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23.04.2020 | (rsn) - Die Israel Start-Up Nation ist alles andere als ein alltägliches WorldTour-Team. Der Rennstall wirbt nicht für ein Produkt, sondern für ein ganzes Land. Sylvan Adams, der Mann, der hinter dieser Idee steckt, ist ebenso außergewöhnlich. In einer mehrteiligen Interview-Serie beleuchtet radsport-news.com seine Visionen. Das auf Englisch geführte Interview übersetzte Michael Hürlimann ins Deutsche.
Teil 3: Adams verrät, wie er Nils Politt zum Bleiben überredete, als der nach dem Ende von Katusha gute Angebote von anderen Teams erhalten hatte, und warum er André Greipel zur Israel Start-Up Nation lotste. Außerdem erklärt er erstmals auch, warum die Übernahme des Katusha-Rennstalls so schwierig war und so lange dauerte.
Sie übernahmen den Katusha-Rennstall. Wie funktionierte das rechtlich? Ihre Fahrer hatten einen Vertrag mit der Israel Cycling Academy mit Ihnen als Teambesitzer. Die Fahrer von Katusha besaßen einen Vertrag mit der KMSA – Katusha Management SA. Am Ende übernahm ihre Firma Israel Cycling Academy, die Lizenz von Katusha. Was passierte mit Ihrer Lizenz? Wurde sie nichtig?
Adams: Wir haben bei der UCI zwei Bewerbungen eingereicht, denn wir wussten nicht, wie die Reaktion (von Katusha) ausfallen würde. Geprüft wurde aber nur die WorldTour-Bewerbung. Wir haben alle Fahrer zur Israel Cycling Academy transferiert, zur Entität Israel Cycling Academy, die sich um eine WorldTour-Lizenz beworben hat. Diese Entität wird auch 'paying agent‘ genannt.
Das heißt, dass die ehemaligen Katusha-Fahrer einen neuen Vertrag unterschreiben mussten?
Adams: Genau, mit der Israel Cycling Academy.
Und die ICA-Fahrer behielten einfach ihre Verträge?
Adams: Korrekt.
Auch wenn die Mannschaft in ein WorldTour-Team umgewandelt wurde? Es geht um Details wie beispielsweise unterschiedliche Mindestlöhne.
Adams: Das glaube ich nicht einmal. Ich denke, die Mindestlöhne auf Stufe ProContinental und WorldTour sind dieselben. Das ist ein Grund dafür, dass die Verträge der Fahrer, die bereits einen Vertrag für 2020 hatten, einfach weiterlaufen konnten. Wir haben keine Fahrer mehr verpflichtet, nachdem wir ernsthaft angefangen hatten, mit Katusha zu verhandeln. Denn wir wussten, dass wir einige von ihren Fahrern verpflichten würden, wenn auch nicht genau, wie viele. Als wir dann mit der Zusammenlegung der Teams fertig waren, haben wir noch einen Fahrer dazu geholt, womit wir 30 waren.
Es wurde kolportiert, Sie hätten die Lizenz von Katusha für einen Euro pro Jahr für drei Jahre gemietet?
Adams: Wir haben die Lizenz nicht gemietet, wir haben sie gekauft. Man kann etwas nicht für drei Jahre kaufen, sondern eigentlich nur permanent. Mit den drei Jahren hat es etwas auf sich, aber ich möchte nicht auf die genauen Einzelheiten eingehen, da es sich um einen privaten Vertrag zwischen den Parteien handelt. Aber wir haben die Lizenz gekauft, nicht gemietet.
Dann könnte man auch ein, zwei Jahre dranhängen?
Adams: Es ist komplexer als das, denn wir haben die Lizenz gekauft.
Also haben Sie die Lizenz erworben, aber nicht Katusha Management SA?
Adams: Das ist falsch, wir haben Katusha Management SA aufgekauft. Aber Katusha Management SA beinhaltete nichts anderes als die Lizenz. Wir haben alle Vermögenswerte aus Katusha Management SA genommen und zur Israel Cycling Academy transferiert.
