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28.05.2022 | (rsn) – Auf der 20. Etappe des 105. Giro d’Italia hat Jai Hindley (Bora – hansgrohe) zum großen Schlag ausgeholt und vor dem abschließenden Zeitfahren Richard Carapaz (Ineos Grenadiers) von der Spitze der Gesamtwertung verdrängt. Der Australier nahm dem bisherigen Spitzenreiter auf den letzten Kilometern des Schlussanstiegs zum Passo Fedaia 1:28 Minuten und damit auch das Rosa Trikot ab und hat nun beste Chancen, als erster Profi seines Landes die Italien-Rundfahrt zu gewinnen.
Den prestigeträchtigen Sieg am Passo Fedaia holte sich Alessandro Covi (UAE Team Emirates), der zwei Tage nach dem Ausscheiden seines Kapitäns Joao Almeida seiner Mannschaft einen versönhlichen Abschluss der Italien-Rundfahrt bescheren konnte. Der Italiener setzte sich nach 168 Kilometern zwischen Belluno und Marmolada als Solist mit 32 Sekunden Vorsprung auf den Slowenen Domen Novak (Bahrain Victorious) durch.
Dritter wurde mit 37 Sekunden Rückstand sein Landsmann Giulio Ciccone (Trek – Segafredo). Hindley kam 2:30 Minuten hinter dem Etappengewinner als Sechster ins Ziel. Sein deutscher Teamkollege Lennard Kömna, der zuvor im Finale noch wertvolle Helferdienste geleistet hatte, belegte einen respektablen zehnten Platz.
Der Bora-Plan ging perfekt auf
“Unglaublich, alles ging heute perfekt auf. Es war unsere Taktik, dass ich in die Fluchtgruppe gehen und bei etwa 3,5 Kilometern vor dem Ziel warten sollte“, jubelte der Bremer. Einem ersten Angriff seines Kapitäns konnte nur Carapaz folgen, der allerdings fiel kurz darauf dem Tempo des Deutschen zum Opfer fiel, so dass Hindley endgültig davonziehen konnte.
"Lennard hat mir einen unglaublichen Boost gegeben und als ich hörte, dass Carapaz zurückgefallen war, habe ich alles aus mir herausgeholt“, so der neue Gesamtführende, der auf den letzten Metern seinen Vorsprung Sekunde um Sekunde ausbauen konnte. “Ich wusste, dass dies heute die entscheidende Etappe der Rundfahrt sein würde. Es war ein brutales Finale und wenn man gute Beine kann, kann man hier einiges an Zeit herausfahren“, fügte Hindley an.
Eine stark besetzte Ausreißergruppe bestimmte die mit mehr als 4.500 Höhenmetern gespickte Etappe, auf der sich Covi bereits am Passo Pordoi absetzte. Der 23-Jährige baute seinen Vorsprung auf zeitweise 2:30 Minuten aus und konnte diesen, obwohl Novak ihm noch nahe kam, verteidigen und so seinen ersten Giro-Etappensieg feiern, nachdem er im Vorjahr bereits auf einem zweiten und einem dritten Platz gelandet war.
Hindley vor dem Zeitfahren 1:25 Minuten vor Carapaz
“2021 war ich schon nahe dran. Diesmal wollte ich natürlich eine Etappe gewinnen, aber wir hatten Almeida für die Gesamtwertung und ich sollte ihm helfen“, erklärte Covi. Doch nach dem Corona bedingten Ausstieg des Portugiesen änderten sich die Bedingungen. “Für die letzten drei Etappen bekam ich freie Fahrt, und einmal wollte ich es zumindest nutzen. Ich war in der Spitze nicht der beste Kletterer und musste so schon mit Vorsprung in den letzten Anstieg gehen, deshalb hatte ich so früh angegriffen“, erklärte er seine erfolgreiche Taktik im Zielinterview.
Vor der Schlussetappe liegt Hindley nun vergleichsweise komfortable 1:25 Minuten vor Carapaz, dessen Chancen auf einen zweiten Giro-Gesamtsieg damit denkbar gering sind. Wie 2020 geht Hindley im Rosa Trikot ins abschließende Zeitfahren, damals allerdings lag er praktisch gleichauf mit Tao Geoghegan Hart (Ineos Grenadiers), der ihm damals den Gesamtsieg noch entriss. “Ob der Vorsprung auf Carapaz für das Zeitfahren groß genug ist, weiß ich nicht. Wir werden sehen, wie es läuft. Man weiß nie, wie ein Zeitfahren am letzten Tag einer dreiwöchigen Rundfahrt laufen wird, aber ich werde alles geben", zeigte sich der Spitzenreiter dann auch zurückhaltend.
