Zur Israel Start-Up Nation gehören auch Muslime

Adams: “Wir wollen zeigen, dass Sport Brücken bauen kann“

Von Felix Mattis und Joachim Logisch

Foto zu dem Text "Adams: “Wir wollen zeigen, dass Sport Brücken bauen kann“ "
Sylvan Adams (recht) ist auch mehrmaliger Weltmeister im Einzelzeitfahren seiner Altersklasse | Foto: Noa Arnon

24.04.2020  |  (rsn) - Die Israel Start-Up Nation ist alles andere als ein alltägliches WorldTour-Team. Der Rennstall wirbt nicht für ein Produkt, sondern für ein ganzes Land. Sylvan Adams, der Mann, der hinter dieser Idee steckt, ist ebenso außergewöhnlich. In einer mehrteiligen Interview-Serie beleuchtet radsport-news.com seine Visionen. Das auf Englisch geführte Interview übersetzte Michael Hürlimann ins Deutsche.

Teil 4: Adams erklärt, wie schwer es ist, muslimische Fahrer für sein israelisches Team zu gewinnen und wie er Vorurteilen gegenüber Israel begegnet.

Ist es ein Problem für die Israel Start-Up Nation, dass sie aus Israel kommt? Sie haben erwähnt, dass es keine Fahrer gegeben habe, die Bedenken hatten, von Katusha zu Ihnen zu wechseln. Gab es niemanden, der sich abweisend verhielt, nicht aufgrund der Religion, sondern…
Adams: Sagen Sie es bloß! Aufgrund von Vorurteilen. Es gibt Vorurteile gegenüber Israel. Leute, die das Land nicht kennen, uns nicht mögen und uns allerlei üble Dinge an den Kopf werfen. Nennen Sie es beim Namen. Fürchten Sie sich nicht, es auszusprechen. Es ist leider die Wahrheit. Ich habe, was sie beschreiben, nie erlebt außer bei einem Fahrer.

Können Sie uns darüber erzählen?
Adams: Ich mag es nicht wirklich, negative Geschichten zu erzählen. Aber ich werde zwei solche erzählen. Wir haben vor zwei Jahren den türkischen Zeitfahrmeister [Ahmet Örken] unter Vertrag genommen. Als er nach Hause in sein Dorf in der Türkei kam, sagte der Imam des Ortes zur Familie, dass er und seine Leute es nicht mögen, dass ihr Sohn für das israelische Team fährt. Er war so glücklich bei uns. Er war bei uns im Trainingscamp. Sein Englisch verbesserte sich von Tag zu Tag. Er ging aus sich heraus und ist ein wirklich guter Fahrer. Ich mochte ihn sehr. Wir versuchen zu zeigen, dass Sport Brücken bauen kann, dass wir offen, frei und tolerant sowie pluralistisch und demokratisch sind. Wir versuchen zu zeigen, dass wir all das verkörpern. Es war toll, dass wir ihn bei uns im Team hatten und ich war wirklich glücklich damit. Als er erfuhr, was ich vorhin berichtet habe, sagte er uns, er müsse das Team verlassen. Er weinte, als er uns das erzählte.

Haben Sie versucht, die Familie zu überzeugen?
Adams: Wir sandten zwei Leute von unserem Team, darunter den Sportlichen Leiter Lionel Marie zu ihm. Lionel kannte ihn, da er Sportlicher Leiter in der Türkei gewesen war. So haben wir ihn auch rekrutiert. Die zwei trafen die Familie, um zu versuchen, sie von der Entscheidung abzubringen. Aber sie hatten einfach richtig Angst und waren eingeschüchtert. Ihnen war bange um ihre Stellung in der Gemeinschaft. Sie leben in einem kleinen Dorf mitten auf dem Land in der Türkei. Da weiß man nicht, was zum Beispiel mit dem Familiengeschäft hätte passieren können. Sie hätten von der Gemeinschaft geächtet werden können. Es ist schrecklich, schreckliche Vorurteile! Herzzerreißend. Wo ist dieser Junge jetzt? Ich sehe ihn jedes Jahr bei der Türkeirundfahrt. Damit hat es sich. Er war der erste türkische Fahrer, der jemals auf ProConti-Level fuhr – und er musste aufhören.

Wer war der Zweite?
Adams: Beim zweiten Mal, dass ich das erlebt habe, handelte es sich ebenfalls um einen muslimischen Fahrer, um den wir uns bemüht hatten. Ich werde Ihnen den Namen nicht nennen. Aber er war damals vertragslos. Heute hat er einen Vertrag, er fährt in der WorldTour. Er sagte, er wolle nicht für Israel fahren.