Das ist ein zentraler Punkt fürs Verständnis. Wenn Fahrer und Angestellte einen Vertrag mit KMSA haben und Sie diese dann aufkaufen, dann gehören Ihnen diese Verträge ebenfalls. Das hieße dann, dass die Katusha-Fahrer bereits bei Ihnen unter Vertrag standen, aber nicht bei Israel Cycling Academy?
Adams: Nein, fangen wir nochmal von vorne an. Alle Fahrer und alle Angestellten stehen bei Israel Cycling Academy unter Vertrag. KMSA ist leer. Es war eine Bedingung des Abkommens, dass wir zuerst alle Vermögenswerte aus KMSA herausnehmen würden, so dass KMSA, als wir es kauften, nur noch im Besitz der Lizenz war.
Okay, dann blieb also niemand zurück?
Adams: Korrekt. Wir mussten allen versprechen, dass sie ein Zuhause haben würden. Das ist ziemlich kompliziertes Businesszeugs. Warum seid ihr Jungs daran so interessiert? Es geht hier um Logistik und übrigens mussten wir die Köpfe zusammenstecken, um herauszufinden, wie wir das Unternehmen richtig zu strukturieren hatten. Darum sind eure Fragen schwierig und sie beziehen sich auf die Herausforderungen, die wir bei der Zusammensetzung des Teams hatten. Am Ende haben wir einen Mechanismus gefunden, der für alle funktioniert und der allen Schutz bietet. Aber ich weiß nicht, wieso das für Ihre Leserschaft interessant ist?
Für uns ist es interessant, das genau nachvollziehen zu können. Uns wurde stets erzählt, dass Fahrer wie Politt noch einen Vertrag hatten (Adams: Korrekt!) und dass sie deshalb zu Israel Cycling Academy wechseln mussten. Aber das ist dann eigentlich nicht richtig, denn sie haben ja mit Ihnen einen neuen Vertrag unterzeichnet.
Adams: Genau, das haben sie.
Das heißt, ihnen hätte es freigestanden, das Team zu verlassen?
Adams: So einfach ist es nicht. Erstens wollte niemand wirklich gehen. Sie haben verstanden, was wir vorhatten. Ich habe Nils persönlich getroffen…
Bei der WM in Yorkshire?
Adams: Ja, genau! Das war das erste Mal, dass ich ihn getroffen habe. Er war sich nicht so sicher. Wir hatten ein paar Telefongespräche. In dem Moment, als die Gespräche zu Ende waren, fühlte er sich wohl. Am Anfang hatte er das Gefühl, eine Kuh zu sein, die unter reichen Leuten verschachert wird. Ich versicherte ihm, dass das nicht der Fall sei. Ich habe ihn gefragt, ob er Makarov jemals getroffen habe. Er antwortete, dass er ihn bei der Teampräsentation gesehen habe. Bei uns ist das anders. Jeder hier ist Teil der Familie. Ich bin der Vater der Familie.
Genau das ist der Grund, warum wir die Fragen stellen. Wie gesagt, denken viele, dass die Katusha-Fahrer mit laufendem Vertrag zu ICA wechseln mussten und es entstand der Eindruck, dass sie das nicht wirklich wollten.
Adams: Das ist wirklich weit von der Wahrheit entfernt. Der einzige, der gewisse Vorbehalte anmeldete, war Nils. Er fühlte sich gekränkt. Er ist im Übrigen sehr freundlich, denn ich traf ihn direkt nach dem WM-Rennen, als er noch müde und enttäuscht war, denn er hatte eine reelle Chance gehabt zu gewinnen. Er sagte mir, er wolle kein Spielzeug reicher Leute sein. Das ist ein berechtigter Kritikpunkt. Aber kein anderer Fahrer hatte ähnliche Bedenken. Also sollte man nicht von einem auf alle schließen. Es war nur ein Fahrer und im Endeffekt kann ich mir den guten Ausgang wohl selber gutschreiben, denn ich war der einzige, der mit Nils gesprochen hat. Und dass ich ihm genug Vertrauen vermitteln konnte, so dass er an uns glaubte und zum Team wechselte. Niemand wurde gezwungen, zu unserem Team zu kommen.
