesem Thema

27.05.2024Pogacar nach Giro-Triumph entspannt zur Tour

(rsn) – Die 107. Austragung des Giro d´Italia stand ganz im Zeichen von Tadej Pogacar (UAE Team Emirates). Der Slowene drückte der Rundfahrt vom Start weg seinen Stempel auf, gewann fast ein Drit

23.11.2023Buitrago will erstmals zur Tour und um das Weiße Trikot kämpfen

(rsn) – Nach zwei Giro-Etappensiegen in den beiden vergangenen Jahren hofft Santiago Buitrago (Bahrain Victorious) in der kommenden Saison auf sein Tour-de-France-Debüt. Dann möchte der Kolumbiane

31.07.2023Baudin nach Tramadol-Missbrauch vom Giro disqualifiziert

Neo-Profi Alex Baudin (AG2R - Citroen) ist nachträglich vom Giro d´Italia 2023 ausgeschlossen worden. Das teilte die UCI am Montag mit. Grund dafür ist der Fund des Schmerzmittels Tramadol in den B

04.06.2023ASO plant Corona-Protokoll für die 110. Tour de France

(rsn) – Nachdem beim diesjährigen Giro d’Italia zahlreiche Fahrer wegen Corona-Infektionen ausschieden, werden die Organisatoren der Tour de France laut der französischen Nachrichtenagentur AFP

01.06.2023“Fanboy“ Heßmann zitterte mit Roglic am Monte Lussari

(rsn) – Viel besser hätte das Grand-Tour-Debüt für Michel Heßmann (Jumbo – Visma) nicht laufen können. Während der Deutsche mit einigen Teamkollegen auf dem Monte Lussari wartete, sicherte s

31.05.2023Thomas enttäuscht, “dass ich es nicht vollenden konnte“

(rsn) – Um ganze 14 Sekunden musste sich Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) beim 106. Giro d´Italia Primoz Roglic (Jumbo – Visma) geschlagen geben. Der 33-jährige Slowene nahm dem Briten am vorle

31.05.2023Startet Giro-Sieger Roglic auch bei der Tour de Suisse?

(rsn) – Giro-Sieger Primoz Roglic wurde am Dienstag in Amsterdam von seinem Team Jumbo – Visma mit einer großen Feier geehrt. Die Veranstaltung nutzte der niederländische Fernsehsender NOS, um d

30.05.2023Pinot will nach dem Giro auch die Abschieds-Tour

(rsn) – Nach seiner erfolgreichen Abschiedsvorstellung beim Giro d’Italia, den er auf Rang fünf beendete, will Thibaut Pinot (Groupama – FDJ) nun auch ein letztes Mal bei der Tour de France sta

29.05.2023Kriegers Giro-Leiden wurden mit Rang fünf in Rom belohnt

(rsn) - Alexander Krieger (Alpecin - Deceuninck) beendete den mit vielen Tiefschlägen verbundene 106. Giro d`Italia mit einem sportlichen Ausrufezeichen. Der Stuttgarter belegte auf der Schlussetappe

29.05.2023Entdeckungen und Überraschungen: Die Geschichten des Giro

(rsn) – Vor dem 106. Giro d’Italia schien die Ausgangsposition klar zu sein: Es würde ein Duell um den Gesamtsieg zwischen Remco Evenepoel (Soudal – Quick-Step) und Primoz Roglic (Jumbo – Vis

29.05.2023Ackermanns Traum vom Sieg beim Giro-Finale endete in der Bande

(rsn) - Vor drei Jahren gewann Pascal Ackermann (UAE Team Emirates) in Madrid die Schlussetappe der Vuelta a Espana. Das Kunststück wollte der Pfälzer auch beim 106. Giro d’Italia beim Finale in R

28.05.2023Thomas lotst Cavendish in Rom zum letzten Etappensieg

(rsn) – Sieben Sprints hatte der 106. Giro d’Italia und jedes Mal gab es einen anderen Sieger. Beim letzten Akt spurtete Mark Cavendish (Astana Qazaqstan) in Rom nach 126 Kilometern mit großem Vo

Weitere Radsportnachrichten

01.04.2025Red Bull verzichtet bei Dwars door Vlaanderen auf Lazkano

(rsn) – Die im Winter runderneuerte Klassikerfraktion von Red Bull – Bora – hansgrohe kommt einfach nicht in Schwung. Stellvertretend dafür steht der mit vielen Vorschlusslorbeeren zu den Raubl

01.04.2025Pedersen auch bei der Ronde-Generalprobe nicht zu stoppen?

