Guadeloupe-Tagebuch von Hermann Keller

Als Zombie aufgewacht, aber gut gelaunt eingeschlafen

Von Hermann Keller

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Hermann Keller (Embrace the World, li) und seine Teamkollegen bei der Tour de Guadeloupe| Foto: Embrace the World

11.08.2019  |  (rsn) - Hallo und guten Morgen zum nächsten Eintrag. Auf dem heutigen Plan stand zuerst ein Straßenrennen über 86 Kilometer und danach ein Einzelzeitfahren über 24 Kilometer. Als ich aufwachte, dachte ich jedoch nicht an Radrennen, sondern eher an eine Apokalypse. In unserem Zimmer war nämlich keine Spur von der sonst so übermäßig vorhandenen guten Laune. Ich blickte vielmehr in ausdruckslose Gesichter, gezeichnet von den letzten Tagen. Ich selbst fühlte mich auch eher wie ein Zombie, allerdings ließ das Gefühl nach ein paar Frühstüclsbissen und einer Tasse Kaffee nach.

Wir machten uns auf den Weg zum Startort, wo das tägliche Prozedere begann. Während des Umziehens fiel uns auf, dass Timo Niesing sich nicht umzog, da er krank geworden war. Somit hat das Matrix-Team nun ein theoretisches Betreuer/Fahrer-Verhältnis von acht zu eins. Ob ich die Frage, wie viele Fahrer ein Team zum Etappensieg braucht, neu aufrollen sollte? – Wir werden sehen.

Der Tross rollte also los und mittendrin auch noch alle sechs Fahrer des Teams Embrace The World. Sofort wurde attackiert, vielleicht hatten einige Fahrer vergessen, dass heute schon der achte Tag der Rundfahrt war. Ich hätte sie ja gerne daran erinnert, aber mein Zombie-Körper hielt mich vorerst zurück. Nach einigen Kilometern mit extrem hohem Tempo gingen meine Beine aber auf und auch wir fingen an mitzumischen. Hin und wieder setzten sich Gruppen ab, aber keine konnte eine Vorentscheidung herbeiführen. So kam es endlich einmal zum Sprint!

Marcel und Basti brachten mich sehr gut in Position, nur leider war ich etwas zu früh zu weit vorne. Das Tempo wurde nochmals verschleppt und somit konnten ein paar Fahrer mit viel Schwung durchstarten. Mir fehlte nach den letzten harten Tagen etwas der letzte "Punch“ und ich robbte mich so langsam zu einer annehmbaren Sprintgeschwindigkeit. Einer Explosion glich das Ganze aber wirklich nicht.

Schlussendlich musste ich mich mit dem vierten Platz zufriedengeben. Nicht schlecht, aber eben auch nicht so richtig gut. Gewonnen hat übrigens nicht Marcel Fröse, also ändert sich nichts an der Zwei-Fahrer- Etappensieg-Theorie.

Die Zeit bis zum Zeitfahren vertrieben wir uns so, wie ich den Aufenthalt hier eigentlich geplant hatte. Wir breiteten unter dem Schatten von Mangobäumen auf einer Wiese unsere Decken aus und genossen das Klima. Für uns fünf Helferlein ging es in erster Linie darum, nicht aus dem Zeitlimit zu fallen, aber dennoch im extremen Energiesparmodus zu bleiben. Simon legte vor und fuhr Bestzeit! Er war aber auch der erste Fahrer, der die Ziellinie passierte. Übrigens starteten wir alle mit Straßenrädern, da nur Freddy seine Zeitfahrmaschine mitschmuggeln konnte. Auch Peschgi legte ordentlich los, verpasste aber eine Abzweigung und verfuhr sich. Schade eigentlich, aber ohne Zeitfahrmaterial wäre wohl eine Top-Platzierung generell nicht drin gewesen.

Als wir fünf im Ziel waren, schauten wir uns noch etwas um und machten uns dann auf den Weg zum Hotel. Dabei passierten wir einen Pizza Hut und gönnten uns zur Feier des Tages noch eine kleine Belohnung. Wie es der Zufall so wollte, fand ganz in der Nähe auch ein Radrennen statt. Wir saßen also mit dem Pizzakarton auf dem Schoß am Straßenrand und nicht nur irgendein Fahrer, sondern El Capitano höchstpersönlich schoss in seinem blauen Zeitfahranzug an uns vorbei.

Wir hatten uns eine Stelle nach der Wende herausgesucht, daher sahen wir ihn sogar noch ein zweites Mal vorbeidüsen und fieberten mit. Freddy wuchs über sich hinaus und eroberte einen neunten Etappenplatz. Dabei nahm er jedem Gesamtklassementfahrer, der ihm gefährlich war, wertvolle Sekunden ab. Dieser Teufelskerl!

Kurz vor dem Start sah das aber noch nicht ganz so gut aus. Der bekennende Rammstein-Fan hatte nämlich nur zehn Minuten vor seinem Start einen Platten. Er verlor völlig die Fassung und konnte nur noch ein “Das ist aber ungünstig“ herausquetschen. Die Betreuer blieben im Gegensatz zum Capitano aber ruhig und lösten auch dieses Problem. An dieser Stelle nochmals: Danke für eure Problemlösefähigkeiten!

Ebenfalls ein bärenstarkes Rennen fuhr Julian Braun vom Dauner Team. Der Zeitfahrspezialist belegte den zweiten Platz und musste sich nur einem Ex-WorldTour-Fahrer (Gaetan Bille, d. Red.) geschlagen geben. Er meinte, er könne damit aber ganz gut leben.

Zurück im Hotel vertrieben wir uns die Zeit im Meer und genossen das Buffet. Als ich heute morgen das Bett nicht verlassen wollte, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, abends gut gelaunt zu sein. Es war aber wirklich ein schöner Tag, wir hatten etwas Zeit zum Herunterfahren und darüber hinaus fuhren wir auch noch gute Ergebnisse ein. Einen Masterplan haben wir noch nicht geschmiedet, aber die Nacht ist noch jung!

Wir werden auf jeden Fall morgen nochmal alles in die Waagschale werfen und versuchen, das Gelbe Trikot in Schwierigkeiten zu bringen. Falls es zum Sprint kommen sollte, haben wir mit Simon, Duffi und mir auch noch ein paar Schwergewichte im Rennen. Der Wingman fuhr heute sein erstes Top 15-Resultat bei einem UCI-Rennen ein, was uns nach den harten Tagen natürlich auch sehr für ihn freut!

Der Abend endete dann noch mit einem gemeinsamen Einschwören auf die noch nicht erstellte Teamtaktik und einem klitzekleinen Fläschchen Bier.

Vielen Dank für das zahlreiche Daumendrücken, es hat endlich funktioniert! Ich werde mich morgen wieder melden, mit dann hoffentlich guten Neuigkeiten.

Grüße aus meinem Bettchen,

Hermann

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