Abgesehen von den ersten beiden Positionen änderte sich in den vorderen Regionen des Gesamtklassement nichts. Jan Hirt (Intermarché – Wanty – Gobert) näherte sich dem Gesamtfünften Pello Bilbao (Bahrain Victorious) bis auf zwölf Sekunden. Spannung verspricht der Kampf um Position neun, da der Etappenachte Hugh Carthy (EF Education – EasyPost) mehr als eine Minute auf Juan Pedro Lopez (Trek - Segafredo) gutmachte. Die beiden trennen vor dem Zeitfahren von Verona nur 27 Sekunden.
Buchmann bleibt bester Deutscher
Eine Sekunde geringer ist die Lücke zwischen dem Gesamtzweiten Carapaz und seinem Verfolger Mikel Landa (Bahrain Victorious), der allerdings als der schwächere Zeitfahrer gilt, den Olympiasieger aber im extrem schweren Finale der 20. Etappe ebenfalls noch abhängte.
Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) fiel zwar auf den letzten Kilometern ebenfalls zurück, konnte seinen siebten Platz in der Gesamtwertung dennoch absichern. Mann des Tages war aus deutscher Sicht sein Teamkollege Kämna, der nicht nur Hindley dessen erfolgreichen Angriff aus Rosa Trikot effektiv unterstützte, sondern auf dem letzten Kilometer auch noch Carapaz hinter sich ließ.
Koen Bouwman (Jumbo – Visma) stand bereits nach der 19. Etappe als Gewinner des Bergtrikots fest. Gleiches galt für Arnaud Démare (Grouama – FDJ) in der Punktewertung. Lopez verteidigte seine Führung in der Nachwuchswertung. Bahrain Victorious bleibt vor Bora - hansgrohe bestes Team dieses Giro.
So lief das Rennen:
Auf der letzten Bergetappe dieses Giro d’Italia eröffnete Roger Kluge (Lotto Soudal) direkt nach dem scharfen Start unter den noch 150 im Rennen verbliebenen Fahrern den Kampf um die Gruppe des Tages. Lotto Soudal hatte sich offensichtlich viel vorgenommen, denn nachdem der routinierte Deutsche gestellt war, folgten Attacken seiner Teamkollegen Sylvain Moniquet, Matthew Holmes und Thomas De Gendt.
Nach zehn aggressiv gefahrenen Kilometern kehrte kurzzeitig Ruhe im Feld ein, ehe bei ersten Regentropfen weitere vergebliche Ausreißversuche folgten. In einem ersten, nicht kategorisierten Anstieg attackierte Giulio Ciccone (Trek – Segafredo) und initiierte schließlich nach 20 Kilometern eine weitere Gruppe, zudem fiel das Feld hier in zahlreiche Gruppen auseinander. Das UAE –Duo Davide Formolo und Alessandro Covi nutzte die Vorarbeit seines Landsmannes und schlug auf hügeligem Terrain ein horrendes Tempo ein.
Im nun zeitweise stärker werdenden Regen etablierte sich nach rund 30 Kilometern schließlich die insgesamt 15 Fahrer umfassende Ausreißergruppe, in der Bora – hansgrohe durch Lennard Kämna und Bahrain Victorious durch Domen Novak vertreten war. Carapaz dagegen hatte keinen Helfer in der Spitzengruppe, zu der neben Ciccone, Formolo, Covi, Kämna, Novak und Moniquet noch Mathieu van der Poel (Alpecin – Fenix), Sam Oomen, Gijs Leemreize (beide Jumbo – Visma), Davide Ballerini, Mauri Vansevenant (beide Quick-Step Alpha Vinyl), Edoardo Zardini (Drone Hopper – Androni Giocattoli), Antonio Pedrero (Movistar), Thymen Aensman (DSM) und Andrea Vendrame (AG2R Citroën) zählten.
Bauhaus und Sütterlin sorgen im Feld für Tempo
Im Feld, in das mittlerweile alle abgehängten Fahrer zurückgefunden hatten, übernahm - nun wieder im Sonnenschein - Bahrain Victorious mit seinen beiden Deutschen Jasha Sütterlin und Phil Bauhaus die Tempoarbeit. Dennoch wuchs der Vorsprung der Fluchtgruppe schnell an und betrug nach 50 Kilometern bereits mehr als sechs Minuten.
Am ersten Zwischensprint bei Kilometer 63,5, den sich Ballerini als Tempobolzer vor Vansevenant kampflos holte, hatten die Verfolger den Rückstand nur unwesentlich reduziert. Im unmittelbar darauf folgenden Passo San Pellegrino, dem erstem der drei schweren Berge des Tages, kam es zu einer kurzzeitigen Teilung des Spitzengruppe. Landas Helfer Novak beteiligte sich nicht an der Arbeit, woraufhin Kämna die daraus entstehende Lücke schließen musste und sich danach beim Slowenen über dessen Passivität beschwerte. Auch zwischen van der Poel und Ciccone kam es zu einem Wortwechsel.