(rsn) – Als es beim letztjährigen Dwars door Vlaanderen knapp 70 Kilometer vor dem Ziel zu einem Massensturz kam, verletzten sich mit Wout van Aert (Visma-Lease a Bike), Mads Pedersen, Jasper Stuyv

01.04.2025CIC-Mont Ventoux muss wie bereits im Vorjahr abgesagt werden

(rsn) – Zum zweiten Mal in Folge wird die CIC-Mont Ventoux (1.1) nicht stattfinden können. Bereits im Januar hatten die Organisatoren des französischen Eintagesrennens mit Ziel am legendären Mont

01.04.2025Buchmann liegt im Plan, aber zur Topform fehlt noch ein Stück

(rsn) – Auf Platz 22 beendete Emanuel Buchmann seine Premiere bei der Katalonien-Rundfahrt. Damit befand sich der Cofidis-Neuzugang in guter Gesellschaft zwischen den beiden Visma-Routiniers Wilco K

31.03.2025Tudor auch zum Giro, Q36.5 gibt sein Grand-Tour-Debüt

(rsn) – Kurz nach der Entscheidung des Radsportweltverbands UCI, dass die Veranstalter in der großen Landesrundfahrten in diesem Jahr jeweils drei statt zwei Wildcards verteilen dürfen, hat am Mon

31.03.2025“Großvater“ Kristoff landete fast nochmal auf dem Podium

(rsn) – Zwei Monumente konnte Alexander Kristoff (Uno-X Mobility) in seiner Karriere schon gewinnen, aber auch bei Gent-Wevelgem in Flanders Fields war der mittlerweile 37-jährige Norweger schon e

31.03.2025Jakobsen muss unters Messer und steht vor langer Zwangspause

(rsn) – Spätestens nach der Saison 2022 schien der Horror-Sturz von Fabio Jakobsen (Picnic - PoostNL) aus der Polen-Rundfahrt aus dem Jahr 2020 endgültig vergessen, der heute 28-Jährige fuhr mit

31.03.2025Tudor, TotalEnergies und Uno-X bekommen die Tour-Wildcards 2025

(rsn) – Kaum hat die UCI die Bestätigung einer möglichen dritten Wildcard für die Grand Tours im Jahr 2025 bekanntgegeben, ist auch die ASO als Veranstalterin der Tour de France nun bereits vorge

31.03.2025Wiebes‘ unglaubliche Statistiken: Die Zahlen hinter der “100“

(rsn) – Ihren ersten UCI-Sieg feierte Lorena Wiebes im Jahr 2018. Das war damals im Mai beim Dorpenomloop in Aalburg, einem Rennen, das heute nicht mehr ausgetragen wird. Damals war sie 19 Jahre alt

31.03.2025UCI bestätigt Erweiterung der Grand-Tour-Pelotons auf 23 Teams

(rsn) – Nachdem sich das Professional Cycling Council (PCC) bereits für ein zusätzliches 23. Team bei den Grand Tours ausgesprochen hatte, hat nun auch das UCI Management Komitee die Entscheidung

31.03.2025Kool schafft bei Gent-Wevelgem den Befreiungsschlag

(rsn) – Auch wenn die Weltklasse-Sprinterin Charlotte Kool (Picnic – PostNL) beim überlegenen Sieg von Lorena Wiebes (SD Worx – Protime) bei Gent-Wevelgem (1.UWT) chancenlos aussah, war die 25-

31.03.2025Keßler holt dritten Platz auf Schlussetappe der Olympia´s Tour

(rsn) - Für die Teams Lotto – Kern Haus – PSD Bank und Rembe – rad-net ist mit unterschiedlichen Gefühlen eine insgesamt erfolgreiche Olympia´s Tour zu Ende gegangen und Run & Race - Wibatech

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine