Guadeloupe-Tagebuch von Hermann Keller

Ob die Gelbwesten Guadeloupe infiltriert haben?!

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Ob die Gelbwesten Guadeloupe infiltriert haben?!"
Hermann Keller (Embrace the World, li) und seine Teamkollegen bei der Tour de Guadeloupe| Foto: Embrace the World

08.08.2019  |  (rsn) - Heute stand für uns die 5. Etappe an. Das Profil sollte flach sein mit einem Berg gegen Ende. Das "flach“ ersetzen wir sicherheitshalber mal mit "hügelig“. Um fast Punkt 8 Uhr charterten wir den Bus. Der Transfer war nicht allzu lang und somit hatten wir vor Ort noch etwas Zeit, uns mental auf das Rennen vorzubereiten. Peschgi war danach so aggressiv, dass er direkt eine Bank zerschmetterte.

Bevor ich mit der Erzählung zum Rennen beginne, eine Quizfrage: Wie viel Fahrer braucht ein Team, um eine Etappe zu gewinnen? Die Antwort folgt!

Als es losging mit dem Rennen, merkte ich schnell, das es ein sehr anstrengender Tag für mich werden würde. Ich fühlte mich einfach nicht frisch und war noch vor dem ersten gefahrenen Kilometer schon in der Wagenkolonne. Doch plötzlich stoppte das Rennen abrupt. Als hätten die Einheimischen mein Gefluche gehört, legten sie ein paar Autoreifen quer über die Straße und zündeten sie an. Ob die Gelbwesten Guadeloupe infiltriert haben?

Nach kurzer Wartezeit ging mein Leiden jedenfalls weiter. Hin und wieder schaffte ich es an die Spitze des Feldes, nur um die in Sprinterkreisen bekannte “Steintaktik“ zu fahren. Ich fuhr also vorne in den Berg hinein, in der Hoffnung, am Ende des Berges noch am Ende des Feldes zu sein. Es funktionierte häufig, aber nicht immer. Auch Basti war sehr häufig in meiner Nähe, da es ihm heute auch nicht so gut erging.

Während wir uns also hinten abmühten, im Feld zu bleiben, war der Wingman (Simon Wingen) wieder einmal verschollen. Allerdings war er diesmal an der Spitze des Feldes und jagte so ziemlich jeder Spitzengruppe hinterher, die er sah. So wurde mir zumindest berichtet.

Als ich mich so durch die Hügel schleppte, kam mir auf einmal Marcel Fröse vom Matrix Team entgegen. Ein bisschen stolz war ich auf diese Entdeckung, da es mittlerweile doch eher ein seltener Fund im Peloton ist, einen Matrix-Fahrer zu sichten. Auch er wirkte nicht mehr so frisch, was ich ihm dann auch sagte. Mit dieser Aussage behielt ich nicht ganz Recht, dazu dann später mehr.

Bei Kilometer 90 und 111 warteten noch zwei Bergwertungen auf uns, bei denen ich mir aber Hoffnungen machte, nicht abgehängt zu werden, um dann später in einen eventuellen Sprint einzugreifen. Wie in alten Zeiten, als ich noch Träger des Bergtrikots war, pedalierte ich den Anstieg hinauf, um ihn nur wenige Positionen hinter Freddy zu erklimmen. Auch der 48 Kilogramm leichte aktuellee Träger des Bergtrikots war nicht weit entfernt, ich befand mich also wirklich in bester Gesellschaft. Bergkönige unter sich… dachte ich, bis Duffi an der Seite überholte und auch Simon wenige Minuten später auftauchte. Der Berg war wohl einfach nicht so schwer wie erwartet. Auch die zweite Bergwertung war nicht allzu schwer, weshalb ein Massensprint gar nicht mehr so absurd erschien.

Das Feld schlängelte sich die Abfahrt hinab, passierte einen am Boden liegenden Kameramann des Kameramotorrads (ihm geht es hoffentlich gut, es sah aber so aus, als hätte er sich den Arm gebrochen) und begab sich auf die Verfolgung einer zuvor enteilten Spitzengruppe. Ich befand mich recht weit hinten im Feld, so dass die Zuschauer und Betreuer, welche uns Getränke reichen, leider schon ausverkauft waren, bis ich sie passierte. Der Durst wurde größer, aber die Distanz zum Ziel nicht wirklich kleiner.