Dagegen herrschte im Feld Einigkeit: Sprinter Bauhaus präsentierte sich in starker Verfassung und führte die Verfolger den Großteil des knapp zehn Kilometer langen und acht Prozent steilen Pellegrino hinauf, ehe er rund drei Kilometer vor dem Gipfel an Sütterlin übergab. An der Spitze sorgte weiter vor allem Ballerini für Tempo, doch auf 1.145 Metern Höhe überquerte Formolo als erster den Pellegrino.
Covi holt sich am Passo Pordoi die Cima Coppi
Auch im danach anstehenden zwölf Kilometer langen Anstieg zum Passo Pordoi, mit seinen 2.236 Metern das Dach des diesjährigen Giro, änderte sich an der Konstellation zunächst nichts, außer dass vor Landa nun Wout Poels, Santiago Buitrago und Pello Bilbao für Tempo sorgten, wobei der Abstand relativ konstant bei rund fünf Minuten blieb. Schon am Fuß des Pordoi Passes fiel Vendrame, der Fünfte der 19. Giro-Etappe, aus der Spitzengruppe zurück, wogegen Sprintspezialist Ballerini unverdrossen für Tempo sorgte, ehe Covi 53 Kilometer vor dem Ziel davonzog.
Als Folge der Attacke zerfiel die Spitzengruppe endgültig, auf die Verfolgung von Covi machten sich Kämna, Novak, Arensman, Ciccone Formolo und Pedrero, doch der Italiener konnte seinen Vorsprung beständig ausbauen und holte sich die Cima Coppi souverän mit 1:25 Minuten Vorsprung auf die Verfolgergruppe, zu der noch das Jumbo-Duo Oomen und Leemreize wieder aufgeschlossen hatte. Das Feld folgte fast sechs Minuten hinter dem Spitzenreiter, der in der langen Abfahrt den Abstand auf die Kämna-Gruppe auf rund 2:30 Minuten ausbauen konnte
Kurz vor dem Schlussanstieg schaffte auch der unermüdliche Ballerini den Anschluss an die Verfolgergruppe, aus der er nach ersten Tempoverschärfungen durch Ciccone aber schnell wieder herausfiel. Im Feld, das sechs Minuten nach Covi den letzten Berg dieses Giro in Angriff nahm, arbeitete weiterhin Bahrain Victorious für Landa, wogegen sich Ineoes und Bora – hansgrohe mit ihren Kapitänen Carapaz und Hindley dahinter aufhielten.
Hindley schüttelt Carapaz am Passo Fedaia ab
Als es kurz nach dem Bonussprint, den Covi 2:30 Minuten vor den ersten Verfolgern erreichte, auf die extrem steilen finalen fünf Kilometer ging, hatten Oomen, Leemreize und Kämna den Anschluss an Arensman, Ciccone, Pedreiro und Novak verloren. Nachdem er sich zuvor nicht an der Tempoarbeit beteiligt hatte, machte sich Novak dann aber auf die Verfolgung von Covi, dessen Vorsprung schnell auf rund eine Minute schrumpfte.
Bei den Favoriten schraubte Ineos Grenadiers durch Pavel Sivakov das Tempo hoch, wodurch unter anderem Buchmann, Nibali und Valverde den Anschluss verloren. Schnell dünnte die Gruppe auf sechs Fahrer aus: Neben Sivakov und seinem Kapitän Carapaz, Hindley, Landa, Hugh Carthy (EF Education – EasyPost) und Jan Hirt (Intermareché – Wanty – Gobert).
Als dann aber der Bora-Kapitän ein erstes Ma antrat, konnte nur der Träger des Rosa Trikots folgen. Das Duo schloss zu Kämna auf, der auf seinen Kapitän gewartet hatte und sich prompt in den Dienst seines Teamkollegen stellte. Als Hindley bemerkte, dass Carapaz große Probleme hatte, attackierte er sofort und kam geradezu mühelos weg. Kämna konnte sogar noch das Hinterrad des Ecuadorianers halten, der verzweifelt versuchte, sein Rosa Trikot zu verteidigen.
Covi kann Novaks späten Angriff abwehren
Doch der wie entfesselt fahrende Hindley konnte seinen Vorsprung Meter um Meter ausbauen, wogegen Carapaz sogar noch Carthy und Landa, der zunächst hatte passen müssen, an sich vorbeiziehen lassen musste. Letztlich handelte sich der Giro-Sieger von 2019 fast 1:30 Minuten Rückstand auf Hindley ein und landete sogar noch eine Position hinter Kämna auf Rang elf.
Zu diesem Zeitpunkt feierte Covi schon seinen Coup. Zwar betrug sein Vorsprung eingangs der letzten beiden Kilometer nur noch 30 Sekunden, doch danach kam Novak nicht mehr näher an ihn heran und musste sich mit Rang zwei begnügen, nur knapp vor Ciccone, der wiederum seinen zweiten diesjährigen Giro-Etappensieg knapp verpasste.
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