Das war genau der Grund, wieso es wichtig war, Ihnen diese technischen Fragen zu stellen. Viele hatten den Eindruck, dass die Fahrer hatten wechseln müssen.
Adams: Das ist ein falscher Eindruck. Wie ich gesagt habe, könnte man bloß Nils als "gezwungen“ betrachten, wobei gezwungen ein großes Wort ist. Ich habe ihn während unserer Gespräche informiert, dass er einen Vertrag habe, aber das ist nicht die Art und Weise, wie ich ihn überzeugt habee. Und er musste sowieso bei ICA noch unterschreiben. Das heißt, er hätte die Möglichkeit gehabt, den Vertrag auszuschlagen, wenn er wirklich nicht gewollt hätte.
Aber wenn er nicht unterschrieben hätte, hätte er immer noch einen Vertrag mit KMSA gehabt und wäre der einzige gewesen, der auf der Strecke geblieben wäre.
Adams: Er hätte keine Schwierigkeiten gehabt, ein anderes Team zu finden. Aber wir wollten ihn in unserem Team. Er hat das gemerkt. Ich habe ihm erzählt, dass wir versuchten, Greipel unter Vertrag zu nehmen und das hat ihn wirklich beeindruckt. Das hat ihm gezeigt, dass wir es ernst meinten und dass wir das Team um ihn herum bauen wollten. Das hat ihm sehr gefallen. Ich erzählte ihm auch, dass wir Rick Zabel behalten würden. Ich habe ihm die richtigen Dinge mitgeteilt. Wir haben einen Fahrer verloren, den er halten wollte. Das war Jens Debusschere. Wir haben ihn verloren, obwohl Nils ihn wollte, denn ihm war von Katusha gesagt worden, dass er sich nach einem anderen Team umsehen könne. Am Ende hatte er bereits einen Vertrag unterschrieben. Das heißt, wir haben bloß einen Fahrer aus den Gründen, die sie erwähnen, verloren. Nicht, dass er nicht zu uns kommen wollte, sondern, weil Katusha ihm mitgeteilt hatte, dass er gehen könne. Mehreren Fahrern wurde mitgeteilt, dass sie gehen könnten. Aber sie hatten im Gegensatz zu einem Burschen wie Nils, der zu irgendeinem Team hätte wechseln können, keine andere Option.
Politt schickte sich dank Canyon an, zu Movistar zu wechseln. Canyon wollte sich seinetwegen stärker als Sponsor beim Team engagieren. In seinem Kopf war er also schon auf dem Weg zu Movistar, aber dann wurde ihm gesagt: Du wechselst nicht dahin. Darum fühlte er sich gekränkt. Am Ende wäre Movistar wohl auch keine gute Wahl gewesen.
Adams: Warum?
Movistar hat keine Klassikerfraktion. (Adams pflichtet bei.) Vielleicht hätten sie aber auch Greipel verpflichtet…
Adams: Das hätten sie nicht. Ich bin froh, dass Sie das von sich aus gesagt haben, denn Nils wusste das auch. Was Sie wissen, wusste auch er. Ich habe ihm bereits in Yorkshire gesagt, dass wir ein Klassikerteam um ihn herum aufbauen. Wir hatten noch nie ein Klassikerteam. Wir werden jetzt das Klassikerprogramm um ihn herum gestalten. Der Junge ist ein riesiges Talent. Wir werden Paris-Roubaix gewinnen. Das ist eines meiner Ziele.
Sie erwähnten André Greipel. Politt wollten ihn im Team haben?
Adams: Nils wollte ihn unbedingt. Die beiden sind sehr gute Freunde. Ich denke, wir haben ein gutes Team zusammengekriegt. Besonders mit den deutschsprachigen Fahrern. Ich denke, dass sie eine gute Kerngruppe darstellen werden. Hoffentlich können wir sie zusammen einsetzen. Sie vertrauen einander, das ist wichtig. Auch im Allgemeinen sehe ich eine gute Integration der Fahrer. Die zwei Teams scheinen sich trotz der Schwierigkeiten bei der Fusion sehr gut zu finden.