Von sich aus?
Adams: Ja, er sagte es von sich aus. Ich habe das also zwei Mal erlebt. Aber niemals, nie von anderen, "normalen“ Fahrern. Es ist eine Sorge, die uns beschäftigt. Wir wissen, dass wir in der Welt schlecht behandelt werden. Vorurteile zu überwinden ist einer der Gründe, warum ich Botschafter bin und zeigen will, dass Israel ein normales Land ist. So dass man sieht, dass Israel sicher, offen und tolerant ist.

Inwiefern?
Adams: Israel hat die größte Gay Pride Parade in der Region– es gibt überhaupt keine anderen Pride Parades im Mittleren Osten. Die Leute beschuldigen uns trotzdem und bezichtigen uns des "Pink Washings“. Dasselbe mit dem Sport. Dort bezichtigen sie uns des "Sport Washings“. Was auch immer wir tun, wir lenken angeblich von etwas ab. Wir leben nicht einfach wie normale Leute. Alles sei eine Strategie, die wir entwickelt hätten. Dass wir eine große Gay Community und Gay Pride haben, das alles sei eine Strategie, die wir nutzen, um unsere Verbrechen und Sünden zu vertuschen. Ernsthaft, Leute? Verschont mich! Um Ihre Frage zu beantworten: Nein, es ist generell kein Problem. Ich kann diese zwei Vorfälle zitieren. Und ja, wir haben einen Muslim und einen Drusen in unserem Team. In Israel sind 20 Prozent der Leute Araber. Wir haben einen Muslim aus Marokko und einen Drusen in unserem Continental-Team.

Wie sieht es bezüglich der Angst einiger Fahrer aus? Bei einigen Leuten sind es vielleicht nicht einmal Vorurteile gegenüber Israel, sondern einfach nur Unkenntnis, warum sie sich für ein Team in einem anderen Land entscheiden.
Adams: Gute Frage. So etwas in Bezug auf Angst habe ich noch nie erlebt und ist mir auch noch nie zu Ohren gekommen. Vielleicht räumen das Fahrer jedoch auch nicht ein… Aber ich bin auch nicht der Scout, der Fahrer rekrutiert und der die ersten Diskussionen führt.

Bei Nils Politt haben Sie aber maßgeblich mitgeholfen
Adams: Dass ich persönlich mit Nils sprach, war die Ausnahme. Nur bei wenigen Fahrern habe ich persönlich interveniert und versucht, sie davon zu überzeugen, dass wir ein solides Programm haben. Ich habe das nur in ein paar strategischen Fällen gemacht, wo ich mir dachte, dass es Gewicht hätte, wenn der Teameigentümer mit den Fahrern sprechen würde. Ich habe das (die Angst) selber nie persönlich erlebt, da müssten sie unseren Sportdirektor Kjell Carlström fragen. Aber es ist einer von vielen Gründen, warum wir das Trainingscamp in Israel abhalten, so dass die Fahrer das ganze Land kennenlernen. Rudy Barbier kam letztes Jahr hierher fürs Trainingscamp. Er sagte mir: "Ich verstehe das nicht. Alle haben mir erzählt, das Land sei voller Soldaten. Wir sind jetzt eine Woche hier gewesen und ich habe nicht einen einzigen Soldaten gesehen. Wenn man nach Paris geht, sieht man hunderte oder tausende Soldaten in den Straßen." Wir versuchen ihnen zu zeigen, dass dies das Land ist, wie es ist, kein Fake, nicht Hollywood. Kommt, seht und erlebt es selber!

Sind die Vorurteile nicht auch verständlich? Denn zum Bild, das die Welt von Israel hat, ist, gehört auch der Krieg, der gleich um die Ecke ist!
Adams: Das alles stimmt. In meiner Rolle als Botschafter lade ich jedes Jahr eine Gruppe kanadischer Parlamentarier ein. Von allen Parteien. Sie kommen nur zum Besuch nach Israel. Ich frage sie als Gastgeber jeweils als Erstes: Wie viele von euch haben Familie oder Freunde, die euch gefragt haben, ob ihr wirklich nach Israel reisen wollt? Aber schon am folgenden Tag können wir drüber lachen, sobald wir in der Stadt rumlaufen und sie sehen, wie es bei uns wirklich ist!

Sylvan Adams gehört zu den reichsten Leuten in Israel. Er übernahm 1992 von seinem Vater das milliardenschwere kanadische Immobilien-Unternehmen Iberville, das der gelernte Gerber aus einfachsten Verhältnissen aufgebaut hatte. Adams vergrößerte das Vermögen. In den 80er Jahren lernte er bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz in einem Kibbuz seine in Großbritannien geborene Frau Margaret kennen. Das Paar bekam vier Kinder. Adams bezeichnet sich als "Zionist“.

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