Gerade als ich in einer langgezogenen Rechtskurve eine Flasche annehmen wollte, wurde sie mir von Timo Niesing, dem zweiten Matrix Fahrer im Rennen, vor der Nase weggeschnappt. Dies war ihm aber vergönnt, da er mir wenige Kilometer zuvor einen Schluck aus seiner Trinkflasche gab. Was jedoch wirklich faszinierend war, im selben Moment erkannte ich an der Spitze des Feldes Marcel Fröse, der gerade attackierte. Ich sah also beide Matrix Fahrer zur selben Zeit.

Ich sah, wie sich Fröse seinen Weg durch die kurz vor der Einholung stehende Spitzengruppe bahnte und direkt weiterzog. Den Erzählungen nach fand er auf dem Weg noch zwei weitere Begleiter, die aber nicht begeistert von der Idee der Führungsarbeit waren.

Im Feld wurde, wieso auch immer, noch einmal kurz Tempo herausgenommen, bevor es dann richtig mit der Verfolgung losging. Der Plan war, mit Simon und Peschgi in die Verfolgung mit einzusteigen, so dass Duffi und ich dann den Sprint fahren können. Simon hatte zuvor schon viel gearbeitet, wurde dann aber von einem Defekt ausgebremst. Es war sehr chaotisch, durch viele kurze Hügel, Kreisverkehre und die ein oder andere scharfe Kurve. Das Feld schaffte den Anschluss leider nicht ganz, was dann auch zu der Antwort der zu Beginn gestellten Frage führt.

Ein Team braucht zwei Fahrer im Rennen. Fröse gewann nach einer Solofahrt (mit zwei Begleitern) die Etappe im Sprint, wenige Sekunden später sprintete das Feld in eine Verfolgergruppe hinein um Platz vier. Mir wurde das Ganze dann etwas zu gefährlich und ich nahm die Beine hoch, was dann zu einem 26. Platz führte. Dafür sind alle heil ins Ziel gekommen und der Capitano hat keine Zeit verloren.

Viel Zeit für Spaß blieb nicht mehr, denn uns allen (vor allem unserem Zimmer) graut es vor der morgigen Königsetappe mit Schlussanstieg. Vor dem Rennen ist bekanntlich nach dem Rennen, daher bedienten wir uns noch fleißig am Buffet.

Wünscht mir Glück, die Zeit ist gegen uns!

Ängstliche Grüße,

Hermann

Mehr Informationen zu diesem Thema

12.08.2019Selten so einen Mannschaftsgedanken erlebt

(rsn) - Ein letztes Mal sage ich Hallo aus Guadeloupe, heute stand die letzte Etappe an. Die Strecke war anfangs hügelig mit zwei kleinen Bergwertungen und führte dann auf einen welligen Rundkurs.

11.08.2019Als Zombie aufgewacht, aber gut gelaunt eingeschlafen

(rsn) - Hallo und guten Morgen zum nächsten Eintrag. Auf dem heutigen Plan stand zuerst ein Straßenrennen über 86 Kilometer und danach ein Einzelzeitfahren über 24 Kilometer. Als ich aufwachte, da

10.08.2019Wieso sind hier alle so gemein zu mir?

(rsn) - Liebes Tagebuch, wieso sind hier alle so gemein zu mir? Der Tag begann eigentlich sehr gut, denn auf dem Plan stand eine eher entspannte Etappe. Nur ein Berg zu Beginn, den wir aber schon kan

09.08.2019Während Freddy den Berg hochflog, flogen hinten die Fäuste

(rsn) - Hallo Freunde, es ist vollbracht! Wir haben die härteste Etappe hinter uns gebracht und sind noch mit allen sechs Fahrern im Rennen. Einfach war das jedoch nicht! Auf uns warteten, auf 126 Ki

07.08.2019Es ging zu wie beim Bahnrennen hinter dem Derny

(rsn) - Willkommen zum Eintrag über die 4. Etappe der Tour der Guadeloupe. Schon beim Aufstehen war die Stimmung in unserem "Zimmer der Schwergewichte" etwas betrübt, so wussten wir alle um die vi

06.08.2019Dombrowski rutscht in Guadeloupe vom 3. auf den 5. Rang

(rsn) - In der Rubrik Ergebnisse liefern wir in kompakter Form und unmittelbar nach Zieleinlauf einen kurzen Überblick über die Ergebnisse der wichtigsten UCI-Rennen unterhalb der WorldTour. Tour de