Haben Sie Greipel nur deshalb geholt, weil er ein guter Freund und Trainingspartner von Nils Politt ist?
Adams: Greipel ist ein sehr guter Lehrer und Anführer. Er ist ein sehr beständiger Fahrer, nicht nur ein Siegertyp und starker Sprinter, sondern auch eine äußerst respektierte Persönlichkeit. Wir dachten, da wir bereits eine Gruppe deutscher und deutschsprachiger Fahrer - unter anderem auch mit Brändle - haben, dass es ein kluger Schachzug sei. Und Greipel war natürlich nicht zufrieden, wo er war. Da wir die Gruppe zusammen hatten, die wir haben, war er begeistert, dazu zu stoßen und eine Art von Mentor für sie zu sein.
Sie haben uns von drei Zielen erzählt. Das erste ist der Gewinn eines Klassikers oder Monuments. Welches sind die anderen zwei?
Adams: Ich würde sagen, mindestens ein Etappensieg in mindestens einer Grand Tour. Aber das ist ein sehr tief angesetztes Ziel, denn ich hoffe, dass wir in jeder Grand Tour eine Etappe oder möglicherweise zwei gewinnen. Wir haben ein paar gute Klassementfahrer. Ich will, dass zum ersten Mal ein Israeli an der Tour de France teilnimmt und sie zu Ende fährt. Das ist ein gutes Ziel. Und ich habe ein viertes Ziel. Ich möchte ein Top-10-Ergebnis im Gesamtklassement einer Grand Tour.
Mit Daniel Martin?
Adams: Ja.
Die Team-Aufstellung ist in der Verantwortung von Manager Carlström?
Adams: Ja. Erstens, ich werde in die Auswahl der GrandTour-Teams involviert sein. Ich werde sie nicht selber auswählen, aber ich will am Tisch sitzen, wenn wir die Fahrer bewerten. Ich tue das nicht für viele Rennen. Ich mache das sonst noch für die Grand Prix Québec und Montréal, da beides Heimrennen für mich sind. Aber ich will einen Sitz am Diskussionstisch, während sie über die Grand Tours debattieren. Ich möchte imstande sein, meine Meinung dazuzugeben. Die Grand Tours bedeuten eine gewisse Sichtbarkeit und ich möchte sicherstellen, dass wir zusätzlich zu sportlichen Überlegungen einen angemessenen Auftritt und die richtige Sichtbarkeit haben. Zum Beispiel möchte ich einen Israeli bei der Tour de France. Das ist eine Voraussetzung für die sportliche Leitung. Selbst wenn er nicht unter den acht besten Jungs für das Rennen ist, muss einer dabei sein.
Wissen Sie bereits, wer es sein wird?
Adams: Nein. Es wird davon abhängen, wie sie sich davor schlagen. Sie wissen das und ich habe sie schon damit aufgezogen. Ich sagte zu ihnen: Ich habe es den Medien bereits verkündet, dass wir einen Israeli zur Tour schicken. Wer von euch wird es sein?
Es gibt also Wettbewerb im Team?
Adams: Das hoffe ich.
Das setzt die Fahrer aber auch unter Druck, da sie das Land repräsentieren werden.
Adams: Sie haben sich dafür entschieden, Berufsradsportler zu werden. Also müssen sie sich an den Druck gewöhnen.
Sylvan Adams gehört zu den reichsten Leuten in Israel. Er übernahm 1992 von seinem Vater das milliardenschwere kanadische Immobilien-Unternehmen Iberville, das der gelernte Gerber aus einfachsten Verhältnissen aufgebaut hatte. Adams vergrößerte das Vermögen. In den 80er Jahren lernte er bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz in einem Kibbuz seine in Großbritannien geborene Frau Margaret kennen. Das Paar bekam vier Kinder. Adams bezeichnet sich als "Zionist“.
In Teil 4 erklärt Adams, wie schwer es ist, muslimische Fahrer für sein israelisches Team zu gewinnen.
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