06.08.2019Unser Capitano Freddy zündete ein Feuerwerk

(rsn) - Ein tropisches Hallo zur 3. Etappe, auf dem Programm standen heute vier Bergwertungen, wovon eine direkt nach dem Start auf uns wartete. Die Marschroute war daher klar: den ersten Berg überle

05.08.2019Nach 18 Jahren als Lizenzfahrer erstmals im Bergtrikot

(rsn) - Ein herzliches Hallo aus dem französischen Überseedepartement Guadeloupe. Wir sind hier zur Tour de Guadeloupe angereist und haben auch schon die ersten Rennen hinter uns, daher werde ich ku

Weitere Radsportnachrichten

20.04.2024Die Aufgebote für das 110. Lüttich-Bastogne-Lüttich

(rsn) – Zum krönenden Abschluss der sogenannten Ardennenwoche steht am 21. April die 110. Ausgabe von Lüttich-Bastogne-Lüttich an. La Doyenne, wie das 1892 erstmals ausgetragene und damit ältest

20.04.2024Lüttich-Bastogne-Lüttich im Rückblick: Die letzten zehn Jahre

(rsn) – Lüttich-Bastogne-Lüttich bildet traditionell den krönenden Abschluss der Ardennenwoche. La Doyenne, das älteste Eintagesrennen der Welt, ist mit seinen kurzen, teils extrem steilen Anst

20.04.2024Die Aufgebote für das 8. Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen

(rsn) – Mit der 8. Ausgabe des Lüttich-Bastogne-Lüttich der Frauen endet die Ardennenwoche. Während das Männerrennen von Lüttich aus nach Süden zum Wendepunkt in Bastogne und von dort wieder z

19.04.2024UCI veröffentlicht kompakten Cyclocross-Weltcup-Kalender

(rsn) – Der vom Radsportweltverband UCI präsentierte Cross-Weltcup-Kalender 2024/25 weist einige bemerkenswerte Änderungen auf. So wurde die Anzahl der Rennen von 14 auf 12 reduziert, die zudem al

19.04.2024Lopez wehrt alle Angriffe ab und gewinnt Tour of the Alps

(rsn) – Juan Pedro Lopez (Lidl – Trek) ist am Schlusstag der 47. Tour of the Alps (2.Pro) nicht mehr in Schwierigkeiten gekommen. Im Gegenteil: Der Spanier brachte seinerseits auf dem schweren fü

19.04.2024Die Strecken von Lüttich-Bastogne-Lüttich

(rsn) – Zum 110. Mal findet am Sonntag Lüttich-Bastogne-Lüttich (1.UWT) für die Männer statt – die Frauen bestreiten 'La Doyenne' dagegen erst zum achten Mal. Die Strecken haben sich im Vergle

19.04.2024Im Chaos-Finale fahren Malmberg, Röber und Paluta in die Top 10

(rsn) - Auch im chaotischen Finale der 2. Etappe von Belgrade Banjaluka (2.2) waren die drei deutschen Kontinental-Teams vorne mit dabei. Während der Däne Matias Malmberg (Maloja Pushbikers) und Do

19.04.2024Kehrt der Intergiro bei der Italien-Rundfahrt zurück?

(rsn) - Auf einigen der von der RCS veröffentlichen Profilen der Italien-Rundfahrt taucht der Intergiro zum ersten Mal seit 2005 wieder auf. Der Intergiro ist eine Sonderwertung, bei dem die Zeit all

19.04.2024Skjelmose erklärt seine Unterkühlung beim Flèche Wallonne

(rsn) - "Skjelmose wird hier gerade vom Rad getragen und ist vollkommen am Zittern. Komplett kalt. Komplett im Arsch", hieß es nach einem Augenzeugenbericht unseres Mannes vor Ort am Mittwoch in unse

19.04.2024Querfeldeinstar Kuypers steigt auf und gibt Debüt in Lüttich

(rsn) - In unserem ständig aktualisierten Transferticker informieren wir Sie regelmäßig über Personalien aus der Welt des Profiradsports. Ob es sich um Teamwechsel, Vertragsverlängerungen oder RÃ

18.04.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wie geht´s zum Liveticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

18.04.2024TotA-Sturz: Harper kommt mit leichter Gehirnerschütterung davon

(rsn) – Entwarnung für Chris Harper: Der Australier von Jayco – AlUla ist bei seinem Sturz rund 25 Kilometer vor dem Ziel der Königsetappe der Tour of the Alps ohne schlimmeren Verletzungen dav

RADRENNEN HEUTE

    Radrennen Männer

  • Belgrade Banjaluka (2.2, BIH)